01 October 2024

Sperrwirkungen der Sperrklausel

Wie so oft in der Geschichte seien es Sozialdemokraten gewesen, die Extremisten auf dem Weg zur Macht gestoppt hätten, jubilierte Dietmar Woidke, Ministerpräsident des Landes Brandenburg, am Wahlsonntag unmittelbar nach Schließung der Wahllokale. Die freudetrunkene Erinnerung an die glorreiche Geschichte erwärmte die sozialdemokratische Seele und ließ sie in spätromantischer Verklärung für eine kurze Wahlnacht ihre Flügel über das ganze Land ausspannen. Aber am Morgen danach war es dann mit der guten alten Zeit auch wieder vorbei. Continue reading >>
30 September 2024

Sicherheitsrechtliche Wende ohne Gefolgschaft

Morgen wird das Bundesverfassungsgericht über das Bundeskriminalamtsgesetz 2018 entscheiden. Das BVerfG dürfte mit seinem Urteil in erster Linie die Verfassungsmäßigkeit einiger informationeller Befugnisse des BKAG in den Blick nehmen, weniger hingegen die derzeitige Praxis bei der Verarbeitung von personenbezogenen Daten. Dass diese weit von den informationellen Befugnissen und verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Maßstäben entfernt sind, zeigen unter anderem Dokumente, die auf mehrere Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz herausgegeben wurden. Continue reading >>
27 September 2024
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Dämmert’s jetzt?

Die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags ist bis Samstag, 9:30 Uhr, unterbrochen. Die AfD hat auf der parlamentarischen Bühne mit ihrem Alterspräsidenten Jürgen Treutler ein Stück aufgeführt, das offenbart, welches Verständnis sie von demokratischen Institutionen hat. Die anderen Fraktionen haben geschlossen dagegengehalten. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass sich dieses Stück am Samstag fortsetzt. Was ist passiert? Continue reading >>
26 September 2024

Can the Knesset dissolve itself during recess?


On July 28, 2024, the 25th Knesset entered the longest recess in its history amidst an ongoing military conflict and complex political challenges. This unprecedented situation brought to the forefront the urgent and hypothetical question of whether opposition factions in the Knesset could initiate the dissolution of the Knesset, topple the government, and return the mandate to the people. While the High Court of Justice ruling in Frij restricts convening the Knesset during recess to urgent government matters, private bills aimed at dissolving the Knesset should be an exception under certain constitutional conditions. Continue reading >>
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Iraq’s Lost Century

Shia religious authorities, in collaboration with their political allies in the Iraqi parliament, seek to redefine Iraq’s personal status law according to religious rules. On July 29, the largest bloc in Iraq’s parliament, introduced a controversial bill to amend the Personal Status Law of 1959. This proposed amendment would mandate that Iraqis, upon marriage, choose either Shia or Sunni jurisprudence to govern all personal status-related matters within their marriage. This change creates legal uncertainty by replacing predictable, codified law with premodern, uncodified Islamic jurisprudence. Moreover, it disproportionately affects women, especially by facilitating early marriages. Continue reading >>
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Towards Shared European Finances

The EU is once again eyeing a workaround to address an emerging challenge. A few days ago, former ECB President Mario Draghi issued a landmark report to stem the EU’s decline, calling for a massive investment of 800 billion euro annually. Draghi’s proposal is in line with an emerging post-pandemic pattern in EU policymaking. This pattern is characterized by flexible, ad-hoc measures that are implemented outside of the bloc’s treaty framework. We celebrate the boldness and effective design of this important template, even as we recognize some legal creativity necessary to carry out bold moves. Continue reading >>
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25 September 2024

Ein Hinweis für den Rechtsstaat

Wenn Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft zunehmen, vollzieht sich das oft auch am Arbeitsplatz. Gerade Beamt*innen und Angestellte im öffentlichen Dienst müssen befürchten, dass Antidemokrat*innen und Extremist*innen in ihren Behörden die ihnen zur Verfügung stehenden Befugnisse für rechtsstaatswidrige und menschenfeindliche Ziele nutzen. Was aber tun als Beschäftigte*r einer Behörde, der mit rechtswidrigem Verhalten oder Anweisungen konfrontiert ist? Continue reading >>

