Zur Nichtigkeit des Berliner Mietendeckels
Erste Anmerkungen zu einem eklatanten Fehlurteil
Das Bundesverfassungsgericht hat zum Berliner Mietendeckel gesprochen, und zwar in Gestalt des Zweiten Senats, dessen Zuständigkeit wohl durch das Überwiegen der kompetenzrechtlichen Frage gegeben war. Berichterstatter war der frühere CDU-Minister Peter Huber; es handelte sich vorwiegend um eine abstrakte Normenkontrolle, die die Fraktionen der Union und FDP angestrengt hatten. Die Entscheidung ist überraschend klar und eindeutig ausgefallen (7:1 in der Begründung, einstimmig im Ergebnis). Darin liegt ein Problem. Abermals fällt ein tiefer Schatten auf die Judikatur des Zweiten Senats, der sich in immer deutlicherer Weise als politökonomisch uninformiert und naiv erweist, in juristischer Hinsicht als handwerklich schwach.
Berühmt-berüchtigt ist der Senat in den letzten Jahren in erster Linie durch seine erratische, politökonomisch missgeleitete und etatistisch-souveränistisch überspitzte Europa-Rechtsprechung geworden. Gelegentlich wirkt diese provinziell, gelegentlich präpotent oder inkonsequent, immer im Grundsatz fehlgeleitet. Auch die EU-Judikatur verantwortet im Übrigen nicht unmaßgeblich Peter Huber als Berichterstatter. Das Gegenbild bot in den letzten Jahren der Erste Senat, der in großen Entscheiden nicht zuletzt eine sinnvolle Haltung zu den EU-Grundrechten entwickelt hat.
In mancher Hinsicht demonstriert der Mietendeckel-Beschluss im Inneren, was die EU-Rechtsprechung im Äußeren auszeichnet. Auch seine politische Wirkung dürfte vergleichbar sein: wie die EU-Entscheide die Europafreund:innen beflügeln, die (erfreulicherweise) von einer Kompetenzverlagerung über einen Aufbaufonds schrittweise zur Sozial- und Umverteilungsunion vorpreschen, dürfte der Mietendeckelentscheid die linkeren Kräfte in der Berliner Koalition motivieren und den Wahlkampf neu sozialpolitisch polarisieren. Das Volksbegehren zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne, das von den Grünen und der Linken und Teilen der SPD grundsätzlich unterstützt wird, dürfte Aufwind bekommen. Der Gedanke der Sozialisierung im Wirtschaftsleben, wie ihn Art. 15 GG verfassungsrechtlich verankert, könnte eine Renaissance erleben. Denn die mietenpolitischen Probleme lösen sich nicht auf, die Bodenpreise sind durch Knappheit und Spekulation zu hoch, als dass der „freie“ Markt die sozialen Herausforderungen lösen könnte. Teurer Neubau entschärft die Sorgen der Mieter:innen um ihr verfügbares Einkommen kaum. Vom Markt zum Umzug gezwungen wollen sie auch nicht werden. Die bundesrechtliche Mietpreisbremse wurde zwar nachgeschärft, scheint Vermieter:innen aber weiterhin kaum zu beeindrucken. Das Recht des Stärkeren herrscht und wirft Eigentumsfragen neu und verstärkt auf. Das ist nun zu erwarten, ohne dass das Gericht damit rechnen musste. Letzteres ist auch nicht seine Aufgabe.
Aber hat es die ihm ureigene Aufgabe zutreffender Verfassungsauslegung erfüllt? Das ist zu verneinen. Die Entscheidung ignoriert, dass es gerade nicht, wie von ihr behauptet, nur einen privaten und einen öffentlichen Wohnungssektor gibt. Sie operiert in ihrem Kern mit einer wiederbelebten, aber schon immer falschen public private distinction. Die Behauptung lautet namentlich, dass der private, „frei finanzierte“ Sektor vom bürgerlichen Recht preisrechtlich geregelt sei, während nicht allein frei finanziertes Wohnungswesen in die Kompetenz der Länder falle. Richtig ist, dass das BGB ein soziales Mietrecht für ideell als paritätisch vorgestellte Vertragsverhältnisse zwischen „Privatleuten“ enthält. Allerdings sind die Sanktionen rein privatrechtlich, bedürfen der langwierigen gerichtlichen Durchsetzung und wirken in der Praxis nur sehr begrenzt, weil offenbar die hinter dem Recht stehende „Drohung“ nicht ausreicht, um die stärkeren Vertragsparteien nachhaltig zu beeindrucken. Zudem setzen sie am Niveau der Marktpreise in Gestalt der Vergleichsmieten an. Auf das Preisniveau selbst streben sie nicht einmal an, Einfluss zu nehmen.
