Parlamentarische Frage vs. Schutz vor Rassismus
Berliner Verfassungsgericht uneins über Vornamen-Anfragen
Parlamentarische Fragen nach Vornamen deutscher Tatverdächtiger sind eine recht unrühmliche Praxis in deutschen Landtagen. Bundesweite mediale Aufmerksamkeit erfuhr die Frage der damals oppositionellen CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus nach den Vornamen der deutschen Tatverdächtigen der Silvesterausschreitungen 2022/23, bei denen es zu Übergriffen auf Einsatzkräfte von Feuerwehr und Polizei kam. Bereits von 2018 bis 2022 hatte ein Abgeordneter der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus jedes Jahr die Frage nach den „20 häufigsten Vornamen der Tatverdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit“ bei Straftaten mit dem Einsatz eines Messers in Berlin gestellt. Als er 2024 die gleiche Frage stellte, verweigerte der Berliner Senat erstmals deren Beantwortung und verwies dabei auf ein Urteil des Staatsgerichtshofs Niedersachsen vom 2. Mai 2024. Darin befand der Staatsgerichtshof, dass die niedersächsische Landesregierung die Beantwortung einer ähnlichen Frage zu Recht verweigert hatte, weil diese das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletze.
Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat nun in einer knappen 5:4-Entscheidung vom 13. Mai (veröffentlicht am 4. Juni 2025) im Organstreitverfahren diese Argumentation für die Berliner Konstellation abgelehnt. Er stellte fest, dass die Antwortverweigerung des Senats den Antragsteller in seinen Abgeordnetenrechten aus Art. 45 Abs. 1 Verfassung von Berlin (VvB) verletzt hat. Die Mehrheit des Gerichts weicht der eigentlichen Problematik allerdings in einer instanzgerichtlich anmutenden Begründung aus. Denn worauf diese Art von Fragen nach den Vornamen abzielt, ist eigentlich allen klar: Es geht um eine rassistische Ausgrenzung derjenigen deutschen Staatsangehörigen, die nach Ansicht der Fragenstellenden nicht eigentlich dazugehören (sollen) (vgl. hier). Doch die Mehrheitsentscheidung erwähnt Rassismus mit keinem Wort. Trotz gewisser Fortschritte im letzten Jahrzehnt tut sich das Recht, tun sich die Gerichte weiter außerordentlich schwer damit, Rassismus als solchen zu thematisieren und zu identifizieren (vgl. zur De-Thematisierung von Rassismus in der gerichtlichen Praxis hier, S. 55 ff.).
Vor diesem Hintergrund lohnt sich eine genauere Lektüre der mehrheitlichen Entscheidung und des dazu angebrachten Minderheitenvotums. Das Minderheitenvotum weist darauf hin, dass das verfassungsrechtliche Antidiskriminierungsrecht eine Grundlage dafür bietet, die Beantwortung der parlamentarischen Frage nach den Vornamen der deutschen Tatverdächtigen legitimerweise zu verweigern, weil diese auf eine gleichheitswidrige rassistische Diskriminierung und Verletzung der Menschenwürde gerichtet ist. Der Argumentation des Minderheitenvotums ist zuzustimmen. Es relativiert die parlamentarischen Informationsrechte in ihrer fundamentalen demokratischen Bedeutung nicht, wenn als ihre Grenze anerkannt wird, dass staatliche Stellen, dass Regierung und Verwaltung auch durch Fragen von Abgeordneten nicht dazu verpflichtet werden können, sich in rassistischen Kategorien zu äußern und zu rassistischer Politik beizutragen. Vielmehr bleibt der – demokratisch grundlegende und unverzichtbare – besondere Gleichheitsschutz durch die Diskriminierungsverbote unvollendet, wenn er nicht auch als verfassungsimmanente Grenze parlamentarischer Informationsrechte zum Tragen gebracht wird.
