Klagewelle im Sonnenuntergang?
Welche Lehren sich aus Rockhopper vs. Italy ziehen lassen
Im August 2022 hat ein Investor-Staat-Schiedsgericht Italien zu einer Entschädigungszahlung von 190 Mio. Euro plus Zinsen an das britische Öl- und Gasunternehmen Rockhopper verurteilt. Rechtsgrundlage war der Energiecharta-Vertrag (ECT), aus dem Italien bereits 2016 ausgetreten ist. Aufgrund einer Klausel im ECT könnte sich Italien – ebenso wie die vielen anderen Staaten, die sich derzeit vom ECT verabschieden – jedoch noch viele Jahre lang Klagen unter dem Vertrag ausgesetzt sehen. Die Entscheidung wirft somit Schlaglichter auf die Fragen, ob Italiens eigenmächtiger Austritt aus dem ECT als Vorbild für andere Vertragsstaaten dienen sollte, und welchen Spielraum der ECT für klimafreundliche Energiepolitiken gewährt.
Schwarzes Gold in der Adria
Unter dem türkisblauen Wasser der italienischen Adria vor den Abruzzen verbirgt sich das Ölfeld Ombrina Mare. Es wurde im Jahr 2007 durch das italienische Unternehmen Mediterranean Oil and Gas Plc (MOG) entdeckt. 2008 beantragte das Unternehmen die Bewilligung zur Förderung der Ölvorkommen.1) Aber das Verfahren zog sich hin und fiel in eine Phase zunehmender Regulierung der Offshore-Energiegewinnung vor den Küsten Italiens. Schon seit 2006 waren in Italien Offshore-Förderungen von Öl und Gas in eigens ausgewiesenen Schutzgebieten entlang der Küste verboten. Im Jahr 2012 wurde das Förderverbot auf die gesamte 12-Seemeilen-Zone um die italienische Halbinsel ausgedehnt, wobei jedoch bereits anhängige Bewilligungsverfahren explizit von dem Verbot ausgenommen wurden. Die Lizenzgebühren aus diesen Projekten sollten marinen Umweltschutzmaßnahmen zugutekommen (vgl. den Schiedsspruch hier, S. 32). Im August 2014 erwarb Rockhopper das Unternehmen MOG und führte das Bewilligungsverfahren fort. Der Antrag war immer noch anhängig, als der italienische Gesetzgeber Ende 2015 neue Öl- und Gasprojekte innerhalb der gesamten 12-Seemeilen-Zone untersagte (LEGGE 28 dicembre 2015, No. 208, Art. 1 Abs. 239) – ohne Ausnahmeklausel für bereits anhängige Bewilligungsverfahren. Damit reagierte die italienische Regierung sowohl auf die immer lauter und größer werdenden Proteste aus der Zivilgesellschaft als auch auf das kurz zuvor verabschiedete Pariser Klimaabkommen. Im Einklang mit der neuen Rechtslage wurde die Förderbewilligung im Januar 2016 versagt. Daraufhin leitete Rockhopper ein Streitbeilegungsverfahren vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) ein. Am 24. August 2022 entschied das Tribunal einstimmig, dass Italien seine Verpflichtungen aus dem ECT verletzt hatte. Was waren die Entscheidungsgründe? In materiellrechtlicher Hinsicht warf Rockhopper dem italienischen Staat sowohl Enteignung (Art. 13 ECT) als auch eine Verletzung des Standards der billigen und gerechten Behandlung (Art. 10 ECT) vor. Der Schiedsspruch selbst, der letzte Woche veröffentlicht wurde, befasst sich allerdings nur mit dem Vorwurf der Enteignung.
