20 March 2011

Ungarn: Eine Verfassung zum Fürchten

Ich bin gestern Abend in Budapest angekommen, habe mittlerweile mit ein paar Leuten gesprochen, die sich auskennen, und kann zu der neuen Verfassung Ungarns jetzt etwas präziser Auskunft geben.

Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: Das ist überhaupt nicht schön, was da passiert. Das ist sogar ziemlich fürchterlich.

Ein Mann, ein Wort, eine Verfassung

Noch mal kurz zur Vorgeschichte: Im April 2010 hatten die Nationalkonservativen um Viktor Orbán einen triumphalen Wahlsieg errungen, der ihnen im Parlament eine Zweidrittelmehrheit einbrachte. Da es in Ungarn nur eine Kammer gibt, hatten sie damit Vollmacht, die Verfassung zu ändern. Und zwar ganz allein.

Orbán fand das so toll, dass er kurzerhand erklärte, diese Wahl sei ein revolutionärer Moment gewesen, ein Auftrag, die 1989 angeblich nur halbherzig durchgeführten Bruch mit dem Kommunismus zu vollenden und die ungarische Nation in ihren alten Stand der Größe und Herrlichkeit zurückzuversetzen, und zwar auch und insbesondere, was die Verfassungsgrundlage dieser Nation betrifft. Binnen eines Jahres, so Orbán, werde er Ungarn zu einer neuen Verfassung verhelfen.

Der Mann hält Wort, das muss man ihm lassen: Vor gut einer Woche wurde der Entwurf der Orbán-Leute bekannt. Morgen tritt Orbáns Zweidrittelmehrheits-Parlament als “verfassungsgebende Versammlung” zusammen und diskutiert darüber. Noch vor Ostern soll die Verfassung verabschiedet sein. Der Präsident, auch er ein Orbán-Buddy, ein ehemaliger Olympia-Fechter und als Staatsoberhaupt von geradezu rührender Inkompetenz, wird sie ohne Probleme unterzeichnen, und zack: Verfassung fertig. Ein Klacks.

Bürgerbeteiligung? Gab es in Form eines Schreibens an alle Haushalte mit zwölf ausgewählten Fragen zu bestimmten Einzelthemen, die man mit Ja, Nein oder Weiß nicht beantworten konnte. Weder gab es eine Auswertung noch weiß man genau, wie viele überhaupt geantwortet haben. Ein Witz, und kein besonders komischer.

Ein Referendum? Och, wozu denn: Die Wahl 2010 habe doch schon den Volkswillen deutlich genug zum Ausdruck gebracht.

Eine öffentliche Debatte? Ein offener Austausch über das Für und Wider der einzelnen Inhalte der künftigen Rechtsgrundlage alles Staatshandelns? Unnötig. Verfassungsrechtliches Palaver habe es schließlich die letzten 20 Jahre schon genug geben.

Nation als Ethnie

Inhaltlich ist der Entwurf, um es mal vorsichtig zu sagen, ein ziemlich bizarres Stück Verfassungsprosa. Das liegt vor allem an der Präambel, einem Text von etwa eineinhalb Seiten Länge unter der für sich genommen schon wahnwitzigen Überschrift: “Nationales Glaubensbekenntnis” (in deutscher Übersetzung nachzulesen hier).

Dazu hatte ich zuletzt schon einiges gesagt, daher hier nur noch mal in aller Kürze: Bemerkenswert ist an dieser Präambel vor allem, dass in ihr sich diese Verfassung als eine Verfassung nicht einer Nation von gleichen Bürgern eines Staates, sondern als Nation von Ungarn beschreibt – einer ethnisch-kulturell definierten Nation.

Das hat sowohl nach innen als auch nach außen Auswirkungen: Nach außen, weil in vier Nachbarstaaten Ungarns Millionen von ungarischstämmigen Menschen leben, die sich Ungarn damit gleichsam verfassungsrechtlich einverleibt, ganz egal, ob Rumänien oder die Slowakei das gut finden oder nicht.

Den Roma mal den Hammer zeigen

Und nach innen, weil die Roma in Ungarn keineswegs von jedem als ethnische Ungarn akzeptiert werden. Und auch keineswegs alle der Meinung sind, man müsse den Roma gleiche Rechte gewähren.

