08 May 2025

Gesichert rechtsextremistisch, gesichert verboten?

Was die Einstufung der AfD für ein mögliches Parteiverbot bedeutet

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat in einer aufsehenerregenden Entscheidung1) die AfD als eine „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft. Die Behörde stützt ihre Einstufung auf ein ausführliches internes Gutachten, das aus Gründen des Quellenschutzes nicht veröffentlicht worden ist. Nach einer Pressemitteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz kommt die Behörde zu dem Ergebnis, dass in der AfD als Gesamtpartei ein „ethnisch-abstammungsmäßige[s] Volksverständnis“ vorherrsche, das mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes nicht vereinbar sei. Bereits 2021 hatte das Bundesamt die AfD als Verdachtsfall im Sinne des Verfassungsschutzrechts qualifiziert. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen erklärte 2024 diese Einordnung für rechtmäßig (OVG NRW, Urt. v. 13.5.2024, 5 A 1218/22, siehe dazu Moini auf dem Verfassungsblog).

Unmittelbar nach der jüngsten Einstufung der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz sind Stimmen laut geworden, die sich für eine baldige Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens aussprechen oder gar die Einleitung eines solchen Verfahrens für zwingend erachten (siehe hier und hier). Andere Stimmen verweisen demgegenüber auf die hohen Hürden des Parteiverbots nach dem Grundgesetz und lehnen einen Automatismus mit Blick auf ein solches Verfahren ab (etwa hier und hier). In der öffentlichen Debatte entsteht mitunter der Eindruck, dass zwischen den rechtlichen Anforderungen für die Einstufung der Aktivitäten einer Partei durch die Verfassungsschutzbehörden und für das Verbot einer politischen Partei durch das Bundesverfassungsgericht nicht unterschieden wird. Bei der Einstufung einer Partei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz handelt es sich allerdings nur um eine behördliche Einschätzung, die für ein etwaiges Parteiverbotsverfahren keine Bindungswirkung hat.

Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen

Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Prämissen für ein Parteiverbot und für die behördliche Einstufung der Aktivitäten einer Partei in unterschiedlichen Regelwerken normiert sind und nur zum Teil übereinstimmen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Aufgabe, Informationen über Bestrebungen zu sammeln und auszuwerten, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG). Bestrebungen im soeben genannten Sinne sind politisch bestimmte ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem Personenzusammenschluss, also etwa einer Partei (s. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BVerfSchG). Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung müssen hierbei Aktivitäten vorliegen, die auf die Beeinträchtigung eines der Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet sind, zu denen insbesondere die Menschenwürdegarantie und das Demokratieprinzip gehören (OVG NRW, Rn. 157, 199). Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen können sich zum einen aus den offen formulierten und verdeckten Zielen der Partei ergeben, zum anderen aus den der Partei zuzurechnenden Äußerungen und Tätigkeiten der Parteimitglieder sowie -anhänger. Entscheidend ist, dass die verfassungsfeindlichen Bestrebungen das „Gesamtbild“ der Partei prägen bzw. die Partei von einer verfassungsfeindlichen „Grundtendenz“ beherrscht wird (OVG NRW,  Rn. 165 ff., 173).

Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen ging in seiner erwähnten Entscheidung von 2024 davon aus, dass „konkrete und hinreichend verdichtete Anhaltspunkte“ dafür vorlägen, dass die AfD „Flüchtlingen und anderen Zuwanderern, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund und deutschen und ausländischen Staatsangehörigen islamischen Glaubens die Anerkennung als gleichberechtigte Mitglieder der rechtlich verfassten Gemeinschaft“ versagen wolle und daher die Menschenwürdegarantie missachte (Rn. 203). Das Bundesamt für Verfassungsschutz vertritt in seiner jüngsten Einstufung die Auffassung, dass sich die Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD zur Gewissheit verdichtet hätten.

Anforderungen an ein Parteiverbot durch das BVerfG

Die Voraussetzungen für ein Parteiverbot sind in Art. 21 Abs. 2 GG geregelt. Demnach setzt ein Parteiverbot insbesondere voraus, dass eine Partei, nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Das Bundesverfassungsgericht hat 2017 im zweiten NPD-Verbotsverfahren (BVerfG, Urt. v. 17.1.2017, 2 BvB 1/13) die Parteiverbotsvorschrift teilweise neu interpretiert und die Voraussetzungen für ein Parteiverbot eher restriktiv formuliert (siehe zu den Anforderungen hier). Im Rahmen der Parteiverbotsvorschrift ist das zentrale Schutzgut die freiheitliche demokratische Grundordnung. Eine Partei geht darauf aus, diese Grundordnung zu „beeinträchtigen“, wenn sie – in den Worten des Bundesverfassungsgerichts – „qualifiziert die Außerkraftsetzung der bestehenden Verfassungsordnung betreibt“, sich also gegen eines der Kernelemente dieser Grundordnung (Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat) wendet (Rn. 556). Eine verfassungsfeindliche Zielsetzung der Partei reicht für ein Parteiverbot nicht aus. Die Partei muss vielmehr planvoll vorgehen, also kontinuierlich auf die Verwirklichung eines verfassungsfeindlichen politischen Konzepts hinarbeiten. Erforderlich ist eine „qualifizierte Vorbereitung“, nämlich ein „zielorientierter Zusammenhang zwischen eigenen Handlungen und der Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ (Rn. 576 f.). Verfassungsfeindliche Aktionen einzelner Parteianhänger genügen hierbei prinzipiell nicht. Die Partei muss die Grenze zum „Bekämpfen“ der freiheitlichen demokratischen Grundordnung überschreiten (Rn. 573, 576).

