17 Mai 2016

Neues aus Dresden: Knebel für NPD-kritischen Wissenschaftler

Jens Maier, Richter am Landgericht Dresden, ist in der sächsischen AfD aktiv. Er dient der Partei als Mitglied des Landesschiedsgerichts. Heute hat er in Ausübung seines Richteramts auf Antrag der NPD einem kritischen Wissenschaftler einen Knebel umgebunden. Steffen Kailitz, habilitierter Politikwissenschaftler am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden, darf bei Androhung von bis zu 250.000 Euro Ordnungsgeld oder sechs Monaten Ordnungshaft nicht mehr öffentlich behaupten, die NPD plane „rassistische Staatsverbrechen“ und wolle „acht bis elf Millionen Menschen aus Deutschland vertreiben, darunter mehrere Millionen deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund“.

Steffen Kailitz, das muss man dabei wissen, ist einer der vom Bundesverfassungsgericht geladenen Sachverständigen im NPD-Verbotsverfahren.

Er hat, das muss man ebenfalls wissen, von Richter Maier keine Gelegenheit bekommen, sich zu äußern, da dieser fand, die Sache sei so dringlich, dass ohne mündliche Verhandlung entschieden werden müsse. Dafür muss er jetzt erst mal die Kosten des Verfahrens tragen. Den Streitwert hat Richter Maier auf 10.000 Euro festgesetzt.

Kailitz hat schließlich, das sollte man ebenfalls wissen, die inkriminierte Äußerung in einem Artikel auf ZEIT Online getan. Der Artikel ist (Di, 23:05) noch verfügbar.

Und was die Äußerung selbst betrifft, so sollte man schließlich auch noch wissen, dass die NPD laut Programm eine „gesetzliche Rückführung der derzeit hier lebenden Ausländer“ fordert und den Begriff „Ausländer“ ethnisch definiert anstatt nach Staatsangehörigkeit. Das ist die Faktengrundlage für das, was Wissenschaftler Kailitz als geplantes „Staatsverbrechen“ und „Vertreibung“ anprangert. Der Dresdener Richter Maier wertet diese Worte offenbar als falsche Tatsachenbehauptung.

NPD-Anwalt Peter Richter hat in den letzten Monaten viel unternommen, um sich einen Ruf als listenreicher Nutzer des Rechtsstaats für die Zwecke seiner anti-rechtsstaatlichen Partei zu mehren. In Karlsruhe war er damit bisher nicht sonderlich erfolgreich. In Dresden tut er sich offenbar leichter.


SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: Neues aus Dresden: Knebel für NPD-kritischen Wissenschaftler, VerfBlog, 2016/5/17, https://verfassungsblog.de/neues-aus-dresden-knebel-fuer-npd-kritischen-wissenschaftler/, DOI: 10.17176/20160518-111306.

101 Comments

  1. Rainer S. Mi 18 Mai 2016 at 08:25 - Reply

    Der Beitrag in der Zeit ist unter der URL https://archive.is/nXS0H archiviert.

  2. Konrad Mi 18 Mai 2016 at 10:42 - Reply

    Technische Frage: Wie bindend ist so ein Urteil bei einer Aussage vor dem Bundesgerichtshof?

  3. Tommy Mi 18 Mai 2016 at 11:06 - Reply

    @Konrad:
    Was soll denn vor dem BGH verhandelt werden?

    Nebenbei: Eine Aussage vor Gericht ist keine „öffentliche“ Aussage im Sinne der eV.

  4. Thorsten Stüker Mi 18 Mai 2016 at 11:39 - Reply

    Es geht also wieder los, das Aburteilen von Gegnern im Sinne der befreundeten und gleichgesinnten Vasallen. Hier MUSS der Rechtsstaat einschreiten. Zunächst aber einmal ganz unten angefangen:

    Die Äußerungen waren durch die freie Meinungsäußerung gedeckt. Richter wie dieser sind es, die das Rechtssystem in unserem Staate schädigen. Richter wie dieser, waren nach 45 reichlich im Dienst und verhinderten die korrekte Verfolgung von NS Straftätern.

    Dieses Urteil ist Richtungsweisend. Allerdings wird das in Karlsruhe weniger auf Gegenliebe stoßen, ich würde mal sagen: kurzfristiger und kurzzeitiger Erfolg.

    Im Bezug auf das Verbotsverfahren hat das Urteil freilich keinerlei Wirkung, da vor Gericht nur die Wahrheit zähl(t)en sollte. Aber das nehmen die NPD-nahen Damen und Herren ja nicht so sonderlich genau.

