24 November 2023

Verfassungswidrige Sprachverbote

In Hessen haben sich CDU und SPD für ihre Koalitionsverhandlungen auf ein Eckpunktepapier geeinigt, in dem sie auch ankündigen, festzuschreiben, „dass in staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen (wie Schulen, Universitäten, Rundfunk) auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird und eine Orientierung am Rat der deutschen Sprache erfolgt“. Gemeint ist damit ein Verbot geschlechtergerechter Sprache nicht nur für Schulen, sondern auch für grundrechtsberechtigte (und ‑verpflichtete) Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts. Ein solches Verbot wäre offensichtlich verfassungswidrig – doch seine Ankündigung bringt politischen Profit.

Hoheitliches Sprachhandeln und Gleichberechtigung

Die Verpflichtung zur Gleichbehandlung von Frauen auch im staatlichen Sprachhandeln folgt aus Art. 3 Abs. 2 GG und besteht damit seit mehreren Jahrzehnten. Seit den 1980er Jahren wurde diese Dimension politisch diskutiert und sprachliche Gleichbehandlung zunehmend in Gesetzen, Geschäftsordnungen und Verwaltungsvorschriften rechtlich konkretisiert. Hessen war hier bereits früh engagiert.

Bereits im Dezember 1984 ordnete ein Gemeinsamer Runderlass der hessischen Regierung die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern in Vordrucken der Verwaltung an. 1992 folgten Richtlinien zur Gleichbehandlung in der Vorschriftensprache. Seit 2016 findet sich prominent in § 1 Absatz 2 des Hessischen Gleichberechtigungsgesetzes (HGlG) die Verpflichtung zur sprachlichen Gleichbehandlung in Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie im dienstlichen Schriftverkehr. Bereits im Runderlass von 1984 wurden bestimmte Anredeformen empfohlen und verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten wie geschlechtsneutrale Bezeichnungen, Paarformeln oder die Verwendung von Schrägstrichen und Klammern vorgestellt. Eine Variante wurde jedoch explizit ausgeschlossen (Hervorhebung im Original): „Die männliche Form einer Bezeichnung kann nicht als Oberbegriff angesehen werden, der die weibliche und männliche Form einschließt.“ Damit war in Hessen bereits vor 40 Jahren eine Erkenntnis angesprochen, die heute vielerorts noch fehlt: Es gibt kein generisches Maskulinum (hier und hier).

Die Pflicht zur sprachlichen Gleichbehandlung war geklärt, nun ging es um die Umsetzung. Die das HGlG konkretisierende Gemeinsame Geschäftsordnung (GGO) der hessischen Landesregierung sah zunächst auch Binnen-I, Sternchen und Unterstrich als mögliche Optionen vor. Seit 2021 sind diese Möglichkeiten wieder verschwunden und neben geschlechtsneutralen Formen nur noch Beidnennungen vorgesehen. Dies überrascht. Schließlich hatte das BVerfG 2017 entschieden, dass die explizite rechtliche Anerkennung von mehr als zwei Geschlechtern nicht nur aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG folgt, sondern auch durch das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG geboten ist (umfassend hier). Das Gebot sprachlicher Gleichbehandlung war (und ist) seitdem zum Gebot geschlechtergerechten hoheitlichen Sprachhandelns weiterzuentwickeln.

Antifeminismus und Anti-Gender als Brückenideologien

Zwar ist mit Blick auf die Jahrzehnte seit Erlass des Grundgesetzes die Missachtung des Gleichberechtigungsgebots und der Diskriminierungsverbote in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG schon als eine Art deutscher Brauchtumspflege anzusehen. So gelingt es Gerichten auch in diesem Jahrhundert nicht, Art. 3 Abs. 2 GG als einschlägige Norm zu identifizieren und anzuwenden (Sparkassenformulare, dazu hier, hier und hier), vor krassen Formen digitaler Gewalt gegen Frauen zu schützen, Klagen auf Entgeltgleichheit nicht zu behindern, eine substantielle Auseinandersetzung mit Paritätskonzeptenzu leisten oder aktuelle Forschung zu Geschlecht zur Kenntnis zu nehmen. Obwohl der lückenhafte Schutz vor Geschlechtsdiskriminierung im AGG schon bei Erlass im Jahr 2007 europarechtswidrig war, scheint wenig Neigung zur Korrektur zu bestehen. Und der Gesetzgebungsprozess zur geschlechtlichen Selbstbestimmung zeugt inzwischen primär von dem Willen, das Grundgesetz in mehrfacher Hinsicht zu missachten, um Ressentiments gegen geschlechtliche Minderheiten zu bedienen und vom Versagen im Gleichstellungsbereich abzulenken (siehe auch hier und hier).

