Kein Ruhestand für AfD-Richterin
Berliner Dienstgericht erschwert Vorgehen gegen Rechtsextreme
Wie ein Mantra beschwört die deutsche Rechtspolitik ihren Einsatz gegen Rechtsextremismus im Öffentlichen Dienst. Die Justizministerkonferenz (Jumiko) fordert auf ihrer Sitzung vom 10. November 2022 (TOP I.19) ein „Entschlossenes Vorgehen gegen Extremistinnen und Extremisten im Öffentlichen Dienst“ und schlägt Ergänzungen im Deutschen Richtergesetz und eine Änderung der Fristenregelung im Bundesdisziplinargesetz vor. Die Bundesinnenministerin legt Anfang des Jahres einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vor und kündigt an, Extremist*innen „schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen“ (Punkt 4 des Aktionsplans vom 15. März 2022). Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang sieht im Hinblick auf die Verfassungstreueanforderungen im öffentlichen Dienst „eine Mitgliedschaft, eine Anhängerschaft bei der AfD durchaus kritisch“ und fordert nach der Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts (VG Köln, Urteil v. 08.03.2022 – 13 K 326/21) zur Einstufung der AfD als Verdachtsfall, dass nunmehr die Frage zu stellen sei, „ob diese Beschäftigten im öffentlichen Dienst bleiben könnten“.
Ruhestandsversetzung bei AfD-Richter*innen über Rotlichtnorm
Doch diese Entschlossenheitsbeteuerungen und Aktionspläne bleiben politische Parolen, die in den Gerichtssälen nicht selten ungehört verhallen. Zu den vielen Beispielen für diese nur schwer erträgliche Diskrepanz aus politisch Gebotenem und rechtlicher Faktizität gehört das Verfahren gegen die AfD-Richterin Birgit Malsack-Winkemann.
Wie auch die Sächsische Justizministerin Katja Meier im Fall des AfD-Richters Jens Maier setzte die Berliner Senatorin für Justiz Lena Kreck im Fall der AfD-Richterin den rechtsstaatlichen Hebel nicht disziplinarrechtlich an, sondern wählte den Weg über § 31 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG). Dass diese bislang lediglich auf Richter mit Rotlichtkontakten oder Hang zu sogenannter „Kinderpornografie“ angewandte Norm im Kampf gegen Extremist*innen in Roben herangezogen wird, führt zu einigen Folgeproblemen. Insbesondere ist inakzeptabel, dass die über § 31 DRiG in den Ruhestand versetzten Richter*innen einen Anspruch auf Ruhegehaltszahlung behalten; ein Punkt, den nun auch die Jumiko im oben genannten TOP I.19 thematisiert – wenngleich natürlich Klaus-Ferdinand Gärditz nicht falsch liegt, wenn er betont, dass ein Vorgehen nach § 31 DRiG durchaus eine kurzfristige Lösung darstellen kann, die dann langfristig zu den „Optionen eines Disziplinarverfahrens (…) sowie einer Richteranklage durch den Landtag“ führt.
Nicht immer aber spielt bei der kurzfristigen Lösung über § 31 DRiG auch die Justiz mit: War das Sächsische Richterdienstgericht im Fall von Jens Maier in seinem Beschluss zur vorläufigen Untersagung der Führung von Amtsgeschäften nach § 35 DRiG noch davon überzeugt, dass der AfD-Richter in seiner künftigen Rechtsprechung nicht mehr glaubwürdig erscheint und das Vertrauen in seine Unvoreingenommenheit nicht mehr besteht (Sächsisches Dienstgericht für Richter, Beschl. v. 24.03.2022, 66 DG 1/22), hat das Berliner Richterdienstgericht den Fall Malsack-Winkemann anders bewertet. Mit Urteil vom 13. Oktober 2022 hat es den Antrag der Senatorin für Justiz zurückgewiesen, die frühere Bundestagsabgeordnete der AfD nach § 31 DRiG in den Ruhestand zu versetzen, da eine schwere Beeinträchtigung der Rechtspflege durch sie nicht zu besorgen sei (VG Berlin, Beschl. v. 13.10.2022, DG 1/22).
