24 July 2024

Zeitgenössische Kriminalpolitik in a nutshell

Kennzeichen und Kritik am Beispiel der geplanten Verschärfung des Luftsicherheitsrechts

Klima-Aktivisten treiben nicht nur die Strafverfolgungsbehörden, sondern auch die Kriminalpolitik vor sich her. Protestaktionen wie die heutige Blockade des Flughafens Köln/Bonn haben die Ampel-Regierung zu ihrer jüngsten Strafrechtsverschärfung animiert, die ich als anlassbezogene Maßnahmengesetzgebung kritisiere: Pünktlich zur Urlaubszeit bringt die Ampel mit dem Gesetzesentwurf zur Änderung des Luftsicherheitsgesetzes einen für Flughafen-Blockaden maßgeschneiderten Straftatbestand ins Spiel, der das Eindringen auf Flughafengelände mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bedroht. Wer dabei Gegenstände mit sich führt, die man auch sonst nicht mit in den Flieger nehmen darf, soll sogar mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden können. Die vermeintlichen Strafbarkeitslücken, die der Entwurf behauptet, sind konstruiert, denn die Blockadeaktionen sind bereits strafbar. Durchaus kreativ schreiben die Entwurfsverfasser anhand des abstrakten Rechtsguts der Luftsicherheit eine Gesetzeslücke herbei, die in Wahrheit nicht besteht. Sie setzen damit einen gesetzgeberischen Trend fort, der im Gewand abstrakter Gesetzessprache und mit dem Anschein politischer Neutralität daherkommt, im Kern aber auf die selektive Verfolgung bestimmter Personengruppen abzielt.

Die Eskalationsspirale, von der hier (aber auch hier und hier) schon vor und seit etwa eineinhalb Jahren die Rede war und ist, will der Gesetzgeber also weiter drehen. Das könnte für Klima-Aktivisten, die auf zivilen Ungehorsam als Protestform setzen, aber durchaus einen Plan verfolgen, entlarvt es doch die Unfähigkeit der Bundesregierung, Lösungen für die dahinterstehenden gesellschaftlichen Fragen zu finden (vgl. in anderem Kontext auch hier). Die Klima-Proteste halten der Gesellschaft den Spiegel vor, deren kriminalpolitischen Akteuren nach wie vor nichts Besseres einfällt, als auf (vermeintliche) Missstände mit neuen Straftatbeständen und Strafverschärfungen zu reagieren.

Kriminalpolitische Kehrtwende

Bevor wir uns näher mit der Neuregelung und den Gründen auseinandersetzen, sei ein kurzer Blick auf das politische Vorspiel geworfen. Interessant ist nämlich die kriminalpolitische Kehrtwende, die die Ampel-Koalition mit dem Gesetzesentwurf hinlegt. Noch im April 2023 hatte sie im Rechtsausschuss einen Gesetzesantrag der CDU/CSU-Fraktionen unter dem Titel „Straßenblockierer und Museumsrandalierer härter bestrafen“ zur Einführung eines speziellen Klima-Kleber-Tatbestands einstimmig mit dem Argument abgelehnt, der Entwurf suggeriere Strafbarkeitslücken, die gar nicht bestehen und sei auch darüber hinaus weder sinnvoll noch notwendig. Nun verfährt sie aber in genau derselben Weise, wie die CDU/CSU-Fraktion mit ihrem Antrag aus November 2022 und argumentiert mit Strafbarkeitslücken, die nur scheinbare sind.

Dabei reagiert die Bundesregierung mit ihrem Entwurf ersichtlich auf eine Forderung des FDP-Bundesverkehrsministers Volker Wissing, der unmittelbar nach einigen Flughafen-Aktionen von Klimaaktivisten und einer Geiselnahme auf dem Flughafen Hamburg im November 2023 harte Strafen für das Eindringen in Sicherheitsbereiche von Flughäfen forderte. Zum Kontrast: In der Plenardebatte zum CDU/CSU-Antrag rund eine Woche nach Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses im April 2023 ließ sich die FDP in Person des Abgeordneten Stephan Thomae zur Einführung neuer Straftatbestände noch so ein:

„Aber so wenig, wie das Kleben dem Klima hilft, so wenig helfen Ihre Strafverschärfungen (…). Es ist kein Allheilmittel der Politik. Das Rezept, nach dem Sie immer vorgehen, enthält Strafschärfungen sowie das Entdecken und Füllen angeblicher Strafbarkeitslücken. Sie kleben an diesem Strafverschärfungsreflex genauso, wie die Klimakleber auf der Straße kleben.“ (s. hier).

