Aus Staat mach Privat
Zur Einordnung des Twitter-Accounts von Nancy Faeser
Seit dem 08. September 2021 ist Nancy Faeser Bundesministerin des Innern und für Heimat. Nachdem die Gerüchteküche bereits längere Zeit gebrodelt hatte, teilte sie letzte Woche mit, am 08. Oktober als Spitzenkandidatin der SPD im hessischen Landtagswahlkampf kandidieren zu wollen. Diese Entscheidung wurde medial kritisch rezipiert; nicht zuletzt, weil Ministerin Faeser ankündigte, im Falle einer Wahlniederlage am Amt der Bundesministerin festhalten zu wollen. Außerdem wurde bezweifelt, dass sich die mit einer Kandidatur im Landtagswahlkampf einhergehenden Strapazen mit einer effektiven Wahrnehmung des Ministerinnenamts vereinbaren ließen. Eine funktionale Trennung der amtlichen und parteipolitischen Sphäre, so u.a. die Koalitionspartner auf Bundesebene, drohe zu verwischen.
Am Abend des 02. Februars ließ Ministerin Faeser ihren Worten Taten folgen und kündigte auf ihrem Twitter-Account, in dem es im Impressum zu diesem Zeitpunkt noch „Bundesministerin des Innern“ hieß und auf die Website des BMI verwiesen wurde, an:
„Ich bin mit voller Kraft Bundesinnenministerin. Künftig werde ich hier aber auch über meine Arbeit als SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Hessen informieren, daher wird dieser Kanal nicht mehr von meinem Ministerium betreut.“
Im Zuge dessen änderte sich auch die Beschreibung des Accounts in „Bundesministerin des Innern und für Heimat|Landesvorsitzende der SPD Hessen|“ und ersetzte den Verweis auf die Website des BMI durch eine Verlinkung ihrer Partei-Homepage. Dieses Vorgehen hat in den Kommentaren des in Rede stehenden Beitrags so wie in der medialen Berichterstattung kritische Stimmen hervorgerufen. Christian Conrad ordnete das Vorgehen bei LTO als (unzulässige) Übertragung amtlicher Mittel auf eine Partei ein und wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Umwidmung womöglich als Parteispende bewertet werden könnte.
Seit der Umstellung des Accounts ist in den dort geteilten Beiträgen ein wilder Mix aus ministeriellen wie parteipolitischen Beiträgen wiederzufinden. Es ist also eingetreten, was bereits am 02. Februar befürchtet wurde: Regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit und politisches Werben um Wählerstimmen gehen auf dem Account Hand in Hand. Sollte es sich bei dem Account trotz der angekündigten „Umwidmung“ weiter um ein Sprachrohr ministerieller Öffentlichkeitsarbeit handeln, wäre das rechtswidrig.
Die Dichotomie staatlichen und privaten Informationshandelns
Dass sich die hinter einem Amt stehende Privatperson, bei der es sich in einer Parteiendemokratie regelmäßig gleichzeitig um den Spitzenkandidaten oder die Spitzenkandidatin einer politischen Partei handelt, auf ihre Grundrechte berufen kann, ist grundsätzlich unbestritten und wurde vom BVerfG in seiner Grundsatzentscheidung zur regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit aus dem Jahr 1977 ausdrücklich festgelegt. Private Äußerungen kommen als Ausdruck grundrechtlicher (Meinungs-)Freiheit in den Genuss wohlwollender Deutung. Ihnen ist bei der Abwägung mit entgegenstehenden Rechten Dritter ein hohes Gewicht beizumessen, da die Meinungsfreiheit als schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzustufen ist.
Hoheitliche Äußerungen sind hingegen von Natur aus weniger schutzbedürftig, da sie nicht auf der Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten beruhen. Neben den die Informationsbefugnis unmittelbar einschränkenden Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger unterliegt es objektiven Äußerungsvorgaben wie der Kompetenzordnung des Grundgesetzes, der (politischen) Neutralitätspflicht und dem rechtsstaatlichen Sachlichkeitsgebot. Ob eine Äußerung privater oder hoheitlicher Natur ist, kommt eine fundamentale Bedeutung zu.
