Transitzonen für Flüchtlinge im Dublin-System?
Die deutschen Medien sind dieser Tage ganz von der Flüchtlingskrise und ihren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft beherrscht. Um die vielerorts diagnostizierte Überforderung der Behörden und der aufopferungsvoll arbeitenden zivilgesellschaftlichen Kräfte zumindest abzumildern, gibt es innerhalb der Bundesregierung nunmehr Bestrebungen, sogenannte Transitzonen an den deutschen Außengrenzen einzurichten. Es wird bereits heftig darüber diskutiert, ob dieses Vorhaben rechtlich möglich und praktisch umsetzbar ist. Abschließende Antworten sind jetzt noch nicht möglich. Ich möchte aber einen knappen Überblick bieten, wie sich der Vorschlag in das Dublin-System einfügt und an welchen Punkten sich mögliche Konflikte – v.a. mit der Kommission und anderen EU-Mitgliedstaaten – entzünden könnten.
Der Vorschlag der Bundesregierung stützt sich auf Art. 43 der Richtlinie 2013/32/EU (Populärname: Asylverfahrensrichtlinie). Diese Vorschrift gewährt den Mitgliedstaaten tatsächlich die Möglichkeit, „an der Grenze oder in Transitzonen“ in einem beschleunigten Verfahren über Anträge auf internationalen Schutz zu entscheiden und z.B. solche von Asylsuchenden aus sicheren Herkunftsstaaten schnell abzulehnen (Art. 31 Abs. 8 Buchst. b der Asylverfahrensrichtlinie). Wie Erwägungsgrund 38 der Richtlinie zeigt, ist diese Vorschrift darauf angelegt, Asylanträge „an Ort und Stelle“ abzuarbeiten, „bevor eine Entscheidung über die Einreise des Antragstellers vorliegt“. Als Regelfrist für die Bearbeitung der Gesuche sind in Art. 43 Abs. 2 vier Wochen vorgesehen. Ist das Verfahren bis dahin nicht abgeschlossen, dann muss dem Antragsteller die Einreise gestattet und die herkömmliche Prüfprozedur durchgeführt werden. In Druckphasen, in denen eine ungewöhnlich hohe Anzahl an Asylsuchenden einreisen wollen, erlaubt Art. 43 Abs. 3 eine Verlängerung des Transitzonenverfahrens „für die Zeit […], in der die Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen normalerweise in der Nähe der Grenze oder Transitzone untergebracht werden“ – sprich: für die Länge der Zeit, die Asylbewerber üblicherweise in Erstaufnahmeeinrichtungen verbringen.
Wie verträgt sich das mit dem Dublin-System? Die Antwort ist: eigentlich gar nicht. Auch wenn Deutschland Art. 43 der Asylverfahrensrichtlinie in deutsches Recht umsetzte, müsste es nämlich stets prüfen, welcher Mitgliedstaat nach der sog. Dublin-III-Verordnung (Nr. 604/2013) für ein Asylverfahren zuständig ist. Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob ein Antragsteller bereits in Deutschland ist oder sich noch an der Grenze oder in der Transitzone befindet (ausdrücklich geregelt in Art. 3 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung).
Dabei können vielfältige Ergebnisse herauskommen: Entgegen landläufiger Meinung muss nämlich nicht ausschließlich und noch nicht einmal vorrangig der Staat, in dem ein Asylbewerber zum ersten Mal das EU-Territorium betritt, das Asylverfahren durchführen. Stattdessen gilt nach Art. 7 ff. der Dublin-III-Verordnung die oberste Priorität dem Familienzusammenhalt, d.h. wenn ein Antragsteller schon enge Verwandte in der Europäischen Union hat, die in einem Mitgliedstaat als Flüchtlinge anerkannt sind oder dort noch in einem laufenden Prüfverfahren stecken, dann ist dieser Staat im Regelfall auch für den Rest der Familie zuständig. Stellt eine ganze Familie zusammen einen Antrag, darf sie ebenfalls nicht getrennt werden. Erst danach ist subsidiär der Staat zuständig, der dem Antragsteller ggf. bereits einen Aufenthaltstitel oder ein Visum ausgestellt hat, und ganz zuletzt der Mitgliedstaat, in dem der Asylbewerber zuerst angekommen ist – und auch das nur für zwölf Monate nach der Einreise.