Distanz zum Rechtsextremismus – in der AfD?
Der unterschiedliche Ausgang der beiden Fälle hat seinen Grund nun nicht einfach darin, dass Birgit Malsack-Winkemann lediglich als rechtsextrem, Jens Maier hingegen als extrem rechtsextrem einzuordnen wäre. Der unterschiedliche Ausgang der beiden Verfahren liegt vielmehr in einer verzerrten Maßstabsbildung durch das Berliner Gericht, die – wenn sie nicht korrigiert wird – Hürden für das Vorgehen gegen Rechtsextremist*innen im öffentlichen Dienst aufstellt, die rechtlich nicht zu rechtfertigen sind und die in der Sache zu grotesken Feststellungen führen.
So formuliert das Berliner Richterdienstgericht allen Ernstes, dass der AfD-Richterin „eine Nähe zu verschwörungstheoretischen Kreisen mit rechtsextremem Hintergrund“ nicht nachzuweisen sei (Rn. 34). Erstaunlich. Als wäre Birgit Malsack-Winkemann nicht seit 13 Jahren AfD-Mitglied, als wäre sie nicht von 2017-2021 Mitglied der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag gewesen und als wäre sie nicht als AfD-Kandidatin für den 20. Deutschen Bundestag angetreten. Wie kann man in einer Partei, die sich als parlamentarischer Arm der Querdenken-Bewegung versteht, keine Nähe zu verschwörungstheoretischen Kreisen mit rechtsextremem Hintergrund pflegen? Wie hat es Birgit Malsack-Winkemann nur geschafft, mit Rechtsextremen, Reichsbürger*innen und Verschwörungsideolog*innen zum Beispiel am 29.08.2020 in Berlin zu demonstrieren, ohne in ihre Nähe zu kommen?
Auch den Nachweis, dass Birgit Malsack-Winkemann „die Nähe von Parteimitgliedern sucht, die rechtsextremistische Ansichten vertreten“, hält das Berliner Richterdienstgericht nicht für erbracht (Rn. 31). Bemerkenswert. Da wird jemand Mitglied in einer Partei, die der Verfassungsschutz als rechtsextremen Verdachtsfall führt, macht in ihr Karriere, ist Funktionsträgerin – aber hat es durch allerlei wundersame Vorkehrungen immer geschafft, Distanz zu Rechtsextremen zu halten? Gut, dass sie dabei in rassistischer Manier gegen Migrant*innen gehetzt hat – im Bundestag (ab Minuten 5.40) und in mittlerweile gelöschten Tweets auch außerhalb des Bundestages. Das seien schon Entgleisungen, so das Gericht. Doch allein wegen der in diesen Äußerungen hervortretenden „xenophoben Haltung“ (das Gericht vermeidet das Wort Rassismus) könne „jedenfalls nicht schon auf eine verfassungsfeindliche Einstellung der Antragsgegnerin geschlossen werden“ (Rn. 33). Und auch einen in diesem Zusammenhang von der Senatorin angeführten Tweet der AfD-Frau weiß das Berliner Gericht als „singuläre außerparlamentarische Äußerung“ herunterzuspielen, die nicht belegen könne, dass Birgit Malsack-Winkemann „während ihrer Zeit als Abgeordnete in systematischer Weise Schutzsuchende rechtlos gestellt“ habe (Rn. 32).
Das Berliner Gericht versucht insgesamt die Quadratur des Kreises: Die Funktionsträgerin der AfD Birgit Malsack-Winkemann sei zwar Mitglied in einer Partei, die der Verfassungsschutz als rechtsextremen Verdachtsfall führt. Sie halte aber Distanz zu Rechtsextremen und habe sich die menschenverachtende Hetze, die Demokratiefeindlichkeit und damit die Verfassungsfeindlichkeit der AfD trotz einzelner nachgewiesener Entgleisungen selbst nicht systematisch (!) zu eigen gemacht.