Streumunition und deutsches Recht

Wie aus neueren Recherchen des NDR hervorgeht, gibt es Hinweise darauf, dass von einem US-Stützpunkt in Deutschland aus Streumunition in die Ukraine geliefert werden könnte. Wie sich das Völkerrecht zum Einsatz von Streumunition durch die Ukraine verhält, wurde auf dem Verfassungsblog vor einiger Zeit bereits beleuchtet. Eine etwaige Lieferung von Streumunition aus Deutschland in die Ukraine wirft aber auch Fragen aus nationaler Perspektive auf. Auch für NATO-Partner auf deutschem Staatsgebiet gilt ein Streumunitionsverbot, das sich aber wegen der Immunität der ausländischen Streitkräfte kaum durchsetzen lässt. Continue reading >>
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La Commission, c’est moi?

Contrary to cartoonish portrayals of Ursula von der Leyen as a latter-day Caesar, who may be illegitimately presidentialising the Commission, the current Commission President is merely furthering a more centralised vision of the institution that is implicit in the extent of her organisational powers under Article 17(6) TEU. While there are strong legal and constitutionally moral arguments for an alternative, more plural executive understanding of the Commission, the Treaties leave room for a contest between presidentialist and pluralist visions to take place across time in the political arena. Moreover, a more presidential conception of the Commission, while it may raise some questions regarding the mode of election of the Commission President and the role of the Commission, may also possess some positives. Continue reading >>
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24 September 2024

A Political Question Doctrine for the CFSP

On 10 September 2024, the CJEU issued its judgment in the joined cases of KS and KD, addressing the scope of its jurisdiction within the Common Foreign and Security Policy. Specifically, the Court asserted its jurisdiction in so far as the harm-causing conduct did not relate to “political or strategic” choices made in the context of the CFSP. I criticize the Court’s reliance on such an ill-defined concept to delineate the boundaries of its jurisdiction and argue that removing the limitations on the CJEU’s jurisdiction within the CFSP would require a reform of the Treaties. Continue reading >>
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Was sagt das Völkerrecht zu den Pager- und Walkie-Talkie-Explosionen?

Kaum waren die Pager und Walkie-Talkies der Hisbollah im Libanon explodiert, wurde bereits gefragt: Was sagt das Völkerrecht dazu? Die breite Öffentlichkeit und vor allem die Medien erwarten eindeutige Antworten – möglichst wenige Stunden nach solch einem Ereignis wie den Pager- und Walkie-Talkie-Explosionen. Diese kann das Völkerrecht, können Völkerrechtler und Völkerrechtlerinnen jedoch nicht geben, da nicht alle Fakten bekannt sind. Continue reading >>
23 September 2024

Keine Kontrolle der Rüstungsexportkontrolle

Der infolge des terroristischen Überfalls und Massenmords durch die Hamas ausgebrochene Gaza-Krieg wirft unentwegt auch rechtliche Fragen auf. Schon mehrfach hat sich dabei die deutsche Bundesregierung vor Gericht wiedergefunden. Als zweitgrößter Rüstungslieferant musste sich die Bundesrepublik vor dem IGH und deutschen Gerichten für die Unterstützung Israels angesichts zahlreicher Berichte über dessen völkerrechtswidrige Kriegsführung rechtfertigen. Jetzt hat das Verwaltungsgericht Frankfurt im Eilrechtsschutz entschieden: Bestehende Genehmigungen für deutsche Rüstungsexporte nach Israel dürfen weiter genutzt werden. Die Entscheidung lässt inhaltlich viele Fragen offen und wirft methodisch einige weitere auf. Sie spricht grund- und menschenrechtliche Möglichkeiten an, wo keine bestehen. Und verwirft sie vorschnell, wo sie durchaus weiterführen könnten. Continue reading >>
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Demokratische Diskontinuität