Von der Hoffnung zum Recht
Anknüpfungspunkt für den Vorwurf einer Enteignung ist das italienische Gesetz Nr. 208 von 2015. Es handelt sich um einen staatlichen Hoheitsakt, welcher allen Öl- und Gasunternehmen, die bereits ein Recht auf Erteilung einer Förderbewilligung haben, dieses Recht formal und direkt entzieht – mit anderen Worten um eine direkte Enteignung (vgl. Rdn. 194 des Schiedsspruchs). Diese Einordnung ist relevant, weil sich nur im entgegengesetzten Fall einer indirekten Enteignung die Frage nach der Abgrenzung zur entschädigungslosen Regulierung gestellt hätte (eingehend zu dieser Abgrenzungsfrage Darius Ruff). Die streitige Frage war, ob Rockhopper zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bereits ein Recht auf Erteilung der Bewilligung hatte. Der entscheidende Anknüpfungspunkt liegt in einem Verfahrensabschnitt im August 2015. Es ist an dieser Stelle wichtig zu verstehen, dass Rockhopper bis zu diesem Zeitpunkt keine Rechtsposition innehatte, die die Behauptung einer Enteignung getragen hätte. Das Unternehmen hatte nur, wie die Schiedsrichter es später formulierten, eine vage Hoffnung auf einen positiven Bescheid zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft. Im August 2015 aber wurde dem Unternehmen vom italienischen Umweltministerium der positive Ausgang der Umweltverträglichkeitsprüfung bestätigt. Daraufhin beantragte Rockhopper am 14. August 2015 die Förderbewilligung. In diesem konkreten Verfahrensschritt hatte die zuständige Behörde eine Frist von 15 Tagen, um auf den Antrag zu reagieren. Diese – im Rückblick viel zu kurze – Frist, die aus einem italienischen Gesetz aus dem Jahr 1994 folgt, verstrich ohne Tätigwerden der Behörde, sodass mit Ablauf der Frist am 29. August 2015 automatisch ein konkreter und justiziabler Rechtsanspruch auf Bewilligungserteilung entstand. In den Worten des Schiedsgerichts:
“[T]the Claimants’ argument is that they moved, at that moment on 29 August 2015, from the hope that their application for a production concession would be successful to a position where they definitively knew that their application was going to be successful and granted within a statutory time period. There was then, as a matter of Italian law, no going back and the outcome (i.e. the subsequent formal process of the grant of the production concession) was legally inevitable.” (Rdn. 132, Hervorhebungen im Original)
Hier liegt die eigentliche, versteckte Tragik dieses Falles: Dass die Rechtsposition, auf deren Grundlage Rockhopper die gewaltige Entschädigungssumme einklagen konnte, durch eine einfache verfahrensrechtliche Besonderheit des italienischen Rechts, einen Fristablauf mit Genehmigungsfiktion, entstanden ist. Wäre der Antrag von Rockhopper innerhalb der 15-Tage-Frist negativ beschieden oder das ausnahmslose Verbotsgesetz durch den italienischen Gesetzgeber eher erlassen worden, hätte Rockhopper keine Enteignung geltend machen können.
Legitime Erwartungen? Fehlanzeige!
