24 February 2022

Die Relevanz der inneren Einstellung

Zum Kriterium der „Ernsthaftigkeit“ rassistischer oder rechtsextremer Äußerungen von Beamt:innen

In der jüngeren Vergangenheit trat die freiheitliche demokratische Grundordnung (fdG) insbesondere wegen diverser Äußerungen von Beamt:innen verstärkt in den Mittelpunkt der Berichtserstattung nicht nur der rechtswissenschaftlichen Medien.

Zunächst wurde im Herbst 2020 ausführlich über die Durchsuchung von Dienststellen und Wohnungen diverser Polizist:innen aufgrund des Verdachts des jahrelangen Versendens von rassistischen und volksverhetzenden Inhalten über Messenger-Dienste sowie die diesbezügliche juristische Aufarbeitung berichtet. Dann entschied der Dienstgerichtshof für Richter beim Oberlandesgericht Stuttgart über die Entfernung des Bundestagsabgeordneten Thomas Seitz wegen diverser Verstöße gegen das Mäßigungsgebot und die Verfassungstreuepflicht aus dem Dienst als Staatsanwalt. Gegenwärtig wird insbesondere der rechtliche Umgang mit dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Richter Jens Maier diskutiert, nachdem sich zunächst Andreas Fischer-Lescano, danach insbesondere Klaus Ferdinand Gärditz, im Verfassungsblog und über Legal Tribune Online diesbezüglich positioniert hatten.

In all diesen Konstellationen geht es um verbale, schriftliche oder über die sozialen Netzwerke verbreitete Äußerungen von Staatsdiener:innen, die Zweifel an deren Bekenntnis zur fdG hervorrufen, oder sogar gegen diese gerichtet sind.

Der vorliegende Beitrag beleuchtet anlässlich dieser Ereignisse den rechtlichen Umgang mit Äußerungen, deren Interpretation auf den ersten Blick nicht ohne weiteres klar ist. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Frage nach der Relevanz der inneren Einstellung der sich äußernden Person gelegt.

Die beamtenrechtliche Verfassungstreuepflicht

Ausgangspunkt der Betrachtung ist die beamtenrechtliche Verfassungstreuepflicht. Diese Kernpflicht verkörpert nach herrschender Meinung einen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums gemäß Art. 33 Abs. 5 GG und fordert, dass sich Beamt:innen durch ihr gesamtes Verhalten zu der fdG im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten müssen.

Die fdG hat ihren Ausgangspunkt in der Würde des Menschen, dem Demokratieprinzip sowie dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit. Zu ihr sind nach dem BVerfG mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1, 13; BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, Rn. 531 ff.).

Bei den in der Praxis auftretenden Fällen geht es meistens um die Frage, ob die Verfassungstreuepflicht namentlich durch rassistische oder rechtsextreme Äußerungen verletzt wird. Die Begriffe Rassismus und Rechtsextremismus sind aufgrund der Vielzahl der verschiedenen Erscheinungsformen dieser Phänomene sowie der Tatsache, dass gerade der Übergang von Rassismus zu Rechtsextremismus häufig fließend ist, nicht leicht zu definieren. Im Februar dieses Jahres hat das Deutsche Institut für Menschenrechte im Rahmen einer Studie zur Frage, ob das Eintreten von Beamt:innen für die AFD mit der Verfassungstreuepflicht in Einklang zu bringen ist, beide Begriffe auf S. 14 ff. untersucht. Im Lichte dieser Studie und den diesbezüglichen Ausführungen in der Literatur1) kann der Rechtsbegriff Rassismus zusammengefasst verstanden werden als die diskriminierende Herabsetzung von Menschen aufgrund biologischer, ethnischer oder religiöser Merkmale mit dem Ziel, andere Menschen über diese zu stellen. Rechtsextreme Positionen demgegenüber zeichnen sich durch einen politischen Autoritarismus aus, der auf die Ablösung der fdG zielt, wobei die übersteigerte Betonung der Nation sowie ein autoritäres Denken, das die „Volksgemeinschaft“ über das Individuum stellt, im Vordergrund stehen.2)

Relevanz der inneren Einstellung

Die Relevanz der inneren Einstellung beziehungsweise der Persönlichkeit bei möglicherweise rassistischen oder rechtsextremen Äußerungen wird sowohl in Literatur3) als auch in der Rechtsprechung zu Recht immer wieder betont. So hat beispielsweise im Fall Thomas Seitz der DGH Stuttgart (hier Rn. 150 und Rn. 162) unter Berufung auf die Rechtsprechung des BVerwG ausgeführt, dass sich in einem äußeren Verhalten die innere Einstellung beziehungsweise Haltung offenbaren müsse. Entscheidend ist danach also nicht nur die äußere Handlung als solche, sondern stets auch die innere Einstellung der handelnden Person hierzu. Ferner hat in jüngerer Vergangenheit unter anderem das VG Düsseldorf (hier Rn. 20 f.) unter Berufung auf das OVG NRW in Bezug auf eine Tätowierung betont, dass es nicht nur auf den äußeren Eindruck ankomme, sondern auch darauf, ob dieser „Ausdruck der inneren Einstellung“ sei.