Im Vorfeld der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags am kommenden Donnerstag wird diskutiert, ob der Landtag, bevor er zur Wahl des Landtagspräsidenten bzw. der Landtagspräsidentin schreitet, die in der Geschäftsordnung niedergelegten Regeln dieser Wahl ändern kann. Schon länger wird befürchtet, dass die AfD diese Wahl zur Obstruktion nutzen könnte. CDU und BSW haben nun einen entsprechenden Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung eingebracht. Die Diskussion darüber, ob der Landtag vor der Präsidentenwahl die Geschäftsordnung überhaupt ändern kann, beruht allerdings auf einer falschen Prämisse. Continue reading >>

Roter Teppich statt Handschellen

Die Mongolei hat am 03. September 2024 den amtierenden russischen Präsidenten Wladimir Putin empfangen. Gegen Wladimir Putin besteht seit dem 17. März 2024 ein IStGH-Haftbefehl, der alle Vertragsstaaten dazu verpflichtet, diesen bei Betreten ihres Staatsgebietes festzunehmen und an den IStGH zu überstellen. Mit dem Nichtvollzug des Haftbefehls hat die Mongolei ihre aus dem IStGH-Statut erwachsende Kooperationspflicht verletzt. Sie kann dies nicht durch einen Verweis auf eine völkerrechtliche Immunität Putins rechtfertigen. Continue reading >>
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Prostitution verkauft sich (auch mit Verbot)

Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, eine allgemeine Freierstrafbarkeit einzuführen, ist heute Gegenstand einer öffentlichen Sachverständigenanhörung im Familienausschuss des Bundestages. Im Hinblick auf das Ziel, Menschenhandel und Zwangsprostitution einzudämmen, erscheint der Vorschlag nachvollziehbar. In der rechtlichen Umsetzung bedeutet er aber auch eine deutliche Zusatzbelastung für die Justiz - und nicht unbedingt eine Verbesserung der Bedingungen für die in der Prostitution tätigen Personen. Für eine Änderung der Lage sollte vielmehr in den Ausbau von Beratungsangeboten und die Durchsetzung bestehender Straftatbestände investiert werden. Continue reading >>
22 September 2024
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The 2024 Judicial Reform in Mexico

On September 11, 2024, the Senate of Mexico approved the controversial judicial reform. The ruling party, MORENA, achieved adopting the judicial reform thanks to a qualified majority in Congress and Senate. In this blogpost, we show that the way in which the judiciary reform was passed in the Senate cannot be considered as “expressing the will of the people”. We suggest that the very way in which the Senate vote came to pass is undermining one main justification of the judiciary reform, namely that it will lead to a judiciary “of the people”. Continue reading >>
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21 September 2024
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Parlamentsautonomie unter Willkürvorbehalt

Nicht nur der Ton der Debatten im Bundestag wird rauer, sondern auch die konsensuale Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen fällt immer schwerer. Das Bundesverfassungsgericht hat am vergangenen Mittwoch eine lang erwartete Grundsatzentscheidung getroffen: Die Abwahl Stephan Brandners in der 19. Wahlperiode sowie die Nichtwahl von AfD-Abgeordneten zum Ausschussvorsitz bewegte sich im Rahmen der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestags. Mit der Entscheidung gibt das Gericht die Leitplanken vor, innerhalb derer sich der Bundestag künftig im Umgang mit Oppositionsfraktionen bewegen muss. Continue reading >>
20 September 2024

Mit heißer Nadel gestricktes Polizeirecht

Die beabsichtigte Änderung im Bundespolizeigesetz (BPolG) hat im Nachgang zum Anschlag in Solingen bisher wenig Aufmerksamkeit erhalten, obwohl sie weitreichende Folgen hätte. Die Adressaten des § 22 Abs. 1b BPolG n.F. sind nämlich keine flüchtigen Straftäter:innen oder sich besonders verdächtig verhaltende Personen. Die Norm ermächtigt vielmehr dazu, jede Person, die sich in einem bestimmten Bereich aufhält, zu befragen, den Ausweis zu prüfen oder zu durchsuchen. Die Person muss dazu keinen Anlass geben. Mit der in der Gesetzesbegründung ausdrücklich formulierten Reaktion auf islamistischen Terrorismus obliegt es damit letztlich allein dem Ermessen der Beamt:innen, wen es trifft - und birgt damit ein erhöhtes Diskriminierungspotential. Continue reading >>

