Gemischte Abkommen der EU: Chance auf mehr parlamentarische Beteiligung
TTIP, CETA – Handelsabkommen der Europäischen Union werden derzeit heiß diskutiert. Nicht nur was drinsteht, sondern auch wie sie zustande kommen, ist umstritten. Eine politisch wie juristisch besonders interessante Frage ist dabei, ob der Bundestag solchen Abkommen zustimmen muss. Diese Frage stellt sich im Moment nicht bei den prominenten Beispielen TTIP und CETA, sondern bei dem sonst wenig beachteten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) zwischen den westafrikanischen Staaten, ihrer Wirtschafts- und Währungsunion UEMOA und der EU und ihren Mitgliedstaaten. In dieser Woche hat der Bundestag dazu in einer öffentlichen Anhörung des Rechts- und Verbraucherausschusses ein halbes Dutzend prominenter Staats- und Völkerrechtler befragt: Andreas von Arnauld (Kiel), Rudolf Dolzer (Bonn), Bernd Grzeszick (Heidelberg), Matthias Herdegen (Bonn), Franz C. Mayer (Bielefeld) und Christoph Möllers (HU Berlin).
TTIP, CETA und WPA sind so genannte gemischte völkerrechtliche Abkommen der EU. Soweit die Union bei einzelnen Teilen eines völkerrechtlichen Abkommens mit Drittstaaten keine eigene, ausschließliche Zuständigkeit besitzt, ist sie darauf angewiesen, dass die Mitgliedstaaten mitwirken. Dann treten die EU und die Mitgliedstaaten gemeinsam als europäische Vertragspartner auf und die Abkommen sind nicht mehr „EU only“, sondern „gemischt“.
Für den Vertragsteil dieser Abkommen, bei dem die Union aufgrund ihrer ausschließlichen Zuständigkeit alleine Vertragspartner des Drittstaates ist, gilt Art. 23 II, III GG: Der Bundestag muss (nur) während des Verhandlungsprozesses informiert und beteiligt werden gemäß den Vorschriften des EUZBBG. Für den Vertragsteil, bei dem nationale Kompetenzen betroffen sind und bei dem deshalb Deutschland Vertragspartner ist, richtet sich das Erfordernis der Beteiligung des Bundestages nach h.M. nach Art. 59 II 1 GG. Dieser regelt eine Zustimmungspflicht des Parlaments bei politischen und gesetzesinhaltlichen Verträgen.
Politischer Vertrag
Einig waren sich die Sachverständigen darüber, dass die enge Definition des „politischen Vertrages“, wie sie das BVerfG in der Entscheidung zum deutsch-französischen Wirtschaftsabkommen von 1952 entwickelte, überholt ist. Danach war maßgeblich, ob es um die machtpolitische Stellung des Staates im internationalen System geht,. Besonders Rudolf Dolzer hob heraus, dass die EU immer mehr Einfluss auf die Innenpolitik nehme und es „nichts politisch Banales“ mehr gäbe. Mayer schlug vor, einen Vertrag immer dann als politisch anzusehen, wenn seine Einordnung umstritten ist. Das WPA jedenfalls ist wegen der Intention der Vertragsparteien, „den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Völker zu stärken“ (Abs. 5 der Präambel) und die „Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien auf der Grundlage von Solidarität und gegenseitigen Interessen“ (Art. 1 I e)) zu stärken, ein politischer Vertrag.
Unproblematisch ist der Fall, dass solch ein politisches völkerrechtliches Abkommen vorliegt und der politische Charakter auch nationale Kompetenzen umfasst. Dann muss der Bundestag nach Art. 59 II 1 GG auf jeden Fall zustimmen. Unproblematisch ist ebenso der Fall, dass ein völkerrechtlicher Vertrag vorliegt, der nicht politisch ist (und auch keinen formalgesetzlichen Inhalt hat). Die Zustimmungspflicht nach Art. 59 II 1 GG liegt dann nicht vor. Was aber, wenn zwar insgesamt ein politischer Vertrag vorliegt, aber die Vertragsteile, die in die mitgliedstaatliche Kompetenz fallen, gerade nicht politisch sind? Ob es dann im Rahmen des Art. 59 II 1 GG auf die Betrachtung nur dieser Vertragsteile oder des gesamten gemischten Abkommens ankommt, ist verfassungsrechtlich nicht geklärt.
Die Trennungsthese der Bundesregierung
Bundesjustizminister Maas vertritt bei der Frage eine Trennungsthese: Nur bei denjenigen Vertragsteilen, die in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verblieben sind, sei die Zustimmungspflicht nach Art. 59 II GG zu prüfen. Das ist beim WPA nur bei wenigen Regelungen der Fall – den zur Entwicklungszusammenarbeit und zur Zollzusammenarbeit. Diese Teilregelungen sind nicht geeignet, die politischen Beziehungen im Sinne von Art. 59 II GG zu regeln, und beziehen sich nicht auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung. Somit müsse der Bundestag nicht zustimmen. Die demokratische Legitimation sei laut Maas trotzdem gewahrt. Nach Art. 218 VI a) AEUV ist bei gemischten Abkommen nämlich die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich, und der Bundestag wurde immerhin gem. Art. 23 II, III GG beteiligt.