Der „Verfassungsbruch in Permanenz“ (Elisabeth Selbert) hat eine neue Intensität erreicht, seitdem Antifeminismus und Anti-Gender von rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Bewegungen als Brückenideologien in die gesellschaftliche Mitte genutzt werden (hier und hier). Egal, wie die persönliche Haltung zu geschlechtergerechter Sprache aussehen mag, die Diskriminierung von Frauen und geschlechtlichen Minderheiten als Politikform ist eine Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat. Dies wird deutlich, wenn selbst eklatant verfassungswidrige Vorschläge rechtspolitisch ernsthaft diskutiert werden.

Gleichberechtigung, Gleichstellung, Antidiskriminierung oder Geschlecht erwähnen CDU und SPD im Eckpunktepapier nicht. Die Ankündigung von Sprachverboten erfolgt unter dem Punkt „Freiheit“. Da ein flächendeckendes Verbot geschlechtergerechter Sprache keinen Freiheitsgewinn für irgendwen bedeutet, geht es hier offensichtlich um die Unterstützung von Fake News, wie sie auch dem hessischen Volksbegehren gegen „Gendersprache“ zugrunde liegen. Die dabei aufgestellten Behauptungen zu „Zwang“ und „Umerziehung“ sind grober Unfug, da es ausschließlich um geschlechtergerechte Amts- und Rechtssprache und damit hoheitliches Sprachhandeln geht.

Verfassungswidrigkeit eines Verbots geschlechtergerechter Amts- und Rechtssprache

Anlässlich der Rechtschreibreform hatte das BVerfG 1998 entschieden, dass Rechtschreibung für den Schulunterricht zum Gegenstand staatlicher Regelung gemacht werden kann. Hierfür sind die Länder zuständig. Regelungen für die sonstige Verwaltung sowie öffentliche Einrichtungen waren bislang auf Einheitlichkeit, Verständlichkeit und sprachliche Gleichbehandlung fokussiert. Doch darf hoheitliches Sprachhandeln insgesamt nicht diskriminieren. Es gibt eine lange Rechtsprechungstradition des BVerfG zur hoheitlichen Ansprache in Bezug auf Geschlecht(sidentität) als Ausdruck des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Werden Frauen oder geschlechtliche Minderheiten vom Staat und seinen Einrichtungen nicht korrekt adressiert, liegt inzwischen auch eine Verletzung von Art. 3 Abs. 2 oder 3 GG vor.

Da Regelungen oder auch nur Empfehlungen zum nicht-diskriminierenden hoheitlichen Sprachhandeln auf Bundes- oder Landesebene weitgehend fehlen, haben etliche Kommunen, Hochschulen oder Rundfunkanstalten in ihrem Kompetenzbereich eigene Lösungen gefunden. Die Vielfalt von sprachlichen Gestaltungsmöglichkeiten soll wesentlich auch zur größeren Verständlichkeit von Verwaltungssprache beitragen; geschlechterinklusive Kurzformen wie Unterstrich, Doppelpunkt oder Genderstern spielen quantitativ nur eine untergeordnete Rolle. Dennoch wäre ihr (gesetzliches) Verbot verfassungswidrig.

Mit dem Verbot, dem keinerlei konstruktive Alternativlösungen für verfassungskonformes hoheitliches Sprachhandeln zur Seite gestellt sind, würden Verwaltung, Hochschulen, Rundfunk etc. angewiesen, durch Misgendering das Allgemeine Persönlichkeitsrecht von TIN*-Personen sowie das Geschlechtsdiskriminierungsverbot zu verletzen (dazu hier). Dies stünde zugleich in einem rechtlich nicht rekonstruierbaren Widerspruch zur bundesgesetzlichen Verpflichtung der Privatwirtschaft, ihre Kund*innen bei der Ansprache nicht wegen des Geschlechts zu diskriminieren.

Ein Sprachverbot für Hochschulen würde darüber hinaus eine erhebliche Verletzung der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG in ihrer Ausprägung des Selbstverwaltungsrechts bedeuten. Das institutionelle hoheitliche Sprachhandeln ist eine eigene Angelegenheit, die wesentlich die inneren Abläufe der Hochschulen betrifft und im Rahmen von Verfassung und Gesetzen eigenverantwortlich zu regeln ist. Sprachverbote ohne Alternativen sollen Hochschulen dagegen nötigen, ihre Grundrechtsverpflichtung zu missachten und Mitglieder sowie Dritte sprachlich zu diskriminieren. Das wäre nicht nur verfassungswidrig, sondern würde auch die Chancengleichheit der Studierenden erheblich verletzen, verfassungsferne Lehre etablieren und Bildungsziele weit verfehlen (zu Sprachkompetenz als Prüfungsinhalt siehe hier und hier).