Im Urteil zum zweiten NPD-Verbotsverfahren arbeitete das Bundesverfassungsgericht heraus, dass die frühere NPD (nun: „Die Heimat“) ein strategisches Konzept verfolge. Konkret ging es um die sog. „Vier-Säulen-Strategie“ der Partei, die den „Kampf um die Köpfe“, „Kampf um die Straße“, „Kampf um die Parlamente“ und „Kampf um den organisierten Willen“ beinhaltete. Die NPD versuche, so das Gericht, diese Strategie planmäßig umzusetzen und auf die Idee der ethnisch homogenen „Volksgemeinschaft“ hinzuarbeiten (Rn. 855 f.).

Was das eine für das andere bedeutet

Eine seriöse Vorbereitung eines etwaigen gegen die AfD gerichteten Verbotsantrags sollte von den erwähnten Leitlinien ausgehen, die das Bundesverfassungsgericht im zweiten NPD-Verbotsverfahren formuliert und 2024 in seinem Urteil zum Ausschluss der NPD/Die Heimat von der staatlichen Parteienfinanzierung (BVerfG, Urt. v. 23.1.2024, 2 BvB 1/19) im Wesentlichen bestätigt hat. Es ist eher unwahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht in einem gegen die AfD gerichteten Verbotsverfahren von diesen Leitlinien wesentlich abweicht. Legt man diese Leitlinien zugrunde, erkennt man, dass die Voraussetzungen für ein Parteiverbot durch das Bundesverfassungsgericht im Vergleich zu den Voraussetzungen für die Einstufung einer Partei als einer „gesichert rechtsextremistischen Bestrebung“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz weitreichender bzw. anspruchsvoller sind. Das Parteiverbot setzt insbesondere eine qualifizierte Vorbereitungshandlung und ein strategisches Konzept der Partei zur planvollen Umsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Zielsetzungen voraus. In einem etwaigen Verbotsantrag müsste daher nachgewiesen werden, dass die AfD ein strategisches Konzept hat, mit dem sie als Gesamtpartei die Idee der „ethnisch-kulturellen“ Volkszugehörigkeit umsetzen und die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes aushöhlen will, und dass eine entsprechende zielorientierte qualifizierte Vorbereitungshandlung vorliegt. Aus der Vielzahl der der Partei zuzurechnenden Äußerungen und Aktivitäten der Parteimitglieder und -anhänger muss sich ein strategisches Konzept destillieren lassen, das die AfD planvoll und fortwährend umsetzen will. Ob diese verfassungsrechtlich fundierten Anforderungen mittlerweile gegeben sind, ist bislang nicht hinreichend geklärt. Insoweit ist das jüngste Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz daraufhin zu untersuchen, ob etwaige Anhaltspunkte für ein verfassungsfeindliches strategisches Konzept der AfD bestehen. Solange diese Prüfung nicht vorgenommen worden ist und entsprechende gerichtsfeste Nachweise nicht vorliegen, sind die Erfolgsaussichten eines Parteiverbotsverfahrens gegen die AfD ungewiss.

Keine Konsequenzen für das Antragsermessen

Nach § 43 Abs. 1 S. 1 BVerfGG kann der Antrag zur Durchführung eines Parteiverbotsverfahrens vom Bundestag, vom Bundesrat oder von der Bundesregierung gestellt werden. Es steht demnach im Ermessen der antragsberechtigten Verfassungsorgane, ob sie ein solches Verfahren einleiten. Die Verfassungsorgane sollen eigenverantwortlich prüfen und entscheiden, „ob sie den Antrag stellen wollen […] oder ob die Auseinandersetzung mit einer von ihnen für verfassungswidrig gehaltenen Partei im politischen Felde geführt werden soll“ (BVerfG, Beschl. v. 29.10.1975, 2 BvE 1/75, Rn. 17). Die Einstufung einer Partei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als einer „gesichert rechtsextremistischen Bestrebung“ führt nicht zu einer Beschränkung des den Antragstellern eingeräumten Ermessens. Die behördliche Einordnung hat insbesondere keine Bindungswirkung für die Verfassungsorgane. Diese haben eigenständig zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 GG vorliegen, die sich, wie gesehen, von den Vorgaben des Bundesverfassungsschutzgesetzes für die Einstufung einer Partei als einer extremistischen Bestrebung in einigen Punkten unterscheiden. Die jüngste Einstufung der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz setzt die antragsberechtigten Verfassungsorgane daher nicht unter Zugzwang.

References

References
1 Die Pressemitteilung wurde ursprünglich unter dem angegebenen Link veröffentlicht, ist jedoch wegen der Stillhaltezusage des BfV inzwischen nicht mehr abrufbar.

SUGGESTED CITATION  Shirvani, Foroud: Gesichert rechtsextremistisch, gesichert verboten?: Was die Einstufung der AfD für ein mögliches Parteiverbot bedeutet, VerfBlog, 2025/5/08, https://verfassungsblog.de/afd-einstufung-parteiverbot/, DOI: 10.59704/c192769d7d6c8c05.

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