Dass sich die Unterscheidung der unterschiedlichen Sprecherrollen nicht selten als schwierig gestaltet, ist nicht von der Hand zu weisen. Dies manifestierte sich jüngst sogar in einem ablehnenden Sondervotum der Richterin Wallrabenstein zur Merkel-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Gleichwohl ist die Bestimmung der Sprecherrollen aufgrund der dem Grundgesetz zugrundeliegenden Dichotomie privater Grundrechtsfreiheit und staatlicher Grundrechtsbindung – um im Duktus der sozialen Netzwerke zu bleiben – wichtig und richtig. In der Rechtsprechung des BVerfG und verschiedener (Landesverfassungs-)Gerichte haben sich daher mittlerweile vergleichsweise handfeste Abgrenzungskriterien herausgebildet. Maßgeblich sollen zuvörderst die äußeren Umstände einer Informationsmaßnahme sein, wohingegen dem Äußerungsinhalt nur eine indizielle Wirkung beizumessen ist. Entscheidend ist, ob ein unvoreingenommener Rezipient die einzelne Aussage als Wahrnehmung amtlicher Autorität oder als private Meinungskundgabe einstuft.
Soziale Netzwerke als neues Terrain staatlichen Informationshandelns
Wie dieser Fall in beachtenswerter Dringlichkeit zeigt, hat sich die Staatskommunikation mittlerweile zu großen Teilen in die Sphäre der sozialen Netzwerke verlagert. Während dies prinzipiell nicht zu beanstanden und unter Praktikabilitätsgesichtspunkten sogar ausdrücklich zu begrüßen ist, sind auch die mit der Kommunikation in sozialen Netzwerken einhergehenden, neuartigen Gefahren staatlichen Informationshandelns für die freie Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger hervorzuheben. Phänomene wie hate speech und fake news zeigen uns, dass die sozialen Netzwerke auch heute als rechtsfreier Raum interpretiert werden. Da sich Beiträge im Handumdrehen weiterverbreiten und mit Kommentaren versehen lassen, ist die Reichweite der Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Netzwerken faktisch unbegrenzt und mit den herkömmlichen Erscheinungsformen staatlichen Informationshandelns nicht vergleichbar.
Aus äußerungsrechtlicher Perspektive bestehen daher erhebliche Zweifel an der Übertragbarkeit der zuvor aufgeführten Abgrenzungskriterien: Während es bei Pressekonferenzen, Zeitungsinterviews und Plakaten verschiedene formale Umstände gab, die der Rezipient seiner Einordnung zugrunde legen konnte, unterliegen die Profile in den sozialen Netzwerken nur einer begrenzten Gestaltungsmöglichkeit der Inhaberinnen und Inhaber. Es droht – wie eingangs bereits am Beispiel der aktuellen Aktivität auf dem Profil von Ministerin Faeser gezeigt – eine Vermischung parteipolitischer und hoheitlicher Beiträge, die in unzulässiger Weise in die Willens- und Meinungsbildungsfreiheit der Rezipientinnen und Rezipienten einzugreifen vermag.
Accountcharakterisierung in sozialen Netzwerken: in dubio pro publico
In einem ersten Schritt ist daher festzustellen, dass die Accounts in sozialen Netzwerken in ihrer Gesamtheit entweder der staatlichen oder der privaten Sphäre zuzuordnen sind. Eine Einzelfallbetrachtung von Beitrag zu Beitrag ginge fehl, da es potenziellen Abonnentinnen und Abonnenten im Zeitpunkt des Abonnierens klar sein muss, ob der Account staatlicher oder parteipolitischer bzw. privater Natur ist. Prägnantestes Kriterium ist insofern das Impressum eines Accounts bzw. dessen Beschreibung, in dem sich neben Angaben zu Alter, Herkunft und Interessen bei Amtsträgern regelmäßig Hinweise auf das innehabende Amt sowie eine Parteimitgliedschaft finden lassen. Faktisch beschränkt sich die Gestaltungsmöglichkeit für Netzwerknutzer auf diesen Bereich eines Profils.