Treuepflicht: Aktives Eintreten für Verfassung
Diese Vorgehensweise überzeugt schon in den Tatsachenfeststellungen nicht, ist aber auch Ergebnis einer völlig unzureichenden rechtlichen Maßstabsbildung.
So behandelt das Berliner Gericht die AfD in Verkennung ihrer rechtsextremen DNA als eine normale Partei und formuliert: „Die AfD ist eine im Deutschen Bundestag, in 15 deutschen Landesparlamenten und im Europäischen Parlament vertretene Partei. Sie durfte durch das Bundesamt für Verfassungsschutz zuletzt zwar als Verdachtsfall eingestuft und unter nachrichtendienstliche Beobachtung gestellt werden, weil hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen dieser Partei vorliegen (…) Diese Anhaltspunkte ergeben sich jedoch maßgeblich daraus, dass bei den der AfD zuzuordnenden Teilorganisationen „Junge Alternative“ und „Der Flügel“ von entsprechenden verfassungsfeindlichen Bestrebungen auszugehen ist bzw. war“ (Rn. 30). Das verkennt („durfte“), dass der Verfassungsschutz die AfD bei seinem Tätigwerden gegen politischen Extremismus kein Ermessen, sondern eine Beobachtungspflicht hat. Zudem insinuiert die Formulierung des Gerichts, dass die AfD in einen verfassungswidrigen und einen verfassungstreuen Teil getrennt werden könnte. Die Beobachtung der Partei als Ganze durch den Verfassungsschutz folgt aber gerade daraus, dass diese Grenze eben nicht klar zu ziehen ist.
Indem das Dienstgericht den Verdachtsfall Flügel/JA von der Rest-AfD zu separieren sucht, macht es der AfD-Richterin die Exkulpation letztlich zu einfach. Dadurch unterstellt es, dass es reiche, sich von den inkriminierten Kreisen in der AfD fernzuhalten, um den Anschein der Treuepflichtverletzung zu vermeiden. Das steht aber nicht im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Treuepflicht der Beamt*innen. Diese wird nämlich nicht nur durch aktives Eintreten gegen die Verfassung verletzt, sondern unter Umständen auch durch Nichtstun. Das wird bei Mitgliedern rechtsextremer Parteien umso virulenter, je deutlicher die Wesensverwandtschaft einer rechtsextremen Partei mit dem Nationalsozialismus ausgeprägt ist (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13, Rn. 529 und 538 ff.), was bei der AfD und ihrer rassistischen und demokratiefeindlichen Hetze unübersehbar ist. Gerade in dieser Situation genügt als Aufweis der individuellen Verfassungstreue kein Sitzplatz in der vermeintlichen Parteimitte, zumal wenn man wie Birgit Malsack-Winkemann zugleich die egalitäre Menschenwürde strukturell infrage stellt (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 541 zur NPD). Im Gegenteil: Hier ist aktive Distanzierung gefragt.
Mit anderen Worten: Die Mitgliedschaft in der AfD kann zwar nach herrschender Auffassung nicht für sich genommen alleiniger Nachweis der Verfassungsfeindlichkeit und der Treuepflichtverletzung sein, sie ist aber ein deutliches Indiz hierfür, das in eine Gesamtbetrachtung einzustellen ist. Bei dieser ist in Bezug auf den Einzelfall zu fragen, ob und in welcher Weise das Mitglied von Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat, gegen die verfassungsfeindlichen Bestrebungen in der Partei einzutreten. Diese Betrachtung, in die auch einfließen muss, dass bei „verfassungssensiblen“ Ämtern wie der Justiz höhere Anforderungen als bei anderen Ämtern zu stellen sind, wird vom Berliner Richterdienstgericht nicht einmal im Ansatz durchgeführt.
