Die Voraussetzungen fördern oder „How Democracies Survive“
„Die Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann“1). Das Böckenförde-Diktum ist so ein Satz, auf den sich auch in unsicheren Zeiten viele einigen können. Vor kurzem hat Christoph Möllers den Satz in einem Vortrag als „midcult“ polemisiert, also als im Grunde leicht verdauliche Kunst, die ihre Tiefe nur andeutet. Statt sich in ständiger Reproduktion des „Böckenförde-Diktums“ und gekünstelter Neutralität auf der Stelle zu drehen und dabei allenfalls „midcult“ zu betreiben, sollten auch die Verantwortlichen im Bereich der Demokratieförderung diese Tiefe endlich ausschöpfen. Die Strukturentscheidungen des Grundgesetzes sind als Aufruf dafür zu verstehen.
Kampf um die demokratische Deutungshoheit
Es stimmt, dass das Überleben einer Demokratie nicht nur von ihrem Regelwerk, sondern in erster Linie von den Menschen abhängt, die diesen Rahmen füllen. Das hat auch das Bundesfamilienministerium erkannt, das mit dem Bundesprogramm „Demokratie-Leben“ aktuell jährlich 182 Millionen Euro in die „Garantie ihrer eigenen Voraussetzungen“ investiert. Mit dem Demokratiefördergesetz will es diese Praxis in einem Parlamentsgesetz verstetigen. Und so verwundert es nicht, dass auch der erstarkende Rechtsautoritarismus hier klare ideologische Ziele formuliert. Der Thüringer AfD-Landesverband hat in seinem 5-Punkte-Plan angekündigt, das landeseigene Demokratieförderprogramm „Denk-Bunt“ zu streichen. Dann hätten Betroffene rechtsextremer Gewalt kaum noch Hilfs- und Beratungsangebote in Thüringen, viele Schulprojekte, Veranstaltungen und andere zivilgesellschaftliche Initiativen für ein gewaltfreies, plurales Miteinander stünden vor dem Aus. Im rechtlichen Sinne handelt sich bei „ Denk-Bunt“ um Zuwendungen (§§ 23, 44 LHO), also Haushaltsmittel des Landes, die in Landtag und Kabinett verhandelt und dann von dem zuständigen Ministerium inhaltlich ausgestaltet werden. Das Szenario, dass ein von der AfD geführtes Bildungsministerium das Programm streicht, ist ohne Weiteres denkbar. Genauso ist es möglich, dass eine autoritär-populistische Regierung stattdessen ein eigenes Programm für „Demokratie“ aufbaut, hinter dem sich inhaltlich rechter Kulturkampf und völkisches Denken verstecken. Ein solches Vorgehen würde sich lückenlos einreihen in die autoritär-populistische Strategie, den Begriff des „Volkes“ aus Art. 20 Abs. 2 GG umzudrehen; weg von seinem klassischen Verständnis als lückenlose Legitimationskette2) zwischen Bevölkerung und demokratischen Repräsentant*innen, hin zu einem Dezisionismus à la Schmitt, der die politische Entscheidung von einer vermeintlichen völkischen Identität ableitet und vor den demokratischen Willensbildungsprozess setzt. Die neue Rechte hat das Demokratieverständnis längst als den Schauplatz erkannt, auf dem sie zentrale Bestandteile ihrer Ideologie – sei es ein ethno-völkischer Nationalismus oder die Delegitimierung des Parteienpluralismus zugunsten vermeintlich direkterer Mitbestimmungsmechanismen – verwirklichen kann. Wie im Kultursektor wird eine autoritär-populistische Regierung diese Gelegenheit zur Einflussnahme auch beim Hebel der Demokratieförderung sicher nicht ungenutzt lassen.
Kann man die Zivilgesellschaft vor autoritärer Kommunalpolitik retten?
Dieser Kampf um die demokratische Deutungshoheit hat auf kommunaler Ebene bereits begonnen. Viele lokale Initiativen werden über die sogenannten „Partnerschaften für Demokratie“ finanziell gefördert. Dafür schließen sich zivilgesellschaftliche Initiativen vor Ort mit der kommunalen Verwaltung zusammen, um in Städten, Landkreisen und Gemeinden lokale Projekte zu unterstützen und Problemlagen zu diskutieren. Das sogenannte „federführende Amt“ das dem Bürgermeister oder Landrat untersteht, leitet diese Gelder weiter.
