09 September 2024

Der Mythos von der Notlage

Seit dem Attentat von Solingen überbietet sich die Politik in Forderungen, die Rechte von Geflüchteten zu beschneiden oder gar auszusetzen. Nicht nur die CDU und ihr Vorsitzender Friedrich Merz preschen mit radikalen Forderungen vor und inszenieren sich dabei als Retter eines Volkes im Ausnahmezustand. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser kündigte heute an, Grenzkontrollen auf alle deutschen Landesgrenzen auszuweiten, unter anderem, um irreguläre Migration zu begrenzen. Befinden wir uns aber wirklich in einem Notstand und können deshalb etablierte Rechte außer Kraft gesetzt werden? Auch wenn die Rhetorik von Merz und Teilen der Bundesregierung dies anders implizieren – aus rechtlicher Perspektive ist die Antwort klar: Zurückweisungen aufgrund eines „Notstands“ lassen sich weder durch das Flüchtlings- noch durch das Europarecht rechtfertigen.

Die Forderung eines Aufnahmestopps für Asylsuchende aus Syrien und Afghanistan

Auslöser der aktuellen migrationspolitischen Diskussionen ist das schreckliche Attentat von Solingen. Die asylrechtliche Geschichte hinter dem Attentäter ist schnell erzählt: Er reiste nach Deutschland ein, stellte einen Asylantrag, woraufhin dieser wegen der Zuständigkeit Bulgariens aufgrund der Dublin III-VO abgelehnt wurde. Ein vermeintlicher Abschiebeversuch scheiterte, weil der Mann nicht in seiner Unterkunft angetroffen wurde. Schlussendlich lief die Überstellungsfrist ab, es wurde ein nationales Asylverfahren durchgeführt und der Mann erhielt den subsidiären Schutzstatus. Allenthalben heißt es nun: Hätten der Staat und seine Behörden nicht versagt, wäre der Mann abgeschoben worden, und die schreckliche Tat hätte nicht stattgefunden.

Zunächst sei auf eine Banalität hingewiesen: Das Dublin-Regime und seine Durchsetzung dienen weder der Gefahrenabwehr noch der Verhinderung schwerer Straftaten. Das Dublin-Regime ist ein asylrechtliches Zuständigkeitssystem (welches derweil aus allen erdenklichen Perspektiven seit Jahrzehnten nicht funktioniert). Und wenn man es genau nimmt, stellt die Zuständigkeit durch Fristablauf im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung in diesem Fall die Funktionalität des Dublin-Regimes nicht in Frage, sondern bestätigt diese. Denn ein Ziel der Verordnung ist die „rasche“ Zuständigkeitsbestimmung (etwa Erwägungsgrund 5).

Die Forderung eines „Aufnahmestopps“ für Asylsuchende aus Syrien und Afghanistan ist so irrational wie irreführend – zumal Merz sie mit falschen Aussagen zu den bisherigen Aufnahmezahlen von Schutzsuchenden aus diesen Ländern garniert. Wenn Merz diese Forderung sogleich relativiert, das grundgesetzliche Asylrecht nach Art. 16a GG nicht in Frage stellen will und allein von einem  „faktischen Aufnahmestopp“ spricht, macht es dies nicht besser, sondern allenfalls noch unklarer.

Wenn nun von zahlreichen Seiten das grundgesetzliche Asylrecht als sakrosankt bezeichnet wird, zeugt dies von Kenntnislosigkeit. Denn Art. 16a GG wurde im Zuge der Änderung des Grundgesetzes 1993 bereits faktisch abgeschafft und hat wegen seiner Drittstaatsklausel in Abs. 2 praktisch keine Bedeutung (vgl. hier).

Unklar bleibt derweil, was ein „Aufnahmestopp“ ansonsten bedeuten soll. Weder nach der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention noch der Europäischen Grundrechtecharta (GRC) ist es möglich, das Flüchtlingsrecht, das Recht auf ein Verfahren oder die non-refoulement-Gebote auszusetzen (ausführlich dazu hier, S. 10 ff.). Auch eine nur zwischenzeitliche Aussetzung dieser zwingenden Vorgaben ist nicht vorgesehen. Zwar ermöglicht das Unionsrecht – so Art. 43 und Art. 31 Abs. 8 der noch geltenden Asylverfahrensrichtlinie – ein beschleunigtes Verfahren bei Verfahren an der Grenze und bei einer Ankunft einer erheblichen Zahl von Asylantragsteller*innen. Auch diese Fallgestaltungen sehen jedoch nicht die vollständige Außerkraftsetzung des Asylverfahrens vor. Art. 33 GFK und Art. 3 EMRK können nicht ausgesetzt werden. Insbesondere gilt die Notstandsklausel nach Art. 15 EMRK gem. Abs. 2 nicht für Art. 3 EMRK, und damit auch nicht für das darin enthaltene refoulement-Verbot.