Der Sinneswandel ist unverkennbar. So scheint die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, Strafrecht sei immer nur Ultima Ratio, in Vergessenheit geraten zu sein.

Zur geplanten Änderung des § 19 LuftSiG

Der Entwurf schlägt die Einführung von insgesamt drei neuen Straftatbeständen in § 19 LuftSiG vor. Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe soll künftig zunächst bestraft werden können, wer sich oder einem Dritten vorsätzlich Zugang zur Luftseite eines Flughafens verschafft, wenn dadurch die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs beeinträchtigt wird (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 LuftSiG-E). Nach aktuell geltender Rechtslage ist das lediglich bußgeldbewehrt (vgl. § 18 Abs. 1 Nr. 8 LuftSiG). Bei der Luftseite eines Flughafens handelt es sich um die Bereiche, auf denen die luftfahrtspezifischen Aktivitäten stattfinden. Umfasst sind also vor allem die Start- und Landebahnen und Rollbahnen. Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren (!) soll künftig außerdem bestraft werden können, wer sich oder einem Dritten vorsätzlich Zugang zur Luftseite verschafft und dabei auch noch Gegenstände bei sich hat, die man auch sonst nicht mit in den Flieger nehmen darf, also beispielsweise Messer, Scheren, Zangen, aber auch brennbare Flüssigkeiten (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 1, Var. 4 LuftSiG-E). Das wird aber regelmäßig der Fall sein, weil man auf ein Flughafengelände in aller Regel ja überhaupt nur unter Zuhilfenahme der genannten Werkzeuge gelangen kann – und gelangen können sollte. Auch Sekundenkleber, den die Aktivisten bislang für ihre Aktionen benutzt haben, um sich auf dem Rollfeld festzukleben, könnte als „brennbare Flüssigkeit“ unter den Katalog verbotener Gegenstände fallen (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG). Schließlich soll mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe auch bestraft werden können, wer mit der Absicht in die Luftseite eines Flughafens eindringt, eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken.

Der Entwurf begründet die beabsichtigen Änderungen zunächst mit einem erhöhten Gefahrenpotenzial: Für Fälle, in denen durch das Handeln des Täters die „Sicherheit des zivilen Luftverkehrs“ beeinträchtigt werde, erscheine die bloße Bußgeldbewehrung, wie sie aktuell noch in § 18 Abs. 1 Nr. 8 LuftSiG vorgesehen ist, aufgrund der besonderen Gefahren, die daraus resultieren können, nicht mehr ausreichend. Darüber hinaus bestehe eine Strafbarkeitslücke: Zwar seien mit den §§ 123, 303, 240 StGB (Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Nötigung) bereits Strafnormen vorhanden, die Verhaltensweisen im Rahmen von Flughafen-Blockaden strafrechtlich erfassen. Diese wiesen aber „nicht dieselbe Schutzrichtung“ auf, wie die Änderung des Luftsicherheitsgesetzes. Dieser sei nämlich im Schutz der Sicherheit des zivilen Luftverkehrs zu sehen, während zum Beispiel § 123 StGB lediglich das Hausrecht schütze.

Kriminalpolitische Trends

Das Gesetzesvorhaben ist ein Paradebeispiel für einen spezifischen (modernen) kriminalpolitischen Stil, der dadurch gekennzeichnet ist, zum Schutz konturloser Universalrechtsgüter immer neue Einzelfälle zum Anlass für Neukriminalisierungen und Strafverschärfungen zu nehmen, die eine fortschreitende Ausweitung des materiellen Strafrechts und zeitliche Vorverlagerung des strafrechtlichen Zugriffs in den Bereich von Gefährdungen zur Folge haben. Im Gewand abstrakter Gesetzessprache und mit dem Anschein politischer Neutralität zielen sie dabei häufig auf die selektive Verfolgung bestimmter Personengruppen ab. In solchen Strafgesetzen und Gesetzesvorhaben kommen zum Teil Entwicklungen zum Ausdruck, die von der Strafrechtswissenschaft, vor allem Frankfurter Provenienz, schon seit den 1980er Jahren kritisch begleitet und theoretisiert werden. Ich will mich aus aktuellem Anlass daher nur auf einige Punkte beschränken und am Beispiel des Entwurfs der Verschärfung des Luftsicherheitsgesetzes exemplifizieren:

Konturlose Sicherheit und ihre Gefahren

Die Einführung der neuen Straftatbestände wird mit dem Schutz eines Rechtsguts gerechtfertigt, das sich schwer greifen lässt, nämlich der Sicherheit des zivilen Luftverkehrs. Eine „Beeinträchtigung“, die das erhöhte Unrecht des neuen Straftatbestandes gegenüber der jetzigen Ordnungswidrigkeit darstellen soll, lässt sich bei solchen überindividuellen Rechtsgüter stets leicht begründen.

