28 November 2024

Rechtswissenschaftliche Stellungnahme zu einem Parteiverbotsverfahren gegen die Alternative für Deutschland

I. Aufgabe und Verantwortung der Antragsberechtigten im Parteiverbotsverfahren

Seit ihrer Gründung steht die Alternative für Deutschland (AfD) im Fokus öffentlicher und rechtlicher Diskussionen. Die jüngste Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen, die dem Bundesamt für Verfassungsschutz erlaubt, die AfD und ihre Jugendorganisation Junge Alternative (JA) als rechtsextremen Verdachtsfall zu beobachten und die Öffentlichkeit darüber zu informieren, hat die mediale Aufmerksamkeit weiter verstärkt. Angesichts der bestehenden rechtsextremen Gesinnung und verfassungsfeindlicher Äußerungen innerhalb der Partei wird diese Frage dringlicher.

Bei der Konzeption des Grundgesetzes entschied sich der verfassungsgebende Gesetzgeber dazu, Schutzinstrumente gegen Angriffe von innen und von außen vorzusehen. Das Konzept der „wehrhaften Demokratie“ ist Reaktion auf die Erfahrungen aus der Weimarer Republik und den nationalsozialistischen Staatsterror. Es war die bewusste Entscheidung der Mütter und Väter des Grundgesetzes, eine wertegebundene Demokratie zu etablieren, die es ihren Feinden verwehrt, unter Berufung auf verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheiten die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates zu gefährden, zu beeinträchtigen oder zu zerstören. Das Parteiverbot ist ein institutioneller Ausdruck der streitbaren Demokratie. Dem Bundesverfassungsgericht zufolge ist Art. 21 Abs. 2 GG „Ausdruck des bewussten verfassungspolitischen Willens zur Lösung eines Grenzproblems der freiheitlich demokratischen Staatsordnung“ (BVerfGE 5, 85 [139] [KPD-Verbot, 1956]). Verfassungsfeindliche Parteien stellen eine Gefahr für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat dar, sodass ihr Verbot, unter Beachtung der für einen Rechtsstaat erforderlichen verfassungsrechtlichen Garantien gegen Missbrauch, möglich ist und unter Umständen sogar geboten sein kann.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) dient in diesem Zusammenhang als administrative Vorhut für die Selbstschutzmechanismen des Grundgesetzes. Die Einschätzungen des Bundesamtes besitzen im Rahmen eines Verbotsverfahrens keine unmittelbare rechtliche Bindung, sondern fungieren vielmehr als Indizien für das Vorliegen belastbarer Nachweise, die für ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erforderlich sind. Mit der Einstufung der AfD als Verdachtsfall ist das Bundesamt seiner Aufgabe aus §§ 3, 4 BVerfSchG nachkommen, wonach Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sind, zu sammeln und auszuwerten sind. Innerhalb dieses Prozesses hat die AfD drei der vier Stufen verfassungsfeindlicher Bestrebungen bereits erreicht:

  • Nachdem sie allgemein beobachtet wurde (1.)
  • galt sie als Prüffall (2.) und
  • wurde anschließend gerichtsfest als Verdachtsfall (3.) eingestuft. Eine solche Einstufung ist nur möglich, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen.
  • Die letzte Stufe (4.), ihre Einstufung als verfassungsfeindliche Bestrebung, soll bevorstehen. Damit hätte sich aus Sicht des Bundesamtes der Verdacht so weit verfestigt, dass keine Zweifel mehr am Vorliegen der verfassungsfeindlichen Bestrebung bestehen.

Das Bundesamt sammelt damit das für die Einschätzung des Gefährdungspotentials einer politischen Partei und das erforderlichenfalls im Rahmen eines Parteiverbotsverfahrens notwendige Material und stellt es den drei allein antragsberechtigten Organen (Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung) zur Verfügung (§ 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BVerSchG). Seine Kompetenz endet dort, es liegt dann an den Antragsberechtigten, ihrer verfassungsrechtlichen Rolle im Mechanismus der Wehrhaftigkeit des Grundgesetzes gegen Verfassungsfeinde angemessen nachzukommen.

Im Falle einer verfassungsfeindlichen Partei ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung dazu angehalten, sich zur Wehr zu setzen.