Wäre die Behauptung einer unrechtmäßigen Enteignung ins Leere gegangen, wäre die Entscheidung womöglich ganz anders ausgefallen. Geblieben wäre vor allem der Vorwurf einer Verletzung des Gebots der billigen und gerechten Behandlung nach Art. 10 (1) ECT. Dieser Schutzstandard umfasst insbesondere auch den Schutz legitimer Erwartungen des Investors. Diese Erwartungen können insbesondere durch Zusagen und Gesetzgebung seitens des Gaststaats geweckt werden. Bis August 2015 gab es jedoch keine konkreten Zusagen durch die italienischen Behörden. Zugleich hätte der rechtspolitische Kontext durch die zunehmend strengere Regulierung der Offshore-Förderung von Öl und Gas bestehende Hoffnungen nach und nach schrumpfen lassen müssen – und zwar zu Recht, wie Pierre-Marie Dupuy, ein Schiedsrichter in diesem Verfahren und darüber hinaus international renommierter Völkerrechtler, in einer separaten Individualmeinung (indiviual opinion) ausführt:
“In particular, it seems obvious to the author of the present opinion that the request for an exploitation permit on a site located close to the coast and in an area not devoid of seismic dangers could very legitimately give rise, as it actually did, to the concern and even the manifest disapproval of a large part of the local population. […] [T]he Claimant could not ignore that the entire area in question had previously been considered off-limits to drilling because of its immediate proximity to the coast and the very serious concerns that could rationally be entertained with regard to its ecological harmlessness. […] As for the intrinsic profitability of the project itself, this was all the more worrying as other companies had already given up on an operation; this explains the relatively low price at which Rockhopper was able to make its investment in the site in question as late as 2014.” (vgl. S. 2f. der Individualmeinung; Hervorhebungen durch die Verfasser*innen)
Im Ergebnis folgt daraus, dass Rockhoppers Klage ohne die Entstehung des Rechts auf eine Förderbewilligung wahrscheinlich nicht erfolgreich gewesen wäre. Nochmal Pierre-Marie Dupuy:
“Therefore, there was in my view no doubt that the Claimant could not seriously claim that its expectations were legitimate. If the Tribunal had only had to determine whether Italy was liable on this basis alone, I would certainly have answered in the negative.” (vgl. S. 3 der Individualmeinung)
Erfolgsaussichten eines Aufhebungsverfahrens
Nun stemmt sich Italien mit einem Aufhebungsantrag gegen den Schiedsspruch. Diese Möglichkeit sieht Art. 52 Abs. 1 ICSID-Konvention in bestimmten und eng umgrenzten Fällen vor. Welche Gründe Italien im Einzelnen zugunsten einer Aufhebung des Schiedsspruchs anführt, ist nicht bekannt. Spekulationen über den Verfahrensausgang sind daher nicht angezeigt. Generell sind die Erfolgsaussichten eher gering. Denn entscheidungserheblich sind im Aufhebungsverfahren keine materiellrechtlichen Fehler, sondern nur fundamentale Verstöße gegen die Integrität des schiedsgerichtlichen Verfahrens – wie z. B. im Falle der Korruption von Schiedsrichtern oder der manifesten Überschreitung ihrer Befugnisse.
To leave or not to leave?
Das Schiedsverfahren ist für Italien besonders bitter, weil der Staat bereits im Jahr 2016 aus dem ECT ausgetreten ist. Dass Rockhopper gleichwohl gegen Italien vorgehen konnte, folgt aus der sog. Sunset-Klausel in Art. 47 Abs. 3 ECT (von Kritiker*innen auch als Zombie-Klausel bezeichnet). Bereits getätigte Investitionen werden demnach auch nach dem Austritt eines Vertragsstaates für einen vergleichsweise langen Zeitraum von 20 Jahren geschützt. Rockhopper vs. Italien wirft damit ein Schlaglicht auf die Frage, ob sich Italien durch seinen unilateralen Austritt aus dem ECT in eine Sackgasse manövriert hat. Die politische Symbolkraft des Austritts erscheint aber nicht nur vor dem Hintergrund des Rockhopper-Schiedsspruchs teuer erkauft. Wie Johannes Tropper jüngst analysiert hat, könnte der derzeitige Prozess zur Reform des ECT zu einer deutlichen Verkürzung der Sunset-Klausel führen, mit dem erstaunlichen Ergebnis, dass ein vorläufiges Verbleiben in dem Vertragsregime (und ein etwaiger Austritt aus dem modernisierten ECT) den