Informationelle Selbstbestimmung als Sackgasse
Um zu begründen, warum er erstmals die Frage nach den Vornamen von Tatverdächtigen deutscher Staatsangehörigkeit nicht beantwortete, berief sich der Berliner Senat – wie erwähnt – wesentlich auf die Entscheidung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs. Der Staatsgerichtshof war davon ausgegangen, dass eine Beantwortung der Fragen – selbst unter Geheimschutzauflagen – eine Gefahr der Identifizierung der 19 Tatverdächtigen begründe, die damit einer öffentlichen Stigmatisierung, Mobbing und sogar körperlichen Übergriffen ausgesetzt sein könnten. All dies könne die Unschuldsvermutung verletzen, die auch vor einer öffentlichen Vorverurteilung schütze. Der Staatsgerichtshof begründete seine Annahmen vor allem mit der sehr kleinen Zahl der betroffenen Personen; zudem handle es sich um Ereignisse in einem engen zeitlichen Rahmen (ein Tag) und mit einer breiten Berichterstattung in Medien und sozialen Netzwerken. Daher sei eine Identifizierung der Betroffenen zu befürchten gewesen, nicht zuletzt durch den Gebrauch von Künstlicher Intelligenz.
Diese Argumentation überzeugte allerdings nachvollziehbarerweise weder die Mehrheit noch die Minderheit des Berliner Verfassungsgerichtshofs. Zu groß waren die Unterschiede im Tatsächlichen: Nicht nur ging es in Berlin um 1.197 Tatverdächtige, auch bezog sich die Frage nicht auf ein einzelnes Ereignis mit hoher medialer Aufmerksamkeit. Eine vergleichbare Gefahr der Identifizierbarkeit bestand daher nicht (Rn. 44). Auch den Vortrag einer Beeinträchtigung der Strafrechtspflege wies die Mehrheit des Gerichtshofs als zu pauschal zurück (Rn. 47), ebenso das Argument, die Persönlichkeitsrechte aller Vornamensträgerinnen und -träger seien wegen der Gefahr einer sozialen Stigmatisierung und der Nutzung für wahrscheinlichkeitsbasierte Sozialrankings (Scoring) verletzt (Rn. 48).
Problem erkannt, Problem gebannt?
Erst im Zuge des Organstreitverfahrens – und nicht schon in der Begründung der Antwortverweigerung vor dem Verfahren – trug der Senat vor, es bestehe das Risiko, dass die erfragten Namen für „Volksrankings“ und zu einer pauschalen Abwertung von Vornamensträgerinnen und -trägern mit „vermeintlichem“ (gemeint ist wohl: zugeschriebenem) Migrationshintergrund als „zweitklassige“ deutsche Staatsangehörige genutzt würden. Dieses Argument wies die Gerichtsmehrheit rein prozessual zurück: Eine Antwortverweigerung könne nur auf die vorgerichtlich vorgetragene Begründung gestützt werden. Und so endet die Mehrheit höchst formal (Rn. 50):
„Die darin anklingenden Erwägungen auch zu Missbrauchsgefahren und möglicherweise gefährdeten Interessen des Staatswohls sind daher nicht Gegenstand der vorliegenden verfassungsrechtlichen Entscheidung.“
Eine Andeutung künftiger Entscheidungen liegt darin eher nicht. Einstweilen bleibt festzuhalten: Das rassistische Problem wird nicht wirklich erkannt und benannt, zugleich wird der thematische Komplex aus der verfassungsgerichtlichen Prüfung gebannt.
Diskriminierungsverbote begrenzen parlamentarische Informationsrechte verfassungsunmittelbar
Dass es – auch prozessual – nicht zwingend war, den Rassismus der Vornamenfrage zu de-thematisieren, zeigt das Minderheitenvotum von Dr. Lucy Chebout, Prof. Dr. Ulrike Lembke, Prof. Dr. Florian Rödl und Dr. Florian Schärdel. Dieses legt dar, dass die adressierte Exekutive einem als parlamentarische Frage verkleideten Rassismus keineswegs ausgeliefert ist: Ihr steht die rechtliche Perspektive eines demokratisch-gesellschaftsvertraglich begründeten und interdisziplinär informierten Antidiskriminierungsrechts zur Verfügung – oder vielmehr: sie ist auf diese Perspektive verfassungsrechtlich verpflichtet.