    Warten wir also ab, wie das Verbotsverfahren ausgeht. Dann erst wird es spannend. Ich tippe auf gewaltigen Zulauf für die AFD. Da kann man den künftigen Parteifreunden ja schon mal helfen.

  5. cyberfux Mi 18 Mai 2016 at 11:58 - Reply

    Kleiner Witz am Rande für alle die jetzt denken „Ach, das wird bestimmt so ein linker Spinner sein…“:
    Kailitz hat mehrere Veröffentlichungen u.a. für die Konrad-Adenauer-Stiftung getätigt…

  6. HaWe Mi 18 Mai 2016 at 12:07 - Reply

    Ja auf! Für einen ordentlichen Anwalt sammeln und den Mann unterstützen…

  7. Insert Random Name Here Mi 18 Mai 2016 at 12:34 - Reply

    Die Afd verschreibt sich nunmal den deutschen Traditionen.

    Und Demokratie haben wir nunmal erst seit 25 Jahren in Dresden…gehört also nicht dazu.
    Schwarze, Juden oder Schwule zu erschlagen…das tun wir schon seit über tausend Jahren.
    Da ist doch klar wohin das mit der Afd führt.

  8. Peter Friedrich Mi 18 Mai 2016 at 14:08 - Reply

    Träume ich im schlimmen Film? Jedenfalls kann das so nicht weitergehen.

  9. Stefan Schmid Mi 18 Mai 2016 at 15:08 - Reply

    Entscheidungen im Rahmen eines Verfahrens auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung beruhen, wenn sie wie hier ohne mündliche Verhandlung ergehen, ausschließlich auf dem Vortrag des Antragstellers. Das Gericht prüft nur sehr eingeschränkt, ob diese zutreffend sind oder nicht, da das Beweismittel hier vor allem die sog. Glaubhaftmachung, also die Versicherung an Eides Statt ist. Erst im Rahmen des eingelegten Widerspruches gegen die Einstweilige Verfügung oder dem dann folgenden Hauptsacheverfahren werden die Gegenargumente geprüft.
    Daher kann man nicht pauschal behaupten es läge ein Fehlurteil vor, auch wenn die Vorgehensweise ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden im vorliegende Fall überrascht. Daher scheitert der Rechtsstaat nicht an solchen Entscheidungen, er spielt vielmehr durch die Möglichkeit der Korrektur von Fehlentscheidungen seine Stärke erst aus.

    Es sollte besser der Gang des Verfahrens abgewartet werden.

  10. Maximilian Steinbeis Mi 18 Mai 2016 at 15:13 - Reply

    @Stefan Schmid: Es gab hier nach der Abmahnung durch die NPD eine Schutzschrift, die der Beklagte vorsorglich eingereicht hat. Daher kann man nicht ohne weiteres sagen, dass das LG Dresden hier nur dem glaubhaften Vortrag der Klägerin gefolgt und insoweit im Rahmen des Üblichen geblieben ist, oder? Außerdem scheint mir hier eine Rechtsfrage im Mittelpunkt zu stehen, nicht eine Tatsachenfrage.

  11. Klaus Minhardt Mi 18 Mai 2016 at 15:21 - Reply

    Das macht der Arbeitskreis sozialdemokratischer Juristen schon lange. Passiert es auf der linken Seite bundesweit erregt das niemand. Seltsam

    Nicht seltsam ist, dass es ohne Anhörung des Sachverständigen erfolgte. Das ist der Normalfall, falls keine Schutzschrift hinterlegt wurde.

    Warum also geht es wirklich? AfD Bashing!

  12. Maximilian Steinbeis Mi 18 Mai 2016 at 15:30 - Reply

    @Minhardt: Wie gesagt, es wurde eine Schutzschrift hinterlegt.

  13. Stefan Schmid Mi 18 Mai 2016 at 15:31 - Reply

    @Maximilian Steinbeis: Aus dem Sachverhalt ergab sich die Hinterlegung der Schutzschrift nicht. In der Tat ist dies in diesem Fall dann verwunderlich, wenn auch nicht vollkommen außergewöhnlich. Was Rechts- und/oder Tatfrage angeht muß man, wie meistens, die eingereichten Schriftsätze kennen um sich ein abschließendes Bild machen zu können. Nur dann kann man auch dir Frage beantworten ob tatsächlich nur eine Rechtsfrage zur Beurteilung anstand.