Ein „frei finanzierter“ Wohnungssektor existiert aber nicht, weil der Staat stets die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens definiert – vom Preisrecht bis hin zur besonders subordinierenden, keineswegs privatrechtlichen Zentralbank. Sozial gebundene Wohnungen wiederum sind in Deutschland (vielleicht bedauerlicherweise) oft in Kooperation mit Privaten entstanden. Zugleich gibt es einen „dritten Sektor“, der sich der Privat-Öffentlich-Unterscheidung ebenfalls und vielleicht noch offensichtlicher verschließt. Das sind heute überwiegend die Genossenschaften, die formell privat erscheinen mögen, aber sich den Marktkräften und -preisen im Modus zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation gerade zu entziehen suchen. Außerdem gibt es das Mietshäusersyndikat oder öffentlich betriebene Genossenschaften. Noch wichtiger ist aber, dass die bis 1990 in Westdeutschland existierende Wohnungsgemeinnützigkeit umfassende Steuervorteile für Wohnungsunternehmen – etwa die trotz ihrer vielen Verdienste zu Unrecht vergessene, seinerzeit an einem Skandal gescheiterte „Neue Heimat“ der Gewerkschaftsbewegung – vorsah, die die CDU/CSU/FDP-Bundesregierung angesichts des seit den 1980er Jahren aufsteigenden neoliberalen Paradigmas zu beerdigen müssen vermeinte. Handelt es sich dabei um private oder öffentliche Akteure, die das Bundesverfassungsgericht so klar unterscheiden zu können glaubt? Das ist alles andere als eindeutig und letztlich rein formalistisch nicht befriedigend zu entscheiden.
Der Formalismus des Gerichts hilft aber auch nicht bei der Einordnung der bis 1988 in Westberlin geltenden festen Mietpreisbegrenzung im Altbau. Man entledigte sich dieser vorgeblich als Kriegsrelikt einzustufenden strengen Regulierung damals gegen einen starken Widerstand sozialer Bewegungen, der letztlich zu einem Regierungswechsel in West-Berlin hin zu SPD/Grün-Alternativen beitrug.
Der Zweite Senat behauptet nun in der entscheidenden Passage der Entscheidung, der Kompetenztitel des Wohnungswesens, der im Zuge der Föderalismusreform 2006 an die Länder überging, habe sich klarerweise nicht auf „frei finanzierte“ Wohnungen bezogen – das zeige die Staatspraxis. Diese sei von der bis 1960 vorherrschenden „Zwangsbewirtschaftung“ (man könnte auch sagen: soziale Organisation des Rechts auf Wohnen) im Laufe der Zeit trotz mannigfacher Regulierungen evident in Richtung der „sozialen Marktwirtschaft“ vorangeschritten – immer mit dem „Synallagma“ des Do ut des im Mittelpunkt. Das klingt antiformalistisch, ist es aber gerade nicht. Halb zutreffend stellt das Gericht immerhin fest, im Ursprung sei der Titel im Hinblick auf das Preisrecht unterbestimmt. Vieles spricht hingegen dafür, dass Preise selbstverständlich zum Wohnungswesen (und nicht allein zum „bürgerlichen“ Recht) umfassend dazugehörten, auch wenn eine neoliberale Staatspraxis in den 1980er Jahren unter Einziehung künstlich-ideologischer Unterscheidungen des Privaten vom Öffentlichen davon abkehrte und teils frühliberalere Zustände wiederherzustellen trachtete. Dass das Gericht diesen falschen Gegensatz perpetuiert, ist als formalistische Verirrung zu bedauern. Insbesondere mit Bezug auf das Land Berlin muss diese irritieren, weil gerade dort ein „frei finanziertes“ Wohnungswesen mit prinzipiell „freier“ Preisbildung über Jahrzehnte kaum bestand. Die Richter:innen scheinen daher in ihrer scheinbar so technischen Bewertung einer Kompetenzfrage Marktideologien erlegen zu sein.