Lässt sich anhand der Kriterien kein zuständiger Mitgliedstaat ermitteln – insbesondere weil es an einer Registrierung fehlt – oder ist es aus menschenrechtlichen Gründen ausgeschlossen, einen Antragsteller in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat zurückzuschieben – dann wird derjenige Mitgliedstaat zuständig, in dem der Asylantrag gestellt wurde (Art. 3 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung). Das ist der Grund, warum viele Flüchtlinge sich weigern, in den Ländern entlang der Fluchtroute ihre Fingerabdrücke abzugeben.
Selbst wenn sie das getan haben, ist es wegen der Menschenrechtsklausel aber zweifelhaft, ob sie zurückgeschoben werden können: Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist es rechtswidrig, Asylsuchende nach Griechenland zurückzuschieben; aufgrund der gleichen Überlegung haben der österreichische Verwaltungsgerichtshof und etliche deutsche Verwaltungsgerichte (vgl. etwa hier) entschieden, dass auch Abschiebungen nach Ungarn unterbleiben müssen.
Für die gegenwärtige Lage ist insbesondere eines wichtig: Da auch das Hauptdurchreiseland Österreich keine Schengen-Außengrenzen hat, wird die Prüfung in den seltensten Fällen ergeben, dass die Alpenrepublik nach den Dublin-III-Regeln das Verfahren zu übernehmen hat. Es stellt sich also eine große, bislang ungeklärte Frage: Darf Deutschland die Einreise verweigern und Asylsuchende aus der Transitzone an Österreich überstellen, wenn das Ergebnis der obligatorischen Prüfung etwa „Ungarn“, „Griechenland“ oder „ungeklärt“ (und damit eigentlich „Deutschland“) lautet bzw. wenn sich feststellen lässt, dass der Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt?
Befänden wir uns an einer Schengen-Außengrenze, würde Art. 3 Abs. 3 der Dublin-III-Verordnung weiterhelfen, der jedem Mitgliedstaat das Recht zugesteht, einen Antragsteller nach Maßgabe der oben dargestellten Asylverfahrensrichtlinie „in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen“. Wohlgemerkt: Drittstaat. Der Wortlaut passt also nicht auf die Grenze zwischen zwei Dublin-Staaten. Darum steht auch die EU-Kommission Transitzonen an den deutschen Grenzen äußerst skeptisch gegenüber und stellt sich auf den Standpunkt, diese seien nur an Schengen-Außengrenzen sinnvoll.
Legal kraft Analogieschluss?
Wie lässt sich dieses Ergebnis möglicherweise mit etwas juristischer Kreativität vermeiden? Es bedürfte jedenfalls eines Analogieschlusses, um die Zurückweisung an der Grenze gem. Art. 3 Abs. 3 der Dublin-III-Verordnung i.V.m. einer nationalen Umsetzung von Art. 43 der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU auch gegenüber Österreich durchzusetzen. Dies wiederum setzt nach der traditionellen juristischen Methodenlehre (nicht nur in Deutschland) eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage voraus.
Die Argumentationskette müsste also lauten: Die Dublin-III-Verordnung ist nur für den Regelfall konzipiert, dass die Einreisekontrollen inklusive Registrierung an den Schengen-Außengrenzen funktionieren – trifft also nicht die Situation, dass Asylsuchende innerhalb des Schengen-Raums weitgehend ungehindert und ohne Grenzformalitäten bis an die deutsche Grenze gelangen können. Was in einem solchen Fall gelten soll, ist nicht geregelt und war nicht Teil der Willensbildung des EU-Gesetzgebers. Da die Staaten mit Außengrenzen ihren Teil der Dublin-Konzeption nicht erfüllen und Deutschland berechtigterweise wieder Grenzkontrollen nach den Vorschriften des Schengener Grenzkodex eingeführt hat, ist die gegenwärtige Interessenlage der Bundesrepublik vergleichbar mit der von Staaten mit Schengen-Außengrenzen im Normalfall. Im Ergebnis darf Deutschland daher die Transitzonenregelung und die Zurückweisungsmöglichkeit auch gegenüber Österreich für sich in Anspruch nehmen.