Um den Gefahren für die Willensbildungsfreiheit der Rezipientinnen und Rezipienten hinreichend Rechnung zu tragen, ist dabei jeder Hinweis auf die Amtsträgerschaft eines Accountinhabers oder einer Accountinhaberin als ausreichend zu erachten, das Profil der staatlichen Sphäre zuzuordnen und dem willensbildungsschonenden Regime des staatlichen Äußerungsrechts zu unterwerfen. Soweit an dieser Stelle nicht ausdrücklich der private Charakter des Accounts betont wird, ist im Zweifel davon auszugehen, dass der Account staatlicher Öffentlichkeitsarbeit dient und den Grenzen staatlichen Informationshandelns unterliegt. Dieses Verständnis ist als „Kehrseite“ des mit der Amtsautorität einhergehenden Glaubwürdigkeitsvorsprungs zu begreifen und stellt keine unzulässige Beeinträchtigung der hinter einem Amtsträger oder einer Amtsträgerin stehenden Privatperson dar, da es dieser unbenommen ist, einen eigenständigen privaten Account zu betreiben, auf dem sie grundrechtliche Freiheiten genießt.
Nur ein neuer Account kann die „Causa Faeser“ lösen
Überträgt man diese Kriterien auf den Account der Ministerin Faeser, bestehen keine Zweifel daran, dass dieser nach wie vor staatlicher Natur ist. Auch wenn das Impressum nunmehr einen Verweis auf ihre Funktion als Landesvorsitzende der SPD Hessen enthält und eine private Website verlinkt, prägt der Verweis auf die Amtsträgerschaft die Beschreibung des Accounts. Ein anderes Verständnis würde es ihr erlauben, tausende Abonnentinnen und Abonnenten, die das Profil (zumindest auch) aufgrund ihrer Funktion als Innenministerin und damit als Sprachrohr regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit abonniert haben, als Ausfluss des ihr zukommenden Amtsbonus parteipolitischer Wahlwerbung zu unterwerfen und damit gegen ihren zu vermutenden Willen zu instrumentalisieren.
Dieses Vorgehen widerspräche demokratischen und rechtsstaatlichen Standards und wurde auf Twitter sowie in der Presse zurecht kritisiert. Es entspräche überdies nicht der bedauerlicherweise nur vereinzelt auftretenden, aber zu befürwortenden Praxis staatlicher und privater Parallelaccounts. Lobenswertes Beispiel sind hier etwa Bundeskanzler Olaf Scholz, der neben seinem amtlichen Twitteraccount mit dem Kürzel „@Bundeskanzler“ auch ein privates Profil mit dem Kürzel „@olafscholz“ betreibt. Auch Ministerin Anna-Lena Baerbock hat mit ihrer Ernennung zur Außenministerin den privaten Account aufgegeben, der nunmehr unter „@ABaerbockArchiv“ aufzufinden ist und twittert seitdem unter dem unstreitig amtlichen Account „@ABaerbock“.
Es wäre Ministerin Faeser zu raten, einen neuen Account zu erstellen, auf dem sie in ihrer Funktion als Spitzenkandidatin der hessischen SPD auftritt und ihren Wahlkampf bewirbt. Dabei wäre es ihr nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit für Profilbesucherinnen und -besucher überdies erlaubt, im amtlichen Impressum auf diesen Parallelaccount zu verweisen. Die Aktivität der letzten Tage, bei der sowohl ministerielle Äußerungen hoheitlicher Natur als auch Beiträge der SPD geteilt werden, ist mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben staatlichen Informationshandelns indes schlechthin unvereinbar.
