16 April 2024

Die erste von drei Säulen

Zum Arbeitsentwurf des BMJ zur Stärkung der Stellung des Bundesverfassungsgerichts

Es ist gut, dass das Bundesministerium der Justiz vor Ostern nach längerer öffentlicher Debatte einen ersten Arbeitsentwurf zur Änderung von Art. 93 und 94 GG zur Stärkung der Stellung des Bundesverfassungsgerichts vorgelegt hat (siehe dazu die LTO-Meldung vom 28.03.2024 mit Details zum Entwurf, den Beitrag von Ferdinand Kirchhof und die Kommentare im Verfassungsblog bereits hier und hier). Damit existiert eine konkrete Diskussionsgrundlage für die Gesetzgebungsorgane, die politischen Parteien, die Rechtswissenschaft und die interessierte Öffentlichkeit. Es ist auch gut, dass die CDU/CSU wieder bereit ist, mit den Regierungsparteien zu diskutieren und an den konkreten Vorschlägen mitzuarbeiten. Ohne die grundsätzliche Offenheit der größten Oppositionsfraktion wäre das nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament erreichbare Vorhaben von vornherein gescheitert.

Der Arbeitsentwurf des BMJ macht aber bisher, soweit erkennbar, leider auf halber Strecke der in der Diskussion befindlichen Vorschläge zur Stärkung des Bundesverfassungsgerichts halt. Von den drei Säulen der aktuellen Resilienzdiskussion – Statusregeln, Zweidrittelmehrheit und Verfahrenssicherung – wird offenbar nur die erste thematisiert. Das ist nicht ausreichend, um das normative Fundament des Gerichts wie beabsichtigt zu stärken. Die beiden fehlenden Säulen sollten auf jeden Fall Gegenstand der nun anstehenden parlamentarischen Diskussion über das Vorhaben sein.

Kernelemente des BMJ-Arbeitsentwurfs

Der Arbeitsentwurf des BMJ sieht, soweit erkennbar, eine Ergänzung der wenigen bereits vorhandenen Strukturmerkmale des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz vor, nämlich um die Festlegung auf zwei Senate mit je acht Richtern (darunter je 3 Bundesrichter), deren hälftige Wahl durch Bundestag und Bundesrat je Senat, die Begrenzung der Amtszeit der Richterinnen und Richter auf 12 Jahre, längstens bis zur Altersgrenze von 68 Jahren, und der Ausschluss der Wiederwahl. All diese Merkmale sind nicht neu, sondern seit Jahrzehnten im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht enthalten und in der Sache bewährt. Bei der angestrebten Änderung des Grundgesetzes dürfte die Aufnahme dieser Regeln in das Grundgesetz in der Sache kaum ernsthafte Streitpunkte aufwerfen. Das gilt auch für die im Arbeitsentwurf darüber hinaus vorgesehene Übernahme der Bestimmung zur Bindungswirkung und zur Gesetzeskraft der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.

Zu begrüßen ist, wenn die Aufnahme der genannten Regelungen in das Grundgesetz nicht primär auf die Stärkung der Resilienz des Gerichts gegen Gefährdungen durch radikale Partien gestützt wird, die nach dessen „Entmachtung“ streben, sondern erster Linie auf eine angemessene normative Ausgestaltung auf Verfassungsebene, wie sie dem Bundesverfassungsgericht nach über 70 Jahren Bewährung auch im Vergleich zu den anderen Verfassungsorganen gebührt.