Reichweite der Indemnität
Ferner verabsolutiert das Berliner Richterdienstgericht den Indemnitätsschutz aus Art. 46 Abs. 1 GG. So weigert sich das Gericht, besonders widerliche Zitate Malsack-Winkemanns aus ihrem Bundestagsauftritt in die Bewertung ihrer Verfassungstreue einfließen zu lassen, weil diese von der Indemnität umfasst seien. Das Verfahren zur Ruhestandsversetzung ziele „auf eine dienstrechtliche Maßnahme, die sich unmittelbar gegen eine frühere Abgeordnete richtet und hinsichtlich der Folgen für die Amtsausübung der Richterin einer disziplinarischen Entfernung aus dem Dienst oder einer Entlassung im Wege der Richteranklage nach Art. 98 Abs. 2 Satz 2 GG nahekommt. Auch ein solches Verfahren unterfällt dem Schutzzweck des Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG. Dieser schließt es aus, eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtspflege im Sinne von § 31 DRiG mit früheren innerparlamentarischen Redebeiträgen der Richterin oder des Richters zu begründen“ (Rn. 21).
Das verkennt den Charakter des Verfahrens nach § 31 DRiG. Dieses Verfahren ist kein Verfahren zur Sanktionierung vergangenen Tuns, sondern zukunftsgerichtet. Im Zentrum steht die Frage, ob in der Öffentlichkeit nachvollziehbar der Eindruck entstanden ist, die betreffende Richterin werde in Zukunft ihrer Pflicht zur Verfassungstreue und zur unvoreingenommenen Rechtsprechung nicht gerecht werden (vgl. Sächsisches Dienstgericht für Richter, Beschl. v. 24.03.2022, 66 DG 1/22, Rn. 44). Der insofern zu treffenden Prognoseentscheidung steht der Indemnitätsschutz des Art. 46 Abs. 1 GG schon im Ansatz nicht entgegen (i.d.S. auch BeckOK GG/Butzer, 52. Ed. 15.8.2022, GG Art. 46 Rn. 4).
Zudem dekontextualisiert die Vorgehensweise des Berliner Gerichts den Schutz aus Art. 46 Abs. 1 GG. Einer einschränkenden Auslegung der sachlichen Reichweite der Indemnität tritt das Gericht unter Verweis auf den vermeintlich klaren Wortlaut entgegen: „Ein Spannungsverhältnis mit Art. 97 Abs. 1 GG, das hier im Wege praktischer Konkordanz durch ein Zurücktreten des Schutzes aus Art. 46 Abs. 1 GG aufzulösen wäre, besteht nicht. Es fehlt bereits an der Kollision gleichrangiger allgemeiner Verfassungsnormen, die eine Abwägung erforderlich machte. Die durch Art. 46 Abs. 1 GG verbürgte Indemnität von Abgeordneten ist, wie dargelegt, eine spezielle Regelung, die den verfassungsrechtlichen Status des einzelnen Abgeordneten bzw. der einzelnen Abgeordneten eindeutig und abschließend konkretisiert. Schon aus diesem Grunde konfligiert sie nicht mit anderen Verfassungsschutzgütern“ (Rn. 23).
Doch auch wenn man konzedieren muss, dass das Spannungsverhältnis vorliegend weniger zwischen Art. 46 Abs. 1 GG und Art. 97 Abs. 1 GG besteht, sondern eher zwischen dem Indemnitätsschutz und der richterlichen Neutralitätspflicht aus Art. 97 Abs. 1, 2. Alt. GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und angesichts der rassistischen Ausfälle der AfD-Richterin auch der Bindung der Judikative an die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 3 GG, geht das Berliner Urteil in seiner Kaprizierung auf den Spezialitätsgrundsatz an der verfassungsrechtlichen Lage vorbei. So hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum NPD-Verbot 2017 gerade die Notwendigkeit praktischer Konkordanz im Hinblick auf Art. 46 Abs. 1 GG betont und die Norm insoweit einschränkend ausgelegt: „Allerdings stehen sich Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG und