09 September 2024

Institutioneller Rassismus in der Justiz

Nährboden für die Strategie autoritär-populistischer Parteien

Asylklagen vor dem Verwaltungsgericht (VG) in Gera sind bisher selten erfolgreich gewesen. Der ehemals zuständige Richter, Bengt Fuchs, steht unter Verdacht, seine richterliche Unabhängigkeit missbraucht zu haben. Er lehnte Klagen von Geflüchteten aus Nigeria und Eritrea deutlich häufiger ab als seine Kolleg*innen im Bundesdurchschnitt.

Rassismus in der Justiz ist ein Nährboden für die Strategie autoritär-populistischer Parteien, ihre Erzählung vom „wahren“, weißen Volk Wirklichkeit werden zu lassen – unter dem Deckmantel der Rechtsstaatlichkeit. Versuche, diesen Nährboden zu entziehen, gibt es kaum, und die, die es gibt, sind selten erfolgreich. Rassistische Diskriminierung trifft in Thüringen Black People und People of Colour (BPoC), also diejenigen, die das Diskriminierungsverbot (Art. 3 GG, hier Abs. 3 S. 1) schützen soll. Rassistische Diskriminierung ist illegal. Und doch institutionalisiert sie sich genau da, wo Recht gegen Diskriminierung wirken soll – vor Gericht. Institutioneller Rassismus gefährdet die politische Gleichheit aller Bürger*innen und dient damit der autoritär-populistischen Strategie. Es braucht deshalb dringend mehr Forschung und einen rassismussensiblen Bewusstseinswandel in der Justiz.

Die Kehrseite der richterlichen Unabhängigkeit

Werfen wir einen Blick in den Gerichtssaal des VG Gera. Stellen wir uns vor, wie Destiny (Nachname unbekannt), der aus Nigeria geflohen ist, weil er wegen seiner Homosexualität Gewalt erfahren hat, Richter Fuchs gegenübertritt. Es geht um die Zuerkennung von Destinys Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte Destinys Asylantrag abgelehnt, dagegen klagt er. Ohne Erfolg: Er kann Fuchs nicht davon überzeugen, dass er schwul ist – und somit auch nicht darlegen, dass ihm in Nigeria deswegen Verfolgung droht. Fuchs’ Urteile sind oft aus denselben Textbausteinen vermeintlich „neutraler“ juristischer Formulierungen zusammengesetzt; die Vorträge der Kläger*innen seien „vage“, „detailarm“ und „unsubstantiiert“, daher unglaubhaft und unbegründet. Missbraucht Fuchs hier seine Unabhängigkeit?

Richter*innen wird in der Verfassung ein weitreichender Entscheidungsspielraum zuerkannt. Dieser ist sinnvoll, kann jedoch nicht zu rechtfertigende Diskriminierungen hinter scheinbar neutral und formal-juristischen Formulierungen verstecken. Und wo der Missbrauch richterlicher Unabhängigkeit anfängt und aufhört, ist rechtlich nicht im Einzelnen festgelegt.

Für die Zwecke unseres Textes definieren wir den Missbrauch rechtlicher Unabhängigkeit, in Anlehnung an den Begriff des Rechtsmissbrauchs, wie folgt: Ein Missbrauch richterlicher Unabhängigkeit liegt vor, wenn Richter*innen diese Unabhängigkeit in einer Weise nutzen, die dem Zweck dieser Unabhängigkeit (neutral, also möglichst unvoreingenommen Recht zu sprechen) widerspricht. Mit Missbrauch meinen wir nicht die äußere Einflussnahme auf Richter*innen, sondern, dass Richter*innen persönliche Voreingenommenheiten wie rassistische biases in Urteile übersetzen – und so eben nicht neutral Recht sprechen.

Eine absolute Unvoreingenommenheit von Richter*innen gibt es nicht: Auch Richter*innen können sich rassistischen gesellschaftlichen Annahmen (z.B. Stereotypen oder diskriminierenden Kategorien) nicht entziehen. Aber sind sie sich ihrer biases bewusst, können sie sich bemühen, sich in ihren Entscheidungen nicht von diesen biases leiten zu lassen und möglichst neutral zu urteilen.

