09 February 2017

Kein Staatsgeld für die NPD, dafür ein Loch in der Verfassung

Der Bundesrat will morgen in erster Lesung über einen Gesetzentwurf aus Niedersachsen und zwei Entschließungsanträge aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland entscheiden, die alle den gleichen Gegenstand haben: der verfassungsfeindlichen, aber nicht -widrigen NPD die staatliche Parteienfinanzierung wegzunehmen.

Über das Ziel dieser Vorstöße ist Konsens vermutlich schnell erzielt. Über die avisierten Mittel aber nicht. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Ich halte insbesondere den Vorstoß aus Niedersachsen für eine handfeste Gefahr für den liberalen demokratischen Verfassungsstaat Deutschland.

Der niedersächsische Entwurf sieht vor, das Grundgesetz zu ändern und den Parteien-Artikel 21 um zwei Sätze zu ergänzen: In Abs. 1 soll die staatliche Teilfinanzierung der Parteien explizit konstitutionalisiert werden. Und Abs. 3 (bisher: “Das Nähere regeln Bundesgesetze”) soll folgenden Zusatz erhalten:

Parteien, die Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland verfolgen, können auf Grund eines Gesetzes von der staatlichen Teilfinanzierung der Parteien ausgeschlossen werden.

Das passiert in dem niedersächsischen Entwurf, indem § 18 Abs. 1 des Parteiengesetzes einen gleichlautenden Zusatz erhält. Die Formulierung “Bestrebungen … verfolgt” macht klar, dass die Partei nicht unbedingt, wie in Art. 21 Abs. 2 GG für das Parteiverbot verlangt, auf die Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung “ausgehen” muss, was laut NPD-Urteil bekanntlich die “Potentialität” genannte reale Aussicht auf Erfolg ihrer verfassungsfeindlichen Bestrebungen impliziert, sondern sie muss diese Bestrebungen nur “verfolgen”. Was die NPD, wie wir spätestens seit dem 17. Januar wissen, ganz klar tut.

Das Problem liegt aber nicht beim Tatbestand. Sondern beim Verfahren.

Wer bestimmt nach dem niedersächsischen Entwurf darüber, ob eine Partei solche Bestrebungen verfolgt? Das ist dann wohl der Bundestagspräsident, der die Gelder, auf die die Parteien Anspruch haben, festlegt. Er prüft als erstes die Anspruchsberechtigung, und wenn er findet, dass eine Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt, dann verneint er sie. Dagegen kann die Partei dann Rechtsmittel einlegen, und zwar nach dem niedersächsischen Entwurf vor dem Bundesverwaltungsgericht in erster und letzter Instanz.

Die bloße Existenz eines solchen Verwaltungsverfahrens wäre schon ein irreparabler Schaden für die Verfassungsordnung der Bundesrepublik. Wer Zuständigkeiten schafft, der schafft Verantwortungen. Der Bundestagspräsident hätte künftig als Teil der exekutiven Staatsgewalt (der er insoweit ist) künftig eine Differenzierungsentscheidung zu treffen, welche Parteien am Maßstab der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gemessen in Ordnung gehen und welche nicht. Die Staatsgewalt, die vom Volke ausgeht (Art. 20 Abs. 1 GG), hätte die Willensbildung desselben Volkes (Art. 21 Abs. 1 GG) zu filtern – da schlingt sich die Legitimationskette, an die das Demokratieprinzip die Staatsgewalt legt, doch um ihren eigenen Hals. Irreparabel wäre dieser Schaden deshalb, weil er ihr ja vom verfassungsändernden Gesetzgeber zugefügt würde, gegen den diesseits von Art. 79 III GG kein verfassungsgerichtliches Kraut gewachsen ist.  Das stünde dann in der Verfassung! Da käme man, außer durch ein präzedenzloses und keineswegs leicht begründbares Verfassungswidriges-Verfassungsrecht-Urteil aus Karlsruhe, kaum jemals wieder runter.

