08 November 2022

Das Ende der ‚one size fits all‘-Verweisung

Nachrichtendienstliche Datenübermittlung vor dem Bundesverfassungsgericht

Mit seinem am 28. September 2022 ergangenen Beschluss (1 BvR 2354/13) erklärte das BVerfG im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) enthaltene Datenübermittlungsregelungen für unvereinbar mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), soweit sie zur Übermittlung personenbezogener Daten verpflichten, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln (§ 8 Abs. 2 BVerfSchG) erhoben wurden. Zugleich formuliert der Erste Senat des BVerfG positiv Voraussetzungen, unter denen eine Ermächtigung zur Übermittlung solcher Daten verfassungskonform ausgestaltet werden könnte. Der Senat hat sich längst durch seine sich ständig selbstverfeinernde Selbstreferenz immer weiter in einer überkomplexen Datenübermittlungsdogmatik verheddert, die hier an die Grenzen der Verständlichkeit stößt. Weniger wäre wieder einmal mehr. Die Rechtsprechung sollte sich daher von einer detailverliebten Sonderdogmatik lösen und Probleme wieder stärker in die allgemeine Verhältnismäßigkeitsprüfung zurückverlagern. Das ließe auch Luft für politische Gestaltung.

Die angegriffenen Normen (§§ 20 Abs. 1 S. 1 und 2, 21 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 S. 1 und 2 BVerfSchG) regeln die allgemeine Befugnis sowie Pflicht (§ 20 Abs. 1 S. 2 BVerfSchG räumt der Behörde insofern kein Ermessen ein) zur Übermittlung personenbezogener Daten der Verfassungsschutzbehörden (für die Landesämter für Verfassungsschutz gilt die Vorschrift gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 BVerfSchG entsprechend) an die Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staats- und Verfassungsschutzes. § 20 Abs. 1 S. 2 BVerfSchG nimmt hierfür einerseits auf die Kataloge der §§ 74a und 120 GVG Bezug und enthält andererseits eine Generalklausel für sonstige Straftaten, die sich gegen die in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 lit. b oder lit. c GG genannten Schutzgüter richten. Das Rechtsextremismus-Datei-Gesetz (RED-G), mit dem der Informationsaustausch zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten in Hinblick auf die Bedrohung durch den gewaltbezogenen Rechtsextremismus verbessert werden sollte, verweist wiederum auf diese Übermittlungsregelungen (§ 8 RED-G).

Die erfolgreich angegriffenen Vorschriften sahen weder vor, Übermittlungen durchgängig auf den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter oder die Verfolgung besonders schwerer Straftaten zu begrenzen, noch war stets eine hinreichend konkretisierte Gefahr oder ein durch bestimmte Tatsachen erhärteter Verdacht solcher Straftaten tatbestandlich vorausgesetzt (Rn. 152). Die erforderlichen Protokollierungspflichten fehlten (Rn. 160).

Datentransfer nach Verhältnismäßigkeitsgrundsatz statt „Trennungsgebot“

Die Datenübermittlung von Verfassungsschutzbehörden an Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden markiert einen Übergang in der den Verwendungskontext prägenden Zweck-Mittel Relation bzw. der spezifischen Verbindung von Aufgabenzuweisungen und Befugnissen, die für die Verhältnismäßigkeit der Erhebungseingriffe entscheidend ist. Sie findet Berücksichtigung in Hinblick auf das Gewicht der rechtfertigenden Interessen und ist darüber hinaus neben dem Mittel der Informationserhebung mitbestimmend für das Gewicht des Erhebungseingriffs. Ist der Zweck der Datenerhebung gekennzeichnet durch die Vorbereitung operativer Zwangsbefugnisse, erhöht dies dementsprechend das Eingriffsgewicht der Datenerhebung als Teil des Verwendungskontextes, während eine Erhebung für nachrichtendienstliche Zwecke ein grundsätzlich geringeres Eingriffsgewicht aufweist.