Es ist zutreffend, dass die administrative Sanktionsdrohung durch das annullierte Gesetz oder die urbanistisch motivierte Segregationsbekämpfung nicht per se einen maßgeblichen Unterschied zum sozialen Mietrecht des BGB begründen. Doch man hätte abermals nicht in die Formalismusfalle laufen dürfen. Die administrative Anordnung und Durchsetzung machen einen großen praktischen Unterschied, so dass das Berliner Verwaltungsgericht kürzlich völlig richtig auf die Verfassungsmäßigkeit des Mietendeckels erkannte. Insbesondere aber wäre es verfassungssystematisch geboten und logisch folgerichtig gewesen, die Kompetenz im Wohnungswesen einerseits mit Blick auf Art. 70 GG – den Primat der Länder – angesichts der Zweifel bezüglich der Ursprungsbedeutung großzügig auszulegen. Es ist eine anerkannte Interpretationsregel, bei Kompetenztiteln derart (1) länderfreundlich und (2) ursprungsbezogen zu urteilen. Das Preisrecht hätte also klarerweise zum Wohnungswesen gerechnet werden müssen. Das wird, wie gezeigt, maßgeblich weiter dadurch unterstützt, dass das „Wohnungswesen“ (gerade in Berlin) hinsichtlich seiner bis zur Föderalismusreform bundesrechtlichen Bedeutung eben keinen klar definierten „freien“ Sektor kannte. Damit fällt aber auch die vermeintlich evidente Zuordnung zum „bürgerlichen Recht“. Und das im doppelten Sinne.
Die Belehrungen über eine drohende Rechtsfragmentierung hätte sich der Senat dann auch sparen können und müssen, weil es zu Kollisionen oder Widersprüchen von Regelungskonzepten in Wirklichkeit gar nicht kommt. Indem die Kammerbeschlüsse des Ersten Senats von 2020 die Kompetenzfrage offen ließen, zeigten sie sich implizit sensibler dafür, dass es dem Gericht nicht ansteht, Öffentliches als privatbürgerlich zu deklarieren oder „Zwangsbewirtschaftung“ gegenüber „sozialer Marktwirtschaft“ abzuwerten. Das Bundesverfassungsgericht hat mit beidem im Mietendeckel-Beschluss seine rechtsstaatlich definierte Rolle überschritten. Krisen der Wohnraumversorgung zu definieren und zu sagen, wann weniger Markt und mehr „Zwang“ ansteht, ist Sache des Landes- (wie auch des Bundes-)gesetzgebers.
Letztlich ist nichts so simpel, wie es dem Zweiten Senat erscheint: nicht die deutsche Souveränität und nicht das bürgerliche Recht.
Verfahrensrechtlich noch interessant: Beteiligt am abstrakten Normen-Kontroll-Verfahren sind jedenfalls nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts allein die 254 Abgeordneten, die es eingeleitet haben. Praktische Folge: Das Gerichte konnte gemäß http://www.gesetze-im-internet.de/bverfgg/__25.html durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Antragsteller damit einverstanden waren. Auf das Land Berlin kam es nicht an.
Das hätte der Berliner Senat (oder auch das Abgeordnetenhaus) aber vermeiden können, wenn er den konkreten Normenkontrollverfahren beigetreten wäre (§ 82 Abs. 2 BVerfGG). Dann wäre er in diesen Verfahren (einziger) Beteiligter gewesen und hätte eine mündliche Verhandlung erzwingen können.
Dagegen ist ein Beitritt bei der abstrakten Normenkontrolle nicht geregelt. In diesem Verfahren hätte der Berliner Senat also nichts tun können.
Also hätte der Zweite Senat evtl. die verbundenen Verfahren trennen und über die abstrakte Normenkontrolle ohne mündliche Verhandlung entscheiden können.
Alles in allem darum ein Fall, der eine klaffende prozessrechtspolitische Wunde hätte aufzeigen können (warum Beitritt nur bei der konkreten und nicht bei der abstrakten Normenkontrolle?), wenn denn der PB des Senats die Möglichkeit eines Beitritts gesehen hätte. Schade.
Ich weiß nicht so recht, was uns der Autor mit diesem eher einer Wutrede gleichenden Beitrag sagen möchte. Aber offenbar scheint er zu meinen, dass mangelnde Gesetzgebungskompetenz unbeachtblich ist, wenn es inhaltlich gegen die bösen Neoliberalen geht.