In prozessualer Hinsicht sieht sich die Minderheit aus guten Gründen nicht daran gebunden, lediglich festzustellen, dass eine nachgeschobene Begründung des Berliner Senates für die Antwortverweigerung verspätet sei. Vorliegend handele es sich nämlich um einen Fall, in dem die Verfassung eine Antwort auf die Frage unmittelbar verbiete. Damit liege eine Ausnahmekonstellation vor, in der es dem Senat nicht überlassen sei, sich erst bei einer vergleichbaren künftigen Frage auf die verfassungsrechtliche Grenze seiner Antwortpflicht zu berufen (Rn. 59). Hierfür hätte das Votum auch auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verweisen können: Im Flick-Urteil hatte das Gericht bereits 1984 festgestellt, dass grundrechtlicher Schutz von Verfassungs wegen auch gegen die Befugnisse von Untersuchungsausschüssen besteht; die Grundrechtsbindung aller öffentlichen Gewalt aus Art. 1 Abs. 3 GG schränke das parlamentarische Beweiserhebungsrecht und das Recht auf Aktenvorlage ein (Rn. 180 ff.). Mutatis mutandis sind mithin auch das parlamentarische Fragerecht und die korrespondierende exekutive Antwortpflicht verfassungsunmittelbar durch die Grundrechte beschränkt (vgl. BVerfG Oktoberfestattentat, Rn. 100). Diese Grundrechtsbindung – und damit den effektiven Grundrechtsschutz – durchzusetzen, ist eine objektive verfassungsgerichtliche Aufgabe, die nicht davon abhängt, ob die Exekutive das Argument vorgerichtlich geltend macht.
Die Testfrage
In der Sache formuliert und substantiiert das Minderheitenvotum eine Äquivalenzhypothese als Maßstab dafür, wann eine Auskunftserteilung aus Gründen des Diskriminierungsschutzes verboten ist (Rn. 60):
„Untersagt ist aber die Herausgabe einer Information, wenn deren Erhebung, Verarbeitung oder Veröffentlichung gegen materielles Verfassungsrecht verstoßen würde. Dies ist der Fall, wenn auch eine gedachte einfachgesetzliche Grundlage für die Erhebung, Verarbeitung oder Veröffentlichung der begehrten Informationen verfassungswidrig wäre. Die verfassungsrechtlichen Grenzen staatlicher Erhebung, Verarbeitung und Veröffentlichung von Informationen können nicht im Wege des parlamentarischen Fragerechts unterlaufen werden. Was von Verfassungs wegen seitens des Staates nicht erhoben, verarbeitet oder veröffentlicht werden darf, darf auch auf eine parlamentarische Anfrage hin nicht als Auskunft erteilt werden.“
Die Minderheit schlägt damit vor, die grundrechtliche Begrenzung parlamentarischer Informationsrechte für den verfassungsrechtlichen Diskriminierungsschutz weiterzudenken. Der Kanon der Begrenzungstatbestände umfasst die Gewaltenteilung (der problematische „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“), Bundesstaatlichkeit, Staatswohl (auch problematisch) und auch die Grundrechte. Doch die grundrechtliche Begrenzung der parlamentarischen Informationsrechte ist in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bislang nur für den informationellen Grundrechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG, aus Art. 12 und aus Art. 10 GG sowie für das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG näher ausbuchstabiert worden. Für den Gleichheitsschutz aus den Diskriminierungsverboten besteht im Bereich der parlamentarischen Informationsrechte bislang eine dogmatische Lücke.
Praktisch lässt sich der im Minderheitsvotum vorgeschlagene Maßstab am vorliegenden Fall zwanglos plausibilisieren: Als gesetzlich angeordnete Informationserhebung und -veröffentlichung in der Form einer Statistik wäre die erfragte Auskunft unzulässig, weil sie gegen das Verbot rassistischer Diskriminierung nach Art. 10 Abs. 2 VvB bzw. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG verstoßen würde – zu den betroffenen Geltungsdimensionen sogleich. Nach der Prüfung anhand dieser Äquivalenzhypothese (Wäre ein entsprechendes Handeln des Staates verfassungsgemäß?) muss und darf die Exekutive auch eine darauf gerichtete parlamentarische Frage verfassungsunmittelbar (!) nicht beantworten.