Fehlen des Zweidrittelerfordernisses

Wert des Zweidrittelquorums

Offenbar nicht im Arbeitsentwurf des BMJ vorgesehen ist die Übernahme des Erfordernisses einer Zweidrittelmehrheit für die Richterwahlen in das Grundgesetz. Das ist bedauerlich. Eine Zweidrittelmehrheit ist seit 1951 sowohl für den Bundestag (dort war in den Anfangsjahren sogar eine Dreiviertelmehrheit notwendig) als auch für den Bundesrat im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht gefordert. Diese Vorgabe hat sich nach übereinstimmender Auffassung in besonderem Maße bewährt. Das Zweidrittelerfordernis hat aufs Ganze gesehen zuverlässig eine politisch einseitige Besetzung der Senate und zuallermeist auch die Wahl von Kandidaten mit Eigenschaften verhindert, die ihre Eignung für Entscheidungen in Gremien in Frage stellten. In den vergangenen Jahrzehnten verfügte eine Bundesregierung nur in sehr seltenen Fällen allein über eine 2/3-Mehrheit im Bundestag oder gar eine Partei alleine über eine entsprechende Stimmenmehrheit im Bundesrat. Daher erforderte die Wahl neuer Richter neben den konsensualen Absprachen über Vorschlagsrechte in aller Regel die Präsentation von Kandidaten, die auch für die jeweilige Opposition oder jedenfalls Teile von ihr wählbar waren. Diese Rahmenbedingungen für die Kandidatenauswahl dürften auch von erheblichem Einfluss auf die seit Jahrzehnten gepflegte Beratungs-, Entscheidungs- und Entscheidungsbegründungskultur in den Senaten des Bundesverfassungsgerichts sein, die sich durch Deliberation, Konsenssuche und in aller Regel durch das Streben nach Lösungen auszeichnet, welche von möglichst großen Mehrheiten im Senat getragen werden. Das Zweidrittelerfordernis ist im Übrigen keine „Erfindung“, um kleine Parteien von einer substantiellen Beteiligung an den Richterwahlen in demokratisch zweifelhafter Weise fernzuhalten. Es soll vielmehr im Gegenteil eine breite demokratische Legitimation der Gewählten sichern.

Sperrminorität und „Versteinerungsargument“

Trotz dieser Bedeutung des Zweidrittelerfordernisses bei der Richterwahl für die Funktionsweise des Gerichts sieht der Entwurf nicht vor, es auf die Verfassungsebene anzuheben. Einer der für diese Zurückhaltung zumeist angeführten Gründe ist die Furcht davor, dass die Richternachwahl versteinern könnte im Falle einer dauerhaften Blockade durch eine oder mehrere Parteien, die im Bundestag oder Bundesrat über eine Sperrminorität von mehr als einem Drittel der Stimmen verfügen. Stünde das Zweidrittelerfordernis erst einmal im Grundgesetz, käme im Fall einer Blockade durch Sperrminorität die für die Richterwahl dann nur zur Verfügung stehende (einfache) Mehrheit in Bundestag oder Bundesrat nicht mehr von dieser Bedingung los. Denn zu der dafür erforderlichen Änderung des Grundgesetzes fehlte dann die Zweidrittelmehrheit.

Dieses auf den ersten Blick plausibel erscheinende Argument überzeugt bei näherem Hinsehen nicht. Ein unbestritten für bewährt und wertvoll gehaltenes Strukturelement für die Zusammensetzung des Gerichts nur deshalb nicht ins Grundgesetz aufzunehmen, weil man im Krisenfall ansonsten nicht einfach genug wieder davon weg kommt, löst das mögliche Blockadeproblem in die falsche Richtung. Besteht über die Bejahung und Wertschätzung des Zweidrittelerfordernisses im Grundsatz Einigkeit, sollte es wie die anderen Strukturmerkmale auch ins Grundgesetz aufgenommen und so änderungsresistent gemacht werden. Die als mögliche „Versteinerung“ befürchtete Änderungsfestigkeit als Konsequenz einer solchen normativen „Hochzonung“ ist ja gerade Sinn der Aufnahme bestimmter Regelungen in das Grundgesetz, die für Staat und Gesellschaft wesentlich sind. Sie sollen damit dem Änderungszugriff einfacher Regierungsmehrheiten entzogen werden. Eben das wäre auch für das Zweidrittelerfordernis bei der Richterwahl wünschenswert. Erfahrungen der letzten Jahre in anderen Staaten haben gezeigt, dass der Zugriff auf die Besetzung der dortigen Verfassungsgerichte regelmäßig zu den ersten Maßnahmen neuer Mehrheiten zählte, die sich fundamental gegen eine starke und unabhängige verfassungsgerichtliche Kontrolle der Staatsgewalt richteten. Vor allem aber schützt die verfassungsrechtliche Stärkung des Zweidrittelerfordernisses in Verbindung mit einem ebenfalls auf Verfassungsebene zu etablierenden Blockadelösungsmechanismus vor der näher als das Missbrauchsrisiko liegenden Gefahr, dass im Fall einer Sperrminorität der Weg zur Richterwahl mit einfacher Mehrheit vorgezeichnet wäre.