Was aber, wenn Österreich diese Rechtseinschätzung ablehnt, sich auf den Standpunkt stellt, es gebe keine Regelungslücke, und sich weigert, die Asylsuchenden zurück zu nehmen? Die dortige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hat das Schreckensszenario einer humanitären Katastrophe an der Grenze bereits offen angesprochen.
Auch in praktischer Hinsicht stellen sich große Probleme: Die Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU konzipiert Transitzonen als abgeschlossene Bereiche (siehe etwa Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie). Das bedeutet, die Fläche muss – wie beim entsprechenden Vorbild an Flughäfen – für den freien Verkehr geschlossen sein und darf nur beim Grenzübertritt oder durch akkreditierte Personen betreten werden. Das ist nicht umsetzbar, wenn wie in Burghausen das Stadtzentrum bis direkt an den Grenzfluss reicht und nur schmale Brücken den Grenzübergang bilden. Hinzu kommt die völlig unüberschaubare grüne Grenze, die zu einem großen Teil durch das Hochgebirge verläuft und sich nicht einmal dann durch einen Zaun schließen ließe, wenn man es ernsthaft wollte. Wenn man aber Asylsuchende notgedrungen aus einer dicht besiedelten Grenzzone mit Bussen wegfährt oder nach der Einreise über die grüne Grenze aufgreift und in ein Bearbeitungszentrum bringt, kann man dann überhaupt von einer Transitzone im Sinne von Art. 43 der Asylverfahrensrichtlinie sprechen? Und gäbe es tatsächlich einen spürbaren Mehrwert gegenüber dem regulären Verfahren, das man bei besserer Personalausstattung und kürzeren Wegen ja auch wesentlich effizienter machen könnte?
Mit Stacheldraht und vom Bund bezahlt
Wenn man nach all dem Gesagten das jüngste Interview mit dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann aufmerksam liest, kann man erahnen, wohin die Reise eigentlich gehen soll: Die Transitzonen sind der Versuch, das Konzept der bayerischen Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber vom Balkan in Bamberg und Manching (hier beschrieben) bundesweit als Standard zu etablieren – nur mit Stacheldraht abgeriegelt gemäß den Haftmöglichkeiten nach Art. 8 Abs. 3 der sog. Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU und vom Bund bezahlt, weil sie nominell Teil der Grenzabfertigung wären. Dann hätte vor allem die bayerische Staatsregierung ihre Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit demonstriert, die Landkreise und Kommunen finanziell entlastet und würde sich jeden Rückgang der Flüchtlingszahlen stolz auf die Fahnen schreiben – auch wenn das Wetter hier ein wesentlich wichtigerer Faktor wäre als die Transitzonen.
Dass die damit verbundene Internierung menschenrechtlich problematisch wäre, ist vielfach schon betont worden. Hier möchte ich nur einen Aspekt hervorheben: Da wir im Bereich der Umsetzung fakultativer Richtlinienbestimmungen sind, sind die Grundrechte des Grundgesetzes und die der Europäischen Grundrechtecharta nebeneinander anwendbar; dazu schwebt im Hintergrund stets auch die Europäische Menschenrechtskonvention. Bei einer Klage gegen die Unterbringung in einer Transitzone könnte die Angelegenheit relativ schnell via Eilvorlage zum EuGH nach Luxemburg kommen, der sich ja gerade spektakulär als Grundrechtsgerichtshof etabliert. Eine Grundsatzentscheidung zu Asylstandards in der EU wäre jedenfalls ein wirklicher Fortschritt in der gegenwärtigen Krise.
Nun – wenn eine EURODAC-Anfrage keine Treffer ergibt und es sonst keine Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaats gibt (die Verwandtschaftsregeln betreffen, wenn der Flüchtling selbst erwachsen ist, nur Ehegatten und minderjährige Kinder, die schon in Europa sind – die Fälle sind eher selten), dann ist durchaus Österreich dran. Das heißt, man kann in der Transitzone das Dublin-Verfahren durchführen und, wenn der Flüchtling nirgends registriert ist, direkt nach Österreich zurückführen. So völlig sinnlos scheint mir der Gedanke nicht, dafür Transitzonen einzurichten.
