29 November 2022

Weder Festung Europa, noch Gefängnis Europa

Das Outbound Investment Screening als nächstes Kapitel in der geo-ökonomischen Reform der EU-Handelspolitik?

Werden in der Europäischen Union bald nicht nur ausländische Direktinvestitionen in die EU (inbound), sondern auch Investitionen europäischer Unternehmen in Drittstaaten (outbound) einer hoheitlichen Investitionskontrolle unterzogen? Während die EU-Kommission erste Andeutungen hierzu macht, läuft in den USA die Diskussion bereits heiß – bis ins Weiße Haus.

Die Rückkehr von Investitionskontrollen (investment screening) gehört zu den dominanten Trends in der Investitionspolitik der letzten Jahre. Nicht zuletzt in Reaktion auf geoökonomische Veränderungen steht sie auf der Tagesordnung zahlreicher Entscheidungsträger. Jüngst hat der Streit über die Übernahme des Hamburger Hafenterminals Tollerort und der Chiphersteller Elmos und ERS durch chinesische Investoren das Thema in das Zentrum der politischen und öffentlichen Debatte gebracht. Die europäische Investment-Screening-Verordnung (EU) 2019/452 erlaubt den Mitgliedstaaten explizit seit 2019 ausländische Direktinvestitionen in die EU (inbound) aus Gründen der Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung zu überprüfen und gegebenenfalls zu blockieren. Die Verordnung verpflichtet die Mitgliedstaaten jedoch nicht dazu. In nunmehr zahlreichen Novellen des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) hat die Bundesrepublik hiervon Gebrauch gemacht und ihr Investment-Screening stetig verschärft. Zentral war stets nur die Frage, ob ein drittstaatlicher Investor „von außen nach innen“ in den Binnenmarkt eintreten darf, indem er eine dauerhafte und direkte Beziehung zu einem Unternehmen schafft, das seine wirtschaftliche Tätigkeit aber weiter in einem EU-Mitgliedstaat ausübt.

USA preschen voran

Dass zukünftig auch Investitionen europäischer Unternehmen in Drittstaaten („von innen nach außen“ – outbound) überprüft werden könnten, zeichnet sich erst seit kurzem ab. Nachdem 2019 in den „ Xīnjiāng Papers“ die Unterdrückung der Uiguren in der chinesischen Provinz offenbar wurde, verweigerte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) im Mai 2022 einem deutschen Unternehmen – wohl Volkswagen – die Verlängerung der Investitionsgarantien für bestimmte Investitionsprojekte in China. Investitionsgarantien sind Förderinstrumente der Bundesregierung, um deutsche Direktinvestitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern vor politischen Risiken abzusichern. Das BMWK wird nunmehr dieses Instrument neu justieren, um einen Anreiz zur Diversifizierung der Investitionszielstaaten für deutsche Unternehmen zu schaffen. Es wird außerdem restriktiver Garantien für Investitionen in solche Staaten gewähren, in denen es zu einer „übermäßigen Ballung“ an Investitionen gekommen ist; im Ergebnis also vor allem China. Damit handelt es sich zwar noch um keine hoheitliche Kontrolle auswärts wandernder Investitionen, aber um eine klaren, anreizbasierten Steuerungsversuch.