Der vom Gericht für die Angemessenheit der Übermittlung durchgeführte generelle Vergleich der grundsätzlichen Verwendungskontexte von Polizei- und Verfassungsschutzbehörden – ein Vorgehen, das häufig als eigenständiger, abstrakter verfassungsrechtlicher Grundsatz verstanden wird – ist dementsprechend ein Teil der Verhältnismäßigkeitsprüfung, der in der Begründung des Senats wohl zur Entlastung der weiteren Ausführungen ‚vor die Klammer‘ gezogen wird. Obwohl das Gericht das „informationelle Trennungsprinzip“ in Klammern und Anführungsstrichen anführt (Rn. 120), verdeutlicht das Gericht, dass diese Erwägungen zur Angemessenheitsprüfung gehören: „Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne stellt deshalb besondere Anforderungen an die gesetzliche Ausgestaltung der Übermittlungsbefugnisse von Verfassungsschutzbehörden. Die Anforderungen an die weitere Nutzung und Übermittlung staatlich erhobener Daten richten sich nach den Grundsätzen der Zweckbindung und Zweckänderung“ (Rn. 121). Zugleich erteilt damit das BVerfG erneut hermetischen Modellen funktionaler Entkoppelung, die traditionell unter dem organisationsrechtlichen Topos „Trennungsgebot“ diskutiert werden, eine implizite Absage. Nachrichtendienste dürfen und sollen informationell kooperieren; Transferbarrieren folgen grundrechtlich aus der allgemeinen Verhältnismäßigkeit.

Alle Jahre wieder: Die hypothetische Datenneuerhebung

Die konturierenden Ausführungen wirken eher gewunden. Für die Rechtfertigung der Übermittlung komme es – entsprechend einer inzwischen gefestigten Rechtsprechungslinie (BVerfGE 141, 220 (327 f., 329); 154, 152 (242, 267); 156, 11 (49 f.); BVerfG, Urt. v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17, Rn. 230 ff.) – darauf an, ob die empfangende Behörde zu dem jeweiligen Übermittlungszweck mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln eine eigene Datenerhebung hätte durchführen dürfen („hypothetische Datenneuerhebung“, Rn. 123). Dennoch schließt die Unverhältnismäßigkeit der Bündelung gewisser Befugnisse bei einer Behörde aufgrund ihres Aufgaben- und Befugniszuschnitts (Rn. 128; vgl. BVerfG, Urt. v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 –, Rn. 241) nicht grundsätzlich jede Übermittlung von aufgrund solcher Befugnisse gewonnenen Daten aus. Das Gericht betont dementsprechend mehrfach, dass das Kriterium der „hypothetischen Datenneuerhebung“ nicht „schematisch“ gelte (Rn. 122 und 129), sodass noch „andere Gesichtspunkte“ berücksichtigungsfähig blieben (Rn. 122; Rn. 133 und 137). Es können also auch Übermittlungen stattfinden, obwohl die empfangende Behörde selbst entsprechende Maßnahmen nicht durchführen dürfte (Rn. 129).

Das Gebot der Strenge: Zweckakzessorietät

Die im nur grob abgesteckten Aufgabenprofil des Verfassungsschutzes enthaltenen, breit angelegten Zwecke rechtfertigen niedrigschwellige Beobachtungstätigkeiten bereits bei wenig konkreten allgemeinen Bedrohungen vergleichsweise abstrakter Rechtsgüter (Rn. 119). Es kann deswegen keine isolierte Betrachtung der Form der einzelnen Erhebungsmaßnahmen durchgeführt werden (Rn. 127 ff.). Hinsichtlich des Zwecks der Übermittlung gelte das Kriterium der hypothetischen Datenneuerhebung hingegen „streng“, sodass die neue Datennutzung nur dem Schutz von Rechtsgütern dienen dürfe, die eine Neuerhebung mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln zu rechtfertigen imstande wäre (Rn. 129). Insgesamt bewegen sich die Ausführungen des Gerichts hier an der Grenze der Verständlichkeit, was indizieren mag, dass sich der Senat durch eine sich ständig selbstverfeinernde Selbstreferenz immer weiter in seiner überkomplexen Datenübermittlungsdogmatik verheddert.

Weniger umständlich ausgedrückt gilt also, dass zwar hinsichtlich der übermittelnden Verfassungsschutzämter grundsätzlich keine atomisierende Betrachtung des Gewichts einzelner Formen von Eingriffsmaßnahmen vorzunehmen ist. Diese können nämlich nicht aus dem generellen Verwendungskontext, also der speziellen Zweck-Mittel Relation, die sich im Aufgaben- und Befugniszuschnitt der Behörde ausdrückt, herausgelöst werden. Ansonsten bestünde die Gefahr einer Umgehung der Begrenzungen des ursprünglichen Erhebungseingriffes, die letztlich die Verhältnismäßigkeit sicherstellen sollen. Hinsichtlich der empfangenden Behörde hingegen ist konkret danach zu fragen, welchen Zweck sie mit der Erlangung der Information verfolgt. In dieser Handhabung der „hypothetischen Datenneuerhebung“ zeigt sich erneut, dass es bei der Übermittlung nicht um die Aufrechterhaltung eines abstrakten „informationellen Trennungsprinzips“ geht, sondern um Verhältnismäßigkeitserwägungen, die sich entlang von Zweck-Mittel Erwägungen entfalten.