Biases von Richter*innen werden öffentlich selten diskutiert. Das liegt zum einen daran, dass sie nicht leicht erkannt werden, zum anderen daran, dass die Legitimität richterlicher Entscheidungen geschützt werden soll – damit die Bürger*innen nicht ihr Vertrauen in die Institutionen der Demokratie verlieren. Die „Unantastbarkeit“ der richterlichen Unabhängigkeit hat aber eine Kehrseite: Rassistische Diskriminierung im Gerichtssaal bleibt unentdeckt, unbesprochen und wird so von staatlicher Stelle legitimiert. Im Folgenden zeigen wir, dass davon am Ende autoritäre Populist*innen profitieren.

Auch die Justiz institutionalisiert Rassismus

Dass man bei Fuchs „keinen Blumentopf gewinnen“ kann, ist seit Jahren bekannt. Ein „Bengt-Christian Fuchs, Salia Jenensis Göttingen“ hatte sich im Internetforum „Tradition mit Zukunft“ jahrelang rassistisch, homophob, antiziganistisch und sexistisch geäußert. Erst im Juli dieses Jahres, nachdem die Antifa Freiburg die Posts öffentlich kritisierte, wurde ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet. Fuchs’ Urteile verdeutlichen, wie autoritär-populistisch gesinnte Richter*innen urteilen und unter dem Deckmantel der richterlichen Unabhängigkeit gegen BPoC vorgehen (könnten). Damit stützen sie die Strategie autoritär-populistischer Partei, das konstruierte, homogene, (im Fall Thüringens) weiße Volk politische Wirklichkeit werden zu lassen. Im Falle rassistisch restriktiver Asylrechtsprechung werden BPoC aus der Gesellschaft ausgeschlossen – so wird das völkische Ideal autoritärer Populist*innen nach und nach Wirklichkeit.

Paradoxerweise kann eine autoritär-populistische Partei ein Disziplinarverfahren wie das gegen Fuchs zugleich nutzen, um ihre populistische Erzählung von den „korrupten“ etablierten Parteien zu stärken. Dieses Verfahren sei – so würde es die autoritär-populistische Partei dann sagen – ein Schlag gegen die richterliche Unabhängigkeit von Fuchs, ein Schlag gegen den Rechtsstaat und damit gegen das „Volk“. Diejenigen, die ein solches Verfahren anstrengten, seien die eigentlichen Autoritären. Das heißt: Selbst in einem Szenario, in dem eine autoritär-populistische Partei von rassistisch diskriminierenden Urteilen in Asylprozessen profitiert, kann und wird sie der „Elite“ undemokratisches Verhalten vorwerfen und sich selbst als einzig wahre Vertretung des „Volkes“ darstellen.

Das Verfahren zu Bengt Fuchs wird öffentlich als Einzelfall gehandelt. Ebenso die Verfahren gegen Jens Maier (ehemaliger Richter am Landgericht Dresden), Thomas Seitz (ehemaliger Staatsanwalt) und Birgit Malsack-Winkemann (ehemalige Richterin am Landgericht Berlin). Sie alle fielen durch rassistische Äußerungen auf.

Der rassistische bias des „objektiven Betrachters“

Rassistische Motive einzelner Richter*innen in der Urteilsfindung stehen nicht für sich allein. Sie sind Ausdruck rassistischer biases und als solche immer auch „Ausdruck des strukturellen Rassismus in der Gesellschaft“, also dem Wissen und der Praktiken, „die rassistische Ausschlüsse aus einer Gesellschaft (re-)produzieren“.1) Wenn Institutionen und Organisationen strukturellen Rassismus durch ihre Arbeit gesellschaftlich produzieren und verankern, nennt man das in der Rassismusforschung institutionellen Rassismus.