Zurückweisungen an der Grenze…

Deutlich konkreter und nunmehr auch in den Reihen der Regierungsparteien angekommen ist die Forderung, Schutzsuchende an der Grenze zu Deutschland unmittelbar zurückzuweisen. Dabei wird in der Diskussion meist ignoriert, dass häufig rechtswidrige Zurückweisungen an der Binnengrenze bereits massenhaft stattfinden.

Bloße Zurückweisungen von Schutzsuchenden ohne Verfahren verbieten sowohl das Unionssekundärrecht – namentlich die Dublin-III-Verordnung und die Asylverfahrensrichtlinie – als auch Unionsgrundrechte, Menschenrechte und das Flüchtlingsvölkerrecht. All diese Vorgaben legen den Staaten Prüfungsverpflichtungen auf, die eine Direktzurückweisung, zumal an der Binnengrenze, nicht erlauben (vgl. dazu nur hier, hier, hier und auch hier).

Rechtswidrig ist zudem auch der Großteil der hierzu notwendigen Binnengrenzkontrollen. Artikel 25 des Schengener Grenzkodexes erlaubt die Wiedereinführung von Grenzkontrollen für eine begrenzte Zeit bei einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und beim Vorliegen außergewöhnlicher Umstände als ultima ratio (Art. 25 Abs. 2). Im Übrigen sollte dabei „Migration und das Überschreiten der Außengrenzen durch eine große Zahl Drittstaatsangehöriger […] nicht an sich als Gefahr für die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit betrachtet werden“ (Erwägungsgrund 26). Folgerichtig hat der EuGH die Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze, die seit 2015 durchgehend bestehen, für rechtswidrig erklärt. Nur im Fall einer gänzlich neuen Bedrohungslage, die sich von der ursprünglichen unterscheidet, können neue Kontrollen eingeführt werden (Rn. 79 ff., 94). Auch neueren Kontrollen zu Polen, Tschechien und der Schweiz werden mit einer Gefahr durch den „Migrationsdruck“ begründet – obwohl der Schengener-Grenzkodex deutlich macht, dass Migration grundsätzlich nicht als Bedrohung verstanden werden darf. Auch sie haben zwischenzeitlich die sechs-Monats-Grenze erreicht. Art. 25 Abs. 4 UAbs. 2 iVm Art. 29 Abs. 1 Schengener Grenzkodex erlaubte bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände eine Verlängerung auf maximal zwei Jahre. Nach Art. 29 Abs. 1 sind außergewöhnliche Umstände etwa solche, unter denen „aufgrund anhaltender schwerwiegender Mängel bei den Kontrollen an den Außengrenzen […], das Funktionieren des Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen insgesamt gefährdet ist“. Zudem müssen diese „Umstände eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit im Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen oder in Teilen dieses Raums darstellen“. Weil die Kontrollen bereits seit Oktober 2023 durchgeführt werden, käme nur eine Verlängerung aufgrund jener Ausnahmeklausel in Betracht (dazu sogleich).

…aufgrund einer „Notlage“?

Sind Zurückweisungen ohne Verfahren damit grundsätzlich nicht möglich, berufen sich Friedrich Merz und andere nun darauf, dass   „für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ nach Art. 72 AEUV von den EU-sekundärrechtlichen Vorgaben abgewichen werden könne. Oder, wie es Friedrich Merz etwas schlichter formuliert: „Dann ist das nationale Recht der Bundesrepublik Deutschland wichtiger als das europäische Recht. Das geht nach dem EU-Vertrag.“

Verfängt das Argument? Ist es möglich, sich auf eine Notlage zu berufen? Daniel Thym hat an dieser Stelle bereits einzelne rechtliche Gegenargumente dargelegt. In den meisten Fällen geht es den Verweisen auf Art. 72 AEUV auch nicht darum, das Recht zu „wahren“, sondern es unter dem Deckmantel der Rechtmäßigkeit aus den Angeln zu heben. Auch der EuGH hat die Ausnahmezustandsargumente zahlreicher europäischer Regierungen weggewischt (so auch dargestellt in einem Gutachten von Thym, S. 7 ff.). Im Grenzkonflikt zwischen der Türkei und Griechenland redeten etwa Politiker*innen davon, Notstandsklauseln zu aktivieren (dort wohl mit Blick auf Art. 78 Abs. 3 AEUV – vgl. hier, S. 30 ff.). Auch Ungarn berief sich auf die Klausel, um die Nicht-Umsetzung der Relocation-Beschlüsse zu rechtfertigen (hier). Und schließlich behauptete bereits auch die deutsche Regierung (ohne Erfolg), eine Abweichung von Unionsrecht ermögliche Grenzkontrollen ohne zeitliche Beschränkung (vgl. hier, Rn. 83 ff.).