  14. Matthias Mi 18 Mai 2016 at 15:34 - Reply

    Und selbst wenn keine Schutzschrift hinterlegt worden sein sollte: Wie MS schon gesagt hat, die Tatsachen scheinen doch auf dem Tisch zu liegen. Es geht hier um Rechtsfragen. Die sollte ein Landgericht, bitteschön, in der Lage sein, nicht erst im Verfahren über den Widerspruch zu prüfen.

  15. nm Mi 18 Mai 2016 at 16:06 - Reply

    Frage an die Praktiker: Ist es eigentlich üblich, dass einstweilige Verfügungen nicht begründet werden?

    Und: Erstaunlich, dass die beiden Kammerkolleginnen des Richters ihm ein politisch derart heikles Verfahren zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen, zumal sie über das politische Engagement ihres Kollegens Bescheid wissen dürften. Wenn darüber hinaus die eV sowieso nicht begründet wird, hätte man das auch gut als Kammer entscheiden können. Der Korridor möglicher Begründungen für die Übertragung auf den Einzelrichter reicht wohl von Faulheit über Unsensibilität zu Gesinnungsgenossenschaft. Faulheit wäre mir da noch am Liebsten.

  16. Stanco Mi 18 Mai 2016 at 16:24 - Reply

    Meistens werden Einstw. Verfügungen unter Verweis auf die Antragsschrift begründet, vorausgesetzt Verfügungsanspruch und -grund sind schlüssig dargetan.

  17. bec Mi 18 Mai 2016 at 19:42 - Reply

    Die offenkundig unhaltbare Entscheidung des LG Dresden wird, so bleibt nur zu hoffen, schnellstmöglich im Verfügungsverfahren wieder aufgehoben. Sie verletzt die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit von Herrn Dr. Kailitz. Seine in der ZEIT getroffene Aussage ist eine zutreffende Analyse der Konsequenzen des menschenverachtend rassistischen NPD-Parteiprogramms, siehe mit weiteren Nachweisen sehr ähnlich auch die Antragsschrift des Bundesrats im Verbotsverfahren, S. 169 ff. (abrufbar unter http://www.bundesrat.de/DE/plenum/themen/npd-verbot/npd-verbot.html)

    Bitte berichten Sie hier weiter über den Fortgang diesen Verfahrens! Vielen Dank!

  18. Leser Mi 18 Mai 2016 at 19:51 - Reply

    Ein Hoch auf die richterliche Unabhängigkeit!

    Entscheidungen wie diese zeigen, wieso es Berufungsinstanzen gibt (und geben muss). Und Disziplinarverfahren auch für Richter stärker genutzt werden sollten. In einer derartigen Konstellation mit einer derartigen Entscheidung wäre eine Selbstanzeige wegen Befangenheit angezeigt gewesen. Mit solch einer Entscheidung diskreditiert ein einzelner Richter die gesamte Justiz.

    Sogar wenn man die Unterlassung gerechtfertigt finden sollte – Dringlichkeit bzgl. des Absehens von einer mündlichen Verhandlung liegt eindeutig nicht vor.

    Er habe von der Tätigkeit des Verfügungsgegners vor dem BVerfG nicht gewusst… haha. Wenn man keine vernünftige Gelegenheit zur Stellungnahme gibt, erfährt man auch nichts. Blinde Justizia =/= Richter, der sich absichtlich blind stellt.

  19. Ano Nym Mi 18 Mai 2016 at 20:37 - Reply

    I.

    Sehe ich es eigentlich richtig, dass der Antragsgegner auf den Verfahrenkosten insbesondere dann sitzen bleibt, wenn die Antragstellerin zeitig verboten oder insolvent wird, whatever comes first?

    II.

    Wäre es nicht klüger sich in Interviews generell nur als Organ einer günstigen, unterkapitalisierten juristischen Person und nicht für eigene Rechnung zu äußern?

  20. Lao Tao Mi 18 Mai 2016 at 21:23 - Reply

    So wie die parlamentarischen Gremien im Jahre 2016 von Klientel- und Lobbyvertretern infiltriert und systemisch korrupmiert sind, so sind die juristischen Rechtsorgane von ständisch-korporativen Burschenschaftlern, speziell auch dieser „farbentragenden“ Deutschnationalen infiltriert und rechtsphilophisch korrumpiert.