In den USA gibt es dagegen seit einiger Zeit Gesetzesvorhaben, die eine Kontrolle von Investitionen in Drittstaaten diskutieren. Zwar scheiterte noch im Jahr 2018 die Einführung eines outbound-Investitionskontrollabschnitts in den schlussendlich verabschiedeten Gesetzestext des Foreign Investment Risk Review Modernization Act (FIRRMA). 2021 signalisierte der nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, dann aber potenzielle Unterstützung für eine Kontrolle von ins Ausland fließenden Investitionen. Bereits seit 2020 arbeiteten die US-Senatoren Robert Casey und John Cornyn den National Critical Capabilities Defense Act (NCCDA) aus, der sich momentan im US-Senat befindet. Hiernach müssten US-Unternehmen einem neu zu gründenden Komitee jede auswärtige Investitionstransaktion anzeigen, die kritische Infrastruktur betrifft oder in ein „country of concern“ getätigt werden soll. Das Komitee soll dann dem US-Präsidenten empfehlen können, die Investition zu beschränken oder zu blockieren. Selbst Kritiker des NCCDA-Vorschlags drängen darauf, outbound investment unter regulatorische Kontrolle zu bringen. Derweilen hat die zweite Gesetzgebungskammer, das US-Repräsentantenhaus, bereits Teile des NCCDA-Wortlauts in den America COMPETES Act eingebaut, den es im Februar 2022 verabschiedet hat. Allerdings wird nicht erwartet, dass die beiden Gesetzgebungskammern schnell zu einem legislativen Einvernehmen kommen. Daher wandte sich eine überparteiliche Gruppe einflussreicher Politiker:innen (u.a. Nancy Pelosi, Chuck Schumer sowie Robert Casey und John Cornyn) in einem offenen Brief an den US-Präsidenten. Darin forderten sie ihn auf, schnellstmöglich ein unilaterales Investitionsexportkontroll-Instrument per Anordnung des Präsidenten (executive order) zu erlassen. Die Erwartung in den USA scheint zu sein, dass ihre transatlantischen Partner mit den USA eine koordinierte Herangehensweise an outbound investment screening abstimmen werden. Sonst würden sie die zukünftigen US-Regularien samt diplomatischen Druck selbst zu spüren bekommen, etwa wenn sensible Technologien eines US-Unternehmens über eine Niederlassung in der EU nach China kämen, obwohl dieselbe Transaktion aus den USA heraus blockiert worden wäre. Andernfalls bestünde eine Umgehungsgefahr der strategischen US-Investitionsexportkontrolle sowie die Gefahr eines wettbewerblichen Nachteils von US-Unternehmen.

Nun hat die EU-Kommission in ihrem Arbeitsprogramm 2023 (COM (2022) 548 final) angekündigt zu prüfen, ob neben einer Revision der Investment-Screening-Verordnung auch zusätzliche Instrumente in Bezug auf eine outbound strategic investment control erforderlich seien. Die mögliche Erweiterung des handels- bzw. geoökonomischen Werkzeugkoffers kommt nicht überraschend. Die EU strebt in ihrer Handelspolitik nach einer offenen strategischen Autonomie. Diese setzt zwar weiterhin auf offenen Welthandel und eine Wiederbelebung des Multilateralismus, aber auch stärker auf Reziprozität bei den Handelspartnern, Reduzierung von Abhängigkeiten und internationalen Wettbewerbsverzerrungen, Schutz von Sicherheitsinteressen bei kritischen Technologien und Infrastrukturen sowie eine wertegeleitete Politik zum Schutz von Menschenrechten und nachhaltiger Entwicklung. We are free traders, but not naïve, wie es der ehemalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker formulierte, oder in den jüngsten Worten Robert Habecks: „Eine offene Marktwirtschaft ist keine naive Marktwirtschaft.“

Mögliche Ziele einer EU-Investitionsexportkontrolle – Protektionismus durch die Hintertür?

Eine Investitionsexportkontrolle könnte mannigfaltige regulatorische Ziele verfolgen. Den US-amerikanischen Diskurs prägen der Schutz nationaler Sicherheitsinteressen, die Stärkung der Resilienz kritischer US-Lieferketten sowie die Schwächung der Technologieentwicklung in den adressierten Drittstaaten. Daneben werden jedoch auch wirtschaftspolitische Motive, wie Arbeitsplatzsicherung, offen diskutiert.

Für die EU und ihre Mitgliedstaaten läge es zunächst nahe, in den Bereichen, in denen ohnehin schon die Kontrolle des Exports von Gütern eingreift, auch die Investitionstätigkeit in Drittstaaten stärker in den Blick zu nehmen. Exportkontrollen gibt es insbesondere im Bereich der Dual-Use-Güter, die also sowohl für zivile als auch militärische Zwecke verwendet werden können. Deren effektive Kontrolle wurde insbesondere nach Verabschiedung der „zivil-militärischen Fusion“ als nationale Strategie durch die Kommunistische Partei Chinas in 2017 schwieriger. So könnte versucht werden zu verhindern, vorhandene Exportkontrollen durch Investitionen im Ausland zu unterlaufen, worauf auch der nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses hinwies.

