20 April 2023

Anti-Antisemitismus qua Verfassung

Mehrere Bundesländer haben kürzlich sog. Antisemitismus-Klauseln in ihre Verfassungen aufgenommen, so jüngst die Hansestadt Hamburg (kritisch hier; allgemein hier). In der Rechtswissenschaft und auch in der breiteren öffentlichen Diskussion wurden entsprechende Verfassungsänderungen im Gegensatz zu den Vorgängen auf der documenta fifteen oder dem BGH-Urteil zum Wittenberger Sandsteinrelief nur begrenzt rezipiert. Dem folgenden Beitrag liegt die Annahme zugrunde, dass das Anliegen effektiver (rechts-)staatlicher Antisemitismusbekämpfung den geltenden deutschen Verfassungen immanent ist. Seine durchaus begrüßenswerte explizite Verankerung in Landesverfassungen wirft aber einige rechtliche Fragen auf, die nicht ohne Weiteres als geklärt gelten können.

Die Formulierungen der Anti-Antisemitismus-Klauseln

Auf Grundlage eines interfraktionellen Antrags hat die Hansestadt Hamburg nach längerer Diskussion und einer umfassenden Anhörung im Verfassungsausschuss im März 2023 eine sog. Antisemitismus-Klausel in die Präambel ihrer Verfassung eingefügt:

Vielfalt und Weltoffenheit sind identitätsstiftend für die hanseatische Stadtgesellschaft. In diesem Sinne und mit festem Willen schützt die Freie und Hansestadt Hamburg die Würde und Freiheit aller Menschen. Sie setzt sich gegen Rassismus und Antisemitismus sowie jede andere Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ein. Sie stellt sich der Erneuerung und Verbreitung totalitärer Ideologien sowie der Verherrlichung und Verklärung des Nationalsozialismus entgegen.

Bereits zuvor hatten Sachsen-Anhalt (2020), Brandenburg (2022) und Bremen (2023) ihre Verfassungen mit ähnlichen Klauseln ergänzt (dazu schon hier und hier):

Art. 37a LSAVerf: Nichtverbreitung nationalsozialistischen, rassistischen und antisemitischen Gedankenguts

Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen.

Art. 7a BbgVerf: Schutz des friedlichen Zusammenlebens

(1) Das Land schützt das friedliche Zusammenleben der Menschen und tritt Antisemitismus, Antiziganismus sowie der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegen.

(2) Das Land fördert das jüdische Leben und die jüdische Kultur.

Art. 65 Ia BremVerf

Demokratiefeindlichen Bestrebungen, insbesondere der Wiederbelebung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft, sowie rassistischen, antisemitischen und sonstigen menschenverachtenden Aktivitäten entschieden entgegenzutreten, ist Verpflichtung aller staatlichen Organisation und Verantwortung jeder und jedes Einzelnen. Die Freie Hansestadt Bremen fördert die Entwicklung einer offenen, vielfältigen und toleranten Gesellschaft sowie eines respektvollen und friedlichen Miteinanders.

Zudem werden in Thüringen und Bayern Diskussionen hinsichtlich der Einführung einer solchen Klausel geführt. Ob weitere Länder sich anschließen, bleibt abzuwarten.

Die Vielfalt der Formulierungen, die auch Ausdruck der Verfassungsautonomie der Länder ist, lässt divergierende Verständnisse von Antisemitismus ebenso vermuten wie nicht unerhebliche Herausforderungen bei seiner rechtlichen Erfassung und Bekämpfung. Dies äußert sich in der jeweiligen systematischen Einbettung, den unterschiedlichen rechtlichen Wirkungen, der Bezugnahme auf Menschenfeindlichkeit oder Nationalsozialismus sowie den offenen Fragen der konkreten Rechtsanwendung – schließlich sollen Verfassungsnormen auch handlungsleitend für den Umgang von Behörden und Justiz mit den Phänomenen von Antisemitismus sein (dazu hier).

Antisemitismus als interdisziplinäre Herausforderung

In den einzelnen Diskussionen und Anhörungen in den Landtagen sind unterschiedliche Erscheinungsformen, Funktionen und Milieus von Antisemitismus zur Sprache gekommen. Angesichts der Tendenzen in öffentlichen Diskursen, Antisemitismus auf ein Problem „der Anderen“ (insbesondere Muslime und ostdeutsche Neonazis) und damit auf wenige Erscheinungsformen zu verengen, ist die Frage nach dem Antisemitismus-Verständnis in den neuen verfassungsrechtlichen Regelungen nicht trivial.