Zu beachten ist auch, dass Art. 72 AEUV nur Abweichungen von Titel V des AEUV umfasst, sich also nicht auf die in der GRC verbürgten Grundrechte erstreckt. Art. 72 AEUV ermöglicht folglich keine Abweichung vom Verbot der Kollektiv- und Individualausweisung (Art. 19 Abs. 1 und 2 GRC), dem Gebot der Nichtzurückweisung (u.a. Art. 4) und dem Recht auf Asyl (Art. 18 GRC), das auch nach konservativster Lesart (S. 44), ein Recht auf eine materielle Prüfung verbürgt, sollte keine Rückführung in einen sicheren Drittstaat möglich sein.

Den EuGH kann man zugleich auch so verstehen, dass Art. 18 GRC stets, also auch bei möglicher Zurückweisung in einen vermeintlich sicheren Drittstaat eine Prüfung voraussetzt (hier, Rn. 63 f.). Zudem ist auch eine Abweichung vom Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 47 GRC), das seinerseits Prüfungspflichten normiert, nicht möglich (vgl. hier). Es versteht sich von selbst, dass auch die Anwendbarkeit der EMRK und der korrespondierenden Rechte von etwaigen Abweichungen unberührt bleibt. Das non-refoulement Gebot ist, wie erwähnt, notstandsfest. Direktzurückweisungen werden deshalb schon unionsprimär- und menschenrechtlich ausscheiden.

Voraussetzungen der Anwendung von Art. 72 AEUV

Wie steht es nun aber mit den konkreten Anwendungsvoraussetzungen von Art. 72 AEUV? Wie auch an anderer Stelle auf diesem Blog dargestellt, hat sich der EuGH zwischenzeitlich in einer Serie von Entscheidungen damit auseinandergesetzt und festgestellt, dass eine Abweichung nur dann möglich ist, wenn sie zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und dem Schutz der inneren Sicherheit erforderlich ist. Dies bedeutet richtigerweise, dass Mitgliedstaaten nur in „ganz bestimmte[n] außergewöhnliche[n] Fällen“ vom EU-Sekundärrecht abweichen dürfen (hier, Rn. 143) – was vollständig gerichtlich, mithin durch den EuGH, kontrollierbar ist. Die Mitgliedstaaten trifft eine Darlegungslast und nur objektive, triftige, auf Zahlenangaben gestützte Gründe können tragen (vgl. nur hier, Rn. 83 f.). Mit anderen Worten: Ein Mitgliedstaat muss „geeignete Beweise oder eine Untersuchung zur Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der von ihm erlassenen beschränkenden Maßnahme vorlegen sowie genaue Angaben zur Stützung seiner Vorbringens machen“ (hier, Rn. 54).

 Nun mag man nicht mit absoluter Sicherheit vorhersagen können, wie eine derart weite Ermessensklausel durch den Gerichtshof ausgelegt werden wird. Wichtig ist aber, dass es bei der unionsrechtlichen Bewertung gerade nicht darum geht, dass ein System „dysfunktional“ sei, sondern nur um die Sicherheit und Ordnung. Bislang ist der EuGH in allen betreffenden Verfahren nicht bis zur Frage vorgedrungen, was eine abweichungsrelevante Lage materiell kennzeichnet, weil er alle mitgliedstaatlichen Behauptungen einer „Notlage“ schon an früher Stelle der Prüfung als untauglich abwies.

Die Begriffe der „öffentlichen Ordnung“ und der „inneren Sicherheit“ dürften sich an den Begrifflichkeiten der Ordre-Public-Klauseln der Grundfreiheiten orientieren (so auch hier, S. 17) – dies gilt im Übrigen auch für die wortgleich in der sekundärrechtlichen Ausnahmeklausel des Art. 25 Abs. 4 UAbs. 2 Schengener Grenzkodex verwendeten Begriffe. Die öffentliche Ordnung ist berührt, wenn „außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“ (hier, Rn. 35). Die innere Sicherheit umfasst „die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung“ (hier, Rn. 31). Wäre eine jener materiellen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, müssten auch die getroffenen Maßnahmen verhältnismäßig sein. Das ist der Fall, wenn die „eingesetzten Mittel zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sind und nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen“ (hier, Rn. 74).

Blickt man nun zurück auf die gegenwärtige Situation, die der aktuellen Debatte in Deutschland zugrunde liegt, muss man schlicht feststellen: Kein valider Aspekt, der ins Feld geführt wird, kann ernsthaft eine verhältnismäßige Abweichung zugunsten der öffentlichen Ordnung, schon gar nicht der „inneren Sicherheit“ rechtfertigen. Eine schwere Straftat einer Person, etwa das Attentat von Solingen oder mehrere einzelne Straftaten, begründen weder eine derartige Bedrohung der inneren Sicherheit noch des Funktionierens des Staates. Man stelle sich vor, das Attentat wäre von einer Person mit einem deutschen Pass begangen worden. Das Entsetzen wäre zurecht groß. Doch niemand würde ernsthaft in Frage stellen, dass die Bundesrepublik als Staat weiterhin funktioniert.