Vorstellbar ist eine outbound Kontrolle auch dort, wo bereits jetzt die inbound Investitionskontrolle Anwendung findet. Dazu zählt nach Art. 4 Abs. 1 Investment-Screening-VO unter anderem kritische Technologien (Künstliche Intelligenz, Halbleiter, Cybersicherheit, etc.) und die Versorgung mit kritischen Ressourcen (insb. Energie- und Rohstoffversorgungssicherheit, seltene Erden, etc.). Fraglich erscheint jedoch, ob daneben auch – parallel zu Art. 4 Abs. 2 Investment-Screening-VO – Kriterien für eine outbound Kontrolle übernommen werden könnten, die nichts mit der Investition selbst, sondern mit dem Investor zu tun haben. Ein Abstellen auf bestimmte Länder, angelehnt an die „countries of concern“ in den US-Vorschlägen, scheint hier theoretisch zielgenauer. Politisch wäre ein solch offen-diskriminierendes Vorgehen mit dem Bekenntnis der Union zum Multilateralismus in der offenen strategischen Autonomie aber schwer zu vereinbaren.

Lieferketten könnten unter mehreren Gesichtspunkten Gegenstand der Kontrolle werden. Störungen in der Lieferkette gefährden die Versorgungssicherheit, nicht nur für Energie, sondern auch für andere Güter. Abseits solcher klassischen Sicherheitserwägungen eröffnet sich eine weite Landschaft anderer Ziele. Die Logik der Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzgebung weitergedacht, ließe sich auch vorstellen, aus menschenrechtlichen Gründen eine Investition in eine Region zu untersagen oder gegebenenfalls sogar eine bereits getätigte Investition zum Verkauf zu zwingen; zum Beispiel die Produktionsstätte eines EU-Unternehmens in Xīnjiāng. Für inbound Investitionen sieht Art. 2 Nr. 3 Investment-Screening-VO die Rückabwicklung als mögliche Überprüfungsmaßnahme bereits vor.

Ebenso vorstellbar wäre es, Nachhaltigkeitsziele im Kontext von „Fit-for-55“ durch Verbote oder Beschränkungen auswärtiger Investitionen zu verfolgen; zum Beispiel eine geplante Produktionsverlagerung eines energieintensiven Industrieunternehmens außerhalb der EU, um innerhalb der EU geltende schärfere CO2-Emmissionsregulierung zu umgehen (sog. carbon leakage). Denkbar wäre sogar, anderweitig nicht „ökologisch nachhaltige Investitionen“ ins Ausland zu blockieren, analog zur Einordnung nach Art. 2 Nr. 1 Taxonomie-Verordnung.

Schließlich könnten auch wirtschaftspolitische Ziele – wie sie manche Gesetzgebungsvorschläge in den USA tragen – eine outbound Investitionskontrolle motivieren. Hierin liegt allerdings die Gefahr einer zu weit gefassten Investitionsexportkontrollmöglichkeit: mehr oder weniger versteckter Protektionismus unter dem Deckmantel von nationaler Sicherheit (Stichwort: Trumps Zölle auf Aluminium und Stahl). Man stelle sich etwa vor, europäische Automobilhersteller würden vermehrt erwägen, eigentlich im Binnenmarkt geplante Investitionen in E-Mobilität angesichts der erheblichen US-Subventionen hierfür unter dem Inflation Reduction Act stattdessen in die USA zu tragen. Mitgliedstaaten und EU werden dem etwas entgegenhalten wollen. Gerade in solchen Situationen soll zwar bald die EU-Verordnung über drittstaatliche binnenmarktverzerrende Subventionen Abhilfe schaffen, die kurz vor der Verabschiedung steht. Diese wird der EU-Kommission – nicht den Mitgliedstaaten – zentral die Möglichkeit geben, gegen drittstaatliche Subventionen, die Verzerrungen auf dem Binnenmarkt verursachen, mit Abhilfemaßnahmen ähnlich denen aus der Investment-Screening-VO oder dem Beihilferecht zu begegnen. Auch hiernach könnten etwa Zusammenschlüsse blockiert oder rückabgewickelt werden (Art. 6 Abs. 3 lit. g)). Sollten sich jedoch Maßnahmen nach diesem neuen Instrument als nicht effektiv oder schnell genug erweisen, um europäische Unternehmen für drittstaatlichen Subventionen abzuschirmen, sodass sie die Abwanderung in den Drittstaat weiterhin erwägen, könnten Mitgliedstaaten mit einer outbound Investitionskontrolle verlockt sein, unter dem Deckmantel nationaler Sicherheit ihre Unternehmen an dem Investitionsexport zu hindern.