Solingen 93/24

Zweimal Solingen, zweimal unterschiedlichste extremistische Motivlagen, und doch: zweimal Solingen als Verstärker für Verschärfungen des Asylrechts, einmal 1993, und ganz aktuell 2024 mitzuerleben beim Migrationsgipfel und neuen Asylpaketen, gefordert nicht nur von rechts, sondern umgesetzt aktuell von der Ampelregierung. Damals wie heute waren die Anschläge, im Vorfeld wie im Nachgang, von einem Wording begleitet, dass Verunsicherung, Wut, Ärger und scheinbare Hilflosigkeit erzeugt(e) – und nein, das ist nicht verständnisvoll gemeint. Eine rechtssoziologische und kriminologische Perspektive zeigt, wie gefährlich Diskursverschiebung und Gesetzesverschärfungen als alleiniges „Allheilmittel“ in Reaktion auf das Attentat sind. Diese Spirale erhöht die Gefahr, dass sich weitere „Solingen“ – hier oder anderswo – ereignen. Continue reading >>
19 September 2024

A Voice for Nature

The rights of nature movement is gaining momentum all around the world. With the decision of the Landgericht Erfurt on 2 August 2024 the movement seems to also have set foot in European courts. Realizing those rights will ultimately depend on nature being represented before a court. Environmental ombud agencies akin to the Austrian Umweltanwaltschaften may serve as an example. Despite some shortcomings in its Austrian form, this institutionalised representation has the potential to give a firm voice to nature. Continue reading >>
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The Inadvertent Protagonist

The International Court of Justice (ICJ), a UN body essentially responsible for resolving inter-state disputes, has been increasingly asked to consider matters with implications for individual criminal responsibility – a predominant concern of international criminal law. In some cases, the link is direct; for instance, in the last two years, the Genocide Convention has been invoked twice on behalf of Ukraine and Gaza. Although for the ICJ, its application is a question of State responsibility, it will give rise to questions of individual responsibility in other international and domestic fora. Continue reading >>
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A War for the Tech Economy

Today, various commentators are asking about the purpose behind the pager attack and the subsequent communication device attack yesterday. The New York Times’s detailed report of the incidents announces in its title that Israel has built a “Modern-Day Trojan Horse”. The idea comes from Greek history, but perhaps a better comparison might be found in Greek myth. Prometheus stole fire from the gods. Today, Israel is attempting to develop secularized but God-like technological capabilities, at least in terms of their ability to generate surprise and change reality overnight. Yet, by discarding moral or political considerations in favor of pyrotechnics,  Israel risks Prometheus’s ultimate fate: punishment. Continue reading >>
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18 September 2024
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Zahlen lügen nicht?

Der aktuelle Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 – als „in Zahlen gegossenes Regierungsprogramm“ – bietet Anlass, das eher nüchterne Zahlenwerk einer eingehenden verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen. Denn die Folgen eines verfassungswidrigen Haushalts können kaum überschätzt werden, wie das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 eindrucksvoll zeigte. Insbesondere die Höhe der im Entwurf ausgebrachten Globalansätze ist verfassungsrechtlich fragwürdig. Es liegt nahe, dass damit der Haushaltsgrundsatz der Klarheit und Wahrheit verletzt wird. Continue reading >>

Rethinking EU Law Beyond the Liberal Feminist Paradigm

In K,L v Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (‘K,L’), the CJEU decided that a belief in the value of gender equality associated with the lifestyle of the westernized woman be regarded as a reason for persecution. While the decision contributes to a gender-sensitive EU asylum law, I argue that the CJEU’s classification of the young women’s belief in the value of gender equality as ‘identificatory’ (as opposed to ‘religious’ or ‘political’) perpetuates a long-standing criticism of the liberal feminist paradigm. Continue reading >>
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Deutschlands Grenzüberschreitung