    Ein rechter Narr, wer diese Netzwerks- und Seilschaftsmethoden und -mechanismen verdrängt oder ignoriert und dann plötzlich ganz überrascht sind, wenn wiedereinmal so eine Skandalmethanblase hochpoppt und heftigen Gestank verbreitet.

  21. Albert Mi 18 Mai 2016 at 21:47 - Reply

    Dass solche Rechtstaatsferne Gestalten in Deutschland Richter werden können, ist echt unglaublich. Die AfD beschwert sich doch immer, dass angeblich die Presse die Wahrheit immer verschweigen würde. Obendrein sind es Leute aus dem AfD-Umfeld, die das Recht auf freie Meinungsäußerung, dass nämlich Merkel angeblich ein Verbrechen an der deutschen Bevölkerung verüben würde, indem sie hier Flüchtlinge ins Land lässt, weidlich für sich nutzen, man muss wohl eher sagen ausnutzen.

    Nebenbei bemerkt zeigt dieses „Urteil“ sehr deutlich, wer hier in Deutschland wem Tabus auferlegen möchte.

    Irgendwer hat hier geschrieben, dass es um AfD-Bashing ginge. Das ist langsam schon ziemlich ausgelutscht, dieses „Argument“, dass es sich bei den Nazis um Opfer handeln würde. Die AfD bashed sich immer wieder selbst. Dann soll sie sich einfach mal an unser Grundgesetz halten. Der „Richter“ hat das Grundgesetz sicher noch nie gesehen. Manchen Leuten braucht man wohl auch heute noch nur eine Uniform / einen Titel geben….

  22. Frank Mi 18 Mai 2016 at 22:38 - Reply

    Ist Kailitz nun ein Wissenschaftler oder ein „kritischer Wissenschaftler“? Hat er im erwähnten Beitrag seine private Meinung oder eine wissenschaftliche Expertise zum besten gegeben? Wäre es möglich, dass er beides nicht immer zu trennen weiß?
    Dass eine Einstweilige Verfügung regelmäßig ohne mündliche Verhandlung erlassen wird, was aufgrund des angemeldeten Dringlichkeitsbedürfnisses des Klägers nachvollziehbar ist, ist kein Zusammenbruch des Rechtsstaat. In einem Hauptsacheverfahren habe alle Parteien genügend Zeit und Raum ihre Argumente darzulegen – eine EV taugt dazu jedoch nicht.
    Also, viel Empörung um Belanglosigkeiten. Und die „gefährdete Wissenschaftsfreiheit“, welche Kailitz betroffen bemüht, ist ein sehr albernes Manöver. Ebenso wie zu meinen, dass die reine AfD-Mitgliedschaft eines (unabhängigen!) Richters „gesinnungstreue“ Klientelurteile zur Folge hätte. Ob es andernorts üblich, man es üblicherweise gewohnt ist und daher aus eigener Erfahrung auf diese Gedanken kommt, entzieht sich natürlich meiner Kenntnis.

  23. schmokie Mi 18 Mai 2016 at 22:45 - Reply

    Das Landgericht Dresden war seinerzeit verantwortlich für die Zulassung der Pegida als gemeinnütziger Verein, obwohl die Satzung ein Abklatsch des NPD-Programms war. Würde mich nicht überraschen, wenn dieser AfD-Richter an dieser Zulassung (die in ihrer Wirkung unserer Demokratie und unserem Ansehen im Ausland schwer schadet) mitgewirkt hätte, anstatt dass er oder andere hohe sächsische Justizbeamte Schaden von unserem Volk abwenden. Oder gibt es etwa braune Seilschaften in den Dresdener Amtsstuben? Zum Beispiel im Denkmalschutzamt, das kürzlich verfügte, dass ein Transparent für mehr Toleranz gegenüber Ausländern von der Fassade der Semperoper wieder abgenommen werden musste? Der ganze Laden in Dresden gehört mal ausgeräuchert!

  24. D. Hipp Mi 18 Mai 2016 at 22:56 - Reply

    @Maximilian Steinbeis
    Lieber Max,
    ich widerspreche Dir ja nur ungern, aber nach meiner Kenntnis gab es beim LG Dresden keine Schutzschrift in der Sache … (Es wurden wohl Schutzschriften hinterlegt, aber offenbar nicht beim LG Dresden.)
    Schöne Grüße
    Dietmar

  25. mick Mi 18 Mai 2016 at 23:39 - Reply

    Frank: Warum ist „die „gefährdete Wissenschaftsfreiheit“, welche Kailitz betroffen bemüht, (…) ein sehr albernes Manöver“? Das ist doch der entscheidende Punkt für ihn als Wissenschaftler. Wenn per eV die Inhalte wissenschaftlicher Arbeit vor der Publikation bewahrt werden können, dann ist das ein Problem. Diese Kompetenz sollte dem Wissenschaftssytem vorbehalten sein. Das Gericht kann — per Systemgrenze — gar keine Kompetenzen haben, und sich nur durch Gutachter (z.B. andere Wissenschaftler) urteilsbildende Informationen beschaffen. Das passiert dann ja im Folgenden eventuell noch. Aber warum der Verweis die Wissenschaftsfreiheit albern sein soll, erschließt sich nicht.