Kompetenz und Durchführung – One-stop-shop oder Flickenteppich?

Unionsrechtlich wirft eine Investitionsexportkontrolle zunächst die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz der EU auf. Soweit sie nicht der Union in den EU-Verträgen übertragen wurde, verbleibt sie bei den Mitgliedstaaten (Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung).

Nach Art. 3 Abs. 1 lit. e), 206 f. AEUV hat die Union die ausschließliche Zuständigkeit im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik. Hierauf ist auch die (inbound) Investment-Screening-VO gestützt. Die Zuständigkeit umfasst nach Art. 207 Abs. 1 AEUV auch den Bereich „ausländische[r] Direktinvestitionen“. Diese wurden von Generalanwältin Sharpston in den Schlussanträgen zum Gutachten 2/15 (EUSFTA) unter anderem verstanden als „Investitionen natürlicher oder juristischer Personen der Union in einem Drittstaat zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter und direkter Beziehungen in Form einer tatsächlichen Beteiligung an der Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens zwischen denjenigen, die die Mittel bereitstellen, und dem Unternehmen, für das die Mittel zum Zweck einer wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt sind“ (Rn. 322).

Damit ein Rechtsakt unter Art. 207 Abs. 1 AEUV fällt, muss er den Handelsverkehr speziell betreffen, d.h. in den Worten des EuGH im Gutachten 2/15 (EUSFTA): „ihn im Wesentlichen fördern, erleichtern oder regeln […] und sich direkt und sofort auf ihn auswirk[en]“ (Rn. 36). Für die oben skizzierten Ziele einer Investitionsexportkontrolle muss einzeln geprüft werden, ob sie Teil der gemeinsamen Handelspolitik sind. Sind sie das nicht, ist fraglich, ob die Union eine Investitionsexportkontrolle gegenüber Drittstaaten auf eine andere Kompetenz stützen könnte. Das Ziel der nachhaltigen Entwicklung hat der EuGH im Gutachten 2/15 (Rn. 147) ausdrücklich als festen Bestandteil der gemeinsamen Handelspolitik nach Art. 207, 205 AEUV i.V.m. Art. 21 Abs. 2 lit. d) EUV anerkannt. Daraus lässt sich schließen, dass Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte über Art. 21 Abs. 2 lit. b) EUV ebenso mitverfolgt werden könnten. Versorgungssicherheit in Lieferketten ließe sich womöglich unter die Wahrung der „Unabhängigkeit und […] Unversehrtheit“ der Union (Art. 21 Abs. 2 lit. a) EUV) subsumieren.

Je näher die über die gemeinsame Handelspolitik verfolgten Ziele jedoch die nationale Sicherheit der Mitgliedstaaten betreffen, desto heikler wird die Abgrenzung. Die Mitgliedstaaten bleiben nach Art. 4 Abs. 2 S.2 EUV in der alleinigen Verantwortung für ihre nationale Sicherheit. Dies gilt auch für ihre wesentlichen Sicherheitsinteressen, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen (Art. 346 AEUV). Darauf nimmt die Investment-Screening-VO in ihrem Art. 1 Abs. 2 auch ausdrücklich Bezug. Hierbei handelt es sich um einen für die Mitgliedstaaten hochsensiblen Bereich. Politisch virulent könnte daher ein Streit werden, wenn der Unionsgesetzgeber versuchen würde, die Mitgliedstaaten zu einer (in- oder outbound) Investitionskontrolle zu verpflichten. Dies wurde ursprünglich noch von etwa Deutschland und Frankreich für inbound screening gefordert. Politisch und rechtlich noch problematischer wäre gar einen allein durch die EU-Kommission durchzuführenden Screening-Mechanismus betreffend sicherheitspolitische Fragen der Mitgliedstaaten zu schaffen, ohne dass die Mitgliedstaaten selbst mitentscheiden.

Abgrenzung Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit in Drittstaatsfällen

Immer mehr Mitgliedstaaten haben inbound Investitionskontrollregime nicht nur scharf geschaltet, sondern t