Seit Montag kontrolliert die Bundespolizei alle deutschen Landesgrenzen. Damit solle unter anderem gegen irreguläre Migration und Islamisten vorgegangen werden. Bundesinnenministerin Faser hat die Europäische Kommission am 9. September 2024 gemäß Art. 27 Abs. 1 Schengener Grenzkodex über das Vorhaben notifiziert. Die Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen stößt neben deutlicher Kritik zwar auch auf politische Zustimmung im In- und Ausland. Aus rechtlicher Perspektive zeigt sich jedoch, dass die Binnengrenzkontrollen unionsrechtswidrig sein dürften. Continue reading >>
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17 September 2024

The Patriots for Europe

Never in the history of the EU has a political party at Union level so ostentatiously misnamed itself as the Patriots for Europe. Their name suggests a passionate love for homeland Europe but their Manifesto reveals an unmistakable commitment to dismantle European democracy and to reduce the EU to an undemocratic organisation of illiberal states. Following the recent European Parliament elections, the Patriots for Europe has emerged as nothing less than the third largest political party. I explore the core elements of their illiberal political agenda as outlined in their Manifesto and discuss how their proposed sovereign policies, if implemented, could reverse the progressive trajectory of European (legal) integration. Continue reading >>
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Die Woche der Sicherheitspakete

Rund drei Wochen nach dem brutalen Angriff mit einem Messer auf Besucher*innen eines Volksfestes in Solingen überbieten sich Regierungs- und Oppositionsparteien in gesetzgeberischem Aktivismus. Auf der einen Seite preschen die Ampelfraktionen mit neuen Gesetzesentwürfen zur „Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems“ und zur „Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“ vor; auf der anderen Seite hat die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag einen Gesetzentwurf zur Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen nach Deutschland vorgelegt. Die Gesetzesentwürfe lassen rationale und evidenzbasierte Antworten auf die wirkliche Bedrohungslage durch Islamismus oder „Messergewalt“ indes vermissen. Continue reading >>
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Femizide im Fokus

Jeden Tag versucht in Deutschland ein (Ex-)Partner seine (Ex-)Partnerin zu töten, jeden zweiten Tag ist dieser Versuch „erfolgreich“. In den Medien und auch von staatlicher Seite wird dann häufig von „Beziehungstaten“ gesprochen. Diese Bezeichnung wird dem eigentlichen Problem jedoch nicht gerecht, sondern verharmlost es eher. Eine Ausnahme bildeten die beiden tödlichen Gewalttaten gegen Frauen in Berlin vor zwei Wochen. Die Medien berichteten in diesem Zusammenhang von „Femiziden“ und verschiedene Politikerinnen äußerten sich zu diesem Thema. Die Diskussion um den angemessenen Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt und die Einführung eines eigenen Mordmerkmals zur strafrechtlichen Erfassung dieser Taten ist damit wieder in den Fokus gerückt. Continue reading >>
16 September 2024
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Mexico’s Constitutional Democracy Under Threat

The final act of Mexican President López Obrador will be in collaboration with the president-elect Claudia Sheinbaum and the newly elected Congress. Among other things, in a move that goes beyond anything found in other prominent backsliding states such as Hungary or Poland, it introduces the popular election of all sitting judges across the Federal Judiciary, including Supreme Court Justices, every 9 and 12 years respectively. In an open letter, legal scholars, judges, policymakers and practitioners from various regions of the world have expressed deep concern over the potential consequences that the popular election of judges may have on judicial independence, the rule of law, and the safeguarding of rights and freedoms in Mexico. Continue reading >>

Flying Blind

A quarter of a billion euros. That was the final price tag the last time German politicians and constitutional law professors assured us that a controversial German idea was compatible with EU law. Yet the Autobahn car toll for foreigners only pushed through by the Bavarian regional conservatives (CSU) and passed by the Federal government grand coalition of Conservatives and Social Democrats was – quite predictably from the outset – contrary to European law and cost German taxpayers many millions of euros in contractual penalties following clarification by the ECJ in 2019. The way the current refugee debate in Germany is handled could end up costing Germany, i.e. all of us, much more – not so much in euros, but in trust in the reliability of Germany in general, as an EU Member State, and more generally trust in the reliability of the law. Continue reading >>
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Soft Law’s Increasing Clout

The non-binding nature of soft law is rather self-evident, yet, its influence is growing, as reflected in the recent Jemerak case, decided on 5 September 2024. While the judges in Luxembourg explicitly stated that the Commission’s guidance document had no effect on their interpretation of Union law whatsoever, their decision de facto indirectly reviewed that document. I argue that the Jemerak case exemplifies the growing significance of soft law. Continue reading >>
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13 September 2024
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Story of a Death Foretold

On 30 August 2024, the Brazilian Supreme Federal Court Justice Alexandre de Moraes suspended X (former Twitter) in Brazil. The decision follows a critical deterioration of the relationship between Elon Musk and Brazilian authorities, which became confrontational in April and hit an all-time high point of contention when the tech billionaire closed X's Brazilian office in mid-August. While Musk's attitude towards the Brazilian rule of law can be defined as delinquent, entitled, and anarchist, the Supreme Court’s decision to ban the platform in the country and establish hefty fines for any Brazilian attempting to use a VPN to access it is also controversial. Within the complexity of democratic erosion and digital policy in Brazil, the judicial expansion of power vis-à-vis the struggle against disinformation has been observed at least in the last five years, and the lack of a general legal framework regulating digital platforms supports these immediate but many times inefficient and legitimacy eroding measures. Continue reading >>
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Auf Europablindflug in der Asyldebatte

Eine Viertelmilliarde Euro. Das war das letzte Mal am Ende der Preis, als deutsche Politiker und Verfassungsrechtsprofessoren im Brustton der Überzeugung Europarecht erklärten und alles rechtmäßig fanden. Dabei war die von der CSU durchgesetzte und von der Großen Koalition aus Union und SPD verabschiedete PKW-Maut für Ausländer – von vornherein absehbar – europarechtswidrig und kostete den deutschen Steuerzahler nach der Klarstellung durch den EuGH viele Millionen Euro Vertragsstrafen. Der Umgang mit dem Recht in der aktuellen Flüchtlingsdebatte könnte Deutschland, also uns alle, am Ende viel mehr kosten – nicht so sehr an Euro, aber an Vertrauen in die Verlässlichkeit Deutschlands und die deutsche Europapolitik, und allgemeiner in die Verlässlichkeit des Rechts. Continue reading >>
12 September 2024

The Future of the European Green Deal

With the European Green Deal, the Commission has successfully presented a concept for improving climate, biodiversity, and environmental protection in line with Art. 11 TFEU. Most measures proposed by the Commission since 2019 have been adopted by the European Parliament (EP) and Council. However, the focus now shifts to implementation and application, where member states bear primary responsibility. "Law in the books" must become "law in action". Continue reading >>
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France’s Shifting Constitutional Landscape

France is experiencing a major shift in its constitutional and political landscape. After weeks of uncertainty, President Emmanuel Macron has now appointed Michel Barnier as Prime Minister, sparking new protests against Macron’s actions since the election. From a constitutional perspective, it is becoming clear that the President cannot simultaneously serve as an impartial guarantor of institutions on one hand and the most powerful political actor on the other. While the country’s presidentialist tradition is not over, the era of fait majoritaire — a cornerstone of the stability of the French system — has ended. Continue reading >>
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Democratizing Draghi

The Draghi Report is now published, outlining the “existential challenge” of European competitiveness going forward. In view of the geopolitical developments of the last several years, the scale of the challenge is difficult to deny, and the need for collective action at the EU level is commensurately intense. Despite these “compelling” reasons and the hoped-for “strength to reform”, however, the Report is hesitant on one crucial point: the EU is apparently not strong enough to undertake Treaty change to fulfil the Report’s ambitious objectives. We believe this approach is legally dubious, politically unwise and, eventually, helps constructing a diffused governance architecture that will fail to tackle the very real challenges the continent indeed faces. Continue reading >>
11 September 2024
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Bangladesh Through the Prism of Doctrine

Bangladesh is currently experiencing a political and constitutional vacuum following the abrupt resignation of Prime Minister Sheikh Hasina after fifteen years in office. To restore order and steer the country towards new elections, the military has announced the establishment of an interim administration. However, debates have erupted questioning the legality of the interim government as it is not provided for in the constitution. Continue reading >>
10 September 2024
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Brave New World

The exhilaration and enthusiasm which followed the passing of the Digital Services Act (DSA) is long over. No matter one’s perspective on the DSA, it seems clear that the party is over and the work begins. One of the perhaps oddest provisions of the DSA is Article 21. It calls for the creation of private quasi-courts that are supposed to adjudicate content moderation disputes. User Rights, based in Berlin, is one of the first organisations to assume this role. Continue reading >>
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Bayrischer Bärendienst für den Rechtsstaat

Ein Gesetzentwurf soll den Kreis der Personen beschränken, die im Strafprozess als Wahlverteidiger auftreten können. Das betrifft insbesondere sogenannte Laienverteidiger, also Personen, die nicht als Rechtsanwälte zugelassen oder die keine juristischen Hochschullehrer sind. Genau betrachtet gibt es aber keinen Bedarf für das Gesetzesvorhaben, denn schon heute können Gerichte es solchen Personen versagen, die Verteidigung auszuüben. Gegen den Entwurf spricht außerdem, dass es gerade die Laienverteidigung ist, die auch Betroffenen in prekärer sozio-ökonomischer Lage den rechtsstaatlich wichtigen Zugang zur Justiz ermöglicht. Continue reading >>
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09 September 2024
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Der Mythos von der Notlage

Seit dem Attentat von Solingen überbietet sich die Politik in Forderungen, die Rechte von Geflüchteten zu beschneiden oder gar auszusetzen. Nicht nur die CDU und ihr Vorsitzender Friedrich Merz preschen mit radikalen Forderungen vor und inszenieren sich dabei als Retter eines Volkes im Ausnahmezustand. Auch wenn die Rhetorik von Merz und Teilen der Bundesregierung dies anders implizieren – aus rechtlicher Perspektive ist die Antwort klar: Zurückweisungen aufgrund eines „Notstands“ lassen sich weder durch das Flüchtlings- noch durch das Europarecht rechtfertigen. Continue reading >>
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Institutioneller Rassismus in der Justiz

Bengt Fuchs, Richter am VG Gera, steht unter Verdacht, seine richterliche Unabhängigkeit missbraucht zu haben. Er lehnte Klagen von Geflüchteten aus Nigeria und Eritrea deutlich häufiger ab als seine Kolleg*innen im Bundesdurchschnitt. Rassismus in der Justiz gefährdet die politische Gleichheit aller Bürger*innen und dient damit der autoritär-populistischen Strategie, die Erzählung vom „wahren“, weißen Volk Wirklichkeit werden zu lassen. Es braucht deshalb dringend mehr Forschung und einen rassismussensiblen Bewusstseinswandel in der Justiz. Continue reading >>

Yayori Matsui

What to do when national and international legal systems fail thousands of survivors of sexual violence? The life and work of Yayori Matsui shows that the fight for justice does not require a legal background. As a journalist and feminist activist, she succeeded in convening a private people’s tribunal to prosecute crimes against women committed by the Japanese army during World War II. Continue reading >>
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Mit Sicherheit nicht

Die Forderung, Leistungen für sogenannte „Dublin-Fälle“ zu kürzen bzw. ganz auszuschließen, hat nach dem islamistischen Terrorangriff von Solingen Eingang in das „Sicherheitspaket“ der Bundesregierung gefunden. Die aktuelle politische Debatte zeugt in erster Linie von Unkenntnis der aktuellen Rechtslage und der Lebenssituation von Asylsuchenden und geduldeten Menschen in Deutschland. Die Forderungen, Sozialleistungen für geflüchteten Menschen im Dublin-Verfahren noch weiter zu kürzen oder sie sogar davon auszuschließen, sind mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Continue reading >>
06 September 2024

