06 February 2024

Grundrechtsverwirkung und Parteiverbote gegen radikale AfD-Landesverbände (Teil I)

Das demokratische Haus in Deutschland brennt. Es ist höchste Zeit, die Instrumente der streitbaren Demokratie gegen Landesverbände der AfD einzusetzen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig sind, wie die in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Warum die Voraussetzungen für Grundrechtsverwirkung und Parteiverbot dort vorliegen, und die Verfassungstreue es auch verlangt, diese Anträge zu stellen, werde ich in diesem dreiteiligen Beitrag1) begründen (von dem Teil II und Teil III in den nächsten Tagen erscheinen werden).

Drei Thesen zu Grundrechtsverwirkung, Parteiverbot und Verfassungstreue

1. Der Beitrag stellt drei Thesen zu Grundrechtsverwirkung, Parteiverbot und Verfassungstreuepflicht auf:

Erstens sollte so schnell wie möglich beim Bundesverfassungsgericht ein Antrag auf Grundrechtsverwirkung mit Ausschluss von Wählbarkeit und Ämtern für einige herausgehobene Führungspersonen solcher Landesverbände gestellt werden. Einen solchen Antrag kann, neben Bundestag und Bundesregierung, jede2) Landesregierung stellen.3)

Zweitens sollten Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung4) parallel dazu ein Parteiverbotsverfahren für diese Landesverbände vorbereiten und den ausgearbeiteten Antrag, nach Veröffentlichung, beim Bundesverfassungsgericht stellen.

Und drittens engt die Verfassungstreuepflicht nicht nur das politische Antragsermessen für solche Anträge um so stärker ein, je klarer ihre Voraussetzungen erfüllt sind, sondern verlangt auch von allen Amtsträger:innen, nicht zuletzt auch von der Staatsrechtslehre, sich stärker gegen diese Bedrohung der freiheitlichen Demokratie zu wenden, als das bislang vielfach geschieht. Die Verfassungstreue reduziert das Antragsermessen auf Null, wenn, wie hier, die Voraussetzungen hinreichend klar vorliegen und die zu erwartenden Nachteile die Vorteile eines Antrags jedenfalls nicht klar und eindeutig überwiegen.

In diesem Teil werde ich zunächst darlegen, warum eine Verwirkung mit Wählbarkeitsausschluss möglich ist und deren Voraussetzungen voraussichtlich auch erfüllt sind. Im zweiten Teil werde ich begründen, warum dies auch für ein Parteiverbot gilt, und dabei auch auf die Rolle der deutschen Staatsrechtslehre in der Debatte um einen „ethnischen“ Volksbegriff eingehen. Der dritte Teil wird die Reduzierung des Antragsermessens und die weiteren Folgerungen aus der Verfassungstreuepflicht begründen.

2. Das Grundgesetz versteht Demokratie nicht als reine Mehrheitsherrschaft, sondern versucht einer Selbstabschaffung der Demokratie durch verfassungsvergessene Mehrheiten entgegenzuwirken. Es stellt dafür Instrumente der streitbaren Demokratie bereit und verpflichtet alle Amtsträger:innen dazu, die freiheitliche demokratische Grundordnung aktiv gegen populistische Bedrohungen zu verteidigen.

3. Im September könnte die AfD bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg jeweils stärkste Kraft werden. In Umfragen steht sie dort derzeit bei etwa 30%. Das wäre eine Erschütterung, wie sie die Bundesrepublik noch nie erlebt hat, so zu Recht Nicolas Richter in der Süddeutschen Zeitung. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung betont Justus Bender, ebenso richtig: Was im deutschen Osten passiert, ist genau das, was 1949 verhindert werden sollte, als das Grundgesetz geschrieben wurde. […] Das ist der Ernstfall, keine Übung.

Auch wenn sich diese Umfrageergebnisse nicht realisieren sollten, bedrohen rechtsradikale Landesverbände der AfD Menschenwürde und Demokratie auch dann massiv, wenn sie nur über 10% der Stimmen erzielen, von den schon jetzt etwa in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt erreichten etwa 20% bis 27% ganz zu schweigen.

