21 November 2022

Nein, Elon Musk, so geht Plattformdemokratie nicht

Nach einer Online-Abstimmung hat Elon Musk den Account von Donald Trump freigeschaltet: „The people have spoken. / Trump will be reinstated. / Vox Populi, Vox Dei”, schreibt er. Grundlage für die Entscheidung ware eine Online-Abstimmung mit 15 Millionen Teilnehmer*innen, die 51,8% zu 48,2% für eine Entsperrung ausgegangen ist. Die Knappheit des Ergebnisses ist bemerkenswert, weil zumindest die klassischen Follower von Musk eher libertär orientiert sind und auch Musk hat – zumindest solange es ihm nicht um Geld geht – einer unkritischen Glorifizierung des freien Meinungsaustauschs gehuldigt.

Das Problem liegt aber tiefer: So geht digitale Demokratie nicht, so geht Plattformregulierung nicht. Klar, in der „mediatisierten Demokratie” bedarf repräsentative Demokratie technischer Vermittlung, aber, wie Digitalforscherin Jeanette Hofmann schreibt, ist das „sich wandelnde Zusammenspiel von demokratischer Organisation und Kommunikationsmedien […] eine kontingente Konstellation”. Die Transformation der repräsentativen Demokratie ermögliche ein „Experimentieren mit neuen Formen demokratischen Handelns”. Dies hat Elon Musk nun zum Anlass genommen, mit Twittervolksabstimmungen zu experimentieren. Das ist natürlich leichter, als sich zu überlegen, wie mit Accounts umzugehen ist, die Regeln verletzen. Dies ist indes unumgänglich.

Meta hat es sich nicht so leicht gemacht: In einer profund recherchierten Studie der ersten beiden Jahre Aktivitäten des Meta Oversight Boards identifiziert Steven Levy für Wired, welche zentralen Konflikte sich bei der Plattformgovernance stellen und wie Meta mit dem Board ein Wagnis eingegangen ist, das sowohl positive wie auch negative Deutungen zulässt, jedenfalls aber eine mögliche Antwort auf die zentrale Frage der Plattformgovernance ist: Wie können die Regeln und Praxen der Onlineinhalteregulierung optimiert werden und dies gerade mit Blick auf bekannte Accounts.

Diese Fragen gehen uns alle etwas an. Man muss nicht Jürgen Habermas’ pessimistische Einschätzung des neuen Strukturwandels der Öffentlichkeit teilen (Vielstimmigkeit ohne kompetente Moderation ist schlecht), auch wenn die neue Kommunikationsrealität jedenfalls dem Modell quo ante (Meinungsgovernance als Elitenprojekt) vorzuziehen ist. Man muss aber anerkennen, dass Entscheidungen über Kommunikationsregeln und deren Durchsetzung durch eine breitere Beteiligung besser und differenzierter ausfallen und auch als legitimer angesehen werden. Wir alle haben ein „stake”, ein wertunterlegtes Teilhabeinteresse, an den Ergebnissen der Regulierung von Plattformen und an der Art, wie Plattformen selbst Regeln setzen und durchsetzen.

Klar, Onlinekommunikation ist komplex. Normative Ordnungen sind entweder öffentlich oder privat oder gemischt (hybrid). Private Ordnungen, die auf Verträgen beruhen, sind legitim und oft erfolgreich bei der Regulierung von Kommunikationsräumen. Plattformordnungen sind im Kern privat. Aber eben nicht nur: In den letzten Jahren sind sie zunehmend mit hybriden (öffentlichen) Elementen durchsetzt worden, da diese Kommunikationsräume zunehmend einen demokratischen Diskurs tragen.

Hybride normative Ordnungen sind sowohl durch private als auch öffentliche Merkmale gekennzeichnet, die sich auf die Eigentumsverhältnisse, Teilnehmer*innen, Ausrichtung und ihnen eingeschriebene Werte beziehen. Innerhalb hybrider Ordnungen stellen sich schwierige normative Fragen hinsichtlich der Anwendung von Grund- und Menschenrechten (Drittwirkung; horizontale Anwendung) und der Rolle, die Dritte (Nichtnutzer*innen, die Öffentlichkeit, die Gesellschaft) spielen sollten. Staaten regulieren zunehmend Onlinekommunikationsräume – und Plattformen experimentieren damit, Stakeholderbeteiligung zuzulassen.