Bezüglich der Ermittlung dieser inneren Einstellung bei nicht eindeutigen Äußerungen ist richtigerweise auf die Gesamtumstände des jeweils in Rede stehenden Einzelfalles im Rahmen einer Gesamtschau abzustellen. Relevant können in diesem Zusammenhang neben dem bisherigen Werdegang der sich äußernden Person auch die Verbreitung und Wirkung der Äußerung sein, ebenso der sprachliche Kontext sowie die Begleitumstände.

Rechtlicher Umgang mit nicht eindeutigen Äußerungen

Als Folge der eingangs dargestellten Fälle kann eine entsprechende Sensibilisierung innerhalb von Behörden und Gerichten festgestellt werden, verbunden mit der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus im öffentlichen Dienst konsequent zu begegnen. Aufgrund dieser Sensibilisierung und Erwartungshaltung könnte namentlich in rechtlichen Grenzbereichen die Gefahr steigen, als Dienstherr oder Gericht eine Äußerung möglicherweise vorschnell als rassistisch oder rechtsextrem einzustufen, obwohl diese gar nicht als eine solche gemeint ist. Insbesondere die folgenden Konstellationen können diesbezüglich im Einzelfall relevant werden.

Parodien

Parodien stellen keinen Verstoß gegen die fdG dar. Hierbei sind Äußerungen, die gegebenenfalls auf den ersten Blick rassistisch oder rechtsextrem wirken, gerade auf ihr Gegenteil gerichtet, nämlich auf die Preisgabe der Lächerlichkeit solcher Einstellungen.

Das Hauptproblem besteht nicht selten darin, Parodien als solche zu erkennen. Wie schnell Dienstherren geneigt sein könnten, aufgrund des Erwartungsdrucks der Öffentlichkeit auf eine rechtsextreme Einstellung zu schließen, zeigt das Youtube-Video „Weihnachten mit Hitler“. In einer Chatgruppe wurde ein Bild aus besagtem Video geteilt, was der Dienstherr als ein Verhalten und eine innere Einstellung gegen die fdG wertete. Das VG Düsseldorf (hier Rn. 18) wies demgegenüber mit deutlichen Worten darauf hin, dass es sich bei Bild und Video um eine Parodie handele, was durch eine „verhältnismäßig kurzen Recherche im Internet“ deutlich geworden sei.

Der „geschmacklose Witz“

Juristisch noch herausfordernder dürfte der „geschmacklose Witz“ sein. Bei diesem geht es weniger darum, rassistische oder rechtsextreme Einstellungen der Lächerlichkeit preiszugeben, als vielmehr um eine nicht ernst gemeinte und vermeintlich humoristische Äußerung in Bezug auf rassistisches oder rechtsextremes Gedankengut oder Stereotypen. Dass diesem „geschmacklosen Witz“ rechtliche Relevanz zukommt, wird in der Rechtsprechung immer wieder angedeutet. So führte das VG Schleswig (hier Rn. 16) aus, dass beanstandungswürdig erscheinende Inhalte jedenfalls dann nicht als rassistisch oder rechtsextrem einzustufen seien, wenn sie lediglich harmlose „Geschmacklosigkeiten“ darstellen würden.

Die juristische Herausforderung beim „geschmacklosen Witz“ dürfte zunächst in der Beantwortung der Frage liegen, wann ein solcher überhaupt gegeben ist. Er wird richtigerweise zwischen einer keinen Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht darstellenden Parodie und einer ernst gemeinten rassistischen beziehungsweise rechtsextremen Äußerung anzusiedeln sein, wobei die Grenzen fließend sind. Zu klären ist stets, ob die gemachte Aussage (schon) Ausdruck einer rassistischen oder rechtsextremen Einstellung, oder (noch) eine nicht ernst gemeinte Äußerung ist, die lediglich der Erheiterung dienen soll, unabhängig davon, ob diese von einer dritten Person tatsächlich als witzig empfunden wird. Problematisch ist der „geschmacklose Witz“ nicht zuletzt deswegen, weil er häufig als Schutzbehauptung vorgeschoben werden dürfte. Der genauen Aufarbeitung des jeweiligen Einzelfalles kommt daher eine immense Bedeutung zu.