Sollte sich Ministerin Faeser dazu entscheiden, den Account weiterhin mit staatlichen wie parteipolitischen Inhalten zu bespielen, dürfte sich die Verfassungswidrigkeit dieses Vorgehens im Rahmen eines Organstreitverfahrens vor dem BVerfG klären lassen. Antragsberechtigt wären die Parteien, besonders die im hessischen Wahlkampf benachteiligte CDU und Die Grünen, in deren Chancengleichheit durch das Werben auf einem bundeministeriellen Account eingegriffen wird. In Anbetracht der Tatsache, dass die sogenannte „heiße Phase“ des Wahlkampfes unmittelbar zu beginnen droht oder vielleicht bereits begonnen hat, wäre aus Sicht der benachteiligten Parteien auch ein entsprechendes Eilverfahren in Erwägung zu ziehen. Mit diesem könnte die parteipolitische Stilllegung des Accounts erwirkt werden. Kommt man zu dem Ergebnis, dass die beabsichtigte Umwidmung des Accounts gescheitert ist, dürfte aber eine Parteispende i.S.d. §§ 25, 26 PartG zu verneinen sein.
An sich schätze ich die schnellen Analysen auf dem Verfassungsblog. Aber hier fehlt es an zentralen Stellen doch an Argumenten. So sehe ich das zumindest als Außenstehender, der die Verfassung hier gerne verstehen würde.
“Während dies prinzipiell nicht zu beanstanden und unter Praktikabilitätsgesichtspunkten sogar ausdrücklich zu begrüßen ist, sind auch die mit der Kommunikation in sozialen Netzwerken einhergehenden, neuartigen Gefahren staatlichen Informationshandelns für die freie Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger hervorzuheben. Phänomene wie hate speech und fake news zeigen uns, dass die sozialen Netzwerke auch heute als rechtsfreier Raum interpretiert werden.” Der Zusammenhang der Aussagen erschließt sich mir z.B. nicht. Genauso wenig geht aus den beiden Sätzen, wenn man sie zusammen liest, eine Aussage hervor. Die Interpretation als rechtsfreier Raum steht doch dem Umstand entgegen, dass hier Recht existiert und gilt.
“Eine Einzelfallbetrachtung von Beitrag zu Beitrag ginge fehl, da es potenziellen Abonnentinnen und Abonnenten im Zeitpunkt des Abonnierens klar sein muss, ob der Account staatlicher oder parteipolitischer bzw. privater Natur ist.” Aus welchem Grund/Argument muss es den potenziellen Abonnentinnen und Abonnenten klar sein, warum darf es ihnen nicht klar werden?
“Ein anderes Verständnis würde es ihr erlauben, tausende Abonnentinnen und Abonnenten, die das Profil (zumindest auch) aufgrund ihrer Funktion als Innenministerin und damit als Sprachrohr regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit abonniert haben, als Ausfluss des ihr zukommenden Amtsbonus parteipolitischer Wahlwerbung zu unterwerfen und damit gegen ihren zu vermutenden Willen zu instrumentalisieren.” Das liest sich äußerst paternalistisch. Warum sollen die tausenden Abonnentinnen und Abonnenten nicht selbst darüber entscheiden, ob sie nun entfolgen wollen?
“Dabei wäre es ihr nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit für Profilbesucherinnen und -besucher überdies erlaubt, im amtlichen Impressum auf diesen Parallelaccount zu verweisen” Mir erschließt sich nicht, welcher Gewinn an Rechtssicherheit hiermit einherginge?
“Die Aktivität der letzten Tage, bei der sowohl ministerielle Äußerungen hoheitlicher Natur als auch Beiträge der SPD geteilt werden, ist mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben staatlichen Informationshandelns indes schlechthin unvereinbar.” Gemeint sein dürften hier die verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie sie das BVerfG 1977 , aus meiner Perspektive: unter den Vorzeichen einer ganz anderen Kommunikationsgesellschaft, ausgebreitet hat. Oder?
Haben Sie vielen Dank für Ihren Kommentar. Mir tut es sehr leid, dass ich Ihre Erwartung argumentativ enttäuscht zu haben scheine. Auch ich würde die Verfassung gern verstehen und habe mir größte Mühe gegeben, meine Gedankengänge zu begründen, wenngleich dies in diesem Format nicht immer wie gewünscht möglich ist, da man sich als Autor in einem Spagat zwischen Prägnanz und Verständlichkeit auf der einen sowie juristischer Argumentationstiefe auf der anderen Seite befindet. Gern möchte ich daher diese Möglichkeit nutzen, um auf ihre Punkte einzugehen.