Die Roma haben in Ungarn, wie in anderen Ländern auch, große Probleme: Viele haben keine Arbeit, schlechte Schulbildung, sie werden rauf und runterdiskriminiert usw.. Die Rechten in Ungarn, und von denen gibt es viele, haben großen Spaß daran, sie als kriminell und asozial zu brandmarken und aus der Angst und Fremdheit der ungarischen Kleinbürger politisches Kapital zu schlagen, nicht unähnlich der Türkenhetze der deutschen Rechten, aber noch viel lauter, noch viel fieser und vor allem noch viel schamfreier.

Vorhin war ich mit der Verfassungsrechtlerin Petra Bárd Kaffee trinken. Die hat mich auf ein paar weitere Stellen aufmerksam gemacht in dem Verfassungsentwurf, die man vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht ohne leichte Übelkeit im Hals lesen kann:

So heißt es im “Nationalen Glaubensbekenntnis” etwa, die Grundlage der Gesellschaft und der Menschenwürde sei die Arbeit.

Was man damit in Verbindung mit dem rechten Klischee vom arbeitsscheuen Zigeuner alles anstellen kann, das mag sich jeder selbst ausmalen.

Oder: Der Grundrechteteil ist nicht mit “Grundrechte”, sondern mit “Freiheit und Verantwortung” überschrieben.

Wieso Verantwortung? Ist das etwa eine Referenz auf die an sich typisch sozialistische Paarung von Grundrechten und -pflichten?

Oh nein. Das soll vielmehr so etwas heißen wie: Frei ist, wer für sich Verantwortung übernimmt. Klammer auf: Was die Zigeuner bekanntlich ja nicht tun. Klammer zu.

Ich will nicht so weit gehen, zu sagen, dass die Roma damit künftig rechtlos gestellt wären. Aber im politischen Diskurs können sich die Rechten künftig für ihre Attacken gegen die Roma auf die Verfassung berufen, die nicht die ihre sein soll, weil sie nur den klar ethnisch zugehörigen Ungarn gehört.

Eine Nation aus Christen

Die ethnische Definition der Nation ist die eine Sache. Die andere ist ihre Kennzeichnung als christlich.

“Wir anerkennen die die Nation erhaltende Kraft des Christentums”, heißt es in der Präambel. Die anderen “verschiedenen religiösen Traditionen unseres Landes” werden dagegen bloß “geachtet.

Das heißt doch wohl: Muslime werden geachtet, aber sie sind auch als Staatsbürger nicht voll und ganz dabei. Und Juden auch nicht.

In einem Land, in das sich der ungarisch-jüdische Pianist András Schiff wegen des eklatanten Antisemitismus großer Teile seiner Bevölkerung nicht mehr zu fahren traut, ist das vielleicht doch ein klein wenig beunruhigend.

Bindend für die Verfassungsauslegung

Nun ist das ja nur die Präambel. Andere Länder haben auch Präambeln. Da steht alles mögliche drin. Muss man nicht so ernst nehmen.

Schön wär’s.

Art. Q III des Verfassungsentwurfs trifft da nämlich ganz spezifische Vorkehrungen: Er besagt, dass bei der Auslegung der Verfassung das Nationale Glaubensbekenntnis verbindlicher Maßstab zu sein hat.

Das heißt: All das, was da drinsteht, kann, nein: muss verfassungsrechtlich relevant werden.

Nun werden vernünftige Gerichte sicherlich Mittel und Wege finden, dass da nicht allzu viel Schaden entsteht. Die meisten Fälle kann man entscheiden, ohne auf die in der Präambel lobgepriesene Heilige Krone des Heiligen Königs Stephan aus dem Hochmittelalter zu rekurrieren.

Aber vernünftige Gerichte sind ja eh vernünftig. Gerade in einem so extrem polarisierten und von irredentistischen Fieberträumen geschüttelten Land wie Ungarn wünscht man sich eigentlich eine Verfassung, die einem gegenüber politischer und judizieller Unvernunft einen gewissen Schutz bietet.

Und das tut diese Verfassung nicht. Im Gegenteil.