Ein Beispiel: Das umstrittene Kopftuchverbot für Referendar*innen und Richter*innen institutionalisiert Rassismus, indem es rassifizierte Personen unmittelbar benachteiligt. Daran ändert auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der das Verbot für zulässig erklärt, nichts. Das Gericht argumentierte wie folgt: Wenn Beamt*innen religiöse Symbole im richterlichen Dienst tragen, dann begründe das für sich allein noch keine Zweifel an ihrer Neutralität. Ein „objektiver Betrachter“ – hier: die imaginierte (!) Allgemeinheit – könnte ein Kopftuch aber als „Beeinträchtigung der weltanschaulich-religiösen Neutralität“ (Rn. 90) von Staatsdienenden verstehen. Deswegen ordnet das Gericht die Hijab-tragende Referendarin nicht in die Kategorie „neutral“ ein und verwehrt ihr so den Zugang zum Amt, wider den in Art. 33 GG bestimmten Grundlagen des Beamtenrechts.

Der „objektive Betrachter“, an dem sich das Bundesverfassungsgericht in seinen Kopftuch-Entscheidungen so maßgeblich orientiert hat, steht stellvertretend für die Perspektive der Mehrheitsgesellschaft. Diese Perspektive gilt häufig als „neutral“ und „objektiv“ – dabei ist sie imaginiert und gesteht weißen Menschen die Deutungshoheit zu. Mit anderen Worten: Was für die vom Gericht imaginierte weiße Mehrheitsgesellschaft „normal“ ist, wird in den Kopftuch-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (insb. 2017) „neutral“ und „objektiv“. Schon Richter*innen, die Neutralität und Normalität verwechseln, institutionalisieren Rassismus in der Justiz.

Anzunehmen, von den Kopftuch-Entscheidungen wären nur Hijab-tragende Referendarinnen und Richterinnen betroffen, ist zu kurz gedacht. Die Justiz trägt die Rassismen, die sie (re)produziert und institutionalisiert, als legitimierte Kategorien oder Deutungen zurück in die Öffentlichkeit. So normalisierten die Kopftuch-Entscheidungen die paternalistische Deutung, kopftuchtragende Frauen seien unterdrückt.

Autoritär-populistische Parteien sind auf Deutungen angewiesen, die ihr rassistisches Programm normalisieren. Haben sie die Demokratie noch nicht in ein autoritäres System verwandelt, brauchen sie Wähler*innen, die ihnen (erneut) politische Entscheidungsmacht übertragen. Julia Leser hat bereits darauf hingewiesen, dass sich autoritär-populistische Parteien aktiv darum bemühen, rechte Wohlfühlräume zu schaffen, um rassistische Einstellungen gesellschaftlich akzeptabel zu machen. Sie nennt die Normalisierungs-Spirale von Rassismen „Mikropolitik des Rechtsrucks“ und zeigt, dass auch demokratische Akteur*innen strukturellen Rassismus popularisieren und institutionalisieren.

Auf dem Weg zu einer Gesellschaft, in dem eine autoritär-populistische Partei das „Volk“ zum „wahren Volk“ macht, ist ein sich institutionalisierender Rassismus ein zentraler Schritt. Er festigt die populistische Erzählung, „die anderen“ (rassifizierten Personen) würden nicht „zu uns“ gehören. Es stärkt den Mythos vom homogenen Volkswillen, wenn die imaginierte, angeblich neutrale, weiße, homogene Mehrheitsgesellschaft einer rassifizierten Minderheit gegenübersteht. Bestes Beispiel ist Viktor Orbán, der bestehende rassistische Erzählungen in der ungarischen Gesellschaft nutzt, um seine Anti-Flüchtlings-Politik aufzubauen2) und zugleich ein ethnisch-nationalistisches ungarisches Volk zu konstruieren.

Von der versprochenen zur wirklichen Gleichheit

Die Verantwortung, Rassismus abzuschaffen, liegt bei denen, die nicht rassifiziert werden und von rassistischen Strukturen profitieren – nicht bei den Betroffenen. Auffällig oft kümmern sich ausschließlich zivilgesellschaftliche Organisationen in der Anti-Rassismus-Arbeit darum, rassistische Verdachtsfälle in der Justiz aufzuarbeiten.