Den verfassungsrechtlichen Ansatz der Äquivalenzhypothese begründet das Votum primär mit dem Diskriminierungsverbot und ergänzend mit der Menschenwürde (dazu sogleich). Das Votum folgt dabei neueren Ansätzen des Diskriminierungsschutzes, die diesen als asymmetrischen Schutz von Angehörigen vulnerabler Gruppen verstehen (BVerfG Dritte Option Rn. 59). Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG schützt danach nicht die Gleichbehandlung der „Rassen“, sondern er wendet „sich gegen rassistische Diskriminierung“, wie es das Bundesverfassungsgericht in einer Kammerentscheidung 2020 ausgeführt hat (Rn. 11). Damit stellt das Bundesverfassungsgericht den Fokus des Grundrechts auf Rassismus und dessen Mechanismen der Ausgrenzung und Abwertung um. Das Minderheitsvotum verwendet neben dem Begriff der „Rasse“ auch den Begriff „ethnische Herkunft“, ohne dass ganz klar wird, ob es diese als Synonyme oder inhaltsverschiedene Alternativen versteht. Der Begriff „ethnische Herkunft“ findet sich – anders als im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und im Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz – weder in Art. 10 Abs. 2 VvB noch in Art. 3 Abs. 3 GG – ist aber letztlich genauso problematisch wie die Verwendung von „Rasse“ in Rechtstexten, die unzutreffend das Bestehen unterschiedlicher Menschenrassen zumindest suggeriert. Er erscheint als neutrale, deskriptive Alternative, aber es bleibt bei einer kategorialen Einteilung von Menschen, die von Herabwertung kaum freizuhalten ist. Ethnie wird verschiedentlich einfach als Chiffre für „Rasse“ gebraucht (Stichwort: „Ethnopluralismus“). Der Begriffsaustausch mit seinem vermeintlichen Gewinn an Neutralität geht am rassistischen Problem vorbei und de-thematisiert es zumindest begrifflich.
Geltungsdimensionen des Diskriminierungsschutzes
Die grundrechtsdogmatische Perspektive des Minderheitenvotums weist daraufhin, dass der besondere Gleichheitsschutz durch das Diskriminierungsverbot wegen der „Rasse” in diesem Kontext mehrere Geltungsrichtungen entfaltet (Rn. 66):
„Indem durch eine nach ‚Rasse‘ oder ethnischer Herkunft differenzierende Erfassung deutscher Staatsangehöriger öffentlich wirkmächtig ein Zusammenhang zwischen ‚Rasse‘ bzw. ethnischer Herkunft und der Häufigkeit von Verdachtsfällen der Straftatbeteiligung hergestellt würde, würde nicht nur die Benachteiligung der betroffenen Tatverdächtigen, sondern die Benachteiligung aller der jeweiligen Gruppe zugehörigen Personen bewirkt.“
Danach umfasst der Diskriminierungsschutz zum einen ein individuelles Abwehrrecht; er verpflichtet den Staat zum anderen zum Schutz vor rassistischer Ausgrenzung. Die Minderheit führt aus (Rn. 63):
„Das Recht auf Schutz vor Diskriminierung ist ein subjektives Recht, doch trifft Diskriminierung die Betroffenen in diesem Zusammenhang gerade nicht als Individuen, sondern als Angehörige von Gruppen, die durch spezifische – bisweilen vorhandene, oft aber nur zugeschriebene – Merkmale bestimmt sind.“
Relevant ist also einerseits die klassische abwehrrechtliche Geltung des Diskriminierungsverbots: Die Grundrechtsträgerinnen und Grundrechtsträger haben einen individuellen, subjektiv-rechtlichen Anspruch darauf, dass der Staat die rassistische Konstruktion von Gruppen unterlässt, für die ihnen eine Zugehörigkeit zugeschrieben wird oder zuschreibbar wäre. Andererseits kommt eine objektivrechtliche Gewährleistungsdimension zum Tragen: Der Staat ist verpflichtet, die (zugeschriebenen) Angehörenden rassistischer Gruppenkonstruktionen gegen solchen Rassismus zu schützen. Beide Geltungsdimensionen sind unverzichtbar, um das verfassungsrechtliche Gleichheitsversprechen der Diskriminierungsverbote wirksam werden zu lassen. Das ist keine marginale Randfrage gegenwärtiger Grundrechtsdogmatik. Es ist vielmehr angesichts der Normalisierung von Rassismus in der politischen „Mitte“ ein grundrechtliches und ebenso ein gesellschaftlich-politisches Schlüsselthema.