Das macht den Kern der Debatte deutlich. Es geht um unsere Angst vor den „Anderen“. Dabei zeigt ein Blick in die Statistiken, dass die Ankunftszahlen und die Zahl der Asylanträge derzeit nicht steigen, sondern sinken. Auch kann nicht verallgemeinerbar von einer pauschalen Überforderung der kommunalen Infrastruktur gesprochen werden. Wenn schließlich etwa Friedrich Merz zum Rundumschlag ausholt und ein Bild massiver Überforderung mit Migration an die Wand malt, dann bleibt nur die Frage: Auf welche Empirie bezieht sich Merz, die einer rechtlichen Prüfung standhalten könnte?

Sekundärrechtlich vorgesehene Notlage verdrängt Art. 72 AEUV

Schließlich ist eine Berufung auf die Klausel des Art. 72 AEUV auch dann ausgeschlossen, wenn bereits sekundärrechtlich ein Interessenausgleich vorgegeben ist. Für diesen Fall geht auch der EuGH (Rn. 87 ff.) davon aus, dass bereits eine Interessensabwägung stattgefunden hat und Art. 72 AEUV nicht zum Tragen kommen kann (zum Ganzen auch das Gutachten von Thym, S. 8 f.). Am Beispiel der Wiedereinführung von Grenzkontrollen schlussfolgert der EuGH dementsprechend, dass Art. 25 Abs. 4 Schengener Grenzkodex eine solch vorrangige Ausnahmeklausel ist. Diese Maßgabe hat derweil auch für die diskutierten Zurückweisungen an der Grenze unmittelbare Auswirkungen: Denn Binnengrenzkontrollen sind eine notwendige Voraussetzung von Zurückweisungen und eine Rechtfertigung dieser mit Blick auf Art. 72 AEUV schon daher unmöglich – auch kommt der EuGH (Rn. 98) an dieser Stelle zu dem Schluss, dass die Rechtswidrigkeit der Grenzkontrollen ihrerseits unmittelbar auf die einzelne Kontrolle selbst durchschlägt.

Fakten schaffen statt Recht achten?

 Wenn also jegliche rechtliche Argumente dagegen sprechen, dass Zurückweisungen unter Rückgriff auf Art. 72 AEUV zulässig sind, dann ist die Beobachtung, dass „frühestens nach ein paar Monaten der EuGH darüber urteilen [würde]“ und dies „jeder Bundesregierung einen zeitlichen Puffer [gewährte], um Tatsachen zu schaffen, die spätere Urteile nicht mehr ändern könnten“ so richtig wie gefährlich. Denn die dahinter stehende Logik lautet: Wir setzen das Recht erst einmal außer Kraft, dann kann die Judikative auch nichts mehr daran ändern. Ein solches Vorgehen offenbarte nicht nur ein fragwürdiges Verständnis von Rechtsstaat und Gewaltenteilung – es setzt die Axt an die Wurzel der Rechtsstaatlichkeit an. Denn nicht nur die Judikative, sondern „die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden“, wie Art. 20 Abs. 3 GG klarstellt. Die „Rechtsstaatlichkeit“ als ein Grundwert der EU im Sinne des Art. 2 EUV kann nicht anders verstanden werden. Doch Recht und Gesetz werden in den aktuellen Diskussionen und Planspielen mehr wie eine lästigen Fliege behandelt, die mit einem Handstreich weggefegt werden kann. Es ist dies das Primat der Politik, nicht des Rechts.

 

Redaktioneller Hinweis: Die Autoren des Textes haben in den Kommentaren eine Richtigstellung vorgenommen.


SUGGESTED CITATION  Lehnert, Matthias; Nestler, Robert: Der Mythos von der Notlage, VerfBlog, 2024/9/09, https://verfassungsblog.de/der-mythos-von-der-notlage/, DOI: 10.59704/1c4bdcffd8d51cdc.

9 Comments

  1. jolli Mon 9 Sep 2024 at 23:23 - Reply

    Es wird gerade viel der Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier zitiert: “Grenzzurücküberweisung geboten”, leider meist ohne jegliche diskursive Einordnung.
    Ich blicke ungenügend durch, aber wie kann es sein, dass jemand von solcher Rechtskompetenz zu solchen Einordnungen kommt, mögen Sie das einordnen?
    https://www.nzz.ch/international/asylrecht-grenzzurueckweisungen-laut-verfassungsrechtler-papier-geboten-ld.1847527

  2. Paul Tue 10 Sep 2024 at 08:50 - Reply

    Vielen Dank für den klärenden Beitrag. Ich glaube auch, dass die aktuelle Debatte wenig mit Fakten und viel Emotionen zu tun hat.

    Ich empfinde es dabei auch als dramatisch, wenn das Recht hier so offen missachtet bzw verdreht wird. Da sieht man wie anfällig der Rechtsstaat sein kann.