Antisemitismus kann verstanden werden als eine Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, indem durch Zuschreibungen eine abgewertete Fremdgruppe geschaffen wird, welche die Eigengruppe aufwertet und von persönlichen Defiziten entlastet. Antisemitismus kann aber auch eine umfassende Welterklärung gegen die Zumutungen der Moderne mit aktiv antidemokratischer Stoßrichtung sein (exemplarisch Salzborn). Christlich-antijudaistischen, rassenideologischen und antidemokratischen Antisemitismus gab es in Deutschland schon lange vor der Machtübertragung an die Nationalsozialisten und der Shoah (Longerich, Krah). Nach 1945 haben sich bestehende Formen teils gewandelt, teils sind neue Dimensionen wie der sekundäre Antisemitismus mit seiner Täter-Opfer-Umkehr hinzugetreten (zu Wandel und Kontinuität siehe Benz, Jahr; zu neueren Formen Schwarz-Friesel).

In den Verfassungstexten wird Antisemitismus von Rassismus unterschieden, aber beide gleichermaßen als Phänomen von Menschenfeindlichkeit oder Menschenverachtung angesehen und teils in einen engen Konnex mit dem Nationalsozialismus gebracht. Unklar bleibt dabei, ob tatsächlich alle (potentiell) rechtlich relevanten Dimensionen von Antisemitismus (kompakt Brumlik, Salzborn) wie christlicher Antijudaismus, völkisch-rassistischer Antisemitismus, antidemokratische Verschwörungsideologien, sekundär-schuldabwehrender Antisemitismus, antisemitische Codes und Bilder sowie der aktuell verstärkt auftretende und diskutierte israelbezogene Antisemitismus (grundlegend Bernstein, Holz/Haury, Mendel, Salzborn; einschränkend dazu hier und hier) nun von den Landesverfassungen erfasst sind.

Die verfassungsrechtsdogmatische Literatur hierzu ist leider spärlich. Reichhaltig sind dagegen die zu rezipierenden Erklärungsmodelle, Theorien und empirischen Befunde u.a. der sozial- und kulturwissenschaftlichen Antisemitismusforschung (statt vieler Salzborn, Marusczyk). Diese befähigen auch zum Umgang mit antisemitischen Projektionen wie dem „Gerücht über die Juden“, Codes und latentem Antisemitismus, wenn die interdisziplinären Herausforderungen (dazu hier) ernst genommen und aktiv an einem gelingenden Wissenstransfer gearbeitet wird.

Präambel, Staatsziel, Widerstandsrecht?!

In der breiteren Systematik der Landesverfassungen und angesichts des föderalen Verfassungspluralismus stellt sich die Frage nach der Verortung der Antisemitismus-Klauseln sowie deren rechtlicher Qualifizierung. Die Formulierungen finden sich in der Präambel (Hamburg), unter den Staatszielen (Sachsen-Anhalt und Bremen) und im Abschnitt zu „Freiheit, Gleichheit, Würde“ (Brandenburg). Vorgeschlagen wurde auch ein Zusatz im Widerstandsrecht (Vorschlag Bremen). Zu beachten ist, dass die Hamburger Landesverfassung als reine Staatsorganisationsverfassung ohne Grundrechtsteil auskommt, in Brandenburg schon seit 2013 eine Anti-Rassismus-Klausel bestand (Art. 7a BbgVerf a.F.) und in Bremen bereits die Präambel auf den Nationalsozialismus und die Shoah verweist.

Grundsätzlich sind die Anti-Antisemitismus-Klauseln als Staatsziele formuliert. Dies gilt trotz der Verortung in der Präambel auch für die Hamburger Verfassung, denn auf Grund der Eigenart als rein staatsorganisationsrechtliche Verfassung kann den Verpflichtungen in der Präambel ein verbindlicherer Charakter ähnlich einem Staatsziel zugeschrieben werden (so schon 2020 dem Klimaschutz). In Brandenburg ist, wenngleich in den Beratungen nur Absatz 2 explizit als Leistungsanspruch konzipiert wurde, die Verortung im Grundrechtsabschnitt zwischen Würde und Freiheit zu vermerken. Andere Verfassungen sehen eine eher irritierende „Verantwortung“ von Individuen vor. Rechtlich nicht mehr nachvollziehbar ist eine in Bremen ursprünglich vorgeschlagene Verortung im Widerstandsrecht, welche auf einem fundamentalen Missverständnis von dessen Funktion und Inhalt beruhen dürfte.