Die Begründung dieser Auffassung ist angesichts ihrer politisch-ideologischen Aufladung dürftig. Dass hier die Trennung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht “wiederbelebt” worden sei, erscheint als sehr steile These. Auch hinsichtlich der Reichweite in den zivilrechtlichen Bereich hinein, die mit einem pauschalen (!) Mietendeckel logisch zwingend einhergeht, erscheint die Annahme, man müsse hier den Begriff Wohnungswesen dahingehend auslegen, dass auch das zivilrechtliche Preisrecht alleinige (!) Länderkompetenz sei, recht dürftig in Anbetracht der gelebten Verfassungspraxis. Ob im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung, die hier hinsichtlich des Bürgerlichen Rechts nun einmal einschlägig ist, überhaupt eine “länderfreundliche Auslegung” gefordert werden kann, kann man angesichts Art. 72 I GG gut bezweifeln, der im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung dem Bund die Rolle desjenigen zuweist, der die “Hosen anhat”.
Eine Wutrede in Teilen vielleicht, geschenkt, in der ehrwürdigen Tradition der Philippika.. 🙂 Aber gut, politisch-ideologisch aufgeladen ist Recht, dann auch Rechtskritik immer (manche merken es nur nicht). Das wissen Sie sicher. Allerdings argumentiere ich gerade nicht für eine alleinige Länderkompetenz. Es geht mir darum, dass man die Trennung bürgerliches Recht/öffentliches Wohnungswesen nicht so aufziehen sollte wie der Senat. Gelebte Verfassungspraxis ist ein höchst schwaches Argument, weil sie als Beschwörung der “Verfassungswirklichkeit” die Normativität der Verfassung zersetzt. Recht besehen, ist die vom BVerfG und Ihnen zentral herangezogene Staatspraxis gerade das Gegenteil von Verfassung. Und eine “länderunfreundliche” Auslegung steht im Widerspruch zu den Absichten der Reform 2006. Aber das mögen Sie fundamental anders sehen (?). “Ideologischer” ist meine Position jedenfalls nicht.
Ihr Vorwurf einer “Beschwörung der ‘Verfassungswirklichkeit'” greift zu kurz, gibt die Begründung des BVerfG unrichtig wieder und legt nahe, dass Sie den Gedankengang des BVerfG nicht vollständig nachvollzogen haben. In Rn. 185 der Entscheidung wird ausdrücklich auf das 52. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) rekurriert. Dessen historische Auslegung darf und muss die vom verfassungsändernden Gesetzgeber vorgefundene “Staatspraxis” berücksichtigen und kann daraus Schlüsse auf den gewollten Norminhalt der Verfassungsänderung ziehen. Nur dazu dient die in den voranstehenden Rn. vorgenommene Skizzierung ebenjener “Verfassungswirklichkeit”. Das BVerfG “beschwört” also gerade nicht die “Verfassungswirklichkeit” bzw. die “Staatspraxis” an sich, sondern zieht sie lediglich im Rahmen der Auslegung einer Norm heran, um den Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers möglichst präzise zu bestimmen.
Es erfüllt also – entgegen Ihrer Ansicht – die ihm ureigene Aufgabe “zutreffender” Verfassungsauslegung zumindest in dem Sinne, dass es mit vertretbarer methodischer Begründung zu einem vertretbaren Ergebnis gelangt. Damit dürfte auch der Vorwurf der handwerklichen Schwäche widerlegt sein, den Sie erheben, ohne sich mit dem “Handwerk”, also der Methode der Gesetzesauslegung und ihrer Anwendung im konkreten Fall überhaupt auseinanderzusetzen.
Nun ja. Es ist schon bemerkenswert, mit welchem Eifer und brustbreiter Überzeugung dem gesamten zweiten Senat (die Entscheidung erging einstimmig – auch mit der Stimme von Fr. Wallrabenstein) diskreditiert wird, mit dem Vorwand es wäre eine “politische” Entscheidung gewesen. Dabei fällt dem Autoren offenbar nicht auf, dass er selbst es ist, der überwiegend politisch argumentiert. Die Argumentation für eine Landeskompetenz zeichnete sich von Beginn an dadurch aus, dass sie augenscheinlich vom gewünschten Ende her subsumierte. Zu behaupten, der verfassungsändernde Gesetzgeber hätte 2006 einen Zustand vorgefunden, in dem das Wohnungswesen maßgeblich für das Mietpreisrecht einschlägig war und man hätte ja gewollt, dass die Länder über das Wohnungswesen in Zukunft ebenso soziales Mietpreisrecht ausgestalten können- wo es aber gerade die Absicht der Reform war, Doppelzuständigkeiten abzubauen – war der pinke Elefant im Raum. Man hat zugegeben sehr eifrig drum herum konstruiert – aber am Ende zählt “aufm Platz”, wie man im Fußball so schön sagt. Und das die Verfassungsrichter*innen dem nicht gefolgt sind kann nicht ernsthaft verwundern. Wie zwanghaft hier im Nachgang versucht wird dennoch auszuteilen und zu diskreditieren zeigt leider nur die Schwäche der Argumente und macht deutlich, dass es dem Autor vor allem um politischen Willen, nicht aber um Auslegung des GG geht.