  26. Innauen Mi 18 Mai 2016 at 23:54 - Reply

    Ein Staatsanwalt in Berlin, ein Richter in Dresden. Die AfD fasst Fuß in der Justiz.

  27. Bernd L Do 19 Mai 2016 at 00:08 - Reply

    Sehr geehrter Herr Steinbeis,

    für ein juristisches Blog fände ich es sinnvoll zu ergänzen, dass das angedrohte Ordnungsgeld von bis zu 250000 € oder ersatzweise Ordnungshaft ein ganz regulärer Unterlassungstenor im Hinblick auf § 890 ZPO ist. So wie es hier steht klingt es, als ob es sich um eine Besonderheit des Beschlusses handeln würde und der Richter ganz außergewöhnlich drakonische Konsequenzen angedroht hätte.

    Weiter ist es auch üblich, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wenn es nur um Rechtsfragen geht. Soweit ich das sehe, war in tatsächlicher Hinsicht nichts strittig,
    es ging um die Bewertung eines Zeitungsartikels.

    Dann wäre es selbst dann vertretbar gewesen ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,
    wenn dem LG Dresden eine Schutzschrift vorgelegen hätte (hierzu habe ich jetzt verschiedene Informationen gelesen).

    Auch die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist also keine Besonderheit

    Im Übrigen scheint hier unterstellt zu werden, der Richter hätte auf Grund seiner Mitgliedschaft in der AfD parteiisch entschieden, oder empfinde ich das falsch? Wenn nicht ist das wohl nicht mehr als eine Unterstellung ins Blaue hinein.

    Ich persönlich hätte, ohne den Fall genauer zu kennen, die Aussage als noch von der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit gedeckt gesehen, es kommt hier wohl auf die Interpretation des Parteiprogrammes der NPD an. Warum dies jetzt so ein gewaltiger Skandal sein soll, dass der Richter in diesem Fall vertretbar anders entschieden hat, erschließt sich mir nicht. Immerhin stehen Herrn Kailitz noch Widerspruch und Berufung sowie das Hauptsacheverfahren offen.

    Viele Grüße

  28. Leser Do 19 Mai 2016 at 06:42 - Reply

    „Weiter ist es auch üblich, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wenn es nur um Rechtsfragen geht.“

    1.) Nur, wenn denn Dringlichkeit vorliegt. Gegen die NPD läuft – bundesweit medial ausgeschlachtet – ein Verbotsverfahren. Welchen Rufschaden erleidet sie durch eine weitere Stimme, die sich kritisch äußert? Was macht es notwendig, hier, jetzt, heute, sofort, ohne Anhörung zu entscheiden?

    2.) Wenn sowohl Entscheidung mit als auch ohne Anhörung vertretbar sind, würde der kluge, sachorientierte Richter sich mindestens dann für eine Anhörung entscheiden, wenn er sich sonst in den Anschein setzt, vom Richtertisch aus Parteipolitik zu betreiben. Denn eigentlich liegt dann bereits Befangenheit vor, aber da sich die Justiz ja offenbar darauf geeinigt hat, dass Befangenheit an Richterroben abperlt, sollte man es dann zumindest nicht auf die Spitze treiben – zum Wohl des Dienstherrn.

    „Soweit ich das sehe, war in tatsächlicher Hinsicht nichts strittig,
    es ging um die Bewertung eines Zeitungsartikels.“

    Wenn die Gegenseite keine Gelegenheit zu einer vernünftigen Anhörung erhält, kann auch nichts streitig werden, oder?
    Im Übrigen ist im Äußerungsrecht doch typischerweise ein Streit um Tatsachen gegeben. Färbt Herr Schröder sein Haar wirklich? Ist Herr Kachelmann zu Unrecht freigesprochen worden? Steht XYZ wirklich im Parteiprogramm der NPD – oder stand es früher?