Blockadelösung statt Aufgabe des Zweidrittelerfordernisses

Statt darauf zu verzichten, das Zweidrittelerfordernis ins Grundgesetz zu übernehmen, ist dem Versteinerungsargument vielmehr mit einem funktionierenden Blockadelösungsmechanismus zu begegnen. Hierüber besteht Einigkeit unter den Befürwortern der Aufnahme des Zweidrittelerfordernisses in das Grundgesetz. Ein weiteres kommt hinzu und muss in aller Deutlichkeit gesagt sein: Ein Blockadelösungsmechanismus wird ganz genauso benötigt, wenn man das Zweidrittelerfordernis nicht in die Verfassung schreiben will. Die Gefahr einer Blockade ist – wegen des Zweidrittelerfordernisses im Bundesverfassungsgerichtsgesetz – bereits jetzt so real, wie sie es bei der dringend erforderlichen Übernahme des Quorums ins Grundgesetz wäre. Sollte es zu einer solchen Sperrminorität kommen, wäre es freilich zunächst die demokratische Aufgabe und Pflicht aller Parteien, Kandidaten für neu zu besetzende Richterämter zu finden, die die erforderlichen Zweidrittel der Stimmen in Bundestag oder Bundesrat dennoch auf sich vereinigen können.

Sollte dies trotz ernsthaften Bemühens aber über einen längeren Zeitraum nicht gelingen, bedarf es eines verfassungsrechtlich zweifelsfreien und funktionsfähigen Blockadelösungsmechanismus. Ein solcher existiert in der gegenwärtigen einfachgesetzlichen Regelung nicht, insbesondere nicht in dem eigentlich dafür vorgesehenen § 7a BVerfGG, der letztlich bei einem bloßen Vorschlagsrecht des Bundesverfassungsgerichts endet. Ein eigener Blockadelösungsmechanismus ist auch nicht im Arbeitsentwurf des BMJ als Ergänzung des Grundgesetzes vorgesehen. In die Diskussion zur Resilienzstärkung des Bundesverfassungsgerichts sind verschiedene Vorschläge für einen solchen Mechanismus eingebracht worden, die das Problem in verfassungsrechtlich gut vertretbarer Weise lösen könnten. Sie verdienen im parlamentarischen Verfahren zur Grundgesetzänderung eine vertiefte Diskussion. Hierzu soll es an dieser Stelle unter Verzicht auf Details lediglich bei kurzen Hinweisen auf die diskutierten Modelle sein Bewenden haben: So sei zunächst auf den Vorschlag verwiesen, wonach das Wahlrecht bei einer über ein Jahr andauernden Blockade auf das andere im Grundgesetz ohnehin schon mit der Richterwahl betraute Verfassungsorgan Bundestag oder Bundesrat übergeht. Einen anderen Ansatz wählt Ferdinand Kirchhof, der unter anderem vorschlägt, dass nach zwei vergeblichen Wahlgängen für einen dritten Wahlgang das Bundesverfassungsgericht eine verbindliche Dreierliste vorzulegen hat, aus der bei erneutem Scheitern der Wahl der Erstplatzierte auf der Liste als gewählt gilt. In der Diskussion befindet sich schließlich auch der Vorschlag, nach längerer Nachwahlblockade das Wahlrecht auf ein aus den Präsidien der obersten Bundesgerichte zu bildendes Wahlgremium zu übertragen. Der schlichte Einwand einer Versteinerung des Wahlverfahrens gegen die – eigentlich erwünschte – Übernahme des Zweidrittelerfordernisses ins Grundgesetz greift jedenfalls zu kurz, solange der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht mögliche Blockadelösungsmechanismen ernsthaft in Erwägung zieht.