Hier braucht es dringend empirische, interdisziplinäre Forschung zu institutionellem Rassismus in der Justiz. Erst, wenn Jurist*innen ihren individuellen, sowie den strukturellen und institutionellen Rassismus in der Justiz nicht mehr negieren, sondern als real stattfindende Diskriminierung anerkennen, kann die Justiz ihr defizitäres Rassismus-Verständnis überwinden. Nur dann wird sie ihrem verfassungsrechtlichen Auftrag gerecht, Diskriminierungsverbote zu wahren und faire Verfahren zu gewährleisten. Nur dann wird die im Gesetz versprochene Gleichheit auch zu wirklicher Gleichheit.

Es braucht in Deutschland (aber auch darüber hinaus) Forschungsprojekte, die aus antirassistischer, feministischer und dekolonialer Perspektive empirisch untersuchen, wie Recht ausgehandelt wird und wie es in der Rechtsrealität auf bestimmte Personen(gruppen) wirkt. Mit kritischer und interdisziplinärer Forschung vermessen wir den Nährboden für autoritäre Populist*innen.

Um tatsächliche Veränderung zu bewirken, müssen wir an die Wurzel gehen. Ein Anfang wäre eine diverser besetzte Justiz. Die meisten Jurist*innen in Deutschland, die Themen setzen und Diskurse bestimmen, die die sogenannte „Mehrheitsmeinung“ oder „herrschenden Meinungen“ prägen, sind selbst weiß. Rechtswissenschaftler*innen haben beschrieben, wie sich diese „Norm“ nicht nur bei Jurist*innen, sondern auch in der Gesellschaft festsetzt und damit den Zugang zu juristischen Berufen einschränkt. Fehlende Diversität (re)produziert sich also selbst – und festigt die Wurzeln ausgrenzender Strukturen. Auch gesellschaftliche Normalitätsannahmen übersetzen sich durch institutionellen Rassismus in die Besetzung des Rechtsstabs: Eine Hijab-tragende Rechtsreferendarin gilt grundsätzlich als nicht neutral, obwohl sich in ihrer juristischen Arbeit keine Anhaltspunkte dafür finden; ein Richter, der sich rassistisch äußert, gilt dagegen schon als neutral.

Positive Maßnahmen, die bestehende rassistische Benachteiligung beseitigen, lassen sich durchaus mit dem GG vereinbaren. Affirmative action entspricht dem Zweck der Diskriminierungsverbote aus Art. 3 GG und ist daher verfassungsrechtlich zulässig – wenngleich nach jetziger Rechtslage nicht verpflichtend. In der Praxis könnte affirmative action auf Quotenregelungen zur Besetzung von staatlichen Ämtern und Rassismus-Awareness-Fortbildungen für Richter*innen zielen. Um tatsächliche Veränderungen herbeizuführen, müsste bereits beim Zugang zur juristischen Ausbildung angesetzt werden (ungleiche Voraussetzungen für BPoC beschreiben Liebscher et al. hier).

Hätte es vor Destinys Klage mehr Forschung zu Rassismus in der Justiz und darauf basierend affirmative action gegeben, wäre er Richter Fuchs womöglich niemals begegnet. Fuchs‘ Spruchpraxis wäre früher als rassistischer Verdachtsfall aufgefallen, ein Disziplinarverfahren deutlich früher eingeleitet worden. Wie es Destiny seit Fuchs‘ Urteil ergangen ist, wissen wir nicht.

Was wir aber wissen: Wer daran interessiert ist, unsere rechtsstaatlichen Grundprinzipien zu erhalten, die für die wehrhafte Demokratie konstitutiv sind, muss Rassismus in der Justiz kritisieren. Nicht die Gesellschaft, die im Einzelfall an der Unabhängigkeit richterlicher Entscheidungen zweifelt, gefährdet die Demokratie. Sondern die Gesellschaft, die institutionellen Rassismus (und andere Formen von Diskriminierung) schweigend legitimiert. Reproduziert die Justiz weiter rassistische Kategorien, bewusst oder unbewusst, profitieren am Ende vor allem diejenigen, die kein Interesse daran haben, dass der Rechtsstaat funktioniert: autoritäre Populist*innen.