  29. DaW Do 19 Mai 2016 at 07:37 - Reply

    @ cyberfux:

    „Kleiner Witz am Rande für alle die jetzt denken ‚Ach, das wird bestimmt so ein linker Spinner sein…‘:
    Kailitz hat mehrere Veröffentlichungen u.a. für die Konrad-Adenauer-Stiftung getätigt…“

    Das Hannah-Arendt-Institut an sich gilt jetzt auch nicht unbedingt als Hort des Linken – und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit SBZ und DDR. Es wurde ja immerhin auch unter einer CDU-Regierung gegründet. Und dass die sächsische CDU nicht gerade zu den linken oder liberalen Landesverbänden gehört, dürfte auch klar sein.

    Aber der Fall zeigt mal wieder, was Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit zu erwarten haben, wenn der „AfD“ die Machtergreifung gelingen sollte. Leider kapieren das viele ihrer Anhänger gar nicht, die sich wie ein bockiger Fünfjähriger in ihrem „Argumentations“-Käfig verkrochen haben und laut „MEINUNGSFREIHEIT!“ brüllen, wenn man es wagt, ihnen zu widersprechen (ohne ihnen mit Ordnungsgeld oder Gefängnis zu drohen, wenn sie eine Aussage wiederholen sollten).

  30. cyberfux Do 19 Mai 2016 at 07:51 - Reply

    @DaW Ich weiß, ich wollte nur den üblichen Vorurteilen vorbeugen (oder übersetzt: Mein hauseigener linkenfeindlicher CDUler kam direkt mit dem Argument ums Eck…).

  31. unionsbuerger.de Do 19 Mai 2016 at 08:01 - Reply

    Seit der Nichtaufarbeitung der Reichskritallnacht hat sich wenig verändert in der Deutschen Justiz. Am Fall des Satirikers Böhmermann stellt man fest, dass das Landgericht Hamburg auch sofort bereit war, das Vorurteil der Kanzlerin gegen den Künstler zu übernehmen, um sein Schmähgedicht zu zensieren. MIT EINER SOLCHEN PRINZIPIENLOSIGKEIT KANN DIE DEUTSCHE LEITKULTUR EUROPA NICHT MEHR WEITER FÜHREN.

  32. Ano Nym Do 19 Mai 2016 at 08:47 - Reply

    Wieso ist allerorten (hier wie bei der Zeit) von „dem“ Richter die Rede? Die Entscheidung der 3. Zivilkammer des LG, wie ich sie hier gefunden habe

    https://verfassungsblog.de/lg-dresden-vom-10-05-2016-3-o-925-16-ev-1/

    trägt drei Unterschriften. Wenn ich für das Genre etwas überhätte, würde ich jetzt fragen, ob die beiden ebenfalls beteiligten Richterinnen in der Berichterstattung wegen ihres Geschlechts marginalisiert werden.

    Die Berichterstattung über diesen Fall ist ein Anlass für einen Teil II von http://uebermedien.de/4543/der-kampf-gegen-die-afd/

    • Maximilian Steinbeis Do 19 Mai 2016 at 12:20 - Reply

      Die Kammer hat beschlossen, den Fall dem Richter Maier als Einzelrichter zu übertragen, und der hat dann allein über den Antrag auf einstweilige Verfügung entschieden. Dieser Beschluss trägt nur seine Unterschrift.

  33. schorsch Do 19 Mai 2016 at 10:21 - Reply

    @Bernd L.: „NOCH von der Meinungsfreiheit gedeckt“? „vertretbar anders entschieden“? Ist das Ihr Ernst?
    Ethnisch, nicht staatsbürgerrechtlich definierte „Ausländer“ + zwangsweise Rückführung: was soll das sein, wenn nicht Rassismus + Staatsverbrechen? Das ist ja schon keine rhetorische Zuspitzung mehr.

  34. Bernd L Do 19 Mai 2016 at 11:00 - Reply

    @ Leser:

    „1.) Nur, wenn denn Dringlichkeit vorliegt. Gegen die NPD läuft – bundesweit medial ausgeschlachtet – ein Verbotsverfahren. Welchen Rufschaden erleidet sie durch eine weitere Stimme, die sich kritisch äußert? Was macht es notwendig, hier, jetzt, heute, sofort, ohne Anhörung zu entscheiden?“

    Interessante Rechtsauffassung. Wenn eh schon alle draufschlagen, ist es egal, wenn noch einer mehr zuhaut?