    Dahinter steht jedoch die auch von Ihnen kurz angesprochene Dysfunktionalität des Dublin Systems und mehr noch: auch die Unmöglichkeit das Dublin Verfahren sinnvoll zu reformieren, weil sich einige Staaten wie Ungarn jahrelang geweigert haben, ihren erforderlichen Anteil beizutragen. Die Politik, die hohen Handlungsdruck fühlt, hat hier jahrelang keinen Handlungsspielaum gefunden und schafft sich diese Räume nun im nationalen Kontext. Unter die Räder kommt dabei auch die europäische Rechtsordnung – was gibt es für eine solche Schlimmeres, als ausgesetzt zu werden, weil sie dysfunktional sei?

    Hinter der drohenden deutschen Rechtsstaatskrise verbirgt sich also eine mindestens genauso große europäische Verfassungskrise.

  3. Jendrik Wüstenberg Tue 10 Sep 2024 at 10:35 - Reply

    Der Artikel stellt vieles sicherlich formal korrekt dar, aber meines Erachtens nicht ausreichend in Frage.

    Die Autoren stellen fest, dass das Dublin-System dysfunktional ist. Schon hier sollte doch der Gedanke auf der Metaebene naheliegen, dass ein System, was offenkundig nicht funktional ist, schon an sich kein “Recht” sein kann.

    Der Verweis auf GFK, EMRK und non-refoulement-Grundsätze müsste eigentlich ebenfalls die Frage aufkommen lassen, ob es sich dabei wirklich um sakrosankte, absolute und somit bindende Wahrheiten oder nicht vielmehr um von der Rechtsprechung recht eigenwillig interpretierte Behauptungen handelt, die völlig losgelöst von jeder Methodik und normativer Anknüpfung ein Eigenleben entwickelt haben. Weder GFK noch EMRK vermitteln in ihrem Wortlaut einen subjektiven Anspruch auf Asyl, ein Verfahren oder Einreise. Dies alles wurde lediglich im Rahmen einer besonders weitgehenden Interpretation durch die Rechtsprechung aus diesen Normen herausgelesen, was eigentlich Anlass sein sollte, dies einmal zu hinterrfragen.

    Soweit darauf rekurriert wird, dass das “Recht auf Asyl (Art. 18 GRC) […] auch nach konservativster Lesart (S. 44), ein Recht auf eine materielle Prüfung verbürgt”, so stelle ich mir zumindest die Frage, wie ein ausdrückliches bloßes Gewährleistungsrecht nach “konservativster Lesart” einen subjektiven Verfahrensanspruch vermitteln soll; aber vielleicht mag man mich angesichts dieses Wortlautes erhellen, welche anerkannte Methodik diesen Satz derart entstellen kann, dass sich hieraus ein subjektiver Anspruch zwingend ableiten lässt.

    Auch Feststellungen wie “obwohl der Schengener-Grenzkodex deutlich macht, dass Migration grundsätzlich nicht als Bedrohung verstanden werden darf” muten doch beim kritischen Leser absurd an, wenn Recht plötzlich Tatsachen negieren können soll.

    Weiteres Unbehagen löst dieser Satz aus: “Wichtig ist aber, dass es bei der unionsrechtlichen Bewertung gerade nicht darum geht, dass ein System ‘dysfunktional’ sei, sondern nur um die Sicherheit und Ordnung.”
    Die Dysfunktionalität eines Systems wirkt sich doch unmittelbar auf Sicherheit und Ordnung aus? Führt das zu keinem Störgefühl?

    Auch dieser Satz führt zu Befremden: “Eine schwere Straftat einer Person, etwas das Attentat von Solingen oder mehrere einzelne Straftaten, begründen weder eine derartige Bedrohung der inneren Sicherheit noch das Funktionieren des Staates.”
    Hier werden Anlass und Grund vermengt. Das Attentat von Solingen ist in der Tat der Anlass der aktuellen Debatte aufgrund seiner einschneidenden Wirkung, Grund ist aber eine generelle Überforderung mit Asylmigration sowie die Dysfunktionalität des Systems an sich, die nur in solchen Straftaten (von denen es gerade nicht wenige gibt, wie der Artikel suggeriert) praktisch erlebbar werden.

    Wenn man dann, wie es die Autoren offenbar tun, den Zusammenbruch aller staatlichen Ordnung als Maßstab des Art. 72 AEUV nimmt, ist die Norm vollkommen gegenstandslos, denn zu einem solchen Zeitpunkt ist EU-Recht ebenfalls faktisch hinfällig; Art. 72 AEUV würde in solch einer Situation nichts mehr nützen, da niemand mehr vorhanden wäre, der ihm effektiv zur Durchsetzung verhelfen könnte.

    Überzeugen tut mich hingegen uneingeschränkt, dass Art. 25 Abs. 4 Schengener Grenzkodex eine vorrangige Norm ist.