In dem von ihnen als erstes angesprochenen Ausschnitt wollte ich zum Ausdruck bringen, dass die Nutzung der sozialen Netzwerke durch staatliche Funktionsträger prinzipiell zu begrüßen ist, ihr leider aber zum Teil nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit begegnet wird. Ein Blick auf das Kommunikationsverhalten vieler Hoheitsträger in den Netzwerken zeigt, dass rechtliche Grenzen des staatlichen Informationshandelns, die anhand herkömmlicher Erscheinungsformen entwickelt wurde, hier häufig ignoriert werden. Dabei geht es etwa um das Sachlichkeitsgebot und die politische Neutralitätspflicht. Das Teilen von Beiträgen politischer Parteien auf Profilen von Ministerinnen und Ministern oder Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern ist nur ein Beispiel dafür. Der Blick auf das Informationsverhalten von Staatshäuptern anderer Nationen (Extremfall Trump/Bolsonaro) zeigt wie fatal es sein kann, die Vorgaben staatlichen Informationshandelns gänzlich zu ignorieren. Diesbezüglich empfehle ich Ihnen den lesenswerten Beitrag von Tobias Mast auf diesem Blog (“Entgrenztes Gezwitscher”, https://verfassungsblog.de/entgrenztes-gezwitscher/).
Dass der Charakter eines Accounts Rezipientinnen und Rezipienten im Zeitpunkt des Abonnierens klar sein muss, folgt bereits daraus, dass dieser Akt grundrechtsdogmatisch in den Schutzbereich der der Meinungsfreiheit immanenten Meinungsbildungsfreiheit fällt. Auch lässt sich eine Parallele zum Wettbewerbsrecht ziehen: Hier hat etwa das OLG Braunschweig in einer Entscheidung vom 13.05.2020 entschieden, dass es für eine Accountcharakterisierung auf die Gesamtheit des Profils ankommt.
In diesem Zusammenhang geht es zumindest auch darum, die Willensbildungsfreiheit vor einer unbewussten Beeinflussung durch den hoheitlichen Accountinhaber zu schützen. Sind die Abonnentinnen und Abonnenten z.B. der Meinung, staatliches Informationshandeln zu rezipieren, da der Account im Zeitpunkt des Abonnements unstreitig amtlicher Natur war und werden auf diesem nun parteipolitsch werbende Inhalte verbreitet, stellt dies einen rechtswidrigen Eingriff in die grundrechtlichen Freiheiten der Rezipientinenn und Rezipienten dar. Ein gewisser Paternalismus ist in diesem Zusammenhang sicherlich nicht von der Hand zu weisen, aufgrund der Fragilität des gesellschaftlichen Willensbildungspozesses indes durchaus angezeigt.
Die in diesem Punkt anvisierte Rechtssicherheit rührt daher, dass es dem Besucher eines Profils auf diese Weise mit einem Blick möglich wäre zu erkennen, ob der besuchte Account privater oder hoheitlicher Natur ist. Möchte sich ein Bürger etwa über das parteipolitische Verhalten von Olaf Scholz informieren, ist dem Bundeskanzler-Account unmissverständlich zu entgehen, dass er den privaten Account von Herrn Scholz besuchen muss. Umgekehrt verhält es sich indes genau so. Dem von mir so kritisch beäugten Mix hoheitlicher und privater Inhalte könnte so auf rechtssichere Art und Weise begegnet werden.