Namen als Proxy für „Rasse“
In der Anwendung dieser Maßstäbe weist das Minderheitenvotum im Ausgangspunkt zu Recht darauf hin, dass schon die – in letzter Zeit vielfach kritisierte (z.B. hier und hier) – Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit bei der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) – eingeführt übrigens schon mit der Gastarbeiteranwerbung – diskriminierungsrechtlich problematisch ist, „wenn hierdurch eine mittelbare Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft oder rassistische Zuschreibung droht“ (Rn. 64). Erst recht problematisch ist aber die Unterscheidung innerhalb der deutschen Staatsangehörigen. Dies greife den Status der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit (BVerfG 25.5.2006 – 2 BvR 669/04, Rn. 49) an (Rn. 65):
„Die Veröffentlichung einer Kriminalstatistik, die zu allen oder bestimmen Straftaten nicht nur die Anzahl der Tatverdächtigen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit aufführte, sondern innerhalb der Tatverdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit weiter kategorisierte nach Tatverdächtigen mit ‚europäischem‘, ‚arabischem‘, ‚asiatischem‘ oder ‚afrikanischem‘ Hintergrund, würde einen eklatanten Verfassungsverstoß darstellen“.
Zentral ist hier das Argument, dass die Unterteilung der Tatverdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit nach Vornamen ein funktionales Äquivalent zu einer Unterteilung der Tatverdächtigen nach „Rasse“ darstelle. In der Vornamenfrage gehe es nämlich nicht um die individuelle Bezeichnungsfunktion von Vornamen, sondern sie dienten als „Sammelbezeichnung“ und Anknüpfungspunkte „für vorurteilsbasierte Unterscheidungen“ (Rn. 68). In diesem Kontext verweist das Minderheitenvotum einerseits auf die historische NS-Praxis, Jüdinnen und Juden „typisch jüdische“ Vornamen zuzuweisen und auch so die Ausgrenzung aus dem staatsbürgerlichen Status gleicher Rechte zu signalisieren und zu exekutieren. Andererseits führt das Votum sozialwissenschaftliche Studien an, die belegen, dass Vornamen in verschiedenen Lebensbereichen (Schule, Wohnungsmarkt, Erwerbsleben, juristische Staatsprüfungen) Anknüpfungspunkt für Diskriminierungen sind (Rn. 69).
Neben einer Verletzung des Diskriminierungsverbotes berührt die auf „Vornamensstereotypen beruhende[n] Differenzierung von deutschen Staatsangehörigen“ nach Ansicht des Minderheitenvotum auch die Menschenwürde aus Art. 6 VvB (Rn. 71 f.). Zur Begründung der Menschenwürdedimension bezieht sich das Votum auf das Urteil des BVerfG zum NPD-Verbot. Darin hat das Gericht festgestellt, dass ein ethnisch definierter Volksbegriff, wie ihn die NPD vertritt, im Widerspruch zu dem sich aus der Menschenwürde ergebenden Achtungsanspruch der Person steht, da er die elementare Rechtsgleichheit aller Staatsbürgerinnen und Staatsbürger negiert (Rn. 320 ff., siehe dazu auch hier). Die Erstellung von Vornamenslisten deutscher Tatverdächtiger sei zwar noch weit entfernt von einem Parteiprogramm, das auf die Rechtlosstellung deutscher Staatsangehöriger aufgrund von rassistischer Zuschreibung abziele – der Grundsatz sei aber, so das Votum, der gleiche. So habe das Bundesverfassungsgericht (Rn. 644 f.) eine von der NPD geplante Ergänzung der PKS um eine Rubrik für „eingebürgerte Ausländer“ als unvereinbar mit dem Grundgesetz bewertet. Das kann man auch als Seitenhieb in Richtung Berliner Polizei lesen: Diese hatte – bundesweit einzigartig – bis August 2022 bei deutschen Tatverdächtigen unter 21 Jahren bei bestimmten Delikten im polizeilichen Dateisystem POLIKS den Migrationshintergrund erfasst.