Landrat? Da war ja was. Im thüringischen Sonneberg gibt es seit vergangenem Sommer den bundesweit ersten AfD-Landrat. Und so überrascht es nicht, dass Robert Sesselmann dort bereits versucht hat, die lokale Partnerschaft für Demokratie aufzulösen. Verhindern konnte das noch in letzter Sekunde der Jugendhilfeausschuss im Kreistag.
Nicht alle Partnerschaften für Demokratie sind auf diese Weise geschützt: Wenn bei ihrer Einrichtung kein Mitspracherecht eines anderen Gremiums geregelt ist, kann der autoritäre Dienstherr an der Spitze kommunaler Ämter die Zusammenarbeit einfach beenden. Denkbar wäre aber auch, dass AfD-Landrät*innen und Bürgermeister*innen bei der Förderauswahl bestimmte Kriterien wie die „Bekämpfung von Rechtsextremismus“ einfach vernachlässigen oder unliebsame Initiativen vor Ort besonders kritisch überprüfen lassen, sodass die Bewilligungsbehörde die Zusammenarbeit freiwillig aufgekündigt. Selbst die jährlich stattfindende „Demokratiekonferenz“ könnte ideologisch instrumentalisiert werden. Schon jetzt haben es kritisch-zivilgesellschaftliche Initiativen in den betroffenen Regionen schwer. Aber lässt sich verhindern, dass ein autoritärer Landrat ihnen endgültig den Boden unter den Füßen wegzieht?
Es gibt Vorschläge, wie Demokratieförderung auch trotz autoritärer Kommunalbehörden weiter funktionieren kann. Sollte ein Landrat wichtige Demokratieprojekte aufkündigen wollen, könnte die lokale Zivilgesellschaft die Antragstellung selbst verwalten – statt wie bisher das federführende Amt. Mit der externen Koordinierungs- und Fachstelle, die auch jetzt innerhalb der Partnerschaften viele Koordinierungsaufgaben übernimmt, gibt es sogar bereits eine Organisation, die für diese Aufgabe prädestiniert erscheint. Voraussetzung wäre allerdings, dass die Demokratieförderprogramme die für die logistische Mehrbelastung notwendigen Stellen ebenfalls finanzieren.
Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie?
Aber ist diese Finanzierung an der kommunalen Verwaltung vorbei mit dem Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung gem. Art. 28 Abs. 2 S.1 Grundgesetz vereinbar? Ein Eingriff in den „Kernbereich“ dürfte zwar nicht vorliegen, da die kommunalen Verfassungsorgane keiner finalen und unmittelbaren Weisung ausgesetzt sind, sondern sie die neue Konkurrenz im Förderbereich nur mittelbar tangiert. Dennoch: Das Bundesverfassungsgericht hat in der Rastede-Entscheidung die Regelung der „Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln […], indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen“ in der verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilung bei den Gemeinden verortet. Diese Aufgaben, bzw. die Finanzhoheit darüber, könnten hier berührt sein. Gleichzeitig ließe sich dieser Eingriff durch hochrangige Verfassungsgüter, vordergründig die Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bzw. deren Teilaspekte Menschenwürde und Demokratieprinzip, rechtfertigen. Jedenfalls wäre die Eingriffsintensität bzgl. der organisatorischen Frage der Mittelverteilung bei ansonsten gleichbleibenden inhaltlichen Kriterien (die auch jetzt schon nicht in kommunaler Hand liegen) als eher gering anzusehen. Die rechtlichen Bedenken gegenüber dieser Lösung lassen sich also ausräumen. Zwar sollte die Zusammenarbeit zwischen kommunalen Ämtern und der Zivilgesellschaft, die vielerorts gut funktioniert, keinesfalls ohne guten Grund aufgegeben werden. Aber wenn die Alternative ist, dass lokale demokratische Kräfte im Falle einer autoritären Amtsübernahme völlig allein gelassen werden, scheint mehr Staatsferne ein nicht allzu hoher Preis dafür zu sein.
Zukunftsvision des Familienministeriums wird nicht reichen
Eine weiterer Rettungsanker lokaler Initiativen könnte es sein, den bereits existierenden Begleitausschuss zu stärken. Dieser ist vor allem mit Aktiven aus der Zivilgesellschaft besetzt und hat die Aufgabe, spezifische soziale Konfliktlagen und menschenfeindliche Vorfälle in Politik und Gesellschaft zu analysieren und Handlungskonzepte für die jeweilige Region zu entwerfen. Die Vergabe oder Streichung von Fördermitteln könnte (wie vor ein paar Jahren bereits in einer früheren Version des Programms) so ausgestaltet werden, dass es hierfür rechtsverbindlich die Zustimmung des Begleitausschusses braucht. Damit hätte die Zivilgesellschaft ein Mittel in der Hand, um sich selbst gegen autoritär-populistische Angriffe zu schützen. Flankierend dazu wäre eine Immunisierung der Begleitausschüsse über Selbstergänzungsrechte denkbar, ähnlich wie sie auch für Verfassungsgerichte erwogen werden.
