Remonstration an der Grenze
Zu möglichen Remonstrationen im Kontext der Zurückweisungen an der Grenze durch die Bundespolizei
Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Zurückweisung von drei somalischen Asylsuchenden in einer viel beachteten Entscheidung Anfang Juni im Eilverfahren für rechtswidrig erklärt. Da Innenminister Dobrindt dennoch weiter Grenzkontrollen und Zurückweisungen durchführen lässt, könnte nunmehr ein Institut des Dienstrechts relevant werden, das lange ein „Schattendasein“1) fristete: die Remonstration. Dabei geht es im hier relevanten Kontext vor allem um zwei Fragen: Erstens, ob Bundespolizist:innen nach dem Urteil des VG Berlin verpflichtet sind, hinsichtlich der Zurückweisungen zu remonstrieren (§ 63 Abs. 2 S. 1 BBG). Und zweitens, ob sich sogar die Pflicht ergeben könnte, weitergehend den Gehorsam zu verweigern (§ 63 Abs. 2 S. 4 BBG). Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesgerichtshofs (BGH) spricht zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings eher gegen eine Remonstrationspflicht. Auch die Möglichkeit einer Weigerung wegen etwaiger Verstöße gegen die Menschenwürde oder das Strafrecht dürfte aktuell nicht gegeben sein. Ein Recht zur Remonstration besteht aufgrund der Zweifel an der Rechtmäßigkeit der aktuellen Praxis indes bereits jetzt.
Wie eine Remonstration abläuft
Bundesbeamt:innen befinden sich in einem Spannungsverhältnis. Auf der einen Seite trifft sie die sogenannte Folgepflicht gemäß § 62 Abs. 1 S. 2 Bundesbeamtengesetz (BBG), wonach sie verpflichtet sind, die von ihren jeweiligen Vorgesetzten erlassenen „dienstlichen Anordnungen auszuführen sowie deren allgemeine Richtlinien zu befolgen“.
Gleichzeitig tragen Bundesbeamt:innen gemäß § 63 Abs. 1 BBG für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen selbst die „volle persönliche Verantwortung“ in disziplinar- und haftungsrechtlicher Hinsicht. Zur Auflösung dieses Dilemmas gibt es im Beamtenrecht das Institut der Remonstration. Danach haben Beamt:innen das Recht, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen auf dem Dienstweg in Form einer Gegenvorstellung geltend zu machen (vgl. § 63 Abs. 2 S. 1 BBG). Dabei handelt es sich nach ganz herrschender Meinung allerdings nicht nur um ein Recht, sondern sogar um eine Dienstpflicht.2) Das Dienstwegerfordernis bedeutet, dass Bedenken zunächst gegenüber der unmittelbaren Vorgesetzten vorgetragen werden müssen. Sollte die Weisung aufrechterhalten werden, muss man sich an die nächsthöhere Vorgesetztenstelle wenden (vgl. § 63 Abs. 2 S. 2 BBG). Sollte die Weisung auch auf der höheren Ebene aufrechterhalten werden, so muss sie trotz der Geltendmachung und des Fortbestehens der Bedenken ausgeführt werden. Die ausführenden Beamt:innen sind ab diesem Punkt allerdings von ihrer persönlichen Verantwortung befreit (§ 63 Abs. 2 S. 3 BBG; dazu bereits hier).
Die Remonstrationspflicht bezweckt damit einen Ausgleich zwischen der Folgepflicht einerseits und der Gesetzesbindung der Verwaltung andererseits. Durch das Hierarchieprinzip wird die Funktionsfähigkeit der Verwaltung gewährleistet, und doch sind Beamt:innen grundsätzlich auch persönlich in der Verantwortung, was die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns angeht. Auf diese Weise soll insbesondere den Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus Rechnung getragen und verhindert werden, dass sich die Beamtenschaft auf blinden Befehlsgehorsam berufen kann.