    „2.) Wenn sowohl Entscheidung mit als auch ohne Anhörung vertretbar sind, würde der kluge, sachorientierte Richter sich mindestens dann für eine Anhörung entscheiden, wenn er sich sonst in den Anschein setzt, vom Richtertisch aus Parteipolitik zu betreiben. Denn eigentlich liegt dann bereits Befangenheit vor, aber da sich die Justiz ja offenbar darauf geeinigt hat, dass Befangenheit an Richterroben abperlt, sollte man es dann zumindest nicht auf die Spitze treiben – zum Wohl des Dienstherrn.“

    Ich gebe Ihnen insofern recht, dass der Richter mit Rücksicht auf das öffentliche Interesse eine mündliche Verhandlung hätte ansetzen sollen. Das öffentliche Interesse ist aber nun mal kein Entscheidungskriterium. Ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden ist in solchen Fällen absolut üblich, von daher sehe ich den Skandal nicht, wenn der Richter eben den Usus pflegt.

    „Wenn die Gegenseite keine Gelegenheit zu einer vernünftigen Anhörung erhält, kann auch nichts streitig werden, oder?
    Im Übrigen ist im Äußerungsrecht doch typischerweise ein Streit um Tatsachen gegeben. Färbt Herr Schröder sein Haar wirklich? Ist Herr Kachelmann zu Unrecht freigesprochen worden? Steht XYZ wirklich im Parteiprogramm der NPD – oder stand es früher?“

    Ich kenne den Fall nicht genau genug, Sie? Wenn es nur um den Zeitungsartikel + den Bezug zum aktuellen Parteiprogramm geht, was soll dann noch groß strittig werden? Sollte sich Herr Kailitz indes auf Tatsachen bezogen haben, die nicht ohne weiteres öffentlich zugänglich sind, dann hätten Sie recht. In dem Fall hätte es eine mündliche Verhandlung geben müssen.

  35. Maximilian Steinbeis Do 19 Mai 2016 at 11:29 - Reply

    @D. Hipp: stimmt. Ich weiß von einer Schutzschrift beim LG Köln, Pressekammer, aber nicht von einer beim LG Dresden. Das relativiert diesen Punkt, da hast Du recht.

  36. Bernd L Do 19 Mai 2016 at 11:31 - Reply

    @ Leser:

    „1.) Nur, wenn denn Dringlichkeit vorliegt. Gegen die NPD läuft – bundesweit medial ausgeschlachtet – ein Verbotsverfahren. Welchen Rufschaden erleidet sie durch eine weitere Stimme, die sich kritisch äußert? Was macht es notwendig, hier, jetzt, heute, sofort, ohne Anhörung zu entscheiden?“

    Interessante Rechtsauffassung. Weil also eh schon alle draufschlagen, ist es egal, wenn noch einer mehr zuhaut?

  37. Kommentator Do 19 Mai 2016 at 13:25 - Reply

    Ist eine Partei konform zum Parteiengesetz und zum Grundgesetz, dann ist nichts dagegen einzuwenden, dass ein Beamter Mitglied dieser Partei ist und dort Funktionen ausübt, sofern er sich in seiner Beamtenfunktion parteipolitisch neutral verhält.

    Nach Stand meiner Kenntnisse ist die AfD konform zum Parteiengesetz und zum Grundgesetz ebenfalls.

    Wenn an der _einstweiligen_ Verfügung formal nichts auszusetzen ist, dann muss man die Entscheidung _einstweilig- hinnehmen.

    Wer sich trotzdem darüber aufregt und aus der AfD-Mitgliedschaft des Richters eine Manipulation konstruiert, bringt damit zum Ausdruck, dass er diese Regeln des Rechtsstaats entweder nicht ausreichend kennt oder von ihnen nichts hält.

    Jedem Richter ist die Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft in einer demokratischen Partei wie es ihm beliebt zu gönnen.

  38. Hans Adler Do 19 Mai 2016 at 14:36 - Reply

    > Und was die Äußerung selbst betrifft, so sollte man schließlich auch noch wissen, dass die NPD laut Programm eine „gesetzliche Rückführung der derzeit hier lebenden Ausländer“ fordert und den Begriff „Ausländer“ ethnisch definiert anstatt nach Staatsangehörigkeit.

    Nachdem das in Foren abgestritten wurde, habe ich versucht, mich im Parteiprogramm der NPD selbst davon zu überzeugen. Ergebnis: Diese Behauptung ist technisch gesehen gerade noch so interpretierbar, dass sie wahr ist. Sie gibt auch den Tenor des Programms im Prinzip richtig wieder. Trotzdem ist sie irreführend.

