29 June 2023

Gefährdung via Retweet

Der Fall Pudding zeigt die Schwächen von § 126a StGB

„Die verstreut auf ihren Pferden galoppierende Polizei bändigt die Tiere und drängt Euch zurück. Lasset sie, die leeren Gassen werden sie unglücklich machen, ich weiß es“, spricht der Kaufmann in Franz Kafkas gleichnamiger Erzählung aus dem Jahr 1913 im Lift zu seinem Spiegelbild. Im Jahr 2023 setzt ein sächsischer Sozialarbeiter mit dem Spitznamen Pudding einen Tweet ab. Er schreibt über einen anderen Beitrag: „falls er euch in den leeren Gassen #grimma|s mal über den Weg läuft“ – und bekommt daraufhin Besuch von der Polizei. Zu Recht?

Vermummt bei Tag X, unvermummt im Internet

Der staatliche Umgang mit dem Versammlungsgeschehen am 3. Juni 2023 in Leipzig, dem sogenannten Tag X nach Verkündung des Urteils im Antifa-Ost-Verfahren, hat für vielfältige Kritik gesorgt. Die Aussage “Die Versammlungsfreiheit gilt auch in Leipzig” muss wohl für das besagte Wochenende mit einem Fragezeichen versehen werden, nachdem über tausend Teilnehmer*innen der gleichnamigen Demonstration bis zu elf Stunden festgehalten wurden. In der Versammlung befanden sich dabei mehrere Zivilpolizist*innen, was rechtsstaatliche Fragen aufwirft. Die Einzelheiten des Geschehens sind noch unklar. Gleichwohl liegt der Verdacht nahe, dass sich auch vermummte Polizist*innen innerhalb der Versammlung befunden haben könnten, die wiederum wegen vermummter Teilnehmer*innen von der Polizei daran gehindert wurde, die ordnungsgemäß angemeldete Route zu laufen.

Noch während der Versammlung sorgten Bilder in den sozialen Medien für Aufsehen, die einen Staatsanwalt und einen Polizeibeamten vermummt und in “szenetypischer Kleidung” inmitten der Polizeikräfte zeigten, wie der Journalist Edgar Lopez am 20. Juni 2023 auf Twitter berichtete. Die juristisch umstrittene Vermummung des Staatsanwalts blieb damit wirkungslos. Er war von einigen Anwält*innen und ihren Mandant*innen erkannt worden. In einem Thread auf Twitter wurden sein Vorname sowie der Anfangsbuchstabe seines Nachnamens veröffentlicht.

Drei Tage später wird die Wohnung des Sozialarbeiters Pudding durchsucht und sein Handy beschlagnahmt. Ihm wird vorgeworfen, sich wegen des Gefährdenden Verbreitens personenbezogener Daten nach § 126a StGB strafbar gemacht zu haben. Es handelt sich um einen 2021 in das Strafgesetzbuch eingeführten Tatbestand, der schon vor seiner Verabschiedung scharf kritisiert wurde. Die Strafbarkeit sei zu weit, würde vorverlagert und könne zur Einschüchterung von Journalist*innen und politischen Akteuren führen.

Konkret wirft die Staatsanwaltschaft Pudding vor, „durch eine Abfolge von Kurzmitteilungen auf seinem Twitter-Account unterschwellige Andeutungen verbreitet zu haben, die zu einem gewaltsamen Einwirken auf einen Staatsanwalt hinwirken sollten.“ Dies soll er getan haben, indem er einen Tweet mit Informationen über einen Staatsanwalt mit der Ergänzung „Hier auch mal ohne Maske – falls er euch in den leeren Gassen #grimma|s mal über den Weg läuft“ retweetete. Der ursprüngliche Tweet enthielt den Screenshot einer Kurzbiographie inklusive Foto des Staatsanwalts aus dem frei im Internet zugänglichen Informationsblatt des Sächsischen Richtervereins. Darin hatte er sich vor einigen Jahren als Kandidat für den Landesstaatsanwaltsrat vorgestellt. Die Darstellung enthält ein Foto, eine Übersicht seiner beruflichen Laufbahn und seines ehrenamtlichen Engagements sowie die Angabe, dass er Kinder hat. Der von Pudding retweetete und inzwischen gelöschte Tweet enthielt zusätzlich die Information, dass der betroffene Staatsanwalt in Grimma wohnt.