Genauso und noch mehr war es Absicht der Reform 2006, die Bundesländer kompetenziell aufzuwerten – im Gegenzug für einen Verlust von Mitsprache im Bundesrat. Es ging in der Tat auch um Politikentflechtung, nicht aber um die Vermeidung gar nicht existenter Norm-Kollisionen (der Mietendeckel lässt sich mit dem BGB-Recht vereinbaren). Und selbstverständlich darf und muss eine Kritik an einem politisch wirkenden Urteil auch (rechts-)politisch sein. Verfassungsauslegung findet ja nicht im luftleeren Raum der Dogmatik statt, wie meine Formalismuskritik im Einzelnen zeigen will. Es geht schon um eine unterkomplexe Argumentation des Gerichts, die sich sagen lassen muss, dass sie das Niveau vieler Beiträge von unteren Gerichten (die oft sehr präzise argumentiert haben, ich denke an AG Mitte oder VG Berlin etwa) nicht erreicht. Und gewiss haben Sie Recht, dass ich noch viele weitere Argumente hätte anführen sollen (und können).
Es erschließt sich mir nicht warum eine Unterscheidung zwischen öffentlich und privat im Berliner Wohnungsmarkt “künstlich-ideologisch” ist, weil sowieso alles Mal von öffentlicher Hand geprägt worden sei. Ist bei einer Berliner Mietsrechtsstreitigkeit nun der Verwaltungsrechtsweg eröffnet?
Spaß bei Seite, ich denke, dass es handwerklich nicht “schwach” ist, dass eine Regelung, die erheblich (!) in die Hauptleistungspflichten bei Verträgen zwischen Privaten eingreift, dem bürgerlichen Recht gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zugeordnet wird.
Hallo,
Vielen Dank für Ihren Beitrag. Sehr spannend.
Ich wüsste gerne, ob ich mit folgendem Ansatz total daneben liege 😉 =Auszug aus meinem Blogeintrag auf http://www.fokus-stadtplanung.berlin
Wenn der Bund nur versucht hat, mit detaillierten Regelungen einen Ausgleich zwischen konkurrierenden Interessen zu schaffen, ihm dieser Ausgleich aber offensichtlich nicht gelungen ist, kann ja wohl auf keinen Fall die Rede davon sein, dass der Bund die Bemessung der höchstens zulässigen Miete für ungebundenen Wohnraum abschließend geregelt hat. Vielmehr bleibt die Mietpreisbremse des Bundes weitgehend unwirksames Stückwerk, an dem selbst der Bund beständig neu herumdoktert. Wenn also, anders formuliert, die Regelungen die der Bund trifft, vollkommen an den Problemen vorbeigehen die vor Ort in den Kommunen vorliegen, sollte es laut der o.g. Begründung BVerfG eigentlich einen Spielraum für weitergehende Regelungen in den Ländern geben. (Denn das Recht dazu hat das BVerfG ja eben genau NICHT verneint.)
Man kann den Spieß natürlich auch umdrehen und das Urteil als eine Verpflichtung des Bundes lesen, sich den bestehenden Problemen (Wohnungsnot, explodierende Mieten, etc.) anzunehmen bis diese abschließend geregelt sind, d.h. kein weiterer Handlungsbedarf für die Länder besteht. (Ich weiß, so ist es nicht gemeint – aber da beißt sich die Katze dann in den Schwanz, d.h.: keine abschließende Regelung = Handlungsspielraum für die Länder; kein Handlungsspielraum für die Länder = zwingend eine abschließende Regelung (die funktioniert) erforderlich.