Eine gewisse Rolle spielen auch Flüchtlinge, für die das Dublin-Verfahren nicht anwendbar ist, weil sie bereits in einem anderen europäischen Staat Flüchtlingsschutz erhalten haben. Dass die nach Deutschland weiter reisen, ist in der Praxis nicht so selten.
Familienangehörige sind in Art. 2 Buchst. g der Dublin-III-Verordnung legaldefiniert. Im Wesentlichen fallen darunter tatsächlich für erwachsene Antragsteller der Ehegatte und minderjährige Kinder, für minderjährige Antragsteller auch die Eltern. Das erfasst immer noch eine große Menge an Fällen, die geklärt werden müssen, bevor Deutschland seine Zuständigkeit verneint.
Bzgl. einer möglichen Zuständigkeit Österreichs: Aus welcher Norm soll die sich denn ergeben? Zuständig kraft Einreise ist ein Mitgliedstaat gem. Art. 13 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung nur bei Feststellung, “dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat”. Wiederum wohlgemerkt: Drittstaat. Das kann auf Österreich nicht zutreffen. Lässt sich nur feststellen, dass ein Antragsteller illegal “in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten” eingereist ist, sich also ohne Registrierung im Schengen-Raum aufhält, dann könnte Österreich gem. Art. 13 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung nur zuständig werden, wenn sich der Antragsteller dort fünf Monate lang ununterbrochen aufgehalten hat oder er schon fünf Monate in Dublin-Ländern war und sich zuletzt in Österreich aufgehalten hat. Diese Konstellation ist sehr selten. Also bleibt die Auffangregel des Art. 3 Abs. 2, der zufolge auch bei einem Antrag in der Transitzone Deutschland zuständig ist.
Das ist richtig; die Zuständigkeit Österreichs wird sich nur ergeben, wenn der Antragsteller (nachweislich) fünf Monate in Dublin-Ländern war, was in der Tat selten sein dürfte.
Nichts gegen eine detaillierte Erörterung der Rechtslage in Sachen Transitzonen, aber könnte sich die hier versammelte verfassungsrechtliche Kompetenz einmal zur Aussetzung des Artikels 16a Absatz 2 des GG durch Bundeskanzlerin Angela Merkel äußern? Da fände ich zeitgemäß und spannend!
Schade, dass sich auch nach einer Woche niemand zu diesem Thema äußert. Da wollen wohl noch einige Karriere machen … Nur so als Tipp: Wie sieht es denn mit Rechtsbeugung aus?
Ein Zitat aus einem Urteil (BGH 4 StR 84/13 – Urteil vom 18. Juli 2013 (LG Halle)):
“Der Tatbestand der Rechtsbeugung erfordert, dass sich der Richter bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt und sein Handeln als Organ des Staates statt an Recht und Gesetz an eigenen Maßstäben ausrichtet (st. Rspr.).”
Wo sind die wackeren Helden des Rechts, die mir das erklären?
Soweit ich weiß, hat Merkel nicht gegen irgendwelche Gesetze verstoßen. Viele sagen ja, es liege bezüglich der Aufnahme ein Verstoß gegen § 18 II AsylVfG vor. Allerdings ist diesbezüglich Absatz IV Nr. 2 zu beachten. Im Ergebnis ist die Aufnahmeentscheidung rechtens. Sie hätte sie nur nicht erteilen müssen. Bezüglich der Gewährung des Flüchtlingsstatus wurde ebenfalls nicht gegen Gesetze verstoßen (Art. 17 Dublin-III-Verordnung). Auch hier gilt wieder, dass Merkel D zuständig erklärt hat, aber sie hätte es nicht tun müssen. Die Frage ist allerdings, ob das alles Ausnahmeregelungen sind. Aber ich bin kein Experte. Letztendlich ist Merkel aber wohl nicht vorzuwerfen, dass die diktatorisch gehandelt hat.