Nach einhelliger Ansicht der Sachverständigen muss das deutsche Parlament Verträgen wie dem WPA oder TTIP gem. Art. 59 II GG aber zustimmen. Die Staatsrechtler argumentieren vor allem damit, dass EU und Mitgliedstaaten gemeinsam Vertragspartner seien und man deshalb nicht lediglich auf den mitgliedstaatlichen Kompetenzanteil abstellen könne, sondern das gesamte fragliche Abkommen in den Blick nehmen müsse. Die Drittstaaten des Abkommens müssen sich nämlich gerade nicht an die innere Kompetenzverteilung in der EU halten und können die Mitgliedstaaten wechselseitig für das gesamte Abkommen in Anspruch nehmen. Diese Staatenverantwortlichkeit zwingt dazu, den Vertrag als Ganzes zu betrachten. Mayer wies zudem darauf hin, dass die Ablehnung einer Gesamtbetrachtung ergebe, dass bei einer späteren Änderung eines Abkommens die Bundesregierung die Möglichkeit hätte, die jeweiligen Änderungen wiederum isoliert zu betrachten und damit den Bundestag fernzuhalten. Ein pragmatisches Argument ergänzte Christoph Möllers: Es gebe überhaupt kein „Zu viel“ an parlamentarischer Beteiligung – nur zu wenig sei nach Art. 59 II GG verfassungswidrig. Indem man den Bundestag zustimmen ließe, könne man also sowieso keinen Fehler begehen.
Nur Andreas von Arnauld forderte, das Trennungsmodell ernst zu nehmen. Wenn der deutsche Anteil an einem gemischten Abkommen unter keine der Varianten des Art. 59 II 1 fällt, bedarf ein Vertrag nach seiner Ansicht e contrario nicht der Zustimmung des Bundestages. Jedoch schlägt Arnauld eine Korrektur durch eine Rückausnahme vor. Somit kommt auch Arnauld zum selben Ergebnis wie seine Kollegen: Ein Abkommen wie WPA, TTIP oder CETA sei aufgrund der gesamtschuldnerischen Haftung nach außen und der besonderen politischen Bedeutung zustimmungspflichtig.
Ebenfalls nicht gänzlich überzeugt von dem Gesamtbetrachtungsmodell zeigte sich CDU-Abgeordneter Dr. Hendrik Hoppenstedt. Er wies darauf hin, dass Deutschland mit dem Vertrag von Lissabon nun mal bestimmte Kompetenzen, wie diejenige zum Abschluss internationaler Handelsabkommen, an die EU übertragen hätte (Art. 3, 207 AEUV). Es sei doch eine Aushebelung des Vertrages von Lissabon, wenn man sich über gemischte Verträge die nationale Kompetenz praktisch zurückholen würde.
Gesamtbetrachtung wegen Staatenverantwortlichkeit
„Was weg ist, ist weg“ soll bei Kompetenzteilungen aber nicht gelten, wenn Staatenverantwortlichkeit oder Schiedsgerichtsbarkeit eine Rolle spielen oder Kompetenzen durch völkerrechtliche Abkommen abgegeben werden und deshalb schwer rückholbar sind. Deshalb werde die Kompetenzteilung bei gemischten Abkommen, so Andreas von Arnauld, „wieder irgendwie verwischt“. Möllers wandte ein, dass halt nationale verfassungsrechtliche Indikationen folgen würden, wenn die EU einmal feststelle, dass ein gemischtes Abkommen vorliegt. Und der EU sei es unbenommen, Verträge so zu gestalten, dass sie nicht gemischt seien, so Dolzer.
Bei TTIP und CETA hat die Bundesregierung bereits öffentlich klargestellt, dass sie ein Vertragsgesetz nach Art. 59 II 1 GG für erforderlich erachtet. Fraglich bleibt, ob sie nach der Stellungnahme des Ausschusses auch ihre Meinung bezüglich des WPA und grundsätzlich im Hinblick auf das Gesamtbetrachtungsmodell ändern wird. Von einem Verfahren vor dem BVerfG raten die Experten dem Parlament jedenfalls ab. Wenn der Bundestag sich für zuständig halte, dann „muss er in der Lage sein, sich durchzusetzen“, forderte Möllers. Mayer schlug vor, einfach ein Gesetz zu machen. Wenn die Bundesregierung dann damit ein Problem habe, könne sie ja vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
Vielen Dank für den interessanten Bericht. Nur zwei Anregungen: Erstens steht gerade nicht fest, ob TTIP und CETA gemischte Abkommen sind. Dies ist zwischen Kommission und einigen Mitgliedstaaten umstritten; Klärung ist vom EuGH-Gutachten zum EU-Singapur-Abkommen zu erwarten. Zweitens dürfte für die Frage der Bundestagsbeteiligung nach den aufgeworfenen Argumentet auch relevant sein, ob das jeweilige gemischte Abkommen explizite Regelungen zur Zuständigkeitsaufteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten enthält (denn dann entfällt das “Gesamtschuldner”-Argument).
Bin gespannt, demnächst hier einen Blogpost zum Thema zu lesen: “Wie wählt der BT eigentlich Sachverständige aus?” Das wird sicher lustig.
Danke für die Aufklärung; gerade eine BPK gesehen und war verwirrt.
Das Gesamtschuldnerargument gilt doch schon deshalb, weil die Mitgliedslaender die EU in die Welt gesetzt haben. Oder soll die EU eine Art GmbH sein? Wesentlichkeit ist nur ein anderer Ausdruck dafuer.