4. Die Enthüllungen von „Correctiv“ am 10. Januar über dort vorgestellte Planungen zur Herbeiführung einer so genannten „Remigration“ veranschaulichen diese Bedrohungslage.

Die spontanen Massendemonstrationen gegen den Rechtsextremismus, die dieser Bericht ausgelöst hat, machen Hoffnung. Es ist aber zu befürchten, dass sie, trotz ihrer offenbar über 1,6 Millionen Teilnehmenden allein bis Ende Januar, jene um die 30% kaum oder gar nicht beeindrucken werden, die nach Umfragen weiterhin im Herbst für deutlich rechtsradikal ausgerichtete AfD-Landesverbände stimmen wollen.

Ethnischer Volksbegriff und Potsdamer Treffen zur Remigration

5. Eine wesentliche Grundlage für den Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit rechtsradikaler Landesverbände der AfD ist, dass sie ein mit Menschenwürde und Demokratieprinzip unvereinbares ethnisches Volksverständnis vertreten, das nach Abstammung zwischen Deutschen erster und zweiter Klasse, nämlich mit und ohne Migrationshintergrund, unterscheidet.

Nach dem Correctiv-Bericht vom 10. Januar sollen bei dem geheimen Treffen von Rechtsextremen am Lehnitzsee in Potsdam im November auch hochrangige AfD-Politiker anwesend gewesen sein, nämlich der AfD-Co-Fraktionsvorsitzende von Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, und der damalige persönliche Referent von Alice Weidel (der Bundessprecherin der AfD und Co-Vorsitzenden der Bundestagsfraktion), dessen Vertragsverhältnis allerdings wenige Tage nach dem Bericht aufgelöst wurde, angeblich aus davon unabhängigen Gründen. Auch ein weiterer Teilnehmer, der Sohn des Veranstalters Mörig, soll für den Bundesvorstand der AfD (für die Strategie in den sozialen Medien) gearbeitet haben und aus dem Budget der Bundessprecherin bezahlt worden sein (bevor auch dieses Beschäftigungsverhältnis im Anschluss an die Berichte beendet wurde).

Der Rechtsextreme Martin Sellner, Mitgründer und langjähriger Sprecher der Identitären Bewegung Österreich soll bei diesem Treffen Pläne zur Herbeiführung einer massenhaften „Remigration“ vorgestellt haben. In rechtsextremistischen Kreisen sind mit diesem beschönigenden Schlagwort häufig Gegenmaßnahmen zu einem so genannten „Großen Austausch“ der Bevölkerung gemeint, den nach dieser Verschwörungserzählung die politischen Eliten durch Einwanderung gezielt herbeiführen wollen.

6. Verfassungsrechtlich bedeutsamer als dieses einzelne Treffen, das für den Befund der Verfassungsfeindlichkeit freilich ein wichtiges Puzzlestück sein kann, ist womöglich die Reaktion der AfD-Fraktionsvorsitzenden der fünf ostdeutschen Bundesländer darauf.

In einer gemeinsamen Erklärung vom 15. Januar unter dem Titel Stellungnahme der Fraktionsvorsitzenden Ost zur Remigration heißt es unter anderem: Remigration ist das Gebot der Stunde., und: Deutschland muss wieder deutscher werden.

Zwar wird dort eine großangelegte Rückführungsinitiative nur für illegale Einwanderer versprochen, aber es ist zugleich auch von Anreize[n] die Rede, nichtintegrierten Migranten die Heimkehr zu ermöglichen.

Im Kontext des Correctiv-Berichts ist die Strategie deutlich. Das unter Rechtsextremen geläufige Schlagwort der Remigration, das für einen ethnischen Volksbegriff gerade offen ist,5) wird von diesen Fraktionsvorsitzenden affirmiert, und soll, gerade ungeachtet seiner Mehrdeutigkeit, offenbar offensiv im Wahlkampf eingesetzt werden.