Das kastrierte Verfassungsgericht

Apropos Gerichte: Das vielleicht Schlimmste an dieser Verfassung ist, was sie mit dem Verfassungsgericht macht.

Das ungarische Verfassungsgericht besaß bislang enorm weitreichende Kompetenzen, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls für nichtig zu erklären. Als das Gericht davon auch gegenüber Orbán Gebrauch machte, geriet es allerdings an den Falschen.

Orbán hatte ein Gesetz geschaffen, das es ermöglichte, öffentliche Zahlungen rückwirkend fast komplett wieder wegzubesteuern. Hintergrund: Die korrupte sozialistische Vorgängerregierung hatte vor ihrem Abgang noch allerhand Getreue mit fetten Abfindungen versehen. Die wollte Orbán wiederhaben.

Das war aber leider total verfassungswidrig (zumal auch plötzlich irgendwelche unschuldigen Lehrer um ihre Bezüge fürchten mussten). Das Verfassungsgericht hob das Gesetz auf.

Das beeindruckte Orbán aber überhaupt nicht. Vielmehr ließ er seine Zweidrittelmehrheit spielen und änderte die Verfassung nach dem Motto: Was nicht passt, wird passend gemacht. Und dem Verfassungsgericht entzog er bei der Gelegenheit gleich in weiten Teilen die Befugnis, Haushalts- und Steuergesetze überhaupt zu prüfen.

Das, so beruhigte er die entsetzte Verfassungsrechts-Öffentlichkeit, sei natürlich nur vorübergehend. Man müsse jetzt eine Weile ungestört mit den schurkischen Sozialisten aufräumen können, aber dann werde natürlich alles wieder wie vorher.

Jetzt liegt der Verfassungsentwurf vor. Und siehe da: nix vorübergehend. Das bleibt natürlich so. Orbán scheint an der Idee, im fiskalischen Bereich verfassungsrechtlich unkontrolliert zu bleiben, Geschmack gefunden zu haben.

Kick it like Putin

Vladimir Putin, der Herr der Russen,  ist ja richtig gut darin, mit den Mitteln des Steuerrechts seine Gegner zu neutralisieren. Da kann sich Orbán vielleicht jetzt das eine oder andere abschauen. Um die Verfassung und das Verfassungsgericht braucht er sich dabei jedenfalls schon mal nicht mehr zu scheren (braucht Putin ja auch nicht).

Dazu kommt, dass Orbán auch personell dafür sorgen wird, dass das Verfassungsgericht ihm nicht zu sehr in die Quere kommt. Er hat das Verfahren, in dem die Richterposten besetzt werden, so geändert, dass er allein bestimmt, wer Richter wird – und wer Richter bleiben darf: Die Richter des Verfassungsgerichts – das ist eine Schwäche des gegenwärtigen Systems – können nach Ablauf ihrer 9-jährigen Amtszeit eine weitere Amtszeit bekommen.

Das heißt, wer seinen Job behalten will, verhält sich lieber brav. Rechtzeitig vor Ablauf der ersten Amtszeit des vormaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Mihály Bihary ließ das Gericht ein höchst fragwürdiges Referendum, mit dem Orbán noch vor dem Machtwechsel eine Gesundheitsreform der Sozialisten torpedieren wollte, ungerügt passieren. Der Mann bekam seine zweite Amtszeit. Einen weiteren Richterposten hat Orbán mit seinem früheren Kabinettschef besetzt, einem Politikwissenschaftsdozenten ohne jegliche rechtliche Berufserfahrung.

Kastriertes Verfassungsrecht

Aber nicht nur das Verfassungsgericht, auch das Verfassungsrecht wird kastriert.

Zum einen wegen der toxischen Wirkung der Präambel, s.o.. Dazu kommt aber, dass die neue Verfassung alles, was seit 1989 verfassungsrechtlich entstanden ist, alle Urteile, alle Kommentare, alle wissenschaftlichen Arbeiten, vollkommen ungerührt in die Tonne tritt:

Wir anerkennen nicht die Rechtskontinuität der kommunistischen Verfassung aus dem Jahre 1949, die die Grundlage einer tyrannischen Herrschaft war, deswegen erklären wir deren Ungültigkeit,

so steht es in der Präambel. Die kommunistische Verfassung von 1949, muss man wissen, ist im Orbán-Sprech die jetzige Verfassung, die von 1989. Im großen und ganzen eine prima Verfassung, die nach 1989 gründlichst reformiert und demokratisiert wurde und in der nicht die leisteste Spur kommunistischen Gedankenguts noch zu finden ist. Aber formell ist sie die Verfassung von 1949.