Zwar handelt es sich bei dem Tatbestand nicht, wie der Entwurf meint, um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, weil die „Beeinträchtigung der Sicherheit des zivilen Luftverkehrs“ im Einklang mit der von der Literatur und Rechtsprechung als eigenständiges Tatbestandsmerkmal eingeordneten Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit i.S.d. § 315 Abs. 1 StGB einen Erfolg darstellt, den der Täter durch sein Handeln („dadurch“) ja erst herbeiführen muss. Das macht den Tatbestand aber nicht weniger problematisch. Denn eine Beeinträchtigung soll laut der Entwurfsbegründung schon dann vorliegen, wenn die „normale abstrakte Verkehrsgefahr“ gesteigert worden ist, was man als abstrakten Gefährdungserfolg bezeichnen könnte. Das ist, mit entsprechender Argumentation, beim Eindringen in einen sicherheitsrelevanten Bereichs des Flughafens aber immer anzunehmen. Es ist gerade der Sinn von abstrakten Gefahren als rechtsnormative Voraussetzungen, konkrete Anhaltspunkte für Gefahren oder Schäden nicht mehr nachweisen zu müssen und vage Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten über die grundsätzliche „Gefährlichkeit“ bestimmter Verhaltensweisen ausreichen zu lassen. „Sicherheit“, und das macht sie zu einem allumfassenden Rechtsgut, ist schließlich stets beeinträchtigt bzw. geschädigt, wenn sie nur gefährdet ist. So vermögen auch die Entwurfsverfasser nachvollziehbare Maßstäbe zur Bestimmung der Steigerung einer „normalen abstrakten Verkehrsgefahr“ auch nicht positiv zu bestimmen, sondern nennen mit „Störaktionen“ auf dem „Rollfeld“ oder der Notwendigkeit, den „Flugbetrieb“ ganz oder teilweise „einzustellen“ oder abgestellte Flugzeuge „durchsuchen“ zu müssen, nur einige Beispiele, bei denen die normale abstrakte Verkehrsgefahr gesteigert sein soll.

Es entspricht dieser vagen Abstraktheit, das Eindringen in die Luftseite eines Flughafens stets als eine Luftsicherheitsbeeinträchtigung einordnen zu können, zumal Sicherheitsmaßnahmen, wie eben die teilweise Einstellung des Flugbetriebs ergriffen werden müssen, wenn Personen auf der Luftseite des Flughafens entdeckt werden. Insofern scheint es zwischen der jetzigen Ordnungswidrigkeit des Eindringens in die Luftseite nach § 18 Abs. 1 Nr. 8 LuftSiG und der geplanten Straftat des Eindringens mit Beeinträchtigung der Luftsicherheit nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 überhaupt keinen Unterschied zu geben. Das Eindringen geht stets mit einer Steigerung der abstrakten Luftverkehrssicherheitsgefahr einher.

Dass die Beeinträchtigung der Luftverkehrssicherheit künftig als eigenständige Voraussetzung im Tatbestand ausgestaltet sein soll, könnte also weniger mit einem gegenüber der jetzigen Ordnungswidrigkeit erhöhten Unrechtsgehalt zu tun haben, sondern einen kriminalpolitischer Schachzug darstellen, um irgendeinen Grund angeben zu können, warum das bislang als Ordnungswidrigkeit ausgestaltete Verhalten plötzlich zur Straftat mit Freiheitsstrafe bis zu zwei bzw. fünf Jahren qualifiziert werden soll.

Strafbarkeitslücken everywhere?