Das wäre auch mitnichten nur ein verfassungsästhetisches Problem für Feinschmecker der Demokratietheorie. Das hätte ganz handfeste politische Auswirkungen. Eine solche Zuständigkeit in der Hand des Bundestagspräsidenten wäre ein politisches Tool, und in Anbetracht der Zeiten, in denen wir uns befinden, würde ich es für naiv halten, sich darauf zu verlassen, dass die Politiker_in, die dieses Tool in die Hand bekommt, sich dann nicht schon auch mal überlegen würde, was man damit so alles anstellen kann. Eine kleine Pressemitteilung, man “prüfe”, ob die AfD die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 S. 2 PartG erfülle…? Ein Fernsehinterview, wo man besorgt die Stirn in Falten legt und sagt, natürlich ohne dem Ergebnis der Prüfung vorweg greifen zu wollen, dass ganz abstrakt die Freiheit der Feinde der Freiheit Grenzen haben müsse und Herr Höcke doch zweifellos immer wieder sehr problematische Dinge sage…?

Das wäre nicht so schlimm, würde es nicht exakt der Strategie der Selbstviktimisierung, mit der AfD den größten Teil ihrer Öffentlichkeitsarbeit bestreitet, in die Hände spielen. Das sind die Methoden des Establishments – da sieht man mal! The system is rigged! Die Altparteien verteidigen ihre Pfründe mit allen Mitteln! Die Social-Media-Manager der AfD hätten den Spaß ihres Lebens.

Wer das noch nicht glaubt, möge sich vorstellen, wie es ein paar Meilen down the road aussieht, wenn vielleicht irgendwann die AfD den Bundestagspräsidenten stellt (ausgeschlossen? wirklich?).

Nein: was verfassungsfeindlich ist und was nicht, gehört nicht ins Verwaltungsrecht. Das gehört ins Verfassungsrecht. Das Bundesverfassungsgericht ist die einzige Institution, die eine solche Entscheidung fällen kann (was man dort wenig überraschenderweise genauso sieht, wie Richter Peter Müller, Berichterstatter im NPD-Verbotsverfahren, neulich bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung verriet).

Zumal man das gleiche Ziel auch auf viel weniger problematische Weise erreichen könnte: die Streichung der Parteienfinanzierung als Hilfsantrag im Parteiverbotsverfahren verankern für den Fall, dass eine Partei – wie die NPD – alle Tatbestandsmerkmale der Verfassungswidrigkeit erfüllt außer halt das der Potenzialität. Das kann man machen.

Die Bundesländer haben mit ihrem Drang, ihre exekutiven Probleme im Kampf gegen Extremisten und andere “Gefährder” mit verdoppelter legislativer Tatkraft zu kompensieren, schon genügend Schaden angerichtet. Hoffentlich obsiegt im Bundesrat oder spätestens im Bundestag die Vernunfteinsicht, das wenigstens dort mal bleiben zu lassen, wo es um die Verfassung selber geht.


SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: Kein Staatsgeld für die NPD, dafür ein Loch in der Verfassung, VerfBlog, 2017/2/09, https://verfassungsblog.de/kein-staatsgeld-fuer-die-npd-dafuer-ein-loch-in-der-verfassung/, DOI: 10.17176/20170209-142708.

47 Comments

  1. JG Thu 9 Feb 2017 at 14:38 - Reply

    Also in Ihrem Beitrag damals zur Ramelow-Entscheidung (BVerfGE 134, 141 ) …

    https://verfassungsblog.de/bodo-ramelows-triumph-und-grenzen-streitbaren-demokratie/

    … klang das alles noch etwas weniger aufgeregt, wiewohl die Legitimationsketten dort nicht minder Schlaufen werfen.

  2. schorsch Thu 9 Feb 2017 at 15:20 - Reply

    Wenn schon Art. 21 GG geändert wird, kann man auch gleich klarstellen, dass das frisch erfundene Kriterium der Potentialität keine Voraussetzung eines Verbots ist. Fertig ist das Parteiverbot.

    Das ist ja das merkwürdige an Voßkuhles Appell an den verfassungsändernden Gesetzgeber bei der Urteilsverkündung. Der verfassungsändernde Gesetzgeber kann nicht bloß Lösungen jenseits des Parteiverbots suchen, er kann das nun lahmgelegte Parteiverbotsverfahren auch einfach von den Beschränkungen, die Karlsruhe ihm gerade erst auferlegt hat, befreien.

    Was die Zuständigkeit beim Bundestagspräsidenten nach dem niedersächsischen Entwurf angeht: Die ist ja selbst nur einfachrechtlich vorgesehen. Während der neue Art. 21 GG nur am Art. 79 Abs. 3 GG zu messen ist, gilt selbiges dann nicht ohne weiteres für die Zuständigkeitsregelung im PartG. Diese könnte für sich – scheint mir – auch gegen Art. 21 i.V.m. Art. 3 I GG verstoßen und somit eine verfassungswidrige Umsetzung des neuen Art. 21 Abs. 3 Satz 2 GG sein. Oder nicht?