Das ist unmissverständlich: Die neue Verfassung will mit der alten nichts zu tun haben. Alles, was man geglaubt hatte, über das ungarische Verfassungsrecht zu wissen, ist null und nichtig.

Der Hintergrund ist natürlich ein politischer: Orbán und seine Anhänger hadern immer noch mit der verfassungsgerichtlichen Entscheidung Anfang der 90er Jahre, den Machthabern der kommunistischen Diktatur Milde zuteil werden zu lassen.

Wenn da jetzt ein paar vor Gericht kommen, soll mir das recht sein. Aber wie schon bei der der Strafsteuer für Abfindungen an korrupte Staatsdiener, wie schon bei der Beschneidung der Kompetenzen des Verfassungsgerichts – die Auswirkungen reichen weit, weit über diese jeweiligen Ziele hinaus, und das scheint Orbán vollkommen wurscht zu sein.

Orbán bleibt: Verfassungskrise

Orbán entledigt sich sämtlicher checks and balances. Wozu sind checks and balances nötig? Um zu verhindern, dass der Machthaber seine Macht einsetzt, seine Macht zu stabilisieren und zu mehren.

Auch dafür gibt es handfeste Anzeichen. Der Verfassungsentwurf lässt an einigen Stellen die Vermutung zu, dass Orbán das Wahlrecht zu seinen Gunsten manipulieren wird.

Da ist zum einen das Familienwahlrecht, von dem hier ja schon die Rede war: Jede Mutter (wieso eigentlich die Mutter?) von Kindern bekommt eine Stimme zusätzlich.

Dahinter steckt die Spekulation, dass Familien eher konservativ wählen. Eine Stimme mehr für jede Familie, das kann die Gewichte in der Stimmverteilung schon gehörig verschieben. (Und dass es nur eine Stimme gibt, egal wie viele Kinder, dürfte daran liegen, dass Roma oft eine Menge Kinder haben…)

Dazu kommt die Möglichkeit, auch Auslandsungarn das Wahlrecht zu geben. Das ist zwar im Prinzip nichts Ungewöhnliches. Im Falle Ungarns kommt aber dazu, dass Orbán im letzten Jahr dafür gesorgt hat, dass ungarischstämmige Rumänen, Serben, Slowaken und Ukrainer sich einen ungarischen Pass holen können.

Wenn die auch wählen dürfen, dann werden von diesem Recht vor allem die groß-ungarisch orientierten Nationalisten unter ihnen Gebrauch machen. Die lieben Orbán, und er sie.

Dazu kommt, dass Orbán angekündigt hat, das Parlament von derzeit dreihundertsomething auf 200 Sitze zu verkleinern. Eine schöne Idee im Prinzip, aber natürlich auch eine erstklassige Gelegenheit zum Gerrymandering. Noch dazu, wo die Wahlkommission, auch dafür ist gesorgt, beim nächsten Mal mit treuen Orbán-Leuten besetzt sein wird.

Orbán geht: Erst recht Verfassungskrise

Und wenn er trotzdem die Wahl verliert? Dann könnte die Verfassungskrise erst richtig krachen.

Man stelle sich vor, die Sozialisten übernehmen wieder die Macht und sehen sich an diese Verfassung gebunden. An eine Verfassung, die Orbáns Leute ganz alleine geschrieben, debattiert und in Kraft gesetzt haben, ohne irgendeine Art von “constitutional moment”, einfach nur, weil sie konnten.

Am einfachsten wäre es natürlich, wenn sie dann die Verfassung einfach wieder ändern und um ihre Irrsinns-Passagen, allen voran das Nationale Glaubensbekenntnis, bereinigen würden. Ich weiß nicht genau – das ist einer der Punkte, die ich mir noch genauer erklären lassen muss – unter welchen Voraussetzungen die neue Verfassung geändert werden kann. Aber selbst, wenn das so skandalös einfach bleibt wie bisher: Eine Zweidrittelmehrheit zu erringen, wird für die Sozialisten, Liberalen und Grüne auf absehbare Zeit sehr, sehr schwer.

Wenn das also nicht geht? Was dann?

Ich weiß nicht, ob man nicht sogar sagen kann, dass der ganze Prozess der Verfassungsgebung illegal war. Orbáns Zweidrittelmehrheit kann die Verfassung ändern, aber kann sie auch eine neue Verfassung geben? Ist das tatsächlich das Gleiche? Im einen Fall nimmt man, legitimiert durch Verfahrensregeln der alten Verfassung, an derselben Detailänderungen vor. Im anderen Fall usurpiert man die Rechte einer verfassungsgebenden Nationalversammlung.

Wenn sich die Sozialisten auf diesen Standpunkt stellen sollten, mit der Folge, dass sie die Verfassung für insgesamt illegal und illegitim erklären, und zwar mit guten Gründen – dann rauscht Ungarn in eine Verfassungskrise, die sich niemand vorstellen kann.

EU als Checks-and-balances-Ersatz?

Es gibt die These, dass die EU anstelle der versagenden nationalen checks and balances tritt und dafür sorgt, dass Leute wie Orbán nicht aus dem Ruder laufen.

Das fände ich ja eigentlich sehr sympathisch. Aber in diesem speziellen Fall glaube ich nicht daran.

Zum einen haut schon der scheinbare Beleg für die These, die Korrekturen am umstrittenen Mediengesetz auf Druck der EU-Kommission, nicht wirklich hin. Orbáns Medienaufseher können jetzt zwar keine ausländischen Medien mehr schurigeln, und auch die umstrittene Klausel, dass Medien “ausgewogen” berichten müssen, scheint gestrichen zu sein. Aber im Inland bleibt der Medienaufsicht noch genügend Hebel, widerborstige Berichterstatter zur Vernunft zu bringen.

Aber selbst wenn: Wer sagt, dass Orbán beim nächsten Mal wieder nachgibt?

Orbán, der Troll

Am Samstag war ich mit Thomas Escritt ein Bier trinken, einem britischen Journalisten, der seit vielen Jahren in Budapest lebt. Wir sprachen über “Trolle”: über diese narzistisch gestörten Typen, die ihre verbalen Stinkbomben in Diskussionsforen und Blogkommentaren hinterlassen und sich erst richtig wohl fühlen, wenn alle sich furchtbar aufregen über sie.

Orbán, so Toms These, sei im Grunde so einer.

Orbáns Triebfeder sei, zu zeigen: Seht her, ich kann das. Ich kann einen albernen Fechter zum Staatspräsidenten machen. Ich kann einen abgehalfterten Politikdozenten zum Verfassungsrichter machen. Ich kann euch eine neue Verfassung besorgen, ohne irgendeinen vernünftigen Anlass. Ich kann das, und ich kann noch ganz andere Sachen. Weil hier, meine Zweidrittelmehrheit ist länger als eure. Habt ihr ein Problem damit? Gewöhnt euch dran.

Angenommen, Orbán lässt sich einfallen, sagen wir, die Telekom auf irgendeine exorbitante Weise zu besteuern. Dass er dazu in der Lage wäre, unterliegt, glaube ich, keinem Zweifel. Die ungarische Telekom gehört der deutschen Telekom, die würde sich das nicht gefallen lassen. Die EU würde einschreiten. Es würde ein Vertragsverletzungsverfahren geben. Orbán würde die Sache zu einer Frage des nationalen Stolzes erklären: Brüssel beleidige mit seinen Vorwürfen die ungarische Nation. Der EuGH würde Bußgelder verhängen. Orbán würde die Zahlung verweigern. Sein unbeugsamer Mut, für die fiskalischen Interessen der Ungarn einzustehen, würde seine Zustimmungsraten in ungeahnte Höhen schnellen lassen. Am Ende marschiert er erhobenen Hauptes und mit geschwellter Brust aus dem Gerichtssaal und erklärt den Austritt Ungarns aus der EU.

Das wäre sicher unvernünftig.

Aber, hey. Ich kann das!