Der Gesetzgeber wird dabei zu berücksichtigen haben, dass er bei Nichtaufnahme des Zweidrittelerfordernisses ins Grundgesetz nicht nur darauf verzichtet, diese wichtigen statusbildenden Merkmale für das Gericht abzusichern. Er entzieht damit zugleich der gegenwärtig allein einfachrechtlichen Grundlage des Zweidrittelerfordernisses sehenden Auges den Boden und bereitet den Weg zur Richterwahl mit bloß einfacher Mehrheit. Kommt es nämlich zur Dauerblockade einer Richternachwahl durch fundamentaloppositionelle Parteien, kann der Gesetzgeber diese Blockade schon nach gegenwärtiger Rechtslage nicht dadurch beheben, eines der erwähnten Blockadelösungsverfahren auf Ebene des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes einzuführen. Dem stünde bereits jetzt Art. 94 Abs.1 Satz 2 GG entgegen, wonach die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden; dies würde erst recht gelten, wenn allein die Änderungsvorschläge des jetzigen Arbeitsentwurfs des BMJ ins Grundgesetz übernommen würden. Mangels der im Blockadefall für eine Grundgesetzänderung erforderlichen Zweidrittelmehrheit könnte der Gesetzgeber einen Blockadelösungsmechanismus aber auch nicht durch verfassungsänderndes Gesetz einführen. In dieser Zwangslage bliebe ihm nur der mit einfacher Mehrheit durch Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht mögliche Wechsel zur Bestimmung der Richterwahl mit einfacher oder sonst qualifizierter Mehrheit. Ob die demokratischen Parteien den faktischen Zwang zu einer solchen Lösung wirklich erzeugen wollen, sollte offen diskutiert werden.

Sicherung von Organisation und Verfahren

Mindestens ebenso problematisch wie das Verschweigen zur Zweidrittelmehrheit ist das Fehlen der dritten Säule in dem Arbeitsentwurf zur verfassungsrechtlichen Festigung der Stellung des Bundesverfassungsgerichts. Der Entwurf sieht offenbar keine Vorkehrungen zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts gegen nachteilige Änderungen von Zuständigkeiten, Organisation und Verfahren des Gerichts vor. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre in einer ganzen Reihe anderer Staaten haben gezeigt, dass neue illiberale Mehrheiten unliebsame Verfassungsgerichte auf der prozeduralen Ebene auch mit scheinbar unbedeutenden Gesetzesänderungen empfindlich in ihrer Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen oder gar völlig lahmlegen können. Dies ist in den vergangenen Monaten und Jahren oft näher illustriert worden und braucht hier nicht wiederholt zu werden. Nun spricht glücklicherweise gegenwärtig nicht viel dafür, dass illiberale, undemokratische Kräfte in absehbarer Zeit Mehrheiten im Bundestag erringen könnten, die es Ihnen erlaubten, das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht gezielt zum Schaden der Funktionsfähigkeit des Gerichts ändern. Auch soll das aktuelle Vorhaben zur Änderung des Grundgesetzes ja nicht primär der Gefahrenabwehr, sondern der nach 75 Jahren Grundgesetz angemessenen Verfestigung seiner Stellung als Gerichtshof des Bundes und Verfassungsorgan dienen. Gleichwohl drängt sich auf, die beabsichtigte Ergänzung der Bestimmungen über das Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz zu nutzen, die Funktionsfähigkeit des Gerichts gegen Einflüsse mit dysfunktionaler Zielrichtung in einem Zeitpunkt zu schützen, in dem noch keine konkreten Gefahren drohen, solche aber auch nicht völlig aus der Luft gegriffen sind. Ist es nicht auf jeden Fall besser, die Widerstandsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts durch normative Absicherung auf Verfassungsebene, soweit nach reiflicher Diskussion für angemessen und richtig befunden, in Ruhe zu stärken als in Krisensituationen unter dem Druck akuter Gefährdungen und in Zeitnot?

Auch dies sollte in dem anstehenden Gesetzgebungsverfahren offen diskutiert werden. Vorschläge zur Sicherung des Gerichts auf organisatorischer und prozeduraler Ebene liegen ebenfalls bereits vor. Recht weitgehend in der Verknüpfung von Gericht und Gesetzgeber scheint dabei allerdings die Überlegung, alle Änderungen des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht zwingend an dessen Zustimmung im Plenum zu binden. Würde der Zustimmungsvorbehalt auf wesentliche, die Funktionsfähigkeit des Gerichts berührende Änderungen von Organisation und Verfahren beschränkt, handelte man sich für die zurückgenommene Einbindung des Gerichts in das Gesetzgebungsverfahren schwierige Auslegungsfragen ein und verlangte zudem auch in dieser Variante eine für das Gericht ansonsten untypische, nicht auf die Prüfung der Verfassungswidrigkeit einer Norm beschränkte rechtspolitische Entscheidung über die verfassungsprozessuale Sinnhaftigkeit einer Regelung. Das würde letztlich auch für eine noch weiter zurückgenommene Variante gelten, in der dem Bundesverfassungsgericht bei Änderungen des Gesetzes lediglich ein Einspruchsrecht eingeräumt würde, das vom Gesetzgeber erst in einem weiteren Verfahrensschritt, dann etwa mit qualifizierter Mehrheit, überwunden werden könnte. Unabhängig von der Einbindung in Verfahren zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht müsste das Gericht freilich gegebenenfalls über die allein verfassungsrechtliche Frage entscheiden, ob eine Änderung zur Zuständigkeit, Organisation oder zum Verfahren mit dem Grundgesetz vereinbar ist oder womöglich wegen einer substantiellen Bedrohung für die Funktionsfähigkeit des Gerichts gegen das Grundgesetz verstößt und nichtig ist. Hierzu könnte das Gericht in einem Normenkontrollverfahren oder im Rahmen einer Inzidentprüfung in einem anhängigen Verfahren berufen sein.