Auch ein Positionspapier des Bundesvorstands der AfD vom 31. Januar bekräftigt den Begriff, unter Bezugnahme auf seine Verwendung schon im Bundestagswahlprogramm 2021 und auch im Europawahlprogramm von 2024, und „definiert“ ihn als auf eine gesetzeskonforme „Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer“ bezogen. Er wiederholt zwar die (auch schon 2021 offiziell bekundete) Beteuerung, dass „die AfD“ keineswegs zwischen deutschen Staatsangehörigen mit und ohne Migrationshintergrund unterscheide. Auch dort werden freilich (nur) die „vielen gut integrierten Bürger mit Migrationshintergrund“ als „uns willkommen“ bezeichnet, was offenlässt, was das Papier von den aus seiner Sicht nicht gut integrierten Deutschen hält.

Massenaufruf Höcke stoppen!

7. Zunächst zur ersten These: Beim Bundesverfassungsgericht sollte so rasch wie möglich eine Grundrechtsverwirkung mit Ausschluss von Wählbarkeit und Amtsfähigkeit für verfassungsfeindliche Führungspersonen der AfD beantragt werden.

Für Björn Höcke, den Fraktionsvorsitzenden der AfD in Thüringen verlangen das offenbar auch mehr als 1,6 Millionen Menschen, die laut Campact den Aufruf Höcke stoppen! unterstützten.

In diesem Teil des Beitrags werde ich zunächst untersuchen, ob ein solcher Ausschluss von Wahlen und Ämtern tatsächlich möglich ist und ob die Voraussetzungen für eine Verwirkung auch vorliegen.

Wer bestimmte Grundrechte, wie die Meinungsfreiheit, zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt sie, sagt Art. 18 Satz 1 GG. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen., sagt Satz 2. Das Gericht kann die Verwirkung auf einen bestimmten Zeitraum, mindestens auf ein Jahr, befristen, wie § 39 I 2 BVerfGG bestimmt. Nach zwei Jahren kann es sie auf Antrag wieder aufheben oder abkürzen (§ 40 S. 1 BVerfGG).

8. Die Verwirkung selbst bedeutet noch kein6) Verbot der Grundrechtsausübung. Aber § 39 I 3 BVerfGG ermächtigt das Gericht außerdem dazu, nach Art und Dauer genau bezeichnete Beschränkungen auf[zu]erlegen, soweit sie nicht andere als die verwirkten Grundrechte beeinträchtigen.

Das Gericht könnte also etwa für einige Jahre die Ausübung der Meinungsfreiheit zur Teilhabe an der öffentlichen Willensbildung, insbesondere zur Unterstützung politischer Parteien, untersagen. Den Anforderungen des für solche Beschränkungen weiterhin geltenden7) Parlamentsvorbehalts genügt dies – jedenfalls für gerichtliche Beschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit nach § 39 I 3 BVerfGG – noch, wenn man die besondere prozedurale und demokratische Legitimation des Bundesverfassungsgerichts in Rechnung stellt.8)

Verfassungsmäßigkeit der Aberkennung der Wählbarkeit und des Amtsausschlusses

9. Die Befugnis, auf die Dauer der Verwirkung auch die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter ab[zu]erkennen, begründet § 39 II BVerfGG.

Das erstreckt nicht die Verwirkung selbst auf die Rechte aus Art. 38 I, II und Art. 33 II GG, sondern ist eine eigenständige Beschränkung, die durch Art. 33 II (Eignung), Art. 38 III GG,9) sowie kompetenziell durch Art. 94 II 1 GG,10) abgedeckt und verfassungsgemäß ist.11)