“Wohlgemerkt: Drittstaat. Der Wortlaut passt also nicht auf die Grenze zwischen zwei Dublin-Staaten. ”
Sind Sie da sicher? Drittstaaten sind doch alle Mitgliedsstaaten der EU einschließlich Österreich? Siehe Art. 16a II 1 GG und Art. 26a II AsylVfG.
Ja, da bin ich sicher. Es geht um die Auslegung eines Rechtsbegriffs, der in einer EU-Verordnung verwendet wird. Ein Rechtsakt der Union kann aber mit “Drittstaat” keinen eigenen Mitgliedstaat ohne Opt-out vom Dublin-System meinen. Wenn das nationale Recht eine weitergehende Abschiebungsmöglichkeit böte, diese aber den EU-rechtlichen Zuständigkeitsregelungen widerspricht, ist sie nicht anwendbar. Deshalb sind Diskussionen um Art. 16a GG auch völlig überflüssig, da sich selbst durch dessen völlige Streichung aus dem Grundgesetz angesichts der Dichte an unionsrechtlichen Vorgaben nichts Wesentliches ändern würde.
” Allerdings ist diesbezüglich Absatz IV Nr. 2 zu beachten. Im Ergebnis ist die Aufnahmeentscheidung rechtens. Sie hätte sie nur nicht erteilen müssen.”
Auch in diesem Fall bedarf es einer expliziten Anordnung des Innenministers- Von einer solchen Anordnung ist mir auch nach mehreren hunderttausend Einreisen nicht bekannt.
Fraglos könnte Merkel kraft der Ministergenehmigung oder Kraft ihrer Mehrheit im Bundestag die ganze Aktion legalisieren, gegenwärtig ist das ganze aber unbestreitbar illegal. Weiterhin ist Merkels Rechtsdarstellung, dass Deutschland zur Aufnahme ohne Obergrenze verpflichtet ist, völlig falsch, da es sich bei den Menschen überwiegend nicht um politisch Verfolgte handelt, sondern um Bürgerkriegsflüchtlinge für die GG 16a nicht anwendbar ist.
§ 18 Absatz (2)
“2. Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird,”
Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/asylvfg_1992/__18.html
Sehr geehrte Herr Dr. Michl,
Danke für Ihre klare nachvollziehbare Darstellung!
Die aktuellen Fragestellungen überfordern auch den nicht europarechtlich geschulten Juristen.
Mit freundlichen Grüßen
C. Arnst, Rechtsanwalt
@Gerold Keefer: Sie haben wohl recht. Herr Gauweiler hat das Handeln von Merkel in der letzten Sendung von Herrn Jauch als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar dargestellt. Dem hat bisher auch niemand widersprochen. Es ist schon ein Skandal, dass grundlegende demokratische Prinzipien als unwichtige erachtet werden in der derzeitigen Situation. Es steht ja so viel auf dem Spiel. Was soll man da noch von der Politik halten.
@monet, @keefer: Das Handeln der Bundeskanzlerin verstößt natürlich NICHT gegen das Grundgesetz. Art. 16a GG garantiert einen verfassungsrechtlichen MINDESTSTANDARD. Mehr Asyl zur gewähren, als Art. 16a GG verfassungsrechtlich garantiert, ist daher nicht grundgesetzwidrig. Mehr Meinungsfreiheit zu gewähren, als Art. 5 GG zwingend verlangt, würde ja auch nicht gegen das Grundgesetz verstoßen.
Die Drittstaatenregelung ist innerhalb der EU im Übrigen durch Dublin überlagert (vgl zum Verfahren in diesem Rahmen den wunderbaren Blogpost oben). Sie ist daher weitgehend irrelevant (§ 26a I 2 Nr. 2 AsylG). Zudem ist § 18 AsylVfG eine Verfahrensvorschrift für den Fall, dass (1.) bei einer Grenzbehörde (2.) um Asyl nachgesucht wird. Für die Merkel’sche Entscheidungssituation ist das nicht einschlägig.
Ist das wirklich so? Die Meinungsfreiheit hat doch ihre Schranken, genaus muss das Asylrecht begrenzt werden aus naheliegenden Gründen.