MfG
Stefan Prinz
Es ist fraglich, ob es sachgerecht ist, eine Entscheidung zu einer Zuständigkeitsfrage in der Weise rechtspolitisch aufzuladen, wie dies mit dem Kommentar geschieht:
Der Landesgesetzgeber von Berlin hat eine Regelung getroffen, mit der er auf das geschuldete Entgelt im Rahmen privatrechtlicher synallagmatischer Vertragsbeziehungen einwirkt. Es ist wenig überraschend, sondern folgerichtig, darin eine Regelung im Bereich des bürgerlichen Rechts (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) zu sehen. Gleichwohl holt das Bundesverfassungsgericht weit aus, um dieses Ergebnis zu begründen. Das scheint dem Umstand geschuldet zu sein, dass hier eine Regelung mit sozialpolitischer Zielsetzung in Rede steht. Indes kann es bei der Abgrenzung von Gesetzgebungskompetenzen letztlich nur auf deren Inhalt und Gegenstand, nicht aber gesetzgeberische Intentionen ankommen. Es ist nicht ersichtlich, warum eine Regelung, die zu Verwirklichung eines sozialen Mietrechts beitragen soll, aus diesem Grunde keine solche des bürgerlichen Rechts soll sein können.
Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ist danach einschlägig. Dieses Ergebnis dürfte unbeschadet der weit ausholenden Ausführungen in der Entscheidung kaum zu vermeiden sein. Eine Kompetenz des Landesgesetzgebers wäre danach nur dann denkbar, wenn parallele oder ergänzende Regelungen auf Grundlage eines anderen Kompetenztitels zugunsten des Landesgesetzgebers getroffen werden könnten. Dazu wurde auf die Zuständigkeit für das „Wohnungswesen“ und damit auch Maßnahmen gegen Gentrifizierung verwiesen, die seit der Föderalismusreform bei den Ländern liege. Auch insoweit muss indes gelten, dass nicht gesetzgeberische Intentionen, sondern Inhalt und Gegenstand der Regelung für die Kompetenzabgrenzung maßgeblich sein müssen. Davon unabhängig ist schon äußerst zweifelhaft, ob Regelungen betreffend das soziale Mietrecht vor 2006 überhaupt zum Gegenstand des Wohnungswesens iSv Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG a.F. gehörten und damit im Rahmen der Föderalismusreform auf die Länder übergehen konnten.
Das Bundesverfassungsgericht hat allein eine Kompetenzfrage entschieden. Die – doch eher fern liegende – Annahme, ein „Mietendeckel“ könne mit der „Eigentumsgarantie“ des Art. 14 GG unvereinbar sein, ist nicht Gegenstand der Entscheidung. Die Frage nach der Zuständigkeit des Landesgesetzgebers wird vom Zweiten Senat mit der Begründung verneint, dass auch soziales Mietrecht zum Mietrecht iSv Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zählt und nicht dem „Wohnungswesen“ zugeordnet werden kann. Das muss dieser schreckliche Neoliberalismus sein, von dem man in letzter Zeit so viel hört.
Dieser politisch und ideologisch durchdrungene Artikel, der sich mehr mit einer Ablehnung des zweiten Senats des BVerfG und insbesondere Prof. Huber beschäftigt, ist m.E. ein Versuch ein Zuständigkeitsproblem mit Fragen der materiellen Rechtmäßigkeit oder politischen Wunschvorstellungen zu umgehen. Genau darauf hat das BVerfG jedoch überhaupt nicht abgestellt. Wenn nun also behauptet wird, es müsse so länderfreundlich wie irgendwie möglich ausgelegt werden, dann stellt sich die Frage, ob es die konkurrierende Gesetzgebung überhaupt noch braucht. Diese wird doch ad absurdum geführt. Wenn der Bund etwas regelt, dann ist es – egal ob gut oder schlecht geregelt – nunmal nicht mehr Ländersache.
Man mag ja die Enttäuschung verstehen, wenn gewünschtes Projekt scheitert, allerdings ist es nicht so, als sei rot-rot-grün nicht sehenden Auges in diese Misere gerannt. Die Bedenken bestanden schon lange vor Verabschiedung des Gesetzes. Anstelle auf Bundesebene darauf hinzuwirken, die Grünen benehmen sich mittlerweile wie eine Regierungspartei, die SPD ist es zumindest noch offiziell, hat man versucht etwas auf Länderebene durchzudrücken, was eben nicht (mehr) auf Länderebene zu regeln ist.
Woher die persönliche Ablehnung gegen Prof. Huber kommt und weshalb man EU-Rechtsprechung mit Mietrecht vermischt, entzieht sich meiner Kenntnis. Es erscheint jedoch der Sache nicht förderlich. Denn das Ergebnis ist nunmal von allen Senatsmitgliedern für richtig gehalten worden.