Aber auch wenn man diese Rechte als verwirkungsgleich mitbetroffen sehen wollte, können Einschränkungsanordnungen des Bundesverfassungsgerichts nach § 39 I 3 BVerfGG auch notwendigerweise mit dem aberkannten Grundrecht zusammenhängende Grundrechte mitbetreffen, etwa wenn das Gericht ein Verbot der Ausübung der Pressefreiheit für einen Verleger erlassen und damit dessen Berufsfreiheit notwendig mitbeschränken würde.12) Denn: Die Tatsache der Überlagerung des Bereiches verschiedener Grundrechte darf […] nicht dazu führen, daß der von Art. 18 GG gewollte Schutz der Grundordnung überhaupt nicht durchgesetzt wird. (BVerfGE 25, 88 [97]). Das gilt nur dann nicht, wenn der mitbetroffene Grundrechtsbereich […] gegenüber dem beabsichtigten Schutz des Staates vorrangig ist (ibid.) – was insbesondere den unverwirkbaren Menschenwürdegehalt der Grundrechte13) betreffen muss.

10. Das passive Wahlrecht aus Art. 38 I, II GG ist, auch wenn man es durch § 39 II BVerfGG verwirkungsgleich mitbetroffen sehen wollte, jedenfalls ein solches notwendigerweise mit der Meinungs- und Versammlungsfreiheit zusammenhängendes Grundrecht, insofern es gerade auch beinhaltet, dass allen Wahlbewerbenden die gleichen Möglichkeiten im Wahlkampf und Wahlverfahren und damit gleiche Chancen im Wettbewerb um die Wählerstimmen offenstehen müssen (vgl. BVerfGE 156, 224 [Rn. 57]).

Einem Parteikandidaten die Ausübung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu politischen Zwecken zu untersagen, ihm aber zugleich über das passive Wahlrecht weiter die Wahlkampfteilnahme zu ermöglichen, würde dem Schutzzweck des Art. 18 GG genauso zuwiderlaufen, wie es ihn aushebeln würde, wenn ein Verleger, dem die Pressefreiheit aberkannt wurde, sich gegen die Untersagung seiner Verlagstätigkeit auf die Berufsfreiheit berufen könnte.

Weil es Wählbarkeit ohne Wahlkampfmöglichkeit nicht geben kann – ein Kandidat, der nicht sprechen darf, ist eine absurde Vorstellung – muss Sprechenverbietenkönnen auch Wählbarkeitverbietenkönnen einschließen.

Ein vergleichbar enger Zusammenhang besteht auch zwischen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Amtsfähigkeit aus Art. 33 II GG.14) Auch wenn amtliche Äußerungen formell nicht in Ausübung der Meinungsfreiheit erfolgen, würde ein auf § 39 I 3 BVerfGG gestütztes Verbot der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung ad absurdum geführt, wenn die betroffene Person ihren Kampf gegen die Grundordnung sogar durch (dem Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot widersprechende) amtliche Verlautbarungen fortsetzen könnte.

EMRK, Charta der Grundrechte und Landesgrundrechte stehen nicht entgegen

11. Ein Verwirkungsausspruch lässt die Rechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention oder der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ebenso unberührt wie die Landesgrundrechte, die mit von Coelln ebenfalls als fortgeltend anzusehen sind.

Jedoch stehen diese Rechte Beschränkungsanordnungen des Bundesverfassungsgerichts nach § 39 I 3 BVerfGG oder einem Wählbarkeits- und Amtsausschluss nach § 39 II BVerfGG im Ergebnis nicht entgegen.

Für die Menschenrechtskonvention folgt dies nicht zuletzt aus der Missbrauchsklausel des Art. 17 EMRK, die traditionell expansiv interpretiert wird, und zwar insbesondere gegen Rechtsextreme (dazu näher hier), für die Charta aus der Parallelregelung des Art. 54 GrCH. Soweit in Beschränkungsanordnungen des Bundesverfassungsgerichts also ein Eingriff liegt (bei Art. 17 EMRK wird das teils schon verneint), wird dieser regelmäßig gerechtfertigt sein (zum Parteiverbot vgl. auch die eingehende Prüfung in BVerfGE 144, 20 [Rn. 607-626]15)).