    Die nahe liegende Interpretation ist nämlich im vorliegenden Kontext, das NPD-Programm würde den Begriff „Ausländer“ so definieren, dass er Menschen mit deutschem Pass und ausländischer Herkunft einschließt, und dann die „Rückführung“ der Ausländer im Sinne dieser Definition fordern. Das habe ich da nicht gefunden.

    Das Programm fordert in Punkt 10 die Rückkehr zum Abstammungsprinzip, allerdings nicht rückwirkend, sondern um eine „Fehlentwicklung“ zu „stoppen“, nicht etwa umzukehren. Danach fordert es die „Rückführung“ der „derzeit hier lebenden Ausländer“. Falls das Parteiprogramm nicht entschärft wurde, lässt sich die verbotene Äußerung damit tatsächlich nicht belegen.

    Ich habe keinen Zweifel daran, dass die NPD gerne auch Eingebürgerte vertreiben würde. Nachweisen kann man das so einfach aber nicht. Es wäre sicher interessant, die Schutzschrift von Herrn Kailitz zu lesen.

  39. Th. Koch Do 19 Mai 2016 at 17:24 - Reply

    Drei Anmerkungen:

    1. Die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch den Vorsitzenden (§§ 937 Abs. 2, 944 ZPO) beeinträchtigt das Recht des Antragsgegners auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG auch dann, wenn das rechtliche Gehör im Beschwerde- oder Hauptsacheverfahren nachholbar ist. Erforderlich ist daher eine Dringlichkeit, die unter Berücksichtigung von Art. 103 GG zu bestimmen ist. Vor diesem Hintergrund ist eine hinreichende Dringlichkeit, die zum Verzicht auf eine mündliche Verhandlung berechtigte, hier nicht im Ansatz erkennbar.

    2. Die Sache ist allerdings in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht einfach gelagert, weil die inkriminierte Äußerung selbst dann zulässig wäre, wenn es sich um eine Interpretation des Programms der NPD handelte. Es handelt sich um eine Meinungsäußerung (oder eine von Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Tatsachenbehauptung), die zulässig ist, wenn sie sich in irgendeiner Form am Programm der NPD festmachen lässt. Dass ist hier (offensichtlich) der Fall, soweit die Begründung von Kailitz der Presse entnommen werden kann, da die geforderte Rückführung von „Fremden“ danach auch Migranten mit (mittlerweile) deutscher Staatsbürgerschaft erfassen soll. Der Antrag wäre daher zwingend (ohne mündliche Verhandlung) zurückzuweisen gewesen.

    3. Dass ein Richter der AfD (und nicht der CDU oder – falls es das in Sachen überhaupt gibt – der SPD) angehört, ist für sich genommen in der Tat unerheblich. Dass eine so grobe und offensichtliche Fehlentscheidung, die eine dem geltenden Verfassungsrecht abgewandte Haltung zu erkennen gibt, gerade durch einen der AfD angehörenden Richter ergangen ist, spricht allerdings für sich.

  40. Bernd L Do 19 Mai 2016 at 18:03 - Reply

    @ Herrn Koch:

    „1. Die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch den Vorsitzenden (§§ 937 Abs. 2, 944 ZPO) beeinträchtigt das Recht des Antragsgegners auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG auch dann, wenn das rechtliche Gehör im Beschwerde- oder Hauptsacheverfahren nachholbar ist. Erforderlich ist daher eine Dringlichkeit, die unter Berücksichtigung von Art. 103 GG zu bestimmen ist. Vor diesem Hintergrund ist eine hinreichende Dringlichkeit, die zum Verzicht auf eine mündliche Verhandlung berechtigte, hier nicht im Ansatz erkennbar.“

    In der Praxis – vor allem im Äußerungsrecht – ist es absolut üblich, die besondere Dringlichkeit zu bejahen. Kritik an dieser Praxis ist sicher berechtigt, im Ausland stößt so etwas auch eher auf Unverständnis.

    Es ist aber eben keine Besonderheit dieses Falles.

    Hinsichtlich dem materiellen Ergebnis stimme ich Ihnen zu, man kann das Parteiprogramm wohl entsprechend interpretieren.

    Ihr Fazit zum Richter ist aus dem genannten Grund unzutreffend, eine im Vergleich zur sonstigen Praxis her