Eindruck von einem Richter
Zur mündlichen Urteilsbegründung des BGH im Fall Maier
Dem BGH zu Folge reicht es für die Versetzung einer Richter:in in den Ruhestand nach § 31 DRiG aus, wenn das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Person der Richter:in oder in ihre Amtsführung in hohem Maße Schaden genommen hat. Fundamentale Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit hängen danach von der öffentlichen Meinung ab. Was im Grundsatz richtig ist, kann ohne Grenzziehungen durch das Grundgesetz missbrauchsanfällig sein.
Chronologie und Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde
Am 5. Oktober 2023 hat der BGH als Dienstgericht des Bundes (§ 61 Absatz 1 DRiG) die Revision nach § 79 Absatz 2, Var. 1 DRiG des ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Richter des Freistaates Sachsen (Richter im Landesdienst) Maier gegen das Urteil des Dienstgerichts für Richter bei dem Landgericht Leipzig vom 1. Dezember 2022 – 66 DG 2/22 zurückgewiesen (§ 144 Absatz 2 VwGO i.V.m. § 80 Absatz 1 Satz 1 DRiG).
Fachgerichtlich ist damit das vom Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung mit Antrag vom 10. Februar 2022 gemäß § 44 Nummer 1 SächsRiG eingeleitete Versetzungsverfahren für Richter im Landesdienst gemäß §§ 44 Nummer 2, 58 SächsRiG i.V.m. 31 DRiG abgeschlossen. Da weder DRiG noch das SächsRiG eigene Regelungen für Richter:innen im Ruhestand enthalten, gelten für Maier nach § 3 SächsRiG nun die Vorschriften für Beamt:innen des Freistaates Sachsen im Ruhestand entsprechend. Bezüglich der ihm zustehenden Versorgung erklärt § 1 Absatz 1 SächsBeamtVG die Vorschriften ausdrücklich für anwendbar. Möglich wäre, dass Jens Maier diese letztinstanzliche fachgerichtliche Entscheidung nach Erschöpfung des Rechtsweges (§ 90 Absatz 3 Satz 1 BVerfGG) vor dem Bundesverfassungsgericht mit einer Verfassungsbeschwerde angreift.
Parallel hat das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung mit Klageschrift vom 30. Juli 2023 gemäß §§ 51 Absatz 1 SächsRiG i.V.m. § 53 SächsDG Disziplinarklage in derselben Sache nach § 44 Nummer 1 SächsRiG zum Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht Leipzig erhoben. Auf dem Verfassungsblog wurde bereits Anfang 2022 die Verhinderung der Rückkehr von Abgeordneten in den (Richter-)Dienst mithilfe einer solchen Disziplinarklage erörtert (hier und hier), an dessen Ende eine Entfernung aus dem Richterverhältnis (§ 51 Absatz 3 Satz 1 SächsRiG i.V.m. § 5 Absatz 1 Nummer 5 SächsDG) und damit der Verlust der Ansprüche auf Versorgung stehen.
Versetzung zur Abwendung einer schweren Beeinträchtigung der Rechtspflege
Zum Schutz der sachlichen Unabhängigkeit sind Richter:innen persönlich gegen Versetzungen (in den Ruhestand) geschützt, da bereits die Drohung mit derselben Entscheidungen beeinflussen könnte (Damoklesschwert).
Jedoch ging man schon bei Verabschiedung des DRiG 1958 davon aus, dass es Fälle geben könnte, in denen der Grundsatz der Unversetzbarkeit gegenüber dem Interesse der Rechtspflege zurücktreten muss. Als Beispiele nannte die Bundesregierung die Fälle, dass die Tochter des Richters den einzigen Anwalt am Ort heiratet oder sich Familienangehörige des Richters kriminell verhalten. Bei Verantwortung des Richters für das Verhalten käme ein Disziplinarverfahren in Betracht. Aber auch wenn das Ansehen des Richters in der Öffentlichkeit ohne Rechtsverstoß oder sein Verschulden leidet, sollte der § 31 DRiG eine Versetzung ermöglichen. Eine solche von ihrem Ansehen abhängige, vom Verschulden aber unabhängige Versetzungsmöglichkeit war für Richter bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Preußen, Bayern, Baden und Hessen vorgesehen (BT-Drs. 3/516, S. 42).