Hier sind seit einiger Zeit neue Modelle der Plattformdemokratie in Ausarbeitung, die auch schon im aktuellen Koalitionsvertrag Platz gefunden haben („Den Aufbau von Plattformräten werden wir voranbringen”, S. 14). Die NGO ARTICLE 19 veröffentlichte einen Bericht über ein Experiment mit einem Social Media Council in Irland. Harvard-Politikwissenschaftler Aviv Ovadya plädiert energisch für eine Demokratisierung von Plattformen durch Bürger*innenversammlungen. Meta hat angekündigt, im Dezember Community-Foren abhalten zu wollen, an denen fast 6.000 Menschen aus 32 Ländern und 24 Sprachen teilnehmen werden. Internationale Organisationen, wie die UNESCO, machen sich Gedanken darüber, wie die Kluft zwischen zentralisierter Regelsetzung und lokalen Stimmen bei der Moderation von Inhalten überbrückt werden kann (auch zum Nachhören).

Schnell mal seine Follower befragen, was sie von einer Accountentsperrung halten, ist leicht. Diesen Ansatz zu kritisieren ebenso. Beides enthebt indes nicht von der Veranwortung, sich zu überlegen, welche Grundfrage der Verknüpfung von Plattformen und Demokratie hier gestellt wird.

Vox populi, vox Dei?

So einfach ist es mit der Stilisierung der Volksstimme zur alleinigen und primären Quelle der Legitimität von Entscheidungen nämlich nicht. Das lehren Jahrhunderte der kritischen Auseinandersetzung mit Legitimität, Rationalität und Repräsentativität. Das wusste übrigens schon Alcuin.

Alcuin, wie Oxfords „Essential Quotations” zu entnehmen ist, ist jener englische Gelehrter und Theologe des 8. Jahrhunderts, der als zentrale mittelalterliche Quelle für Vox populi, vox Dei gilt. Im Original liest man indes: Nec audiendi qui solent dicere, Vox populi, vox Dei, quum tumultuositas vulgi semper insaniae proxima sit. Nun muss Elon Musk nicht Latein können, eine Übersetzungsmaschine tut’s auch: Und man sollte nicht auf die Leute hören, die immer wieder behaupten, die Stimme des Volkes sei die Stimme Gottes, denn der Aufruhr der Menge ist immer sehr nahe am Wahnsinn.

‘Nahe am Wahnsinn’ wäre jetzt keine überschießende Beschreibung der erratischen Governanceansätze Musks in den letzten „terrible weeks” auf Twitter. Indes ist, die Schweizer Verfassung nickt zustimmend, die Befragung des Volkes durchaus ein legitimes Mittel, um politische Entscheidungen zu treffen. Doch die Sicherstellung von guten Regeln und Moderationspraxen (und den normativen Regel-Algorithmen-Arrangements) in komplexen Plattformökosystemen kann man nicht zur Volksabstimmung stellen.

Nicht verrückt, aber nicht ausreichend rational

Verrückt ist es also nicht, das „Twitter-Volk” zu befragen, aber Plattformen müssen weit rationaler verwaltet werden. So leicht kann es sich Musk nicht machen. Governance von Plattformen macht nicht Spaß, wie evelyn douek schreibt, diese „cold dose of reality” wird Elon Musk noch zu spüren bekommen. Und leider wir alle auch. Das finden nicht alle schlecht: Mr. Beast, einer der erfolgreichsten Online-Content-Producer reagierte auf die Wiederfreischaltung von Trumps Konto mit einem Popcorn-Emoji.