„Bedenken“ an aktueller Zurückweisungspraxis naheliegend
Wie sieht es dann bei den Zurückweisungen an der Grenze aus? Das hängt zunächst auf tatbestandlicher Ebene davon ab, ob die Beamt:innen gegenwärtig „Bedenken“ im Sinne von § 63 Abs. 2 S. 1 BBG haben müssen. Nach allgemeiner Ansicht versteht man unter solchen Bedenken „begründete Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit der Weisung.3) Zwar handelt es sich bei dem Urteil des VG Berlin um eine Entscheidung, deren Rechtskraft sich nur inter partes – also auf die drei somalischen Staatsangehörigen – erstreckt. Allerdings kommt hinzu, dass die aktuelle Praxis der Zurückweisungen an der Grenze generell von vielen Vertretern aus der Wissenschaft aufgrund der postulierten Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht als rechtswidrig angesehen worden ist (vgl. dazu nur Hruschka, Farahat/Steurer und Holterhus/Zillessen). Auch die jüngste Entscheidung des VG Berlin vom 2.6.2025 enthält explizit das Votum, dass § 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG „als Rechtsgrundlage für die Zurückweisung aufgrund vorrangigen Unionsrechts nicht in Betracht“ komme sowie auch eine Notlage im Sinne von Art. 72 AEUV nicht substanziell begründet wurde. Deshalb scheint (objektiv) durchaus ein gewisser Anlass für Zweifel an der Rechtmäßigkeit der aktuellen Praxis insgesamt zu bestehen. Das Argument, dass eine Rechtswidrigkeit nicht ausreichend erwiesen sei, kann also aktuell nicht ohne Weiteres überzeugen bzw. die Bedenken nicht ohne Weiteres zerstreuen.
Zwar kann nicht unbedingt von Beamt:innen (subjektiv) erwartet werden, dass sie die Urteilsgründe jedes verwaltungsgerichtlichen Urteils en detail studieren. Dieser Fall dürfte allerdings aufgrund der intensiven Behandlung dieses Themas in den Medien anders gelagert sein. Nach dem BGH folgt zudem aus der oben angesprochenen „persönlichen Verantwortung“ der Beamt:innen für ihre dienstlichen Handlungen die Verpflichtung, eben diese Handlungen auf ihre Rechtmäßigkeit hin sorgfältig und gewissenhaft zu überprüfen.4) Eine solche Prüfung habe maßgeblich „anhand der einschlägigen Rechtsnormen“ sowie „durch Zurückgreifen auf Rechtsprechung und Fachliteratur“ zu erfolgen (hier Rn. 41). Denn Beamt:innen müssten die zur Führung des Amtes „notwendigen Rechts- und Verwaltungskenntnisse besitzen oder sich verschaffen“ (hier Rn. 57).
Hohe Anforderungen an Verschulden
Damit scheint auf den ersten Blick nahezu alles für eine Remonstrationspflicht zu sprechen.5) Auf den zweiten Blick erscheint es indes wahrscheinlicher, dass diese aufgrund fehlenden Verschuldens der Beamt:innen dennoch unterbleiben darf. Auch diese Erwägung leitet sich aus der eben genannten Entscheidung des BGH ab: Haben nämlich die Beamt:innen die Gesetzes- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihnen „zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft“ geprüft und sich sodann „aufgrund vernünftiger Überlegungen (…) eine Rechtsmeinung“ gebildet, so lasse sich „aus der späteren Missbilligung dieser Rechtsauffassung durch die Gerichte“ ein Schuldvorwurf jedenfalls dann nicht herleiten, „wenn die nach solcher Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers als vertretbar angesehen werden kann“ (hier Rn. 57). In diesem Lichte könnte die aktuelle Situation tatsächlich einen Grenzfall darstellen. Auf der einen Seite liegt derzeit in der Tat „nur“ ein Beschluss im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor. In der Entscheidung selbst deuten Formulierungen wie „Gesamtbetrachtung“ an, dass Argumente für eine gegenteilige Sichtweise zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen sind (abweichende Ansichten in Medienbeiträgen bis dato etwa Huber, Müller, Papier), die im Hauptsacheverfahren möglicherweise anders gewichtet werden könnten (auch wenn dies vorliegend eher unwahrscheinlich sein dürfte). Potentiell könnten auch noch Nachbesserungsmöglichkeiten für die Regierung zur Untermauerung ihrer Sichtweise vorhanden sein (in diese Richtung offenbar Thym; eher zurückhaltend Kirchner). Auf der anderen Seite stehen der für ein Eilverfahren vergleichsweise ausführlich begründete Beschluss des VG Berlin und die oben angesprochene Sichtweise vieler Rechtswissenschaftler:innen verbunden mit der seit Wochen anhaltenden medialen Diskussion. Dass sich angesichts dessen aber die Rechtswidrigkeit zum aktuellen Zeitpunkt mit der Folge gewissermaßen „aufdrängen“ (hier Rn. 56) muss, erscheint nicht zwingend. Anders dürfte die Situation aber zu beurteilen sein, sofern in Zukunft immer mehr Gerichte bis hin zu Ober- und Bundesgerichten von einer Rechtswidrigkeit der angeordneten Zurückweisungen ausgehen sollten (dazu auch Heinemann; Holterhus spricht in diesem Zusammenhang anschaulich von einem „Kipppunkt“). Dann erschiene es freilich wahrscheinlich, dass die Bundesregierung von sich aus die gegenwärtige Zurückweisungspraxis aufgeben würde.