Ein Sprachverbot auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk würde in dessen verfassungsrechtlich gesicherte Programmautonomie eingreifen und damit die Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verletzen. Der Gesetzgeber regelt zwar im Rahmen seiner Ausgestaltungspflicht zur Vielfaltssicherung die Organisationsstruktur des Rundfunks, doch die Entscheidung über „die zur Erfüllung des Funktionsauftrags als nötig angesehenen Inhalte und Formen des Programms“ steht den Rundfunkanstalten zu (sog. Programmautonomie, dazu hier, hier und hier). Hinzu kommt, dass auch den Rundfunkanstalten die Diskriminierung von Nutzer*innen und Dritten untersagt ist.

Der Rechtschreibrat und das deutsche Verfassungsrecht

Wegen der offensichtlich intendierten Verstöße gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Geschlechtsdiskriminierungsverbot wären entsprechende Sprachverbote selbst in Bezug auf Schulen verfassungswidrig, obwohl hier mangels eigener Rechtsfähigkeit immerhin eine grundsätzliche Regelungskompetenz des Landes Hessen bestehen würde. Daran ändert auch der Verweis auf einen „Rat für deutsche Sprache“ nichts, mit dem der Rat für deutsche Rechtschreibung (RfdR) gemeint sein dürfte.

Dieser Fehler im Eckpunktepapier ist interessant, weil er recht gut den spektakulären politischen Aufstieg des RfdR aus der Bedeutungslosigkeit nach Durchsetzung der Rechtschreibreform illustriert. Der 2004 gegründete RfdR ist ein zwischenstaatliches Expert*innen-Gremium, dessen Aufgaben sich in Beobachtung des Schreibgebrauchs und daraus folgenden Empfehlungen erschöpfen. Er hat keinerlei Regelungskompetenz. Das „amtliche Regelwerk“ wird nur durch Beschluss der KMK und Länder für die Schulen sowie durch Beschluss der Bundesregierung für die Bundesverwaltung verbindlich. Dies versucht der RfdR durch die Selbstdarstellung als „maßgebende“ Instanz für Rechtschreibfragen auszugleichen.

In seinen Empfehlungen vom 16.11.2018 hat der RfdR zwar „das Recht der Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, auf angemessene sprachliche Bezeichnung […] auch in der geschriebenen Sprache“ anerkannt. Das trifft ohnehin nur partiell, worum es beim verfassungsrechtlichen Verbot der Geschlechtsdiskriminierung geht. Vor allem aber hat der RfdR angekündigt, vor möglichen Empfehlungen erst noch Beobachtungen vornehmen zu müssen. Dabei ist es ihm weder gelungen, die unterschiedlichen Regelungen zur rechtlichen Anerkennung von Geschlecht im deutschen Sprachraum wahrzunehmen (in der Schweiz sind es nur zwei, in Österreich drei, in Deutschland vier Geschlechter), noch den fundamentalen Unterschied zwischen hoheitlichem Sprachhandeln und dem Schreibgebrauch Privater zugrunde zu legen, so dass die Ergebnisse insoweit unbrauchbar sind.

In seinen Empfehlungen vom 26.03.2021 hat der RfdR die Notwendigkeit geschlechtergerechter Sprache als (allein) gesellschaftliche und gesellschaftspolitische, nicht aber auch rechtliche Aufgabe fehlverstanden und wiederum konstruktive Hinweise zur Verwendung nicht-diskriminierender Amts- und Rechtsprache unterlassen. Dazu ist er zwar auch nicht verpflichtet, weil er mangels eigener Regelungskompetenz keiner Grundrechtsbindung unterliegt. Doch dürfte spätestens mit der apodiktischen Feststellung vom 14.07.2023, dass Unterstrich, Doppelpunkt oder Genderstern „nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie“ gehören, die Grenze zwischen Aufgabenverfehlung und bewusster Politisierung gegen verfassungsrechtliche Verpflichtungen überschritten sein.

Es ist wohl Zeit für die Einsicht, dass der RfdR konzeptionell ungeeignet sein könnte, zu nicht-diskriminierender Amts- und Rechtssprache beizutragen. In keinem anderen Bereich würde eine Beobachtung dahingehend, dass staatliches Handeln (