An sich hätte man nach dem zweiten Satz aufhören müssen mit dem Lesen, wenn man vorher die Verfassungsblog-Mail vom 17.04.2021 durchgelesen hätte. Die parteipolitische Herkunft eines Richters begründet nichts. Das “Argument ad hominem” hätte genau so gelöscht werden müssen wie der Twitter-Eintrag eines Berliner Staatssekretärs.
An sich hätten Sie, wenn Sie nach dem zweiten Satz weitergelesen haben, von alleine drauf kommen können, dass hier von einem Argument ad hominem keine Rede ist. Der Punkt ist noch nicht, dass man verschweigen müsste, wer wer ist. Sondern dass man nicht der Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft der Gründe aus dem Weg gehen darf, indem man stattdessen über die Motive/Herkunft/Andersheit des anderen redet. Tim Wihls Text ist exakt das, was ich meine, wenn ich sage, dass auch scharfe und passionierte Kritik am Gericht in diesen Zeiten erlaubt sein muss.
Die Kritik finde ich berechtigt, insofern ich auf das Spannungsverhältnis Mietpreis aus miet- und sozialrechtlicher Sicht mit den Augen von Richterin am Bundessozialgericht Sabine Knickrehm sehe. Wenn in ihrem Beitrag – zusammen mit der Kollegin Beate Flatow – zum Mietgerichtstag 2018, davon die Rede ist, dass das Zivilrecht durch das Öffentliche Recht der Grundsicherung “überformt” ist, und dass dafür bei den Gerichten im Allgemeinen das nötige Grundverständnis fehlt, finde ich dies in der Beschreibung hier ansatzweise wieder.
Ich zitiere: “Dabei ist das Augenmerk auf ein Verständnis der Gesamtzusammenhänge zu legen, denn manche sich im Mietverhältnis auswirkende Regelung des SGB II ist nur verständlich, wenn man die Grundlagen der Systementscheidung kennt.” Die “Marktwirklichkeit” ist demnach so geartet: “Es geht sehr konkret um tatsächliche „Hürden“ und juristische Untiefen durch das Zusammentreffen von SGB II und Mietrecht”.
Wenn man leider nur allzu oft auf “Unverständnis der miet- und sozialrechtlichen Regelungen” bei Richtern in der Praxis trifft, so landet man mit seinem Fall auch schon mal beim Bundesverfassungsgericht um auf die Überformung des Mietrecht durch das Öffentliche Recht hinzuweisen. Leider hatte der 1. Senat dafür keine Zeit. Das Gericht ist überlastet, wie es mir schrieb. Es scheint Wichtigeres zu geben als die Sorge um Menschen ein gescheites Dach über den Kopf zu haben, was zu gewährleisten das zivilrechtliche Mietrecht sicher allein nicht in der Lage ist.
Quelle: Beitrag zum Mietgerichtstag 2018, siehe Link, neunte Spalte von unten
https://www.mietgerichtstag.de/mietgerichtstage/download-vortr%C3%A4ge/mietgerichtstag-2018/
Wäre nach alledem nicht der nächste logische Schritt, dass das Land Berlin das Bundesmietrecht als verfassungswidrig ansieht (im Sinne von: Mietpreisbremse unterbemessen) und also mit einer entsprechenden Klage in Karlsruhe vorstellig wird?
“Berühmt-berüchtigt ist der Senat in den letzten Jahren in erster Linie durch seine erratische, politökonomisch missgeleitete und etatistisch-souveränistisch überspitzte Europa-Rechtsprechung geworden. Gelegentlich wirkt diese provinziell, gelegentlich präpotent oder inkonsequent, immer im Grundsatz fehlgeleitet.”
Ganz ehrlich und völlig unabhängig vom Inhalt und Ergebnis der Entscheidung. Ich bin entsetzt, wie wenig Respekt hier dem höchsten deutschen Gericht von einem an einer deutschen Universität lehrenden Politik- und Rechtswissenschaftler entgegengebracht wird. Ihr Schwerpunkt scheint eindeutig auf der Politik und nicht auf dem Recht zu liegen.
Natürlich kann man auch das BVerfG kritisieren. Aber nur mit Sachargumenten und angemessen im Ton. Stellen Sie sich vor, eher konservativ eingestellte Juraprofessoren würden im selben Ton “unliebsame” Urteile des BVerfG bewerten. Wie würden Sie reagieren?