Staatsziel Antisemitismusbekämpfung

Als Staatsziel nehmen die Antisemitismusklauseln zunächst die Landesgesetzgeber in die Pflicht. Zu denken ist hier etwa an Bildungs- und Präventionsprogramme, um Antisemitismus auch als umfassende Weltanschauung wirksam zu bekämpfen. Zugleich fordert Antisemitismusbekämpfung als nun explizite Staatsaufgabe von Verfassungsrang (im Grundgesetz implizit enthalten) alle staatlichen Akteur*innen zum Handeln auf. Dabei geht es nicht nur um Aufklärung, Prävention und repressive Maßnahmen, sondern auch um die pro-aktive Förderung jüdischen Lebens und jüdischer Kultur, welche in der Verfassung von Brandenburg explizit benannt ist.

Die Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte in Bezug auf Staatsziele ist insgesamt sehr zurückhaltend. Soweit ersichtlich, gibt es bislang noch keine verfassungsgerichtliche Entscheidung zu einer der Anti-Antisemitismus-Klauseln. Ob eine Form des Untermaßverbots entwickelt würde, welche ggf. auch eine individuelle Rechtsmobilisierung ermöglichen könnte, bleibt daher abzuwarten. Das heißt aber nicht, dass die Politik allein gefordert wäre, die neuen Regelungen nicht im Bereich des rein Symbolischen zu belassen. So sind beispielsweise alle Gerichte und Behörden verpflichtet, das Staatsziel der Antisemitismusbekämpfung als Rechtsgut von Verfassungsrang in die grundrechtliche Abwägung einzubeziehen, was aktuell vor allem mit Blick auf israelbezogenen Antisemitismus und die Meinungs-, Versammlungs-, Kunst- sowie Wissenschaftsfreiheit von nicht unerheblicher Bedeutung sein dürfte.

Pflichten des*der Einzelnen und Rechtsmobilisierung

Allerdings entsteht der Eindruck, als solle diese Verantwortung weitergegeben werden. Die Verpflichtung der*des Einzelnen in Art. 37a LSAVerf sowie in Art. 65 Ia BremVerf ist mit der zwingenden Unterscheidung zwischen Grundrechtsberechtigung und Grundrechtsverpflichtung kaum in Einklang zu bringen. Zwar ist der Hinweis auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung wichtig. Als unverbindliche Postulate innerhalb verbindlicher Verfassungsrechtsnormen irritieren solche Formulierungen jedoch eher und können so die Wirksamkeit der Gesamtregelung abschwächen.

Die individuelle Mobilisierung eines Staatsziels ist schwierig und in der Regel nur im Zusammenhang mit einem Grundrecht möglich. Für die Antisemitismusbekämpfung kann (außer unter der Hamburger Landesverfassung) auf den Schutz vor rassistischer Diskriminierung, welcher unstreitig auch Antisemitismus umfasst, zurückgegriffen werden, auch wenn die neuen Klauseln sinnvollerweise Antisemitismus und Rassismus nebeneinander benennen.

„Vergangenheitsbewältigung“ als Hindernis für Recht gegen Antisemitismus

In gesellschaftlichen Diskursen so wie in Rechtswissenschaft und Justiz scheinen nur begrenzte Kenntnis zu den vielfältigen Dimensionen von Antisemitismus zu bestehen. Häufig wird dieser auf einen völkisch-rassistischen Antisemitismus reduziert und eng mit dem Nationalsozialismus verknüpft, während andere rechtlich relevante Erscheinungsformen ausgeblendet werden. Selbst ein Gericht, welches zunächst verschiedene Definitionen von Antisemitismus zutreffend dargestellt hat, behauptet dann plötzlich, als Antisemit könne aber nur bezeichnet werden, wer „die Überzeugungen teilt, die zu der Ermordung von 6 Millionen Juden unter der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft geführt haben, und die Menschen alleine aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft angreifen und für die Übel der Welt verantwortlich machen“ (LG München I, Urteil vom 10.12.2014 – 25 O 14197/14). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Deutung als fernliegend verworfen. Zwar betonen Politik, Justiz und Rechtswissenschaft zu Recht die historisch begründete besondere Verpflichtung aller deutschen Staatsgewalt zur Bekämpfung von Antisemitismus. In der Praxis scheint sich aber gerade diese Betonung als wesentliches Durchsetzungshindernis zu erweisen.