Spannend wird’s, Zuschauen wird allerdings nicht reichen: Gerade jetzt ist die Plattformforschung gefragt – und die Regulatoren dies- und jenseits des Atlantiks. Auf den DSA und das Durchsetzungsinstrumentarium mit den Digital Service Coordinators kommt einiges an normativer Arbeit zu. Elon Musk indes hat schon etwas Neues vor. Sein aktuelles Versprechen: „best coverage by far” der Fußballweltmeisterschaft.


SUGGESTED CITATION  Kettemann, Matthias C.: Nein, Elon Musk, so geht Plattformdemokratie nicht, VerfBlog, 2022/11/21, https://verfassungsblog.de/nein-elon-musk/, DOI: 10.17176/20221121-121641-0.

5 Comments

  1. Pyrrhon von Elis Mon 21 Nov 2022 at 09:28 - Reply

    “Mehrheitsentscheidungen sind gut aber nicht, wenn sie Ergebnisse hervorbringen, die mir nicht liegen.”
    Ist das nicht das klassische Kernproblem der Demokratie? Ich kann eine “falsche” Mehrheitsentscheidung eher akzeptieren als eine “richtige”, weil die richtige Entscheidung selten offenbart, warum sie es ist, sondern ihre Richtigkeit häufig nur postuliert.

    • Jon Unterberg Sun 27 Nov 2022 at 11:21 - Reply

      Die grundlegende Frage ist immer, wer als “Mehrheit” angesehen wird, wie repräsentativ diese Gruppe ist, wie die Informationslage dieser Gruppe ist und vor allem was der Inhalt der Frage ist. In der Sportpalastrede von Goebbels sagt auch eine geladene überwältigende Mehrheit von Deutschen Ja. Aber ist das die Mehrheit? Beim Brexit haben ca 72% der Bevölkerung abgestimmt und das Ergebnis betrug 51,9% zu 48,1%. Ist das dann die Mehrheit der Gesamtbevölkerung? – Wer nahm bei Twitter an der Befragung teil? War das wirklich “das Volk”, wie Musk sagt? Und kann dieses “Volk” dann entscheiden, dass Trolle wieder tweeten? Kann also ein beliebiger Ausschnitt des Volkes entscheiden, dass jemand Unwahrheiten und Beschimpfungen verbreiten darf? War das also wirklich eine demokratie-konforme Umfrage?

  2. Marx Glättli Mon 21 Nov 2022 at 23:20 - Reply

    Ich danke dem Autor vielmals für das belebende Thema, doch ich fürchte, dass man nach dem lesen nicht viel schlauer dahsteht. Wieso Platformdemokratie eben so “nicht geht” wird in keinster Weise begründet. Ich frage mich was Kollege Habermas wohl davon halten würde, wenn eine Aussage einfach in den Raum gestellt wird, ohne diese mittels rationalen Argumenten zu begründen.

  3. Franz Kaufmann Sun 27 Nov 2022 at 11:16 - Reply

    Ich hätte gerne abgestimmt.
    Als ich davon erfuhr, war die Abstimmung schon vorbei.

    Musk hat doch selbst die vielen Fake-Accounts bei twitter beklagt.
    Wie kann er dann bei so einem knappen Ergebnis, der Abstimmung trauen?

  4. Wolf-Dieter Busch Mon 28 Nov 2022 at 11:40 - Reply

    Plattformdemokratie ist ein Widerspruch in sich. Denn eine Plattform trifft nicht Entscheidungen, deren Subjekt der Monarch oder der Plebs sein könnte, sondern kommuniziert.

    Nun gab es bei Vor-Musk-Twitter Löschungen, denen sehr wohl Entscheidungen voraus gingen: eines internen Gremiums, nicht von Nutzern gewählt, sondern installiert von Geschäftsleitung und von Musk als Erstes dem Arbeitsmarkt überantwortet.

    Musks Spruch „vox populi vox dei“ ist nicht zu missdeuten als demokratische Absicht, sondern als legitimer Populismus: er beabsichtigt, ein modifiziertes Geschäftsmodell umzusetzen, wie wir es schon bei seinen anderen Projekten beobachten konnten.