Die Gefahr einer konkreten Gefahr: Übermittlungsschwellen

Im Ergebnis muss sich die empfangende Behörde, die mit operativen Zwangsbefugnissen ausgestattet ist, für den Empfang von aufgrund nachrichtendienstlicher Mittel erhobener Informationen auf den Schutz von Rechtsgütern von herausragendem öffentlichem Interesse berufen (Rn. 129). Die zulässige Übermittlungsschwelle ist aus Sicht der übermittelnden Verfassungsschutzbehörde erreicht, wenn bei der Übermittlung zur Gefahrenabwehr zumindest eine konkretisierte Gefahr besteht, was sinngemäß die ‚Gefahr einer konkreten Gefahr‘ begrifflich zu fassen versucht (Rn. 132 ff.). Es geht also um eine niedrigere Schadenswahrscheinlichkeit als die konkrete Gefahr, aber eine höhere als die für die nachrichtendienstliche Überwachung bereits ausreichenden „tatsächlichen Anhaltspunkte“. Bei der Übermittlung an Strafverfolgungsbehörden müssen bestimmte, den Verdacht begründende Tatsachen vorliegen, also konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis (Rn. 137).

Der Fluch der Verweisung: Verhältnismäßigkeit und ‚Gesetzgebungstechnik‘

Bei der Prüfung der angegriffenen Vorschriften zeigt sich, dass die vom Gesetzgeber gewählte Verweisungstechnik den materiellen Anforderungen der Angemessenheit nicht gerecht wird. So kommt es zu einer Überschneidung von Problemen der Normenklarheit und Bestimmtheit mit der Verhältnismäßigkeit. Diese dienen der Vorhersehbarkeit der Eingriffe für Bürgerinnen und Bürger (Normenklarheit) sowie der Begrenzung von Befugnissen und der effektiven Kontrolle durch die Gerichte (Bestimmtheit, Rn. 108 ff.). Die Normenklarheit setze insbesondere bei Eingriffen, die heimlich geschehen, tief in die Rechtsphäre der Bürgerinnen und Bürger eingreifen und nur eingeschränkt gerichtlich kontrollierbar sind, der Verwendung von Verweisungsketten Grenzen. Problematisch ist es dabei jedoch nicht, dass mehrgliedrige Verweisungen verwendet werden (Rn. 142). Denn diese können sich nicht nur aus der Komplexität der geregelten Materie rechtfertigen (Rn. 143), sondern darüber hinaus auch der Klarheit dienlich sein, indem sie es ermöglichen, auf bereits durch Anwendung und Kontrolle konkretisierte unbestimmte Rechtsbegriffe und Auslegungsvarianten Bezug zu nehmen und dabei den Normtext entlasten (Rn. 113 f.). Probleme ergeben sich vielmehr, wenn auf Gesetze verwiesen wird, die „andersartige Spannungslagen“ zu bewältigen haben, sodass die maßgeblichen Aussagen, die dem verwiesenen Gesetz zu entnehmen sind, nur schwer ersichtlich sind (Rn. 112, 148). In diesem Fall kann es also aufgrund einer funktionalen Divergenz der Regelungskontexte zu inhaltlichen Verständnisschwierigkeiten kommen. So verbinden sich die Verhältnismäßigkeitserwägungen der Datenübermittlung mit den formellen Anforderungen der Bestimmtheit und Normenklarheit: Dadurch, dass der Gesetzgeber selbst für die Übermittlung zu präventiven Zwecken kurzerhand auf an das Strafrecht angepasste Normen verweist, geht er am rechtsgutsbezogenen Maßstab der Übermittlungsschwellen einfach vorbei.