Die Anerkennung überindividueller Rechtsgüter als ratio legis von Straftatbeständen, ist seit gut drei Jahrzehnten beliebt. Neben der Luftverkehrssicherheit verweist der Gesetzgeber beispielsweise auf die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft, die Integrität des Zahlungsverkehrs oder des Sports oder auch die Volksgesundheit. Damit umgeht er nicht nur Zurechnungs- und Beweisschwierigkeiten, die sich bei individuellen Schädigungen stellen, sondern er führt auch einen Mechanismus ein, der künstlich Strafbarkeitslücken erzeugt, die dann als kriminalpolitische Argumente zur Ausweitung des Strafrechts fungieren und Handlungsfähigkeit von Innenministerinnen beweisen sollen. Denn wo es nicht mehr um den Schutz des individuellen Lebens oder der Gesundheit geht, sondern um eine dahinterstehende, überindividuelle Luftsicherheit, da bestehen auf einmal natürlich überall Strafbarkeitslücken. In dieser Logik geht es dann ja auch gar nicht mehr um Gefahren, sondern um echte Schäden! Denn die Sicherheit ist ja schon geschädigt bzw. beeinträchtigt, wenn sie „nur“ gefährdet ist – wo Gefahren lauern, da ist es nicht mehr sicher. Mit dem Hinweis, die bereits vorhandenen Strafnormen der §§ 123, 303, 240 StGB oder, im Falle konkreter Gefahren für Menschen oder fremden Sachen, auch § 315 StGB wiesen nicht dieselbe Schutzrichtung auf wie der neue Straftatbestand im LuftSiG, wird genau dieser argumentative Mechanismus bemüht: Das in Rede stehende Verhalten werde strafrechtlich zwar bereits erfasst, aber diese Strafnormen schützten eben nur das Hausrecht, die freie Willensfreiheit, das Leben usw., nicht aber „Schäden“ an der Luftverkehrssicherheit. Wo Sicherheit (des Verkehrs, der Wirtschaft, des Gesundheitssystems usw.) zum schützenswerten Rechtsgut hypostasiert wird, klaffen auf einmal riesige Strafbarkeitslücken, die der Strafgesetzgeber eifrig zu füllen hat.

Anlassbezogene Maßnahmen(straf)gesetzgebung

Mit dem Entwurf für eine Verschärfung des Luftsicherheitsrechts scheint sich darüber hinaus eine Art von Strafgesetzgebung zu verstetigen, die man als anlassbezogene Maßnahmenstrafgesetzgebung bezeichnen könnte.1) Mit anlassbezogen ist zunächst gemeint, dass die Kriminalpolitik (häufig nur noch) auf bestimmte Einzelfälle (focusing events) reagiert und diese mit Hilfe flankierender Medienarbeit zum Anlass für Neukriminalisierungen nimmt, ohne sich von langfristigen Strategien, grundlegenden Erwägungen (z.B. kriminalisierungstheoretische Aspekte der systemkritischen Rechtsgutslehre) oder empirischen Evidenzen etwa im Hinblick auf die Präventionswirkungen von Strafverschärfungen leiten zu lassen.2)

Dass die Protestaktionen von Klimaaktivisten im vorliegenden Fall Anlass waren, gibt der Entwurf auch unumwunden zu. Auf Seite 6 des Entwurfes heißt es:

„Die vorgeschlagene Schaffung eines neuen Straftatbestandes in § 19 LuftSiG dient der schärferen Sanktionierung des unberechtigten Eindringens in die Luftseite eines Flughafens, wie seit Sommer des Jahres 2023 wiederholt z.B. durch Klimaaktivisten geschehen.“

Mit anlassbezogenem Maßnahmenstrafgesetz ist hingegen gemeint, dass solche Strafgesetze zwar abstrakt-generell formuliert sind und damit eine Vielzahl von Fallgestaltungen und grundsätzlich jede Person als potentiellen Täter erfassen („Mit Freiheitsstrafe bestraft wird, wer …“), aber im Kern und von der kriminalpolitischen Zielrichtung doch punktuell auf die Regelung eines bestimmten, aktuellen gesellschaftlichen Konflikts bezogen und nach Lösung des Problems eigentlich überflüssig sind, mögen sie später auch noch wenige Einzelfälle erfassen. So dienten die Geiselnahme am Hamburger Flughafen im November 2023 und die Flughafenaktionen von Klima-Aktivisten im vorliegenden Fall offensichtlich nicht nur als Anlass für das Gesetzesvorhaben, sondern auch als Blaupause für die Formulierung der Straftatbestände in § 19 Abs. 1 Nr. 2 (Klima-Aktivisten) und § 19 Abs. 2 Nr. 2 LuftSiG-E (Hamburger Geiselnehmer).

Im vorliegenden Fall liegt die Intention, mit den Flughafen-Blockaden der „Letzten Generation“ ein aktuelles Problem schnell und effektiv zu beseitigen, nicht nur vor dem Hintergrund politisch motivierter Kriminalisierungsrhetoriken im Zusammenhang mit Klima-Aktivismus nahe (siehe nochmal hier), sondern auch mit Blick darauf, dass die Entwurfsverfasser selbst „nur“ von 15 Straftaten dieser Art jährlich ausgehen (vgl. S. 3 des Entwurfs). Woraus soll sich diese Prognose schon ergeben, wenn nicht aus den Flughafen-Blockaden von „Letzte Generation“ dieses und des vergangenen Jahres?