Puddingweiche Tatbestandsmerkmale

Der Fall von Pudding zeigt einige konkrete Probleme im Umgang mit dem neuen Straftatbestand auf, der eigentlich dazu dienen sollte, den Umgang mit „Feindeslisten“ durch Rechtsextreme zu sanktionieren. § 126a StGB bestraft das Verbreiten personenbezogener Daten “in einer Art und Weise, die geeignet und nach den Umständen bestimmt ist, diese Person oder eine ihr nahestehende Person der Gefahr” bestimmter gegen sie gerichteter rechtswidriger Taten auszusetzen.

Die über den Staatsanwalt veröffentlichten Informationen sind zweifellos personenbezogene Daten. Dazu zählt jede Information, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare Person bezieht. Ob eine Information frei verfügbar im Internet steht oder streng geheim ist, spielt für die Einordnung als personenbezogenes Datum keine Rolle. Verbreitet werden Daten, wenn sie einem Personenkreis zugänglich gemacht werden, den der*die Täter*in nicht mehr kontrollieren kann. Bei einem Retweet über einen nicht geschützten Twitteraccount ist dies der Fall.

Das Verbreiten der Daten muss außerdem „geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt“ sein, die betroffene Person der Gefahr einer gegen sie gerichteten Straftat auszusetzen. Als Kriterien dafür nennt die Gesetzesbegründung etwa „die extremistische Ausrichtung der Internetseite, auf der die Daten verbreitet werden, die Zuordnung zu einer Gruppierung aus dem extremistischen Spektrum […], das Vorliegen militanter Bezüge oder der Bezug zu Straftaten (wie Bedrohungen usw.) im Kontext des Verbreitens, insbesondere in Kombination mit der Anonymität des Verfassers, sowie subtile Andeutungen.“ Ob dies geeignete Kriterien sind, sei dahingestellt. Letztlich kann jede Information, die über eine Person kursiert, die Gefahr erhöhen, dass sie angegriffen wird.

Noch mehr Fragen wirft die Voraussetzung auf, dass das Verbreiten dazu bestimmt sein muss, jemanden der Gefahr einer Straftat auszusetzen. Rechtsprechung gibt es zu der Auslegung dieses Merkmals noch nicht. Die wirkungsvolle Beschränkung des Tatbestands, die es der Gesetzesbegründung zufolge sein soll, kann es aber nur sein, wenn es als Absichtserfordernis verstanden wird. Wie die GenStA Dresden eine Absicht daraus zu konstruieren, dass von einem Antreffen des Staatsanwalts in „leeren Gassen“ die Rede ist, ist mindestens zweifelhaft. Die von Pudding selbst vorgeschlagene Erklärung, wer Grimma kenne, wisse, dass die leeren Gassen ein Synonym für die dortige Tristesse seien, erscheint nicht unplausibel. Ein Aufeinandertreffen in leeren Gassen mag man mit diffuser Bedrohlichkeit und Anspannung assoziieren, aber kaum direkt mit gewalttätiger Konfrontation.

Weiter zeigt der Fall Pudding: Nicht nur, wer nicht allgemein zugängliche Daten verbreitet, kann sich nach § 126a StGB strafbar machen, sondern auch, wer lediglich ohnehin schon frei verfügbare Informationen zusammenstellt und weitergibt. Dies kann zwar, je nach Kontext, Dritte dazu anregen, Straftaten gegen die betroffene Person zu begehen. Aus guten Gründen ist aber das Motivieren eines anderen Menschen zur Begehung von Straftaten sonst erst dann strafbar, wenn irgendeine Form von konkreter Einwirkung stattfindet (§§ 111, 26 StGB).

Interessant ist außerdem, dass die Generalstaatsanwaltschaft Dresden in ihrer Pressemitteilung angibt, auch wegen der Verwirklichung des Qualifikationstatbestands des § 126a Abs. 2 StGB zu ermitteln. Dieser ist dann erfüllt, wenn nicht allgemein zugängliche Daten verbreitet werden. Wo genau die Grenze zwischen allgemein zugänglichen und nicht allgemein zugänglichen Daten verläuft, ist unklar. Dass aber Informationen, die auf frei abrufbaren Internetseiten wie der des Sächsischen Richtervereins zu finden sind, allgemein zugänglich sind, wird kaum zu bestreiten sein. Auch eine Adresse des betroffenen Staatsanwalts in Grimma kann leicht herausfinden, wer „Vorname Nachname Staatsanwalt“ googelt. Nicht allgemein zugänglich könnte allenfalls die Information sein, dass ebendieser Staatsanwalt die vermummte Person auf dem vorher kursierenden Foto ist.