    Hinsichtlich der Ausführungen zu sinkenden Asylzahlen und dazu, dass die Kommunen doch überhaupt nicht überfordert seien, kann ich hingegen nur den Kopf schütteln. Deutschland hat zunächst einmal neben den Asylanträgen auch eine Millionenzahl von Ukrainern aufgenommen. Weiterhin ist die Reduzierung der Asylanträge von bildlich gesprochen drei Großstädten auf vermutlich Ende des Jahres zweieinhalb Großstädte keine wirkliche Entlastung der überlasteten Strukturen. Das ist aber letztendlich eine politische Wertungsfrage, Gerichten steht m.M.n. hier allenfalls eine oberflächliche Plausibilitätskontrolle zu.

    Insgesamt traut sich der Artikel leider nicht, die von der Rechtsprechung – teils völlig losgelöst vom Wortlaut – entwickelte Leitlinien einmal gänzlich zu hinterfragen. Die Diskussion müsste einmal grundsätzlicher darüber geführt werden, wie viel unter dem Schirm des EGMR und des EuGH eigentlich noch der Grundsatz zählt, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Bisweilen hat man in der Rechtsprechung dieser Gerichte und der sie verteidigenden Literatur den Eindruck, dass alle Staatsgewalt eigentlich von der eigenwilligen Interpretation dieser Normen in Straßburg und Luxemburg ausgeht.

    • Ignacio Sun 15 Sep 2024 at 10:39 - Reply

      Ihre Argumentation fußt nahezu vollständig auf dem Begriff “dysfunktional”. Es lohnt daher ein näheres Hinsehen, was denn da “dysfunktional” ist. Das ist, bei näherem Hinsehen, nämlich nicht die Verordnung. Deren Mechanismen funktionieren und greifen ineinander; das übergeordnete Ziel der Verordnung, die Zuständigkeit für einen Asylantrag einem Mitgliedstaat zuzuordnen, wird zB auch dann erreicht, wenn eine Überstellung in den Ersteinreisestaat undurchführbar ist – dann wird ein anderer Staat zuständig.
      Wenn die Anwendung der Verordnung dennoch allseitig als unbefriedigend empfunden wird, dann liegt das vor allem an zwei Gründen: der als einseitig empfundenen Zuweisung der Zuständigkeit an die Grenzstaaten (die in der Praxis bei weitem nicht so einseitig ist), und die miserablen, gegen die EU-Aufnahmerichtlinie verstoßenden Lebensbedingungen, die in einem Teil dieser Grenzstaaten herrschen und die die berüchtigte “Sekundärmigration” auslösen. Denn hier kommt die Perspektive der Geflüchteten ins Spiel, die sich als Menschen halt auch nicht in aussichtslosen Situationen festhalten lassen.
      Ist aber die Diagnose, dass die behauptete “Dysfunktionalität” der Verordnung im Kern eine Nichteinhaltung europäischen Rechts durch einen Teil der Mitgliedstaaten ist, dann liegt auf der Hand, dass durch eine weitere Lösung vom Recht jedenfalls keine Besserung erreicht werden kann, sondern nur fortschreitende Rechtlosigkeit.
      Wenn, wofür vieles spricht, der Interessenausgleich zwischen Staaten und Geflüchteten im geltenden Rechtsrahmen unzureichend ist, dann wäre die Lösung – unter Beachtung höherrangigen Rechts – die Aufgabe der Politik. Inwieweit das im gerade erst beschlossenen EU-Asylpakt gelungen ist, sollte man beobachten, wenn dieser ab 2026 angewandt wird. Dass dagegen eine Verabschiedung vom EU-Recht keine Lösung bringt, zeigt das britische Beispiel, wo auch der Austritt aus der EU nicht zu einer die politischen Versprechen erfüllenden (und schon gar nicht zu einer menschenrechtskonformen) Migrationssituation geführt hat.

  4. Rafael Tue 10 Sep 2024 at 16:42 - Reply

    Die apodiktische Behauptung der “Beschneidung der Rechte von Geflüchteten” in Beiträgen dieser Art überzeugt nicht; sie geht von einem besonderen Verständnis des Flüchtlingsrechts aus. Das Recht auf Asyl ist eben kein Recht auf voraussetzungslose Einreise unter freier Wahl des Aufenthaltsstaates.

    Auch das Verständnis der Autoren von Rechtsstaatlichkeit mutet ergebnisgeleitet an. Rechtsstaatlichkeit bedeutet doch auch (grundrechtsgebundenen und gleichmäßigen) Gesetzesvollzug. Dieser bleibt in Deutschland hinsichtlich der – auch unionsrechtlich (Art. 6, 8 RL 2008/115/EG) – verpflichtenden Rückführungen “in großem Stil” aus. Andererseits befindet sich seit Jahren eine nicht unerhebliche Anzahl der Mitgliedsstaaten (ebenfalls gebunden an die Dublin-VO) im permanente Rechtsbruch, der durch die Kommission weitgehend sanktionsfrei gestellt wird.