Die AfD hat sich zunehmend radikalisiert. Während sie zunächst ihre Absichten noch hinter ambivalenter Rhetorik versteckte und damit die einfache Subsumtion ihrer Ziele und ihres Verhaltens unter den Verbotstatbestand zu verhindern suchte, offenbaren die sich in letzter Zeit häufenden zahlreichen öffentlichen Einlassungen, vor allem aber ihr konkretes Verhalten über die letzten Jahre ihre wahren verfassungsfeindlichen Absichten. Daher ist schon ohne die zu erwartende Materialsammlung des Bundesamtes für Verfassungsschutz bereits gegenwärtig eine belastbare Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Parteiverbotsverfahrens möglich: Die AfD ist danach nachgerade der prototypische Fall einer Partei, durch die die spezifischen Mechanismen der grundgesetzlichen wehrhaften Demokratie aktiviert werden sollen.

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung insoweit die Verantwortung übertragen, die Wehrhaftigkeit des Grundgesetzes ernst zu nehmen und damit ein Parteiverbot anzustrengen, sofern dies geboten erscheint. Es obliegt den Antragsberechtigten, sich dieses grundgesetzlich übertragenen Auftrags zu jeder Zeit bewusst zu sein; gerade weil die Verfassung sich entschieden hat und damit zugleich gebietet, gegen ihre Feinde robust vorzugehen, ist zumindest verfassungsrechtspolitisch (und jenseits verwaltungsrechtlicher Kategorien wie „Ermessen“ oder „Beurteilungsspielraum“) die Anstrengung eines Parteiverbotsverfahrens auch nicht ins Belieben der Antragsberechtigten gestellt, sondern politische Aufgabe und Verantwortung.

II. Verfassungsrechtlicher Rahmen

Das Grundgesetz sieht in Art. 21 Abs. 2 GG vor, dass Parteien, „die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“, durch das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 4 GG) verboten werden können.

1. Bewertungsmaßstab

Als Bewertungsmaßstab für den Tatbestand des Art. 21 Abs. 2 GG werden die Ziele der Partei und das Verhalten ihrer Anhängerinnen und Anhänger herangezogen.

Ziele „sind der Inbegriff dessen, was eine Partei politisch anstrebt“. Als Erkenntnisquelle ist auf sämtliche Erzeugnisse zurückzugreifen, die der Partei zugeordnet werden können: ihr Programm, Schulungs- und Propagandamaterial, parteiamtliche Erklärungen, Reden von Funktionären, eigens herausgegebene oder beeinflusste Presseerzeugnisse sowie Ausführungen parteinaher Autorinnen und Autoren, die über die ideologische Ausrichtung der Partei berichten. Die Ermittlung der politischen Ziele muss sich dabei nicht auf offizielle Aussagen beschränken, sondern die „wirklichen“ Absichten offenlegen. Dazu fordert das BVerfG, die wahren Absichten der Partei festzustellen.

Aufgrund der besonderen Bedeutung, die Parteien für eine demokratische Ordnung auch nach der Konzeption des Grundgesetzes zukommt, muss das Gericht eine solche Verbotsentscheidung gem. § 15 Abs. 4 BVerfGG mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Senats treffen.

2. Verbotssubjekt

Subjekt eines Verbotsverfahrens nach Art. 21 Abs. 2 GG können nur politische Parteien sein. Das infrage stehende Verbotssubjekt stellt die (Gesamt-)Partei inklusive ihrer Sonderorganisationen dar. Die AfD erfüllt den verfassungsrechtlichen Parteibegriff und ist damit taugliches Verbotssubjekt.

Vor dem Hintergrund der zu verzeichnenden radikaleren Außenwahrnehmung einzelner Landesverbände wäre (subsidiär) auch eine Beschränkung des Vorgehens auf bestimmte Untergruppierungen der Bundespartei in Erwägung zu ziehen. Die Landesverbände der AfD stellen ebenfalls Parteien im verfassungsrechtlichen Sinn dar. Gem. § 46 Abs. 2 BVerfGG kann sich die Feststellung der Verfassungswidrigkeit im Rahmen eines Verbotsverfahren gegen die Bundespartei auch auf einen rechtlich oder organisatorisch selbständigen Teil beschränken. Das Verbieten einzelner Landesverbände wäre insofern auch dann möglich, wenn sich der Verbotsantrag formal gegen die gesamte Bundespartei richtet.

3. Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung

Der materiell-rechtliche Kern des Parteiverbotsverfahrens liegt in der Beurteilung, ob die AfD darauf ausgeht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen.

a) Schutzgut: Die freiheitliche demokratische Gru