Why Institutional Reputation Matters

Mexico is about to adopt a constitutional amendment to reform the judicial branch. While framed as an attempt to restore the legitimacy and independence of the judiciary, it is, in reality, aimed at capturing the judiciary. In this blogpost, I discuss a key strategy that enabled this judicial overhaul: the President’s persistent and systematic defamatory attacks on the judiciary. I argue that to facing the threat of institutional defamation, we must recognize the importance of the right to reputation. Continue reading >>

A Standoff Between the Monarchy and the People

On 7 August 2024, Thailand’s Constitutional Court ordered the dissolution of the Move Forward Party (MFP), the country’s most popular political party. The dissolution follows a decision in January, when the Constitutional Court ruled that the MFP’s campaign to amend section 112 of the Penal Code (the lèse-majesté law) constituted an attempt to overthrow the democratic regime with the king as head of state (DRKH), which is considered a fundamental principle of the Thai state. The decision is another chapter in a long-standing conflict over the scope of the criminal offense of lèse-majesté, the extent of freedom of expression, and ultimately, the character of the Thai state. Continue reading >>
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Revenge in the Big Village

The EC’s 2024 Rule of Law report is yet another indicator of the deterioration of constitutional standards in Slovakia. Next to outlining selected key developments of Slovakia’s illiberalization in 2024, this post underscores how the small jurisdiction’s size in combination with its relatively isolated doctrinal legal academia could hamper the development of robust democratic constitutional discourse and thus legal academics’ contribution to democracy. Continue reading >>
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Fast-track Democratic Backsliding in Slovakia

Over the past ten months, the Fico IV government in Slovakia has intensified its assault on democratic principles, revealing deep vulnerabilities in our legal system. This article examines the government’s four key strategies to consolidate power and weaken civil society: undermining judicial independence, expediting the legislative process, attacking civil society organizations, and exerting political control over independent institutions, particularly the public broadcaster RTVS. Continue reading >>
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05 September 2024
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Finanzielle Nachwirkungen einer politischen Trennung

Ein Stadtratsabgeordneter verlässt seine langjährige politische Heimat Die Linke, um gemeinsam mit Frau Dr. Wagenknecht und ihren Gefährten das verheißungsvolle Land der Vernunft und Gerechtigkeit zu finden. Der Kreisverband – über den Austritt wenig erfreut – macht nun sog. Mandatsträgerbeiträge auch nach dem Ende der Parteimitgliedschaft gerichtlich geltend – und zwar auf Grundlage einer beidseitig unterzeichneten, vorformulierten „Abrede über die Abführung von Mandatsträger*innen-Beiträgen“ sowie kaskadenartiger Verweisungen in Satzungen der verschiedenen Gliederungsebenen. Es dürfte kaum bei diesem Einzelfall bleiben. Continue reading >>
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First Time as Tragedy, Second Time as Farce

In December 2023 the Hungarian Parliament speedily adopted the Act on the Protection of National Sovereignty and by February 2024 the government had already designated the Sovereignty Protection Office (SPO) for its enforcement. The history repeats itself, first time as tragedy, second time as farce. The current activities of the SPO exemplify the Hungarian government’s ongoing efforts to undermine free and independent society. It is crucial for the Union and European civil society to once again act swiftly to prevent the harassment of journalists and the potential disappearance of NGOs. Continue reading >>
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Kein EU-Geld für Thüringen?

In Deutschland wird die Regierungsbeteiligung einer rechtsextremen Partei zumindest auf Landesebene ein immer realistischeres Szenario. In so einem Fall könnte die EU mit fast allen ihren Instrumenten auch gegen die autoritäre Regierung eines Bundeslandes vorgehen – selbst wenn sich die Bundesregierung weiter an EU-Recht hielte. Das Zurückhalten von EU-Fördergeldern wäre das effektivste Mittel der EU, um die Rechtstaatlichkeit auf regionaler Ebene zu schützen. Continue reading >>