    Die Folgen für den sozialen Frieden, Staatshaushalt und die innere Sicherheit zeichnen sich seit Längerem ab. Eine weitere Zuspitzung dieser Entwicklungen kann durchaus in der Zukunft zu notlageähnlichen Zuständen führen, wenn der Blick auf weitere Aufnahmesysteme der Gesellschaft erweitert wird, die sich eben nicht beliebig aufstocken lassen. Auch wenn unionsrechtlich vielleicht nicht anzuerkennen, dürfte doch die politische Stabilität ein “Grundinteresse der Gesellschaft” darstellen, das wohl bereits akut gefährdet ist.

  5. Robert Nestler & Matthias Lehnert Thu 12 Sep 2024 at 08:50 - Reply

    Richtigstellung:

    Der von uns häufig in Bezug genommene Art. 25 Schenger Grenzkodex ist neu gefasst und um Art. 25a ergänzt worden. Die Regelungen sind am 10.07.2024 in Kraft getreten. In unserer Bearbeitung haben wir die alte Norm zugrundgelegt, ohne dass sich hieran im Ergebnis etwas an der rechtlichen Bewertung ändert.

    1. Zur Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit
    Die in Bezug genommene Formulierung des Erwägungsgrunds 26, dass „Migration und das Überschreiten der Außengrenzen […] nicht an sich als Gefahr […] betrachtet werden“ dürfen, entstammt der nunmehr alten Fassung.
    Art. 25 Abs.1 Schengener Grenzkodex nF präzisiert nunmehr und sieht u.a. in Buchstabe c die Möglichkeit einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch in „einer außergewöhnlichen Situation, in der plötzlich eine sehr hohe Zahl unerlaubter Migrationsbewegungen von Drittstaatsangehörigen zwischen den Mitgliedstaaten stattfindet, wodurch die Ressourcen und Kapazitäten der gut vorbereiteten zuständigen Behörden insgesamt erheblich unter Druck geraten und das Funktionieren des Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen insgesamt wahrscheinlich gefährdet ist, wobei diese Situation durch Informationsanalysen und alle verfügbaren Daten, auch von betreffenden Agenturen der Union, belegt wird“ vor.
    Auch eine solche Situation wird gegenständlich nicht gegeben sein, reichen die Voraussetzungen doch an die skizzierten heran.

    2. Zu Art. 25 Abs. 4 aF und der maximalen Verlängerung von Kontrollen
    Zudem haben wir Art. 25 Abs. 4 (iVm Art. 29) Schengener Grenzkodex aF in Bezug genommen, der beim Vorliegen außergewöhnlicher Umstände eine maximale Verlängerung von Grenzkontrollen auf zwei Jahre vorsah.
    Dieser Art. 25 Abs. 4 aF ist nunmehr ersatzlos gestrichen. Sein Regelungsgehalt geht in Art. 25a Abs. 5 und 6 nF auf. Demnach ist die Höchstdauer grundsätzlich weiterhin maximal zwei Jahre (Abs. 5). Im Falle einer „schwerwiegende[n], außergewöhnliche[n] Situation in Bezug auf eine anhaltende ernsthafte Bedrohung“ kann eine Verlängerung für einen zusätzlichen Zeitraum von bis zu sechs Monaten in einem Verfahren mit Beteiligung von EU Parlament, Rat und Kommission, die eine Stellungnahme abzugeben hat, angestoßen werden. Gemäß Art. 25a Abs. 6 UAbs. 3 besteht „ein letztes Mal“ die Möglichkeit einer Verlängerung um wiederum sechs Monate.
    Der Gesamtzeitraum umfasst insoweit nicht zwei, sondern nunmehr drei Jahre. An dem Befund, dass die Interessenabwägung bereits gesetzgeberisch vorgenommen wurde und eine Anwendung von Art. 72 AEUV ausscheidet, ändert sich nichts.

    3. Zurückweisungen und Art. 23a Schengener Grenzkodex
    Nur der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass das Verfahren nach Art. 23a Schengener Grenzkodex nF ausweislich dessen Abs. 1 UAbs. 2 nicht für Asylsuchende gilt und die Ausführungen insoweit bestehen bleiben.

    Das Versehen tut uns leid.

  6. Alfons Thu 12 Sep 2024 at 15:25 - Reply

    Mein Dank für die erhellenden Ausführungen. Dass da zunächst die Änderung von Art. 25 Schenger Grenzkodex vom Juli übersehen wurde, ist wahrlich kein Manko. Wird doch in der Tat bes. seit Solingen vieles in einen Topf geworfen, was nicht zusammengehört und was mich eher an die Ausführungen von Maximilan Steinbeis in seiner jüngsten Veröffentlichung zur verwundbaren Demokratie erinnert. Nur dass hier eine offensichtlich populistische Rechtsmanipulation nicht (nur) von der AfD ausgeht. In der Tat überbietet sich die Politik in der – eben auch rechtlich – nicht akzeptablen Erfindung einer Art kollektiven bzw. gruppenspezifischen Gefährdung, welche wunderbar zur AfD-Ideologie passt. Das erfahre ich zurzeit auch ganz persönlich durch wachsende Ängste von u.U. Betroffenen in meinem Bekanntenkreis. Auch wenn Robert Nestler & Matthias Lehnert bereits den “Mythos von der Notlage” bezogen auf das Solinger Attentat kritisieren, hier eine kurze Ergänzung meinerseits (auch weil in Politik und Medien zurzeit eine Öffentlichkeit unterstellt wird, die gar nicht so mächtig ist, wie dargestellt):