References

References
1 Bögelein, N. and Rezene, D. (2023) „Zeigt sich im Gerichtssaal Institutioneller Rassismus? Hinführende Überlegungen zu einem Forschungsprojekt“, Neue Kriminalpolitik, 35(4), 528–544, S. 531.
2 Pichl, M. (2024) ‘Of “bulwarks” and “sacred borders”. Authoritarian refugee policies in Europe’, in Drivers of Authoritarianism: Paths and Developments at the Beginning of the 21st Century. Cheltenham, UK; Northampton, Massachusetts: Edward Elgar Publishing Limited, 220–237, S. 227.

SUGGESTED CITATION  Alwan, Hilal, Beck, Hannah Katinka; Schmieta, Paula: Institutioneller Rassismus in der Justiz: Nährboden für die Strategie autoritär-populistischer Parteien, VerfBlog, 2024/9/09, https://verfassungsblog.de/institutioneller-rassismus-justiz/, DOI: 10.59704/12274faff2b78ee1.

6 Comments

  1. Michael Schneider Mon 9 Sep 2024 at 19:32 - Reply

    Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass ausgerechnet jene Milieus, die sich ansonsten mit aller Vehemenz gegen Stereotype und Pauschalurteile stellen, keine Hemmungen haben, der Justiz oder der Gesellschaft in größtmöglicher Pauschalität “strukturellen” oder “institutionellen” Rassismus zu unterstellen.

    Wie würden die Autorinnen wohl reagieren, wenn eine Partei dafür plädieren würde, Muslime regelmäßig zu “Islamismus-Awareness-Fortbildungen” zu schicken? Vermutlich wären sie zu Recht empört. Das Gleiche sollte dann allerdings auch für hier geforderten “Rassismus-Awareness-Fortbildungen” für Richter gelten. Diese dürften ohnehin nicht mit der richterlichen Unabhängigkeit zu vereinbaren sein. Falls der Vorschlag für verpflichtende Fortbildungen für Richter von einer “autoritär-populistischen” Partei gekommen wäre, würden die Autorinnen das mit Sicherheit auch so sehen.

    Verfassungswidrig ist schließlich auch die geforderte Quotenregel, hierzu sei auf Majer/Pautsch, ZAR 2020, 414 verwiesen.

  2. Kingsley Wed 11 Sep 2024 at 12:43 - Reply

    Woher weiß ich, ob ich auch rassifiziert werde? Die juristische Ausbildung hat mich immer diskriminert.

  3. C. Lange Thu 12 Sep 2024 at 21:42 - Reply

    Liebe Autorinnen,

    die Thematik, die Sie in Ihrem Artikel publizistisch bearbeiten, ist sicherlich rechtstheoretisch sehr interessant und würdig genug, Forschungsansatz zu sein.
    Was mich inhaltlich stört, ist der Umstand, dass Sie mut Ihrem Artikel “alten Wein in neue Schläuche” füllen und dabei – von Juristinnen sollte man da mehr Unterscheidungskraft und Detailtreue verlangen können – unreflektiert Angaben Dritter als Tatsachen ausgeben.
    Gegen Bengt Fuchs wurde nie ein Disziplinarverfahren wegen seiner Spruchpraxis als Richter, sondern wegen vermeintlich ihm zuzuschreibender Äußerungen übler Art in Foren eröffnet. Alles Andere wäre mit Verfassungsgrundsätzen schwerlich zu vereinbaren.
    Und der Fall Destiny ist wenig tauglich, auf Ressentiments in der Spruchpraxis von Fuchs rückzuschließen, ebenso wenig wie Statistiken. Das wäre keine gute wissenschaftliche Praxis. Der Fall Destiny könnte ja gerade dadurch geprägt sein, dass dem Herrn unter Berücksichtigung seines Vortrags zu seinen Fluchtgründen schlicht unter dem geltenden Recht “von Rechts wegen” keine Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen war und dies nicht Ergebnis eines Prozesses von rassistischer Voreingenommenheit war. Dafür spricht immerhin, dass sowohl das BAMF als auch das Oberverwaltungsgericht zum selben Ergebnis wie Richter Fuchs kamen. Ist nun also eine geltendes Asylrecht umsetzende Behörden- und Richterspruchpraxis per se rassistisches Unrecht, weil wir Mitleid mit den Klägern haben oder die Auffassung vertreten, Asyl sei immer und ausnahmslos zu gewähren? Das wäre ja wohl auch ein Trugschluss!