Richterbild und Richterhandeln
Am Anfang der mündlichen Begründung im Fall Maiers definiert das Gericht die in § 31 DRiG geforderte schwere Beeinträchtigung der Rechtspflege. Diese setze voraus, dass „das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Person des Richters oder in seine Amtsführung in so hohem Maße Schaden genommen hat, dass seine Rechtsprechung nicht mehr glaubwürdig erscheint und durch seinen Verbleib in dem ihm anvertrauten Amt zugleich das öffentliche Vertrauen in eine unabhängige und unvoreingenommene Rechtspflege beseitigt oder gemindert würde.“
Für Richter, die politisch in der Öffentlichkeit tätig werden, sei dies der Fall, „wenn er durch sein Auftreten in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, er würde aus politischen Gründen sein künftiges dienstliches Verhalten an seiner persönlicher Einschätzung und nicht mehr allein an den Gesichtspunkten der Sachrichtigkeit, Rechtstreue, Gerechtigkeit, Objektivität und dem Allgemeinwohl ausrichten.“ Dabei handele es sich nicht nur um eine Voraussetzung für die Berufung in das Richterverhältnis, sondern um eine dauernde Voraussetzung für die Ausübung des Richteramtes (!).
Die zitierten Passagen zeigen, dass das Gericht bei der Auslegung des § 31 DRiG und bei der Frage, wann eine schwere Beeinträchtigung der Rechtspflege vorliegt, eine Außenperspektive einnimmt: Es stellt nicht auf das Fehlverhalten selbst ab, welches Gegenstand eines Disziplinarverfahrens oder einer Richteranklage sein kann, sondern auf das Bild des Richters in der Öffentlichkeit. Dieses subjektive Beeinträchtigungsverständnis folgt nicht zwingend aus dem Wortlaut der Norm, war aber bislang schon Maßstab der zu § 31 DRiG ergangenen Rechtsprechung und folgt – wie oben gesehen – aus der historischen Gesetzesbegründung.
So kann etwa der Eindruck, freundschaftlichen Umgang mit Personen des Rotlichtmilieus zu pflegen, zur Versetzung einer Richter:in in den Ruhestand führen, ohne dass es auf objektive Rechtsverstöße oder sogar den Nachweis diesen Eindruck stützender Tatsachen ankommt.
Wenn die öffentliche Meinung besteht, kommt es auf den Nachweis oder die Verwertbarkeit der Gründe für dieselbe im Grundsatz nicht an: Was die öffentliche Meinung faktisch prägt, lässt sich durch das Recht nicht verhindern.
Für § 31 DRiG gelten deshalb auch keine Beschränkungen der Verwertbarkeit bestimmter Rechtsverstöße, welche das Disziplinarverfahren z.B. zum Schutz von Abgeordneten kennt. Dem folgend führt der BGH in seinem Urteil zu Maier aus, dass es für § 31 DRiG weder darauf ankomme, welche politischen Treuepflichten sich aus dem Grundstatus des Richteramtes ergeben, noch in welchem Umfang sie während der Mitgliedschaft eines Richters im Deutschen Bundestag fortbestehen.
Ferner müsse das Gericht auch nicht aufklären, ob Maier selbst (rechtlich) Verantwortung für bestimmte Tweets auf seinem offiziellen Account trage, da darauf abzustellen sei, ob und dass die Öffentlichkeit ihm die von seinem offiziellen Twitter-Account stammenden und von ihm nicht zurückgenommene Äußerungen zurechne und Schlüsse auf die von seiner politischen Überzeugung geprägten Einstellung bei der künftigen richterlicher Tätigkeit ziehe.
Auch die Frage, ob Maier mit Recht als Rechtsextremist bezeichnet worden ist, dürfte das Dienstgericht zutreffend für unerheblich halten.
Konkrete Benennung der Gründe für die öffentliche Meinung
Dieser subjektive – und auch durch entsprechende Medienberichte bewusst herbeiführbare – Eindruck muss jedoch einschränkend einer von ungerechtfertigten subjektiven Vorstellungen freien Beurteilung des Gerichts unterworfen werden (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 1995 – RiZ (R) 1/95, Rn. 31).
Im Fall von Maier benennt das Gericht konkret die Gründe für den Eindruck der Öffentlichkeit, dass Maier sein künftiges dienstliches Verhalten nicht mehr allein an den Gesichtspunkten der Sachrichtigkeit, Rechtstreue, Gerechtigkeit, Objektivität und dem Allgemeinwohl ausrichten werde. Dabei geht es einerseits um die exponierte Betätigung im Flügel, der nach dem Sächsischem Landesamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz ein extremistischer Personenzusammenschluss innerhalb der AfD ist. Andererseits führt das Gericht verschiedene öffentliche Redebeiträge von Maier an.