Fazit
Die Mehrheit des Berliner Verfassungsgerichtshof hat sich darauf beschränkt, die Schwachstellen in der Argumentation des Berliner Senats aufzuzeigen, statt die sich aus der Verfassung ergebenden diskriminierungsrechtlichen Grenzen des parlamentarischen Fragerechts selbst zu prüfen. Schon bald könnte sich zeigen, dass diese Strategie nicht unbedingt prozessökonomisch war. Denn der Berliner Senat hat angekündigt, dass er auch weiterhin keine Vornamensliste deutscher Tatverdächtiger veröffentlichen will. Stattdessen kündigt er an, seine Begründung für die Ablehnung der Beantwortung der parlamentarischen Frage im Lichte der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nachzuschärfen. Es bleibt zu hoffen, dass der Senat dabei nicht weiter versucht, den datenschutzrechtlichen Argumentationsweg des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs zu beschreiten. Dieser Weg passt für die Berliner Konstellation offensichtlich nicht. Außerdem geht die Argumentation am eigentlichen Problem der Vornamensfrage vorbei – von Rassismus ist dort nämlich auch mit keinem Wort die Rede. Der Berliner Senat muss sich nicht ein rassistisches X für ein vorgeblich neutrales U im parlamentarischen Gewand vormachen lassen. Er sollte den Rassismus, der in der Vornamensfrage liegt, nicht de-thematisieren. Vielmehr muss er seine verfassungsunmittelbare Bindung an den Diskriminierungsschutz gegenüber entsprechenden Anfragen ausdrücklich geltend machen. Das ist geboten, um die Bürgerinnen und Bürger vor Rassismus zu schützen.
danke für die Ausführungen.
Gewisse “Hintergründe” von Straftätern bzw. Verdächtigen zu erfassen, kann soziologisch relevant sein (etwa auch positiv gesehen, um festzustellen, ob es racial profiling gibt), ist aber polizeilich kaum von Bedeutung da viel zu unspezifisch.
für Prävention (!) u.ä. mag der polizeiliche sozialarbeiter sich gern mit dem kulturellen, sozialen, sprachlichen, religiösen, familiären, psychologischen Hintergrund von Menschen auseinandersetzen, aber eben nicht mit (z.T. vielleicht begründbare) Verdächtigungen arbeiten.
Dafür sind allein schon die Kategorien viel zu grob:
Migrationshintergrund = Flüchtling vor einem Jahr eingewandert, Großeltern vor 70 jahren? als Tourist, als Gastarbeiter, als Student, Erntehelfer, Ehepartner etc.? aus Afghanistan, aus den USA, aus Japan, aus Spanien, aus Polen? Mama ist aber Deutsche? Großpapa nicht? 1/4 Migrant? 1/8? “Migrant” mit guter Ausbildung und Job? im prekären Arbeitsverhältnis? Schülerin? Arbeitslos? Krank oder gesund? deutschsprachig? deutsche oder EU-Staatsbürgerschaft?
und “Vornamen” sind dann noch mehr vergröbernd:
Darf ein “Bio-Deutscher” (=was für ein Begriff!) nicht Jean heißen oder Iwan oder Tom oder Lee oder Chantal? Ist Ahmed automatisch verdächtiger als Alfons, der einährige Sohn zweier Syrer? Darf ein “Weißer” nicht Kayne heißen? Sollen sich alle “Ausländer” schnell nach dem neuen Namensrecht in Adolf und Eva umbenennen lassen (wobei Eva auch kein germanischer Name ist)?
Deartige Anfragen sind eindeutig rassistisch motiviert, klar.
Aber wenn Interesse bestünde, tatsächlich nach sozialen Einflussmöglichkeiten zu fragen, wäre fast jede Anfrage besser geeignet, z.B. die nach dem Alter oder dem materiellen Lebensverhältnissen… (Klar auch hier besteht Diskriminierungsgefahr, aber auch eine weitaus größere Relevant für politische Einflussnahme.)