Die erforderlichen besonders gewichtigen Rechtsgüter sind hierbei Leib, Leben und Freiheit der Person, der Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, sowie der Schutz solcher Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhalt im öffentlichen Interesse geboten sind, wie beispielsweise wesentliche Infrastruktureinrichtungen (Rn. 130). Die zuletzt genannte Fallgruppe, die gerade derzeit mit dem Verdacht von Sabotageakten ausgehend von ausländischen Diensten besonders ins öffentliche Interesse gerückt ist, wird möglicherweise auch deshalb vom Senat explizit herausgehoben, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, den Schutz kritischer Infrastrukturen dysfunktional zu erschweren.

Inkompatible Verweisung auf Straftatkataloge im Bereich der Gefahrenabwehr

Zwar meint das Gericht, dass es hinsichtlich der Verwendung von Verweisketten nicht notwendig sei, dass der Gesetzgeber speziell diese Rechtsgüter benennt, da der Begriff der „besonders schweren Straftat“ diesen Anforderungen entspreche (Rn. 131, 154). Die folgenden Ausführungen zeigen jedoch, dass mit dieser Aussage lediglich notgedrungen der misslungenen Verweisungstechnik des Gesetzgebers gefolgt wird. So sei nicht nur problematisch, dass nicht alle in den §§ 74a und 120 GVG genannten und pauschal in Bezug genommenen Straftaten als besonders schwere Straftaten zu qualifizieren sind. Auch erfülle der offene Übermittlungstatbestand, der allein an Zielsetzung und Motiv des Täters anknüpft, diese Voraussetzung nicht. So gelangten Straftaten in den Anwendungsbereich, die einen sehr niedrigen Strafrahmen aufweisen und somit nicht „besonders schwer“ seien. Das Gericht weist den Gesetzgeber jedoch entsprechend seiner rechtsgutsbezogenen Maßstäbe im Rahmen der Gefahrenabwehr darauf hin, dass es ihm unbenommen sei, statt der gewählten Verweisung die gefährdeten Rechtsgüter zu benennen, soweit der Strafrahmen dem Gewicht des Rechtsguts nicht gerecht werde (Rn. 155).

Ein ähnliches, auf die verschiedenen Konfliktlagen zurückzuführendes Verkopplungsproblem, ergibt sich hinsichtlich der Verweisung des § 20 Abs. 1 S. 2 Var. 1 BVerfSchG auf § 120 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 4 GVG. Hier wird nicht klar, ob über das Vorliegen einer Katalogstraftat hinaus auch Bezug genommen werden sollte auf die Voraussetzung, dass „der Generalbundesanwalt wegen der besonderen Bedeutung des Falles die Verfolgung übernimmt“ (Rn. 144). Zwar weise der Wortlaut der Verweisnorm darauf hin, dass tatsächlich die Übernahme der Verfolgung durch den Generalbundesanwalt erforderlich sein solle, doch sei nicht nachvollziehbar, wie diese Voraussetzung im Bereich der Verhütung von Straftaten Relevanz entfalten solle, sodass die Übermittlungspflicht im Bereich der Gefahrenabwehr weitestgehend leerlaufen dürfte (Rn. 145). Wollte man die Verweisung so verstehen, dass der Verfassungsschutz selbst die „besondere Bedeutung“ des Falles zu prüfen habe, passe die zuständigkeitsbegründende Vorschrift jedenfalls nicht in den Bereich der Übermittlungspflichten, da sie nicht an den hierfür relevanten materiell-rechtlichen Charakter einer Straftat anknüpfe (Rn. 147). An den unverhältnismäßig ausgestalteten Übermittlungspflichten ändere auch die in § 23 Nr. 1 BVerfSchG enthaltene Klausel nichts, dass keine unverhältnismäßigen Übermittlungen vorzunehmen sind, obwohl die Voraussetzungen dieser inzwischen durch die Rechtsprechung deutlich konkretisiert seien (Rn. 156). Eine solche Klausel kann höchstens dann Wirkung entfalten, wenn mit ihr nicht schon im Ausgang unverhältnismäßig strukturierte Tatbestände vollständig ‚aufgehoben‘ werden sollen. Der Gesetzesvorbehalt würde ansonsten ad absurdum geführt.