Erklären Sie einem Nichtjuristen, was an ‘erratisch, politökonomisch missgeleitet und etatistisch-souveränistisch überspitzt’ nicht sachlich ist?
Trotz aller Argumentation hat man als Rechtsgebildeter Mensch doch ein Bauchgefühl, ob etwas Recht oder Unrecht ist. Hier ist doch klar, dass aus populistischem Interesse “Recht” zu Gunsten einer Mehrheit und zu Lasten einer Minderheit ausformuliert wurde. Und das dann noch schlecht gemacht. Ich vermiete einer mittlerweile 80jährigen Frau bereits seit 50 Jahren eine Wohnung in Berlin, für 3 Euro/qm, festgeschrieben und gedeckelt. Würde die alte Dame nun versterben, hätte das Gesetz ergeben, dass der Nachfolger zu eben diesen Konditionen weitermieten darf. das schafft mehr Wohnraum? Das erzeugt mehr Gerechtigkeit? Ob nun der Zweite Senat gesprochen hat oder wer auch immer und Zuständigkeit gegeben oder nicht. Es war ein handwerklich schlechtes Gesetz und es ist gut das es weg ist.
Vielen Dank Herr Wihl, dass Sie das Urteil des Bundesverfassungsgericht vor dem Hintergrund seiner sozialpolitischen Konsequenzen diskutieren und Mut zur Kontroverse beweisen. Im Hinblick auf den rasanten Anstieg sozialer Ungleichheit, insbesondere in Europa und Deutschland, die sich vor allem aus der ungleichen Verteilung von Vermögensbesitz und Erbansprüchen, dabei nicht unbeträchtlich aus Immobilienwerten, ergibt (hierzu z.B. Mike Savage), ist der soziale Zusammenhalt unserer Gesellschaften zunehmend gefährdet. Genauer gesagt, Lohnarbeit und Bildung ist statistisch kaum noch relevant im Hinblick auf relative soziökonomische Teilhabe und den sozialen Aufstieg materiell schlechter gestellter Gruppen. Ob man Mieten zahlen muss oder Mieteinnahmen bekommt, ist ein erheblicher Unterschied für die persönlichen Lebenschancen des Einzelnen geworden. Wenn wir als Gesellschaft Recht, das nicht nur Besitzverhältnisse definieren und klären, aber auch Personen mit schwacher Verhandlungsmacht (Mieter*innen brauchen bei den klimatischen Verhältnissen in Deutschland existentiell ein Dach über dem Kopf) stärken soll, zu einer rein instrumentellen, formalistischen Frage in einem sozialpolitisch und sozialökonomisch freien Raum machen, schwächen wir die Bedeutung des Rechts, soziale Beziehungen legitim im Interesse aller zu ordnen.
Peter Huber, einer, wenn nicht der Vordenker der Föderalismusreform 2006 (siehe Verhandlungen 65. Dt. Juristentag 2004 Bd. I S. 78 sowie zuletzt in Heintzen/Uhle Neuere Entwicklungen im Kompetenzrecht 2014 Die grundgesetzliche Kompetenzverteilung nach der Föderalismusreform 2006 im Detail S. 129f. jw. zum Wohnungswesen), muss sich wohl die Kritik einer „versehentlichen“ Verfassungsänderung gefallen lassen (treffend und pointiert Dominic Bair zu Joachim Kummer https://verfassungsblog.de/ein-burgerlich-rechtlicher-mietendeckel-fur-den-bund/ siehe auch Kloepfer NJW 2019, 1656, 1659). Da hatte der 2. Senat unter seinem Berichterstatter Huber Rnrn. 185 „nicht mehr“, 178 „jedenfalls“, 82 „anders noch BVerfG“ etwas sichtlich mühsam erst mal wieder „hinzubiegen“. Ein schaler Beigeschmack bleibt auch, weil sich Verfassungsjudikatur und Wohnungspolitik hier auf Bundesebene in schon fast kabarettreifem negativen Kompetenzkonflikt jetzt möglicherweise nur um so mehr auf ihre wechselseitigen Erkenntnisdefizite stützen (siehe nur Pestalozza https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2021/04/berlin-mietendeckel-interview-verfassungsrechtler-pestalozza.html), und die Länder außen vor halten möchten (siehe SPD-Parteitag vergangenen Sonntag).