Weg für grundlegende klimapolitische Reformen im Energiesektor sogar früher frei machen könnte. Aus Ungeduld mit dem, insbesondere von Nichtregierungsorganisationen als schleppend und materiell unzureichend bewerteten, Reformprozess haben dennoch schon mehrere weitere EU-Mitgliedstaaten ihren Austritt angekündigt oder bereits in die Wege geleitet (vgl. hier und hier). In Deutschland haben die Ampel-Fraktionen am vergangenen Freitag einen entsprechenden Beschluss gefasst. Rockhopper vs. Italy ist derweil ein eindrücklicher Beleg dafür, dass ein unilateraler Austritt nicht vor Investorenklagen schützt. Im Kielwasser des Rockhopper-Verfahrens bereiten sich schon andere Unternehmen darauf vor, ihre Früchte aus der Sunset-Klausel zu ziehen, nachdem Italien die Rechtslage für fossile Energieunternehmen 2019 abermals verschärft hat. Die Erfolgsaussichten der Klagen sind, wie dargestellt, ungewiss und einzelfallabhängig. Doch allein das Risiko weiterer Klagen in Millionenhöhe dürfte dem italienischen Staat Unwohlsein bereiten. Und damit nicht genug: Italien ist derzeit noch Vertragspartei von über 50 bilateralen Investitionsschutzabkommen (BITs), welche sich transnationale Unternehmen aufgrund des Fehlens eines genuine link-Erfordernisses wie beim Rosinenpicken zunutze machen können (sog. Treaty Shopping). Aufschlussreich insofern der unverblümte Hinweis zweier Rechtsanwälte mit Schwerpunkt Investitionsschutzrecht:
“Should the sunset clause fall short to light up the expectations of some foreign investors, Italy is a Contracting Party to an array of BITs, all containing a FET clause safeguarding investors’ legitimate expectations. Hence, awaiting the adoption of the new Plan, investors have the time to rearrange their investments through one of the many countries which Italy has a BIT with.”
Der Verweis auf die bestehenden BITs zeigt, dass Rufe nach einem Austritt aus dem ECT zu kurz greifen.
Ein wachsendes Bewusstsein für Umwelt- und Klimaschutz in ISDS?
Hingegen eignet sich der Schiedsspruch nicht als Ausweis für die These der Regulierungsfeindlichkeit des Investitionsschutzrechts in Umwelt- und Klimafragen.
Eine nähere Auseinandersetzung mit dem Schiedsspruch und insbesondere der Individualmeinung von Pierre-Marie Dupuy offenbart, dass es für Investoren in ähnlichen Situationen zukünftig schwer werden könnte, vor den Schiedsgerichten erfolgreich zu sein. Die Entscheidung ist eben keine Blaupause für weitere Klagen, sondern weist ausdrücklich darauf hin, dass nur aufgrund der Besonderheiten des italienischen Rechts und des konkreten Sachverhalts eine justiziable Rechtsposition entstanden ist, welche eine erfolgreiche Klage möglich gemacht hat. Dieser Befund deckt sich mit Untersuchungen von Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS) der jüngeren Zeit, die eine zunehmende Sensibilität von Schiedsgerichten für umwelt- und klimapolitische Belange und die Bereitschaft, staatliche Maßnahmen unabhängig von ihren wirtschaftlichen Folgen für die Investoren als entschädigungslose Regulierung und nicht als entschädigungspflichtige Enteignung zu werten, belegen. Das Augenmerk sollte demnach nicht nur auf der Reformbedürftigkeit des ECT liegen, sondern auf dem Verhältnis von Enteignungsschutz und Regulierungsrecht der Staaten im Investitionsschutzrecht als solchem. Im Ergebnis wird klar, dass es, wie so häufig im Klima- und Umweltschutz, nur gemeinsam geht. Weder nützen Alleingänge hinsichtlich einzelner BITs etwas, noch die pauschale Vorverurteilung von Schiedsgerichten. Es braucht vielmehr eine inhaltliche und gemeinsame Reform der Verträge durch die Staaten und eine genaue Betrachtung des Verhältnisses von Enteignungsschutz und Regulierungsrecht durch die Schiedsgerichte.
Die Verfasser*innen danken Christian Tietje und Darius Ruff für wertvolle Anmerkungen und Hinweise.
References
↑1 | Es handelt sich hierbei um ein zweistufiges Verfahren, ähnlich dem System der Bergbauberechtigungen im deutschen Bergrecht: In einem ersten Schritt bedarf es einer Erlaubnis zur Aufsuchung der Bodenschätze. In einem zweiten Schritt wird die Bewilligung der Gewinnung der gefundenen Bodenschätze beantragt. |
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