Noch ein weiterer Umstand spricht dafür, dass die Remonstration ohne Verschulden unterbleiben könnte: Der BGH entschied, dass das Unterlassen einer Remonstration auch in Kenntnis einer entgegenstehenden Gerichtsentscheidung dann nicht als sorgfaltswidrig anzusehen ist, wenn sie „offensichtlich keinen Erfolg“ (hier Rn. 67) haben würde. Davon ging der BGH in einem Fall aus, in dem sich für einen Beamten unter anderem aus E-Mail-Korrespondenz ergeben hatte, dass die Vorgesetztenebene in Kenntnis einer mittlerweile geänderten Rechtslage an der bisherigen Praxis festhielt. Hier durfte er nach dem BGH davon ausgehen, dass eine Remonstration keinen Sinn haben würde. Für das Gericht ist in solchen Konstellationen bereits fraglich, „ob die Unterlassung einer erkennbar aussichtslosen Remonstration überhaupt pflichtwidrig“ ist, sie sei aber – wie erwähnt – „jedenfalls nicht sorgfaltswidrig“ (hier Rn. 67). Somit spricht aus Perspektive der Praxis einiges dafür, dass eine Remonstration von Bundespolizist:innen an der Grenze gegenwärtig als „aussichtslos“ im eben dargestellten Sinne anzusehen sein könnte, hat sich doch das Bundesinnenministerium kurz nach der VG-Entscheidung eindeutig positioniert (dazu statt vieler Kirchner). Eine Remonstration dürfte im Lichte der BGH-Rechtsprechung also unterbleiben.
Diese Sichtweise ließe sich aus teleologischer Perspektive möglicherweise diskutieren. Lange schon wird vereinzelt ein ausgesprochen pessimistisches Bild von der Remonstration und der Bereitschaft zur Durchführung derselben innerhalb der Beamtenschaft gezeichnet.6) Eine Remonstration zu unterlassen sei aus Gründen der „Sicherheit der Karriereentwicklung“ das „allgemein akzeptierte Verhaltensmuster“, bezüglich dessen ein „Konformitätsdruck“ bestehe. Ob dies wirklich so ist, kann an dieser Stelle nicht vertieft werden. Die Neigung, eine Remonstration bei erwartbarem Widerstand in der Hierarchie lieber gleich zu unterlassen, scheint durch die Sichtweise des BGH aber eher gefördert zu werden als andersherum. Umso wichtiger ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Beamt:innen und Vorgesetztenebene, die einen offenen Austausch ermöglicht.
Verweigerung wegen Menschenwürdeverletzung oder Strafbarkeit?
Unabhängig davon, ob die Remonstration durchzuführen ist oder unterbleiben kann, ist die Frage zu beurteilen, ob weitergehend sogar eine Pflicht zur Gehorsamsverweigerung gemäß § 63 Abs. 2 S. 4 BBG bestehen könnte. Danach sind Weisungen trotz Bestätigung im Sinne von S. 3 nicht zu befolgen – und Beamt:innen weiterhin nicht von ihrer Verantwortung befreit –, „wenn das aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt oder strafbar oder ordnungswidrig ist und die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit für die Beamtinnen und Beamten erkennbar ist“.
Eine Menschenwürdeverletzung liegt nicht bereits dann vor, wenn ein Verwaltungsakt ergeht, der sich – zum Beispiel wegen einer unter Umständen untauglichen Rechtsgrundlage (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG) – später als rechtswidrig herausstellt. Vielmehr wird ein schwerwiegender Rechtsverstoß verlangt, der sich gegen die Persönlichkeit der betroffenen Person richtet.7) Auch muss dieser nach vorherrschender Meinung8) „erkennbar“ sein, obwohl der Gesetzeswortlaut das nicht zeigt. Zwar ist es grundsätzlich denkbar, dass, wenn einzelne Zurückweisungen das Prinzip der Nichtzurückweisung (Art. 3 EMRK, Art. 33 GFK) verletzen, dies auch Folgen im Sinne der Menschenwürdegarantie hätte (dazu Hong). Im Rahmen des § 63 Abs. 2 S. 4 BBG dürften diese möglichen Implikationen der Zurückweisungspraxis für Bundesbeamt:innen allerdings – jedenfalls grundsätzlich – schwerlich erkennbar sein. Dass dies in evidenten Einzelfällen einmal anders sein kann, darf freilich nicht pauschal ausgeschlossen werden.