Das Gericht stellt also nicht allein auf einen abstrakten Eindruck ab, sondern sucht nach den konkreten Gründen für die Meinung, welche die Öffentlichkeit von Maier hat. Dadurch wird die Herausbildung dieses Eindrucks objektiv nachvollzogen und auf Vertretbarkeit geprüft. Die Perspektive bleibt aber stets, welche Wirkung diese Gründe faktisch auf die Öffentlichkeit haben.
Grundgesetz als Grenze des Maßstabs der öffentlichen Meinung
Wenn wir diese Außenperspektive einnehmen, ist es wichtig im Hinterkopf zu behalten, dass die öffentliche Meinung von Menschen geprägt wird, die ihren Eindruck von einer Richter:in nicht immer nach Maßgabe des Grundgesetzes treffen (werden). Konkret könnte z.B. die Tatsache, dass eine Richter:in in ihrem Auftreten und (körperlichen) Aussehen von dem Bild abweicht, das die Mehrheit der Bevölkerung (in einer bestimmten Region) von einer vertrauenswürdigen Richter:in hat, die öffentliche Meinung von ihr negativ prägen.
Grenze für die öffentliche Meinung als Maßstab des § 31 DRiG muss daher sein, ob die Gründe, die den Eindruck von Richter:innen subjektiv hervorrufen, auch geeignet sind, eine Beeinträchtigung der Rechtspflege im Sinne des Grundgesetzes zu begründen. Allein das subjektive Empfinden, das auch von unterbewussten Vorurteilen oder politischer Anschauung geprägt sein kann, darf nicht Maßstab sein.
Sonst ist § 31 DRiG kein Instrument eines wehrhaften Rechtsstaates, sondern wird zum Einfallstor für einen inhaltsoffenen Radikalenerlass 2.0., dessen Inhalt sich an der (regional) gerade vorherrschenden öffentlichen Meinung dazu ausrichtet, was Richter:innen tun sollten und was nicht.
Im konkreten Fall sieht der BGH die öffentliche Meinung deshalb nur dann als zulässigen Maßstab an, „wenn der Richter nicht mehr die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten wird“.
Jemandem, der die „Aufarbeitung der NS-Verbrechen als gegen uns gerichtete Propaganda, Umerziehung und Schuldkult“ bezeichnet und hervorhebt, dass die „NPD als einzige Partei bis zum Aufkommen der AfD immer geschlossen zu Deutschland gestanden“ habe, erweckt einen Eindruck, der zulässigerweise geeignet ist, der Rechtspflege durch den so hervorgerufenen Eindruck in erheblichem Maße Schaden zuzufügen: Der Grund für diesen Eindruck, die fehlende parteipolitische Unabhängigkeit, folgt nämlich aus den Anforderungen des Grundgesetzes an Richter:innen und ist deshalb zulässiger Maßstab im Rahmen des § 31 DRiG.
Nicht nur der Inhalt zählt
In der mündlichen Begründung des Urteils bestätigt der BGH zwar, dass eine Beeinträchtigung der Rechtspflege i.S.d. § 31 DRiG nicht (nur) in inhaltlich falschen Entscheidungen (dafür gibt es den Instanzenzug oder die Straftat der Rechtsbeugung) oder (schuldhaften) Rechtsverstößen des Richters (dafür gibt es das Disziplinarverfahren oder die Richteranklage), sondern in dem Image des Richters liegen kann.
Darin liegt das Eingeständnis, dass es für das Funktionieren eines Rechtssystems auch darauf ankommt, was die öffentlichen Meinung über denjenigen bereithält, der entscheidet, und nicht nur darauf, was entschieden wird. Ob unser Rechtssystem funktioniert, hängt nicht allein von sachlicher Richtigkeit, sondern von Akzeptanz und Vertrauen in die das Rechtssystem repräsentierenden Menschen ab. Das gilt übrigens auch in anderen Konstellationen, wenn es z.B. darum geht, welchen Eindruck es macht, wenn an den oberen Gerichten eine homogene Richterschaft unsere vielfältige deutsche Gesellschaft immer weniger abbildet.
Gleichzeitig muss das Grundgesetz den zulässigen Einfluss der öffentlichen Meinung auf den Rechtsstaat bei der Auslegung des § 31 DRiG begrenzen. Die normative Akzeptanz einer Richter:in darf in einem wehrhaften Rechtsstaat nicht allein von der faktischen Akzeptanz durch die (regionale) Öffentlichkeit abhängen. Der Grund für die fehlende Akzeptanz muss hingegen aus den grundgesetzlichen Anforderungen an Richter:innen folgen.