    Herzlichst,
    C. Lange (Richter am VG a.D.)

  4. Roxy Tue 17 Sep 2024 at 18:15 - Reply

    Was für ein furchtbarer Artikel. Leider in doppelter Hinsicht. Teilweise mag es auf die im Artikel geschilderten Zustände zutreffen, vor allem furchtbar ist aber die Qualität des Artikels.

    1.
    Die Idee, den Nachweis eines “Missbrauchs der richterlichen Unabhängigkeit” durch eine Statistik zu führen, wie oft die Entscheidungen des Richtters vom bundesdurchschnitt abweichen, gleicht juristischer Astrologie. Eine unwissenschaftliche Methode, die von vornherein keinerlei Aussagekraft hat.
    Wenn Sie den Nachweis führen wollen, dass Richter Fuchs häufig Fehlurteile spricht, müssten sie die Aufhebungsquote seiner Urteile in der nächsten Instanz heranziehen. Das hätte aber – Gott bewahre – eine eigene Recherche erfordert, während sich die Abweichung der Erfolgsquote der Klagen vom Bundesschnitt bequem aus dem im ersten Absatz verlinkten Artikel des MDR abschreiben ließ. Nur, was beweist es? Nichts.
    Zu der tatsächlich relevanten Aufhebungsquote findet sich im Artikel kein Wort. Im Kommentar des Nutzers C. Lange findet sich aber der interessante Hinweis, dass ausgerechnet das zum Paradebeispiel erkorene Urteil im Verfahren “Destiny” in der nächsten Instanz Bestand hatte. Viel heiße Luft, keine Substanz.

    2.
    Nicht hinnehmbar ist es auch, wenn die Verfassserinnen für ihre Behauptung, eine Quotenregelung [für PoC*] bei der Besetzung von Richerstellen sei eine zulässige affirmative action eine Quelle anführen, in der genau das Gegenteil steht!
    In dem verlinkten PDF-Dokument der Antidiskriminierungsstelle des Bundes heißt es auf S. 18: “Aber auch der Berücksichtigung der ethnischen Zugehörigkeit (…) steht zunächst Art. 3 Abs. 3 S. 1 entgegen.”
    Sie können ja gerne der Rechtsansicht sein, eine solche Quotenregelung sei zulässig. Aber missbrauchen Sie bitte nicht Autoren als Stütze für ihre eigene Rechtsansicht, die das Gegenteil sagen. Derartige “Belege” anzugeben ist unredliches wissenschaftliches Arbeiten.

    *Dass Quoten zu Gunsten von PoC gemeint sind, wird zwar nicht ausdrücklich im Artikel so gesagt, sondern nur allgemein von Quoten gesprochen, es geht aber aus dem Zusammenhang hervor, dass dies gemeint ist.
    Der verlinkte Artikel hält beispielsweise Maßnahmen zu Gunsten von Behinderten für möglich, weil in Art. 3 Abs. 3 GG insoweit kein Bevorzugungsverbot genannt ist – im Unterschied zur Ethnie, wegen der niemand benachteiligt oder bevorzugt werden darf.

  5. Skeptiker Sat 28 Sep 2024 at 21:16 - Reply

    Das Problem besteht auch darin, dass hier ein Konstrukt geschaffen wird, das einer strengen wissenschaftlichen Analyse nicht standhält. Bereits die Tatsache, dass das genaue Kriterium, anhand dessen die Nullhypothese verworfen wurde, nicht transparent ist, ist bezeichnend. Anders formuliert: Welche Bedingungen müssten erfüllt sein, um behaupten zu können, unsere Gesellschaft sei insgesamt frei von Rassismus?

    Ein derartiges Vorgehen schadet meiner Ansicht nach dem tatsächlichen Kampf für Gerechtigkeit erheblich, da nicht nur der kritische Leser, sondern letztlich auch ein grosser Teil der Bevölkerung “vergrault” wird. In diesem Zusammenhang sei auch das Konstrukt des “institutionellen Rassismus” erwähnt.