Wie steht es um eine mögliche Strafbarkeit? Hier käme eine Nötigung im Amt (§ 240 Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 2 StGB) durch die Bundespolizist:innen in Betracht. Dieses strafrechtliche Risiko wird aktuell mehrheitlich mit nachvollziehbaren Gründen als überschaubar angesehen (Holterhus).9) Zurückweisungen müssten nicht nur rechtswidrig sein, sondern die den Weisungen folgenden Grenzbeamt:innen müssten wegen § 240 Abs. 2 StGB unter anderem in sittlich zu missbilligender Weise und sozial unerträglich handeln. Das naheliegende Handlungsmotiv der Beamtenschaft, die vom Bundesinnenministerium nach der Eilrechtsentscheidung des VG Berlin aufrechterhaltenen Vorgaben an der Grenze umzusetzen, erscheint im Lichte dessen, dass ausgewiesene Migrationsrechtsexperten von einer „unklaren Rechtslage“ (Thym) ausgehen und ehemalige Verfassungsrichter Zurückweisungen zumindest als rechtlich möglich einstuften (Huber, Papier), nicht als verwerflich. Unabhängig von der rechtlichen Substanz ihrer Argumente spricht zumindest die fachliche Hochkarätigkeit der Vertreter einer solchen Sicht dafür. Selbst wenn man von einer Straftat ausginge, so dürfte diese für die handelnden Beamt:innen momentan nicht erkennbar im Sinne des § 63 Abs. 2 S. 4 BBG sein. Bei der Beurteilung der Erkennbarkeit kommt es auf die rechtliche Vorbildung der handelnden Beamt:innen an, wobei ihnen gerade in Bezug auf die neue Praxis der Zurückweisungen schwerlich eine eindeutige Rechtmäßigkeitsbeurteilung abverlangt werden kann.
Über die beiden eben dargestellten Unverbindlichkeitsgründe (eine etwaige Ordnungswidrigkeit steht – soweit ersichtlich – nicht in Rede) hinaus vertreten BVerfG und herrschende Lehre die Auffassung, dass die Unverbindlichkeit von Weisungen auch dann anzunehmen sei, wenn sich diese als „offenkundig rechtswidrig“10) darstellen. In Anlehnung an die obigen Ausführungen dürfte jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) nicht von einer derartigen Evidenz auszugehen sein, so dass aus der Perspektive eines „unvoreingenommen – aber fachlich vorgebildeten – Dritten“ gerade noch nicht „ohne weiteres“ und frei von jeglichen Zweifeln davon ausgegangen werden muss, dass der aktuellen Praxis ihre Rechtswidrigkeit „auf die Stirn geschrieben“11) steht.
Praktische Konsequenzen
Beamt:innen, deren Aufgaben mit Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze verbunden sind, dürften zum aktuellen Zeitpunkt keine persönlichen Folgen zu befürchten haben, wenn sie nicht remonstrieren. Denn eine Remonstrationspflicht besteht jedenfalls eingedenk der zitierten BGH-Rechtsprechung, die eine solche Pflicht bei Aussichtslosigkeit von vornherein nicht fordert, derzeit nicht. Auch eine Pflicht zur Gehorsamsverweigerung ist derzeit nicht zu bejahen. Es besteht allerdings schon jetzt ein Recht zur Remonstration. Ob seitens der Beamtenschaft davon Gebrauch gemacht wird, obliegt ihrer freien Entscheidung. Wer Beamt:innen als „sichersten Weg“ zur Remonstration rät (Heinemann), sollte allerdings auch einpreisen, dass die Reaktionen auf Vorgesetztenebene unterschiedlich ausfallen können. Dazu gehören Befürchtungen, dass sich eine Remonstration einzelfallabhängig negativ auf das Standing der remonstrierenden Beamt:innen in der Chefetage auswirken könnte.12)
Ob schließlich Bundespolizist:innen mit der Remonstration die überschaubaren Strafrechtsrisiken verlässlich ausschließen können (dies andeutend Heinemann, Holterhus), erscheint nicht gesichert. Zwar vermag eine Remonstration – wie oben dargelegt – unzweifelhaft vor einer disziplinar- und haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit des Befehlsempfängers zu schützen.13) Ob darüber hinaus aber auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit entfällt, wird in der Literatur differenziert gesehen.14) Dies ist aufgrund der Differenzierung zwischen Straf- und Beamtenrecht sowie „Innen- und Außenverhältnis“ dem Grunde nach auch nachvollziehbar. Eine Entlastungswirkung hätte ihren Ausgangspunkt in jedem Fall in der fehlenden Erkennbarkeit gemäß § 63 Abs. 2 S. 4 BBG. Ob die Rechtsprechung, wenn sie denn eine Zurückweisung in der momentanen Phase tatsächlich als Straftat einstufen würde, diese dann (wie hier erwogen) als nicht erkennbar ansähe und wie sich eine solche (beamtenrechtlich wirkende) fehlende Erkennbarkeit strafrechtlich auswirken würde, erscheint derzeit nicht mit letzter Gewissheit abschätzbar.15)
Im Ergebnis lässt sich daher knapp festhalten: Wer aufgrund rechtlicher Bedenken remonstriert, hat ein Recht dazu. Wer dies aber unterlässt, muss aktuell keine Nachteile befürchten.