Verhältnismäßigkeit und polizeiliche Alternativen

Selbst wenn man den Tatbestand für erfüllt hält, ist fragwürdig, ob eine Wohnungsdurchsuchung wegen des Tweets von Pudding verhältnismäßig war. Eine Wohnungsdurchsuchung ist ein massiver Grundrechtseingriff, für den deshalb besonders strenge Anforderungen gelten. Insbesondere muss sie Erfolg versprechen, geeignete zusätzliche Beweismittel zu finden. Es darf auch kein milderes Mittel zur Verfügung stehen, das den Zweck gleichermaßen erfüllt. Wird der betreffende Post wie hier von einem öffentlich erreichbaren Account mit Klarnamen und Impressum abgesetzt, können schon von der Polizei gesicherte Beiträge als Beweismittel ausreichen.1) Ob die Durchsuchung in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat steht, kann angezweifelt werden – dies ist dann nicht der Fall, wenn lediglich die Verurteilung zu einer geringen Geldstrafe zu erwarten ist. Zumindest hätte dem Beschuldigten die Gelegenheit gegeben werden müssen, sein Handy freiwillig herauszugeben (Abwendungsbefugnis).2)

Zusätzlich zur (strafprozessualen) Wohnungsdurchsuchung wurde Pudding Ziel einer Gefährderansprache. Bei einer solchen weist die Polizei Gefahrverursacher*innen bzw. polizeirechtlich Verantwortliche schriftlich oder mündlich auf mögliche Folgen ihres Verhaltens hin. Anders als beim Begriff des “Gefährders” im Zusammenhang mit “terroristischen” Bedrohungen setzt die Gefährderansprache eine Gefahr im Sinne des Polizeirechts voraus, die auch von der betroffenen Person ausgehen muss.

Bei der “Gefährderansprache” handelt es sich um einen Realakt, der jedenfalls in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG eingreift und daher einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Überwiegend wird die Befugnis zur Durchführung einer „Gefährderansprache“ auf die polizeiliche Generalklausel gestützt, einige Bundesländer normieren sie auch als Standardmaßnahme (vgl. §§ 18b ASOG BE, 12a NPOG, 29 PolG BW). Letzteres erscheint unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten geboten. Die Landesparlamente stellen dabei auch einschränkende Vorgaben auf – etwa die Anwesenheit gesetzlicher Vertreter*innen bei Minderjährigen oder die Durchführung in Abwesenheit Dritter, um eine Stigmatisierung durch die polizeiliche Ermahnung zu vermeiden.

Nimmt man an, dass im Fall des sächsischen Sozialarbeiters Pudding zwar der Tatbestand des § 126a StGB nicht verwirklicht war, aber damit gerechnet werden konnte, dass er weitere Tweets absetzen würde, die Tatbestände wie §§ 111, 126a oder 140 StGB erfüllen oder den betroffenen Staatsanwalt anderweitig gefährden könnten, wäre eine solche Gefährderansprache wohl ein angemessenes Mittel gewesen und hätte zur Abwendung der Gefahr ausgereicht. Gerade, wenn es um kritische Äußerungen zur Arbeit der Strafverfolgungsbehörden geht, ist aber bei der konkreten Ausgestaltung einer solchen Maßnahme vor dem Hintergrund des hohen Gutes der Meinungsfreiheit behutsam vorzugehen. Ob dies beim Umstellen des Jugendzentrums “Alte Spitzenfabrik”, der Arbeitsstelle des Beschuldigten, durch Polizeikräfte der Fall war, erscheint zweifelhaft.

Gefahren durch mehrdeutige Staatskritik?

Ein Tweet mit einem Account mit knapp 3.000 Followern ist kein Selbstgespräch im Lift. Doch auch der moderne Mensch muss seiner Enttäuschung über die Staatsgewalt Ausdruck verleihen dürfen. Dass eine mehrdeutige Formulierung über Begegnungen in leeren Gassen zur Gefährdung hochrangiger Rechtsgüter führen soll, eignet sich wohl besser als Stoff für Kafkas Erzählungen denn als Interpretationslinie für deutsche Strafgerichte.

Der Fall Pudding zeigt innerhalb von kurzer Zeit zum zweiten Mal die Probleme von § 126a StGB auf. Der weite Tatbestand kann gerade im Kontext kontroverser politischer Diskussionen dazu führen, dass aus zugespitzten Äußerungen in Verbindung mit frei zugänglichen personenbezogenen Daten ein gefährdendes Verbreiten gefolgert wird. Die Kriterien der Eignung und Bestimmtheit führen kaum zu der rechtsstaatlich gebotenen Begrenzung des Tatbestands.