Richtig, gemeint sind die Grenzen staatlichen Informationshandelns, die 1977 das erste mal vom BVerfG umrissen und seitdem fortan weiterentwickelt wurden. Zuletzt knüpfte das BVerfG in seiner Merkel-Entscheidung aus dem Jahr 2022 an diese Vorgaben an. Ich bin sehr wohl der Meinung, dass diese Vorgaben nicht in einer schablonenartigen Weise auf die Kommunikation in den sozialen Netzwerken übertragen werden können. Vielmehr bedarf es punktueller Modifikationen und es sind neuartige Vorgaben hinzugetreten (z.B. Sachlichkeit bildbasierter Öffentlichkeitsarbeit). Die prinzipielle Geltung all dieser Vorgaben kann indes nicht in Abrede gestellt werden. Zu diesem Thema empfehle ich Ihnen zwei weitere Beiträge auf diesem Blog von Mehrdad Payandeh (https://verfassungsblog.de/masstabssetzung-durch-subsumtion/) und Mathias Hong (https://verfassungsblog.de/das-merkel-urteil-verpasst-die-chance-den-willen-zur-verfassung-zu-starken/).
Ich hoffe, all Ihre Fragen in zufriedenstellender Weise beantwortet zu haben.
Zu den Zweifeln, ob “sich die mit einer Kandidatur im Landtagswahlkampf einhergehenden Strapazen mit einer effektiven Wahrnehmung des Ministerinnenamts vereinbaren ließen” würde ich gerne auf US-Präsidenten verweisen, die ein ganzes Jahr Wahlkampf für ihre Wiederwahl betreiben.
Dann wird eine deutsche Innenministerin, die wahrscheinlich weniger auf der Agenda hat als ein Staats- und Regierungschef, auch für ein paar Reden oder Interviews nach Hessen fahren können.
Dem Autor ist dafür zu danken, dass er die Thematik einer möglichen Grenzüberschreitung zwischen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit und parteipolitischer Werbung aufgegriffen und nicht nur eine Wertung getroffen hat, sondern auch die Alternative aufzeigt.
Die Ausrichtung des Twitteraccounts von Bundesministerin Faeser ist ein Novum. Ursprünglich als Instrument staatlicher Öffentlichkeitsarbeit in den sozialen Medien angelegt, ergänzte Fr. Faeser den Account inhaltlich um eine parteipolitische Komponente. Neben amtlichen werden jetzt auch parteipolitische Stellungnahmen eingestellt (wilder Mix). Der Ausweis der Urheberschaft unter dem Rubrum “Bundesministerin/Landesvorsitzende SPD Hessen” veranschaulicht die Janusköpfigkeit eines Politikerdaseins in solch herausgehobener Funktion: Inhaberin eines wichtigen Regierungsamtes und gleichzeitig führendes Parteimitglied. Die Widmungsergänzung des Twitterkanals verletzt wegen der Entgrenzung den vom BVerfG erarbeiteten rechtlichen Rahmen zulässiger Äußerungsfreiheit von Mitgliedern der Bundesregierung.
1. Die Feststellung, das Ministerium betreue nicht mehr den Twitteraccount, soll heißen, dass keine öffentlichen Mittel mehr in die Pflege des Instruments fließen. Üblicherweise gibt es bei staatlicher Obhut des Accounts neben einer technischen Betreuung auch eine “Contentbetreuung” in Form von Themenvorschlägen und Formulierungshilfen durch Behördenmitarbeiter. Muss die Öffentlichkeit jetzt davon ausgehen, dass die Ministerin bei Twittermitteilungen amtlichen Charakters auf die bewährte frühere Mitarbeit verzichtet und aus der Fülle des Stoffes selbst auswählt und einstellt? Möglich ist es – es wäre interessant zu wissen, ob es sich so tatsächlich verhält. Ansonsten erscheint die Aussage zur Kappung der Verbindung des Kanals zur Behörde unvollständig.
2. Der Mix von ministeriellen und parteipolitischen Inhalten nivelliert eine vom BVerfG mit guten Gründen gezogene Grenze. Verschmelzen Amtsausübung und Parteiengagement dergestalt in einem Kommunikationskanal, dann erscheint das Recht der anderen politischen Parteien auf Chancengleichheit gefährdet. Staatliche und die parteipolitische Sphäre überlappen sich und erlauben der Amtsinhaberin, ihren anstehenden Wahlkampf auch unter Bezug auf ihren ministeriellen Amtsbonus zu verfolgen. Eine solche Entgrenzung kann verfassungspolitisch nicht gutgeheißen werden.