Wider exekutiven Denkmustern im Strafrecht!

Diese (neue) Art von Maßnahmenstrafgesetzen stellt, mit Uwe Volkmann auf diesem Blog, allerdings in ganz anderem Zusammenhang mit Blick auf ein Corona-Gesetz (§ 28a IfSG), gesprochen,3) eine „eigenartige Mischform zwischen exekutivem und legislativem Handeln“ dar. Der äußeren Form nach handelt es sich, um weiter mit Volkmann zu sprechen, um eine Willensäußerung der Legislative, eben ein Gesetz. Es orientiert und bewegt sich aber doch in einem exekutivischen Denkmuster, indem es auf die Lösung ganz bestimmter Problemlagen und hier bestimmter Personen abzielt. Diese Mischform scheint, zumal für das Strafrecht, nicht unproblematisch, denn sie steht mit einem grundlegenden Aspekt der Aufgabe des Strafrechts in Konflikt: durch den Schutz von Rechtsgütern die Grundbedingungen und elementaren Werte eines friedlichen gesellschaftlichen Zusammenlebens zu gewährleisten. Das ist auch der Grund, warum das Strafrecht stets fragmentarisch, also lückenhaft geblieben ist und bleiben sollte. Das Strafrecht kann und sollte nicht jeden Konflikt „regeln“ und nicht jedes individuelle oder kollektive Interesse vor Schäden schützen.

Freilich gehören dazu auch die kollektiven, gesellschaftliche Institutionen, wie Wirtschaft, Gesundheitswesen oder Luftverkehr, ohne die der Einzelne seine individuellen Interessen und Güter nicht verwirklichen könnte. Nur sollte ihr Schutz nicht aus Anlass aktueller Konflikte, Unglücksereignisse und Skandale unter dem Deckmantel der Sicherheit weit in den Bereich nur entfernter, abstrakter Gefahren ausgedehnt werden. Das hat seinen Sinn auch darin, dass Legalverhalten stabiler ist, wenn das Recht nachvollziehbar und verständlich bleibt, was bei einem reflexhaften Strafrecht, das als Maßnahme nur noch auf Einzelfälle reagiert, kaum denkbar erscheint.

Das Strafrecht muss mehr können, wenn es seine Glaubwürdigkeit und Orientierungskraft nicht verlieren will. Es bedarf einer Strategie, eines strafgesetzlichen Denkmusters, das sich als Strafgesetz seinen Namen auch verdient. Es muss, ein letztes mal mit Volkmann gesprochen, auf „planvoll-langfristige Sozialgestaltung zur Verwirklichung politischer Zielvorstellungen“ abzielen. Der Entwurf zur Verschärfung des Luftsicherheitsgesetzes leistet das, wie so viele andere Gesetzesvorhaben, leider nicht.

References

References
1 Ganz ähnlich hatte bereits Thomas Fischer den Gesetzesantrag der CDU/CSU-Fraktion in seiner Stellungnahme für den Rechtsausschuss als „anlassbezogene ‚Maßnahmen‘-Initiative“ bezeichnet (abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/929452/ae6fc4bf5d5c3e7d9b7fe2ff6aab4650/Stellungnahme-Fischer.pdf, dort S. 6).
2 Zur Strafprozessgesetzgebung, aber übertragbar Jahn, StV 2022, 594, 596; Frommel, vorgänge 212 (4/2015), 107.
3 Und mich, darauf sei aus Gründen wissenschaftlicher Redlichkeit hingewiesen, überhaupt erst auf die Idee gebracht hat, auch Strafgesetze als Maßnahmegesetze zu verstehen.

SUGGESTED CITATION  Wenglarczyk, Fynn: Zeitgenössische Kriminalpolitik in a nutshell: Kennzeichen und Kritik am Beispiel der geplanten Verschärfung des Luftsicherheitsrechts, VerfBlog, 2024/7/24, https://verfassungsblog.de/lufsicherheitsgesetz-luftsig-letzte-generation-strafrecht-klimaaktivismus/, DOI: 10.59704/a7e227635e28cd38.

One Comment

  1. cgliem Thu 25 Jul 2024 at 14:22 - Reply

    “Denn die Sicherheit ist ja schon geschädigt bzw. beeinträchtigt, wenn sie „nur“ gefährdet ist” – dem ist leider nur zuzustimmen. das ist geradezu kafkaesk.

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