References
↑1 | So statt vieler Stuttmann, NVwZ 2020, S. 95 (96). |
---|---|
↑2 | Nach beispielweise Felix, Das Remonstrationsrecht und seine Bedeutung für den Rechtsschutz, 1993, S. 154 nur Obliegenheit. |
↑3 | Vgl. nur Grandjot, in: BeckOK Beamtenrecht Bund, Brinktrine/Schollendorf, 37. Edition, Stand: 01.04.2025, § 63 BBG, Rn. 13, wonach „gewichtige und begründbare Zweifel“ notwendig sind. |
↑4 | Vgl. BGHZ 119, 356 (369). |
↑5 | In diesem Sinne auch Holterhus: „Wo insoweit Zweifel bestehen, reicht eine Remonstration der betroffenen Beamten gegenwärtig jedenfalls völlig aus“. |
↑6 | Für nachfolgende Zitate im Text vgl. Quambusch, PersV 2003, S. 364 ff. |
↑7 | Hampel, in: GKÖD, Bd. I: BR Lfg. 10/13, § 63 BBG, Rn. 69. |
↑8 | Dazu statt vieler Schachel, in: Schütz/Maiwald, Stand Februar 2024, § 36 BeamtStG, Rn. 17 m.w.N. |
↑9 | Knierim/Krug, FD-StrafR 2025, 810006 halten das strafrechtliche Risiko für „überschaubar“. |
↑10 | BVerfG, Beschluss vom 7.11.1994 – 2 BvR 1117/94 – juris Rn. 7 ff. m.w.N. = NVwZ 1995, 680. |
↑11 | Formuliert nach Rux, DÖV 2002, S. 985 (986). |
↑12 | Ausführlich hierzu zum Beispiel Quambusch, PersV 2003, S. 364 ff; vgl. zum sogenannten „Edeka-Effekt“ auch Wichmann/Langer, Öffentliches Dienstrecht, 6. Aufl. 2017, S. 431, wobei Edeka für „Ende der Karriere“ steht. |
↑13 | Grigoleit, in: Battis, Bundesbeamtengesetz, 6. Aufl. 2022, § 63, Rn. 4. |
↑14 | Weinreich, in: BeckOK Beamtenrecht Bund, Brinktrine/Schollendorf, 37. Edition, Stand: 01.04.2025, § 36 BeamtStG, Rn. 75; Felix, Das Remonstrationsrecht und seine Bedeutung für den Rechtsschutz, 1993, S. 77; Paeffgen/Zabel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, Strafgesetzbuch, 6. Auflage 2023, Vorb. Zu §§ 32 – 35, Rn. 198: „Doch können die Beamtengesetze selbstverständlich nur eine beamten- (haftungs-/disziplinar-) rechtliche Regelung treffen (…)“. |
↑15 | Herrschend scheint zu sein, dass die fehlende Erkennbarkeit einen nicht explizit geregelten Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund darstellt, vgl. Günther, ZBR 1988, S. 297 (313 f. m.w.N.); Schlehofer, in: Münchener Kommentar zum StGB, 5. Aufl. 2024, Vorb. zu § 32, Rn. 337 und Rn. 131 m.w.N.; in der Literatur wird ferner vertreten, bei fehlender Erkennbarkeit regelmäßig einen unvermeidbaren Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB anzunehmen, vgl. Schachel, in: Schütz/Maiwald, Stand Februar 2024, § 36 BeamtStG, Rn. 17 m.w.N.; ähnlich Kawik, ZBR 2015, S. 243 (246 f., Fn. 21), wonach die fehlende Erkennbarkeit strafrechtlich „zu beachten“ sei; differenzierend aber wohl Felix, Das Remonstrationsrecht und seine Bedeutung für den Rechtsschutz, 1993, S. 103. |