Eine effektive und mit minimalem Änderungsaufwand umsetzbare Lösung zur Verfahrenssicherung für das Gericht könnte darin liegen, das Bundesverfassungsgerichtsgesetz in ein durch den Bundesrat zustimmungsbedürftiges Gesetz zu überführen. Dieser Vorschlag ist Anfang Februar 2024 in einer gemeinsamen Erklärung der Vorsitzenden der Justizministerkonferenz und der Koordinatoren der A- und B-Länder unter Hinweis auf die von der Justizministerkonferenz im November 2023 eingesetzten Bund-/Länder-Arbeitsgruppe „Wehrhafter Rechtsstaat“ und deren Arbeit an einem Entwurf zur Stärkung des Bundesverfassungsgerichts in die öffentliche Diskussion eingebracht worden. Die Probleme der vorstehend angesprochenen Varianten im Falle einer Beteiligung des Gerichts am Gesetzgebungsverfahren würden bei dieser Lösung vermieden und das Gericht behielte seinen angestammten Platz einer bloßen Anhörung in Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht. Der Bundesrat wäre in solche Gesetzgebungsverfahren mit deren Zustimmungspflichtigkeit dann nicht primär zum Schutz föderaler Interessen, sondern zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts eingebunden.

Der richtige Zeitpunkt ist jetzt

Nach 75 Jahren Grundgesetz und weit über 70 Jahren Bewährung des Gerichts unter dieser Verfassung ist es an der Zeit, die anerkannten strukturbildenden Regeln über die Besetzung und den Status des Gerichts und seiner Rechtsprechungstätigkeit vom Gesetz über das Bundesverfassungsgericht in das Grundgesetz zu übernehmen. Damit wird zugleich seine Widerstandsfähigkeit gegen mögliche Störungs- und Schwächungsversuche der höheren Änderungsfestigkeit verfassungsrechtlicher Reglungen entsprechend gestärkt. Dem späteren Vorwurf, dies nicht getan zu haben, als noch Zeit und die erforderlichen demokratischen Mehrheiten dafür da waren, sollte man sich nicht ohne Not aussetzen.


SUGGESTED CITATION  Eichberger, Michael: Die erste von drei Säulen: Zum Arbeitsentwurf des BMJ zur Stärkung der Stellung des Bundesverfassungsgerichts, VerfBlog, 2024/4/16, https://verfassungsblog.de/die-erste-von-drei-saulen/, DOI: 10.59704/26b254131fe5880e.

One Comment

  1. Bijan Moini Thu 18 Apr 2024 at 17:03 - Reply

    Die rhetorische Frage, ob nicht auch die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts durch Verfassungsregelungen zu Zuständigkeit, Organisation und Verfahren schon jetzt anzugehen sei, also in Ruhe statt unter dem Druck einer Krise, möchte ich um folgende Erwägung verstärken: Es mag auf absehbare Zeit nicht wahrscheinlich sein, dass eine illiberale Mehrheit im Bundestag das Bundesverfassungsgerichtsgesetz ändert; es ist andererseits aber nicht völlig unwahrscheinlich, dass schon ab der nächsten Legislaturperiode eine illiberale Sperrminorität Verfassungsänderungen zum Schutz des Gerichts unmöglich macht. Es wäre klug, das Gericht umfassend zu stärken, solange die demokratisch gesinnten Parteien noch eine verfassungsändernde Mehrheit zustande bringen.

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