  3. Maximilian Steinbeis Thu 9 Feb 2017 at 15:28 - Reply

    @Schorsch: ad 1) dann hat man halt wieder das EGMR-Problem an der Backe, oder?
    ad 2) wenn das Grundgesetz den Parteiengesetzgeber ermächtigt, den Ausschluss von der Parteienfinanzierung zu regeln, dann zu sagen, es sei verfassungswidrig, wenn er den Ausschluss von der Parteienfinanzierung regelt? Weiß nicht. Schwierig, finde ich. Die dann verfassungswidrige Norm im Parteiengesetz wiederholt ja Wort für Wort ihre Ermächtigungsgrundlage im Grundgesetz.

  4. schorsch Thu 9 Feb 2017 at 15:54 - Reply

    1) Wenn es das häufig behauptete EMRK-Problem tatsächlich gibt, ja.

    2) Wenn die Zuständigkeitsregelung ein eigenes verfassungsrechtliches Problem ist – und das scheint mir ja Ihre These zu sein -, kann sie auch für sich verfassungswidrig sein. Und die Zuständigkeit – Richtervorbehalt, Verfassungsrichtervorbehalt – ist ja nicht von der Verfassungsänderung vorgegeben. Insofern ist nicht bloß die Wiederholung des Verfassungswortlauts interessant, sondern auch, wo dieser wiederholt wird und welche Zuständigkeit sich dann aus der Systematik ergibt.
    Man mag kann dann (naheliegend) mit dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers argumentieren, dass Art. 21 Abs. 3 Satz 2 gerade keinen Richtervorbehalt haben wollte. Man kann selbiges aus einem systematischen Vergleich mit Art. 21 Abs. 2 GG ziehen. Man könnte aber auch aus umgekehrt dem gleichrangigen Parteienprivileg (sprich Art. 21 Abs. 2) oder der Chancengleichheit der Parteien (Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) besondere verfahrensrechtliche Anforderungen entnehmen. Das ist alles nicht zwingend, aber wo ein verfassungsgerichtlicher Wille ist (–> Müller bei KAS), ist auch ein Weg.

  5. schorsch Thu 9 Feb 2017 at 15:57 - Reply

    Ich gebe zu: Diesen Willen bräuchte es vermutlich auch. Sie haben Recht.

  6. Maximilian Steinbeis Thu 9 Feb 2017 at 15:58 - Reply

    Okay, aber immerhin. Stimmt schon, das ginge.

  7. Bernhard Glass-Fernandez Thu 9 Feb 2017 at 16:49 - Reply

    Na dann mal los mit den Streichungen!

    Wenn haben wir den so im Visier als Störer:

    Kommunisten, Faschisten, Öko-Faschisten, Christliche Bibeltreue, Radikaler Tierschutz, Aggressive Feministinnen Parteien, Anarcho-Parteien jeglicher Couleur, etc. …

    Mal so spontan für den Anfang.

    Ps. Wer übrig bleibt ist lieb und hat das ganze Geld für sich.

    NRW sollte über sein Demokratieverständnis noch mal nachdenken.

  8. Leser Thu 9 Feb 2017 at 17:06 - Reply

    Echt mal. Was denkt sich NRW dabei, dass es Niedersachsen solche Anträge stellen lässt? Eine Frechheit!

  9. EGMR Thu 9 Feb 2017 at 17:24 - Reply

    @MS: Worin genau liegt EGMR-Problem, wenn der Verfassungsgesetzgeber in Art. 21 GG klarstellt, dass Potentialität nicht erforderlich ist? Die EMRK gilt nur einfachgesetzlich und kann Art. 21 GG nicht außer Kraft setzen. Bliebe letztlich also allenfalls ein Entschädigungsanspruch, der der – aufgrund von Art. 21 GG nF wirksam! – verbotenen Partei nichts nutzt. Möglicherweise wäre der Anspruch in Deutschland auch gar nicht durchsetzbar, sofern das Parteiverbot nicht nur den “Parteistatus”, sondern die ganze Rechtsperson vernichtet.

  10. Maximilian Steinbeis Thu 9 Feb 2017 at 17:51