    Eine Verknüpfung des Terrors von Solingen mit Art. 72 AEUV, um in die Asylpolitik eingreifen zu können, ist rechtlich nicht haltbar. Was den “Schutz der inneren Sicherheit” betrifft gefährdet solche Verknüpfung diese u.U. mehr, als dass sie diese erhöhen würde. Werden so doch den Fremdheitsbestimmungen und -ängsten – wenn auch mehr oder weniger bewusst- eine Legalität zuerkannt, die diese nicht besitzt. Bestenfalls ließ sich bezüglich islamistischer Terror über Sinn und Zweck einer besonderen Sicherheitspolitik diskutieren, welche auch für Grenzkontrollen Konsequenzen haben könnte. Aber genau letzteres wird nicht gemacht; vielleicht auch, weil es gerichtlich als Diskriminierung gewertet werden könnte (so ein Argument von Daniel Thym). Deshalb nun jedoch alle Asylsuchende zu diskriminieren, ist nun wahrlich keine rechtlich akzeptable Lösung. Rechtspolitisch müsste die öffentliche Ordnung und Sicherheit nach Solingen sowohl gegen islamistische als auch gegen rechtsextreme Gefahren gesichert werden (die sich in Solingen übrigens schon Anfang der 90ziger zeigten). Letztlich bedeutet jede Verknüpfung des Attentats von Solingen mit asylpolitischen Grundsatzforderungen Populismus, wobei auch bei den Politikern außerhalb der AfD geprüft werden sollte, ob dahinter nicht autoritäre Intensionen stecken. Was tun die jeweiligen Politiker gegen Rassismus? Wo ist nach Solingen die geistige (!) Brandmauer gegen rechts? Eine Gruppendiskriminierung hatten wir übrigens schonmal in Deutschland (Stichwort “Reichskristallnacht” allerdings nicht als Auslöser sondern als Resultat).

  7. Martin Fri 13 Sep 2024 at 17:01 - Reply

    Im Text steht:

    “Folgerichtig hat der EuGH die Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze, die seit 2015 durchgehend bestehen, für rechtswidrig erklärt.”

    Verlinkt wird dabei auf:

    https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=258262&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1

    In der verlinkten Entscheidung geht es allerdings konkret um Kontrollen an der österreichisch-slowenischen Grenze , so dass der oben zitierte Satz nicht unmittelbar zum verlinkten Urteil passt, wie ich finde.

    Oder ist damit gemeint, wie ich annehme, dass dieses Urteil in einem anderen Fall, gleichzeitig auch die Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze betrifft?

    Wäre vielleicht gut, kurz zu erläutern, warum dieses Urteil auch die deutsch-österreichischen Grenzkontrollen betrifft.

  8. Friedemann Wed 18 Sep 2024 at 20:13 - Reply

    Zunächst: Danke für diesen und andere Artikel, die mir aufzeigen (auch wenn ich die juristischen Details nicht bis ins Letzte verstehe), dass die aktuelle Angst- und Abschottungsdiskussion auch rechtlich auf zumindest wackeligen Argumenten beruhen. Aber mir scheint, dass auch die wohl recht klaren Regelungen die politischen Akteure in Opposition und Regierung nicht davon abhalten können, sich immer neue Unmenschlichkeiten auszudenken.

    Jenseits aller juristischen Argumentation:
    Wie wäre es, wenn wir (heißt Bevölkerung und Politik) alle Energie und Ressourcen, die wir in immer neue Abschottungsideen investieren, stattdessen in die Bewältigung der – unbestreitbar mehr oder weniger vorhandenen – Herausforderungen bei Aufnahme und Integration der zu uns kommenden _Menschen_ stecken würden?
    Sicher wäre allen damit geholfen: den zu uns Kommenden, die gewiss nicht ohne triftigen Grund ihre Heimat aufgeben (egal, ob sie vor Krieg, durch unser Wirtschaftssystem verursachter Armut und Perspektivlosigkeit, vor Klimawandel-Folgen oder Verfolgung aufgrund ihres politischen Engagements fliehen), denjenigen, die sich hier um Unterbringung und alle weiteren Notwendigkeiten kümmern, und nicht zuletzt uns allen, die wir nicht Tag für Tag uns mit irrationalen Ängsten verunsichern (lassen) würden.

    Ein (noch so schlimmes) Attentat wie in Solingen kann kein Grund sein, noch weiter unsere Menschlichkeit zu vergessen.

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