Die zweite Herausforderung in Bezug auf den „geschmacklosen Witz“ besteht in seiner rechtlichen Bewertung. Gerade bei Anwärter:innen im Widerrufsbeamtenverhältnis interpretiert die Rechtsprechung den „geschmacklosen Witz“ aufgrund der besonderen Verantwortung und Stellung aller Beamt:innen gegenüber der Allgemeinheit sowie des Ansehens der Institution des Beamtentums regelmäßig dahingehend, dass der sich äußernden Person die charakterliche Eignung abgesprochen wird. So führte beispielsweise das VG Gießen (hier Rn. 55) aus, dass von einem Polizeianwärter zu fordern sei, WhatsApp-Gruppen mit rassistischen oder rechtsextremen Inhalten nicht als lustig anzusehen.

Aber auch bei Lebenszeitbeamt:innen mag vor dem Hintergrund des öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses gemäß Art. 33 Abs. 4 GG manches dafür sprechen, den „geschmacklosen Witz“ in bestimmten Fällen zwar nicht als gegen die fdG gerichtet, wohl aber möglicherweise als Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht oder gegen das Mäßigungsgebot zu werten. Je näher der „geschmacklose Witz“ sich dabei im Einzelfall einer ernst gemeinten rassistischen beziehungsweise rechtsextremen Äußerung annähert, ohne diese Grenze eindeutig oder in beweisbarer Weise zu überschreiten, desto eher wird ein Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht anzunehmen sein. Für diesen Ansatz spricht die soweit ersichtlich herrschende Meinung, die einen Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht auch in den Fällen annimmt, in denen die sich äußernde Person zwar kein Gegner der fdG ist, aber durch ihr konkretes Handeln diesen Rechtsschein hervorruft.4) Entscheidend ist also, ob der Witz noch als harmlos anzusehen ist oder schon als eine Beeinträchtigung der Integrität des Beamtentums, was sensible Abgrenzungsprobleme bergen kann.

Beeinflussung durch das Umfeld

Einigkeit dürfte indes in den Fällen bestehen, in denen die sich rassistisch oder rechtsextrem äußernde Person durch ihr Umfeld beeinflusst wurde. So führt unter anderem das BVerwG (hier Rn. 39) aus, dass „ein Beamter nicht entgegen seiner inneren verfassungstreuen Gesinnung aus Solidarität zu Freunden, aus Übermut, aus Provokationsabsicht oder aus anderen Gründen nach außen hin verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützen und sich objektiv betrachtet illoyal verhalten darf“. Die innere Einstellung, nach der die sich äußernde Person eigentlich zur fdG bekennt, kann demnach jedenfalls dann nicht ins Gewicht fallen, wenn sie nach außen rassistische beziehungsweise rechtsextreme Bestrebungen eindeutig unterstützt. Ein solches Verhalten ist mit dem von der Verfassungstreuepflicht geforderten Eintreten für die fdG nicht mehr in Einklang zu bringen. Dies gilt neben den vom BVerwG aufgeführten Fällen richtigerweise auch in Bezug auf die hier relevanten Äußerungen von Beamt:innen, auch und gerade dann, wenn eine Beeinflussung von dritter Seite gegeben ist. Wer sich demnach nach außen eindeutig rassistisch und rechtsextrem äußert, verstößt auch dann gegen die Verfassungstreuepflicht, wenn nach innen das Bekenntnis zur fdG gegeben ist.

Zusammenfassung

Jedenfalls in den Fällen, in denen eine Äußerung nicht eindeutig als rassistisch oder rechtsextrem einzuordnen ist, kommt es auf die innere Einstellung der sich äußernden Person an. Gerade im Lichte der eingangs dargestellten Ereignisse sowie der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit darf ein Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht im Einzelfall nicht vorschnell bejaht werden. Vielmehr ist eine genaue Ermittlung und Bewertung der Umstände des konkret in Rede stehenden Sachverhalts unumgänglich. Hierbei könnten insbesondere die Fragen, ob (noch) ein „geschmackloser Witz“ gegeben und wie dieser im Einzelfall rechtlich einzuordnen ist, relevant werden.

References

References
1 Vgl. beispielsweise Ludyga, NJW 2021, S. 911 (913).
2 Vgl. dazu Jesse, Neue Kriminalpolitik, Jahrgang 29 (2017), S. 15 (17 ff. m.w.N.); Ludyga, ZUM 2020, S. 440 (443 m.w.N.).
3 Vgl. Masuch, ZBR 2020, S. 289 (291 m.w.N.).
4 Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.5.2001 – 1 DB 15/01, Rn. 37 – juris; Herrmann/Sandkuhl, Beamtendiszipli-narrecht, Beamtenstrafrecht, 2. Aufl. 2021, Teil 2, § 10, Rn. 925 m.w.N. in Fn. 2236.

SUGGESTED CITATION  Nitschke, Andreas: Die Relevanz der inneren Einstellung: Zum Kriterium der „Ernsthaftigkeit“ rassistischer oder rechtsextremer Äußerungen von Beamt:innen , VerfBlog, 2022/2/24, https://verfassungsblog.de/innere-einstellung/, DOI: 10.17176/20220225-001400-0.

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