Von aktuellen verfassungsändernden Rechtsetzungsprozessen ist zu erwarten, dass sie den spezifischen Kontext eines post-nationalsozialistischen deutschen Staates anerkennen und zugleich aktuelle Erscheinungsformen von Antisemitismus zutreffend erfassen und effektiv bekämpfen. In Art. 7a BbgVerf wird der Nationalsozialismus nicht erwähnt. Dagegen benennt Art. 37a LSAVerf das „nationalsozialistische Gedankengut“, „die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems“ und trennt diese nur durch ein „sowie“ von den zu unterbindenden „rassistischen und antisemitischen Aktivitäten“. Sehr ähnlich ist die Formulierung von Art. 65 Ia BremVerf. In der Präambel der Hamburger Landesverfassung wird erst Antisemitismusbekämpfung als Aufgabe benannt und anschließend in einem neuen Satz auf den historischen Hintergrund des Nationalsozialismus verwiesen.

Die neue Hamburger Formulierung hat den Vorteil, dass sie Erinnerungskultur und effektive Antisemitismusbekämpfung in einer Norm zusammenbringt und zugleich unterscheidet. In der brandenburgischen Regelung fehlt der historische Hintergrund, dafür wird in die Zukunft gerichtet die Förderung jüdischen Lebens und jüdischer Kultur garantiert. Aus diesen verschiedenen Ansätzen lässt sich für laufende verfassungspolitische Debatten um Anti-Antisemitismus-Klauseln lernen. Bereits bestehende Regelungen müssen im Interesse größtmöglicher Effektivität ausgelegt und angewendet werden.

(Verfassungs)Recht gegen Antisemitismus

Verfassungsänderungen können Schauplätze von Symbolpolitik sein, aber auch der Selbstvergewisserung dienen oder grundlegende Fragen des Zusammenlebens regeln. Die Zahl antisemitischer Vorfälle ist in den letzten Jahren weiter angestiegen. Die rechtsstaatlichen Reaktionen hierauf sind allerdings noch verbesserungsfähig. So ist es vielleicht der richtige Zeitpunkt, um Antisemitismusbekämpfung als rechtlich verbindliche Staatsaufgabe zu formulieren. Wenn eine Verengung des Antisemitismusverständnisses auf vorgeblich zwingende Bezüge zum Nationalsozialismus vermieden und zugleich die Breite rechtlicher Möglichkeiten genutzt wird, kann die Verpflichtung aller staatlichen Akteur*innen (also nicht nur der Strafverfolgungsorgane, sondern auch der Zivilgerichte, der Behörden, der Schulen und Universitäten usw.) zur effektiven Bekämpfung von Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen einen wichtigen Baustein für das Zusammenleben in Deutschland bilden.


SUGGESTED CITATION  Lembke, Ulrike; Schuch, Christoph: Anti-Antisemitismus qua Verfassung, VerfBlog, 2023/4/20, https://verfassungsblog.de/anti-antisemitismus-qua-verfassung/, DOI: 10.17176/20230420-204518-0.

3 Comments

  1. Pyrrhon von Elis Fri 21 Apr 2023 at 11:34 - Reply

    Der Beitrag ist leider etwas ziellos in seiner Besprechung dieser Klauseln und ich weiß nicht, was er letztlich ausdrücken möchte.
    Die Darstellung und Rezeption der verschiedenen Arten von Antisemitismus aus den Sozialwissenschaften bewirkt letztlich nichts, wenn nicht dargestellt werden kann, wie diese Konzepte im System
    subjektiv-öffentlicher Ansprüche eine jüdische Person individuell schützen. Ich erinnere mich an einen dogmatisch unsäglichen Beitrag vor einer Weile hier, der Art. 1 als “kleine Münze”
    gegen jegliche Form von Antisemitismus in Anschlag bringen wollte. Die rechtsdogmatische Literatur zu diesem Thema ist letztlich deswegen spärlich, weil sie mangels oder angesichts schwacher rechtlicher Anknüpfungspunkte
    entweder überhaupt nichts sagen oder sich in die Rolle eines Richterkönigs von Kantorowiczs Gnaden begeben müsste.