Die rechtsverbindliche Umsetzung dieser Ideen hat das Bundesfamilienministerium unter Lisa Paus über die Förderrichtlinien des Bundesprogramms „Demokratie-Leben“ in der Hand. Und am 18. und 19. März wurde der richtungsweisende Programmentwurf für die Förderperiode 2025-2032 vorgestellt. Eine starke Zivilgesellschaft und die wehrhafte Demokratie sind die erklärten Ziele des überarbeiteten Konzepts. Die „Situations- und Ressourcenanalyse“, die nun verpflichtend ist, soll dabei sicherstellen, dass eine Partnerschaft sich auch wirklich den lokalen Problemen zuwendet. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Aber reicht das? Nach den bisher vorgestellten Eckpunkten wird der Begleitausschuss, der nun „Bündnis“ heißt, weiterhin nur eine „Förderempfehlung“ aussprechen. Seinen begleitenden Charakter hat das Gremium mit der Namensänderung also nicht abgestreift; stattdessen bleibt das federführende Amt die zentrale Schaltstelle. Damit hat sich an den Missbrauchsmöglichkeiten durch einen autoritären Landrat oder Bürgermeister letztlich nichts verändert. Auch nach einem Ersatzplan für den Fall eines vollständigen Ausstiegs einer Kommune sucht man vergeblich. Das letzte Wort dürfte aber erst mit den finalen Förderrichtlinien gesprochen sein. Das Bundesfamilienministerium hat immer noch die Chance sicherzustellen, dass der ausgerufene „Schulterschluss mit der Zivilgesellschaft“ durch rechtliche Absicherung Realität wird.
Demokratieförderung positiv denken
Mindestens genauso unklar ist, wie ein Plan B für gefährdete Demokratieprojekte auf Landesebene aussehen könnte. Derzeit fördert der Bund Landesdemokratiezentren in jedem der 16 Bundesländer. Deren Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass die Beratung für Betroffene von rassistischer und anderer menschenfeindlicher Gewalt gesichert ist. Außerdem werden Angebote der Distanzierungs- und Ausstiegsarbeit unterstützt. Sollte es zu einer AfD-Regierung kommen, also potenziell bereits nach den Landtagswahlen diesen Herbst, schlägt auch auf dieser Ebene die Frage auf, ob eine Förderung der Zivilgesellschaft durch den Bund in einem solchen Fall nicht einfach an den Ländern vorbei möglich wäre. Ob der Bund die nötigen Kompetenzen dazu hat, wurde im Zuge der Debatte um das Demokratiefördergesetz lebhaft diskutiert. Insbesondere die FDP hatte Bedenken geäußert: Gefahrenabwehr sei Ländersache. Und aktuell berufen sich die Programme auf eine sehr weitreichende Palette aus politischer Bildung, Vielfaltgestaltung, Verhinderung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie mit der Extremismusbekämpfung auch auf eine gefahrenabwehrrechtliche Materie.