Eine kompetenzrechtliche Klarstellung und offene Fragen

Erfreulich ist, dass das Gericht beiläufig klarstellt, dass sich die Zuständigkeit des Bundes für die Übermittlungsbefugnisse nach § 20 Abs. 1 S. 1 und 2 BVerfSchG aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 lit. b GG ergeben, die dem Bund die Kompetenz zur Regelung der Zusammenarbeit des Bundes und der Länder im Bereich des Verfassungsschutzes ermöglichten. Der Bund dürfe also dem Bundesamt die für seine Aufgaben erforderlichen Befugnisse einräumen (Rn. 98). Einer Gegenansicht, die den Verfassungsschutz des Bundes auf eine reine Koordinationsbehörde ohne eigene Befugnisse reduzieren möchte (namentlich Bäcker, Das G 10 und die Kompetenzordnung, DÖV 2011, 840, 844), wurde damit eine Absage erteilt. § 21 Abs. 1 S. 1 BVerfSchG sei auf eine übergreifende Zusammenarbeit gerichtet und nicht auf die Datenübermittlung zwischen den jeweiligen Fachbehörden auf Landes- und Bundesebene untereinander (Rn. 100).

Unklar bleibt hingegen, inwiefern der Gesetzgeber den offenen Übermittlungstatbestand anpassen könnte, sollte er sich auf Rechtsgutskataloge verlegen. Das Gericht selbst stellt darüber hinaus eine latent widersprüchliche Erwägung an. So sei zu beachten, dass Straftaten, die weit in das Vorfeld von Rechtsgutsgefährdungen Vorbereitungshandlungen pönalisieren, nicht zur Umgehung von Verhältnismäßigkeitserwägungen im Bereich der Gefahrenabwehr dienen könnten (Rn. 134). Dennoch sei eine Übermittlung zur präventiven Verhinderung auch abstrakter Gefährdungsdelikte (zB §§ 89a, 129a StGB) möglich, sofern im Einzelfall sichergestellt sei, dass eine konkretisierte Gefahr für das durch die jeweiligen Straftatbestände geschützte Rechtsgut vorliege (Rn. 159). Die Besonderheit dieser Vorfeldstraftatbestände liegt jedoch gerade darin, dass ein konkretes Rechtsgut im herkömmlichen Sinne noch nicht gefährdet ist. Insoweit scheint dem Gericht selbst eine vollendete Straftat nach §§ 89a, 129a StGB noch kein hinreichender Übermittlungsgrund zur Gefahrenabwehr zu sein, was nicht überzeugen würde. Obwohl mit diesen Ausführungen das berechtigte Anliegen verfolgt worden sein mag, die Übermittlung nicht grenzenlos in das Vorfeld von Rechtsgutsgefährdungen zu verlagern, stellt sich die Frage, wie auf der Grundlage dieser Voraussetzung überhaupt eine präventive Verhinderung vor Erfüllung des Tatbestandes abstrakter Gefährdungsdelikte möglich sein soll.

Die Rolle des Verfassungsschutzes in der Sicherheitsarchitektur und die Notwendigkeit bereichsspezifischer Regelungen

Indem das BVerfG akzeptiert, dass den Verfassungsschutz Übermittlungspflichten treffen können, gesteht es ihm innerhalb der staatlichen Sicherheitsbehörden eine Rolle neben der reinen politischen Vorfeldaufklärung und Regierungsinformation ein. Der Verfassungsschutz kann also auch aktiv in die Verhinderung und Aufklärung qualifizierter Risiken durch Extremismus eingebunden werden. Verfassungsschutzbehörden sind, wie die jüngere Rechtsprechung des Gerichts sukzessive herausgeschält hat, integrale Bestandteile einer verfassungskonformen Sicherheitsarchitektur, die von Arbeitsteilung, Kooperation und Verzahnung lebt. Aufgrund der holzschnittartigen ‚one size fits all‘-Verweisungen des Gesetzgebers wurde allerdings bisher das Potenzial von konkret auf die verschiedenen „Spannungslagen“ bezogenen Verhältnismäßigkeitserwägungen nicht vollends ausgeschöpft und eventuell sogar an den Schutzbedürfnissen gewisser Rechtsgüter vorbei gearbeitet. Damit zeigt die Entscheidung, dass Grundrechtsschutz nicht primär durch am Reißbrett entworfene Ordnungsschemata nach abstrakten Prinzipien gewährleistet wird. Diese werden ganz allgemein der Multipolarität der grundrechtlichen Herausforderungen nicht hinreichend gerecht. Der Schutz individueller Rechte verwirklicht sich vielmehr vornehmlich in konkreten, an die spezifischen Konfliktlagen angepassten Zweck-Mittel Relationen, die dann aber politisch differenziert – und für die einzelnen Nachrichtendienste gegebenenfalls unterschiedlich – zu gestalten sind.