    Im Übrigen halte ich es abseits von den expliziten Klauseln nicht für eine verfassungsimmanente Pflicht, gegen Antisemitismus im Besonderen vorzugehen. Dass das Grundgesetz etwas anderes
    als den Menschen per se, insbesondere irgendeine Religion oder eine Kultur, bevorzugend schützt, ist mir nicht bekannt und kann ich ihm nicht entnehmen. Auch ein häufig heraufbeschworenes
    “historisches Bewusstsein” kann nur insoweit relevant sein, als sein Einschlag in der Verfassung nachweisbar ist. Für das Grundgesetz mag ich das freilich nicht erkennen, auch wenn
    man die Plattitüde einer “Antiverfassung” (die überdies hinaus auch amüsant geschichtsblind ist, weil sie von Carl Schmitt stammt) als Argument bringt, um dem Grundgesetz einen Inhalt vor seiner Auslegung unterzujubeln.

    Gute Intentionen rechtfertigen keine schlechte Methodik.

    • Ulrike Lembke Mon 1 May 2023 at 15:17 - Reply

      Es ist bedauerlich, wenn die Botschaft des Beitrages, dass Antisemitismusbekämpfung als Staatsaufgabe eben ein juristisches Mehr meinen kann (und muss) als individuelle subjektive Ansprüche, nicht angekommen ist. Wir werden das bei Gelegenheit sicher vertiefen und konkretisieren. Der Einsatz der Menschenwürde als “kleine Münze” ist ein interessanter Ansatz, dem hier aber nicht gefolgt wird. Was eine implizite verfassungsrechtliche Pflicht angeht: Die Meinungen bspw. zum Wunsiedel-Beschluss des BVerfG gehen auseinander, was völlig in Ordnung ist, aber meist argumentativ unterlegt wird. Und: an keiner Stelle beziehen wir uns auf Schmitt’sche Konzepte, der nächstliegende Anknüpfungspunkt wäre vielmehr Gerd Roellecke (Der Nationalsozialismus als das politische Layout der Bundesrepublik), der auf den zunächst empirischen Befund hinweist, dass das Grundgesetz über weite Strecken als Antwort auf das nationalsozialistische Deutschland konzipiert wurde. Ob dies der beste Ansatz war und ob er überhaupt konsequent umgesetzt wurde, ist durchaus streitbar. Dass aber die (Entstehungs-)Geschichte der Verfassung keinerlei Auswirkungen auf ihre Auslegung hätte – diese methodische Sicht wird hier schlichtweg nicht geteilt. Kolleg*innen mit anderen Meinungen gleich schlechte Methodik zu unterstellen, ist selbst kein besonders guter Stil und verrät auch mangelnde Bereitschaft, sich mit anderen methodischen Ansätzen (die in einem VB-Beitrag nicht entfaltet werden können) ernsthaft auseinanderzusetzen.

      • Pyrrhon von Elis Fri 5 May 2023 at 14:28 - Reply

        Ich bin offen gegenüber jeglicher Methode der Interpretation, die ihr Ergebnis nicht bereits in den Prämissen ihres Vorgehens trägt.
        Wer die Effektivität einer Wünschelrute beim Aufsuchen von Wasser beweisen möchte, täte gut daran, das nicht am Strand zu tun.
        Das Problem, das ich mit Beiträgen wie dem hiesigen und mit den darin verwendeten Methoden habe, ist, dass das allerdings
        der Fall zu sein scheint und man praktisch von der conclusio zu den Prämissen hinarbeitet. Die Rute schlägt aus, da Wasser in der
        Nähe ist. Quod erad demonstrandum.

        Ich werfe den Verfassern auch nicht vor, selbst Konzepte von Schmitt benutzt zu haben, sondern habe nur allgemein auf den
        Terminus “Antiverfassung” verwiesen, den Schmitt selbst in der Verfassungslehre in polemischer Natur auf die Weimarer Reichsverfassung anwendete und
        der gerne mal auch in Bezug auf das Grundgesetz in lobender Weise gegenüber Verfassungen der Vergangenheit in Anschlag gebracht wird.

        Und es ist schade, dass der methodische Ansatz der kleinen Münze von den Verfassern nicht geteilt wird. Ich persönlich halte
        AÖR 81 (1956), 117 ff. für die bis heute klarste Abhandlung zu diesem Thema und kannte deswegen auch die Fundstelle ohne
        Nachlesen auswendig.

        Und der Nachweis von entstehungsgeschichtlichen Einschlägen braucht, was Jestaedt elegent bezeichnet hat, einen “Positivierungsnachweis”.
        Ziemlich viel kann in ziemlich verschiedener Weise als Reaktion auf die Vergangenheit bewertet werden. Historisierung ist kein Selbstzweck.

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