Aber wird das der Funktion von Demokratieförderung gerecht? Mit der Extremismusbekämpfung wird sie über eine zutiefst repressives Staatsfunktion definiert. Demokratische Subjekte als potenzielle Gefahr für den Bestand des Staates zu betrachten und zu bekämpfen, offenbart jedoch ein veraltetes Verständnis von Demokratie. Wenn der Bereich der Demokratieförderung beide Funktionen übernimmt, Ermöglichung einer pluralen und offenen Gesellschaft bei gleichzeitiger „top-down“-Verhinderung der Ränder, dann setzt sich dies den Einwänden von Überladung und Bevormundung aus. Seit dem NPD-Urteil 2017 (BVerfGE 144, 20 – 367) ist klar, dass das Bundesverfassungsgericht die freiheitlich-demokratische Grundordnung – den Kern unserer Verfassung – über die egalitäre Menschenwürde, die demokratische Selbstbestimmung aller Bürgerinnen und Bürger und die Rechtsstaatlichkeit definiert. Damit macht es deutlich, dass es Wesensmerkmal unserer Demokratie ist, dass diese von „unten nach oben“ gedacht wird, von der Bürgerin zur Regierung und nicht andersherum. Statt auf „Extremismusprävention“ sollte auf politische Bildung gesetzt und die eigenständige Arbeit der Zivilgesellschaft gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit unterstützt werden. Dieser Paradigmenwechsel stellt sicher, nicht einfach „Demokratie per Gesetz“ zu verordnen, sondern schlicht die Ermöglichungsbedingungen herzustellen, unter denen die Zivilgesellschaft selbst Partei für die Demokratie ergreifen kann. Auch die wichtigen Beratungs- und Ausstiegsprogramme ließen sich mit dieser Zielsetzung weiter unterstützen. Und ganz nebenbei: Für diese beiden Felder hätte der Bund auch die Gesetzgebungskompetenz.3)
Demokratieförderung als ziviler Verfassungsschutz
Dies eröffnet freilich einige Folgefragen. Sollte etwa die Einstufung des Verfassungsschutzes ausschlaggebend für die Entscheidung sein, ob eine bestimmte Institution nach Übernahme durch eine von diesem als „extrem“ eingestuften Partei noch formal gefördert werden darf? Die Bezugnahme auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung als Konnex zwischen Einstufung durch den Verfassungsschutz, Verfassungswidrigkeit einer Partei gem. Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz und Leitbild der Demokratieförderung könnte das zwar nahelegen. Und in Zeiten eines vermeintlich rechtlich scharfgestellten Neutralitätsgebotes greifen staatliche Institutionen gerne nach Strohhalmen, um gegen eine Partei, der die Verfassungsfeindlichkeit „auf die Stirn geschrieben steht“, etwas in der Hand zu haben.
Damit macht man es sich jedoch zu leicht. Nicht nur aufgrund der intransparenten Arbeitsweise, auch aufgrund dessen maßgeblicher Zielsetzung, den Bestand von Bund- und Ländern zu gewährleisten (§ 3 Abs. 1 S.1 Nr.1 BundVerfSchG) wird deutlich, dass der Verfassungsschutz als Sicherheitsbehörde nicht für Fragen der Demokratieförderung zuständig sein sollte. Auch die Weisungsgebundenheit der Landesverfassungsschutzämter gegenüber einem autoritär-populistischen Innenministerium lässt bezweifeln, dass es sich um eine dauerhaft resiliente Lösung handelt. Vielmehr braucht es transparente und wissenschaftlich fundierte Kriterien, um eine Förderung verfassungsfeindlicher Ideologien zu erschweren. In diesem Zuge sollte man die Möglichkeit schaffen, die Kooperation mit Landesministerien eigenständig aufzukündigen, wenn diese von einer Partei besetzt sind, die sich erwiesenermaßen gegen die Menschenwürde und andere wesentliche Strukturentscheidungen unserer Verfassung richtet. Dabei könnten die Einstufungen des Verfassungsschutzes Indizwirkung entfalten, wie es auch im Falle des Parteistiftungsfinanzierungsgesetzes (§ 2 Abs. 5 S.2 StiftFinG) oder des Gemeinnützigkeitsrechts (§ 51 Abs. 3 S.2 AO) der Fall ist. So kann verhindert werden, den Verfassungsschutzämtern die Letztentscheidungskompetenz zuzuschreiben. Diese sollte beim Ministerium bleiben, dass sich dabei für Entscheidungen demokratisch verantworten und Prüfungen transparent durchführen muss.
Eine Konzentration aller zivilgesellschaftlichen Fördermittel beim Bund darf ebenfalls nicht das Ziel sein. Der aktuelle Ansatz, mit Bundesebene, Landesdemokratiezentren und Partnerschaften für Demokratie alle föderalen Ebenen des Staates miteinzubeziehen, ist im Sinne einer pluralen und dezentralen Zivilgesellschaft wünschenswert. Daraus folgt, dass die Umgehung der Länderebene ultima ratio ist und die Rolle der Zivilgesellschaft auch bei der Vergabe der Fördermittel gestärkt werden muss. Der entsprechende Drahtseilakt zwischen Immunisierung vor verfassungsfeindlichen Kräften und Verhinderung eines Zentralisierungstrends ist nicht einfach. Mit dem Demokratiefördergesetz gibt es aktuell aber einen Aufschlag, um gegenüber den ministerialen Richtlinien nochmals demokratische Legitimation zu erlangen. Damit wird im besten Fall „Demokratieförderung“ neu als Herstellung derjenigen Voraussetzungen konzeptioniert, die einen nachhaltigen zivilen Verfassungsschutz durch die Zivilgesellschaft selbst erlaubt.
Mehr als „midcult“
Die Mühe wert ist dieser Aufwand allemal. Die Zivilgesellschaft ist vielerorts die letzte Brandmauer gegen autoritäre und menschenfeindliche Strukturen und die erste