“Zudem ist § 18 AsylVfG eine Verfahrensvorschrift für den Fall, dass (1.) bei einer Grenzbehörde (2.) um Asyl nachgesucht wird. Für die Merkel’sche Entscheidungssituation ist das nicht einschlägig.” Vielen Dank für den Hinweis. Aber auf welche Rechtsgrundlage stützt Merkel denn dann ihre Entscheidung, die Ausländer ins Land zu lassen?
§ 26a I Nr. 2 AsylVfG ist doch hier irrelevant, da Griechenland nach Dublin-III ganz offensichtlich für das Asylverfahren zuständig ist. Sie halten sich nur nicht an die Ordnung, die Dublin vorschreibt. Wieso soll sich Deutschland denn dann daran halten?
Es kann ja sein, dass es politisch sinnvoll oder erwünscht ist, das Asylrecht oder die Meinungsfreiheit zu begrenzen. Verpflichtet (erst recht: grundrechtlich verpflichtet) ist dazu niemand. Die Schranken des Art. 5 II GG geben ja nur einen Handlungsrahmen dafür vor. Art. 16a II GG sperrt natürlich schon den Schutz durch Absatz 1, verpflichtet aber nicht dazu, die Leute wirklich rauszuwerfen.
Griechenland mag ja häufig zuständig sein (vgl. aber oben zu den Zuständigkeitskriterien und ihrer Reihenfolge), aber selbst dann ist zum einen die Rückschiebung nach Griechenland (und Ungarn) menschenrechtlich problematisch (auch das ist oben ausgeführt). Zum anderen ist das ja nicht der Sinn der Transitzone: Aus einem eingezäunten Gebiet an der Grenze zwischen Deutschland und Österreich kommt man ja (wenn es keinen Flughafen hat) gar nicht nach Griechenland, ohne vorher von einem der beiden Länder (wieder) reingelassen zu werden.
” Art. 16a II GG sperrt natürlich schon den Schutz durch Absatz 1, verpflichtet aber nicht dazu, die Leute wirklich rauszuwerfen.” Aha, was war denn dann die Absicht des Gesetzgebers, der das so formuliert hat? Und was war die Absicht des Gesetzgebers der §18 mit den Worten “(2) Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern, wenn …” formuliert? Und warum behauptet Angela Merkel es gäbe eine Verpflichtung zur Aufnahme? Das alles hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun, das ist Willkür.
ach, hier sind sie auch wieder unterwegs?
1. Art. 16a II GG sollte es ERLAUBEN, bestimmte Flüchtlinge nicht aufzunehmen. Und nach Art. 16a II GG ist das ist ja auch erlaubt.
2. § 18 AsylG sollte den Grenzbeamten dazu verpflichten, bestimmte Flüchtlinge zurückzuweisen. Wenn aber die Dublin-Regeln gelten, gelten nur die Dublin-Regeln: § 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG verweist ja auf § 26a – und §26a Abs. 1 Nr. 2 AsylG schließt die Anwendbarkeit des Art. 16a II GG aus, wenn die Dublin-Regeln einschlägig sind. Im Übrigen gilt § 18 AsylG natürlich nur für Grenzkontrollen und nicht, wenn es gar keine gibt.
Und um das noch nachzutragen: Dublin setzt mindestens die Prüfung der Zuständigkeit durch Deutschland voraus. Schon dafür müssen die Flüchtlinge ins Land gelassen werden. Dublin erlaubt den Mitgliedstaaten des Weiteren, sich freiwillig selbst für zuständig zu erklären. Das kann schon einmal nicht rechtswidrig sein. Deshalb ist auch der Verzicht auf die Rücksendung syrischer Flüchtlinge nach Ungarn keines Falls ein Rechtsbruch. Unter Umständen kann nach der Rechtsprechung des EuGH diese Möglichkeit (wegen der zu berücksichtigen Grundrechte des Schutzsuchenden) aber sogar in eine Pflicht umschlagen. Und das wird gerade für Griechenland und teilweise für Ungarn (siehe die von Herrn Michl gegebenen Hinweise oben) von Gerichten angenommen.