    Der Begriff des Rassismus wird hier plötzlich amorph und in erheblichem Masse ausgeweitet—auf Phänomene, die allgemein als Nebenprodukt der Fehlbarkeit der menschlichen Mustererkennung betrachtet werden können. Mit anderen Worten: Bereits Stereotype oder unbewusste Assoziationen als Rassismus zu bezeichnen, stellt eine erste Überdehnung des Begriffs dar.

    Es wird voreilig angenommen, dass es sich hierbei um etwas Institutionelles handelt, also mindestens um konkrete informelle Spielregeln einer Gesellschaft, die die Anreizstrukturen für das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenleben bestimmen. Man konstruiert somit ein “System” aus Einzelfällen und Korrelationen, ohne wesentliche Kofaktoren zu berücksichtigen oder tatsächlich nachzuweisen, dass eine solche institutionalisierte Verbindung zwischen diesen Einzelfällen existiert.

  6. Eduard Starcic Mon 30 Sep 2024 at 01:47 - Reply

    Liebe Autorinnen, vielen Dank für die, von Ihnen vertretende Sichtweise über die Situation in der Justiz. Ich behaupte, viele richterliche Entscheidungen geschehen unter einem gewissen Druck, welcher sich aufgrund unterschiedlicher politischer Entscheidungen einzelner europäischer Länder, in Bezug auf die Einwanderungspolitik aufgebaut hat und sicherlich, weiterhin aufbauen wird. Die europäische Demokratie steht in Bezug auf das Thema Einwanderungspolitik gerade deshalb unter Druck, weil die Entscheidungen in den europäischen Ländern bezüglich der Frage oft unterschiedlich ausfallen. Die Sichtweisen eines Landes wie Ungarn werden z.B. in Frankreich oder Deutschland nicht gerne vertreten. Apropos Deutschland, die Vielfalt von politischen Meinungen ist bereits vorhanden. So werden auch die Richter in den jeweiligen Ländern und auch in Deutschland bei ihren Entscheidungen, sie wollen oder nicht, indirekt beeinflusst. Auch wenn die Tendenz spürbar ist, dass es zu einem einheitlichen Konsensus in Europa kommen könnte, ist auch die Befürchtung spürbar, dass die einheitliche Antwort auf diese Frage etwas anders ausfallen würde, als die freiheitliche demokratische Grundordnung es vorsieht. Es muss im gleichen Atem ausgesprochen werden, dass bereits die Tendenzen einer solchen Sichtweise in Europa lauter wird (wie eben in Ungarn). Am Ende möchte ich noch auf Ihren Satz hinweisen, ich zitiere: “Um tatsächliche Veränderung zu bewirken, müssen wir an die Wurzel gehen. Ein Anfang wäre eine diverser besetzte Justiz. ” Meine Frage: Sind Sie sich wirklich sicher, dass Sie die wahre Wurzel damit treffen würden? Wir können in gesamt Europa bereits eine Distanzierung von traditionellen demokratischen Werten spüren. Wir erleben die politischen Entscheidungen, die oft mit großer Mühe erarbeitet wurden, aber nur eine kurzfristige, und keine optimale Lösung für die Zukunft anbieten. Liebe Autorinnen, wenn ich Ihnen mitteilen darf, ich bin der Meinung, dass sich die Wurzel von der Sie sprechen tiefer in den Menschen befinden und dass die Hoffnung, diverse Richter würden durch ihre Entscheidungen diesen Prozess beeinflussen und vielleicht umkehren, vergebens ist. Was die Justiz braucht ist eine Politik, die unumstritten und in Einheit die demokratischen Werte vertritt. Dafür bedarf es Vernunft-aufgeklärte Politiker. Warum erinnern manche politische Entscheidungen an Entscheidungen unter Folgen einer Kognitiven Dissonanz? Meine Meinung nach ist das wegen der Grundüberzeugung, die sich durch die weltlichen Zustände durch Jahrzehnte langsam aber sicher, verändert hat. Das heißt, wir werden uns wohl mit den Grundfragen beschäftigen müssen. An was glauben wir heute? Welche Zukunft und wovon hängt diese Zukunft ab? Wie lässt sich der Freiheitsbegriff heute in der Demokratie verstehen? Und einige Fragen mehr. Lieben Gruß, Eduard

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