Dass auch die Landesgrundrechte Beschränkungsanordnungen des Bundesverfassungsgerichts nicht entgegen stehen können, folgt daraus, dass solche bundesrechtlichen Anordnungen nach Art. 31 GG entgegenstehendes Landesrecht brechen, wofür erneut auf von Coelln verwiesen sei.16)

Verwirkung auch wegen individueller Äußerungen für die Partei möglich insoweit keine Spezialität von Art. 21 GG

12. Art. 18 GG ist gerade auch auf individuelle Parteiaktivitäten anwendbar und ergänzt insoweit das Parteiverbot aus Art. 21 II GG. Das Parteienprivileg, das rechtliche Nachteile für eine Partei ausschließt, solange sie nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde, schließt keinen an den individuellen Meinungskampf für eine Partei anknüpfenden Verwirkungsausspruch durch das Bundesverfassungsgericht selbst aus.

Es würde dem historischen Sinn und Zweck des Art. 18 GG, ein Instrument streitbarer Demokratie zu sein, diametral zuwiderlaufen, wenn er ausgerechnet auf die gefährlichsten Verfassungsfeinde, nämlich diejenigen in hohen Parteiämtern, praktisch nicht anwendbar wäre, sondern deren kommunikative Aktivitäten allein mit einem Verbot der Partei als Ganzes bekämpft werden könnten. Art. 18 GG ist deshalb, insoweit entgegen von Coelln (und anderen), gerade auch auf die individuelle Agitation für die Partei anwendbar.17)

Die Gegenposition scheint teils auf ein Missverständnis von Aussagen aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Sperrwirkung des Parteienprivilegs für (alle) anderen Träger von Hoheitsgewalt zurückzugehen. Diesen Entscheidungen18) lässt sich jedoch eine Spezialität auch im Verhältnis zu Art. 18 GG, also gegenüber dem Bundesverfassungsgericht selbst gerade nicht entnehmen, soweit es nicht gegen die Partei als solche vorgeht, sondern gegen individuelle Aktivitäten für sie.19) Das Parteienprivileg ist, wie Lübbe-Wolff zu Recht betont, kein prinzipieller Freibrief für individuelle verfassungsfeindliche Umtriebe.

Individuelle Gefährlichkeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung

13. Die Verwirkung setzt voraus, dass das jeweilige20) Grundrecht zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht wird. Das begründet keine eigenständige Kategorie des Grundrechtsmissbrauchs, sondern qualifiziert allein den Einsatz eines Grundrechts zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung als Missbrauch.21)

Missbräuchlicher Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in diesem Sinne ist die bewusste Herbeiführung einer Gefahr für sie (vgl. BVerfGE 38, 23 [24]). Entsprechend dem Potentialitätskriterium für Art. 21 II GG muss es insofern maßgeblich darauf ankommen, ob es zumindest möglich erscheint, dass verfassungsfeindliche Absichten, insbesondere durch Erlangung politischer Macht, auch umgesetzt werden können.22)

Die bisherigen vier Verwirkungsverfahren scheiterten jeweils an der unzureichenden Darlegung einer solchen individuellen Gefährlichkeit schon im Vorverfahren nach § 37 BVerfGG.23) Das gilt nicht nur für die Entscheidungen zum Zweiten Vorsitzenden der SRP, Otto Ernst Remer (1960)24) und zu Gerhard Frey (1974),25) sondern auch für die zu den Rechtsextremen Dienel und Reisz (1996).26)

Anders als bei den bisherigen Verfahren kann an einer solchen potentialitätsbegründenden Gefährlichkeit für herausgehobene Führungspersonen in den radikalen Landesverbänden der AfD aber kaum ein Zweifel bestehen. Das ergibt sich allein schon aus ihrer parlamentarischen Machtbasis in Gestalt von bis zu etwa einem Fünftel der Landtagsmandate.

Jedenfalls bei organisatorischer Machtbasis keine rechtswidrigen oder strafbaren Äußerungen erforderlich – das NPD-Urteil von 2017 als Blaupause

14. Wegen der präventiven Ausrichtung der Instrumente der streitbaren Demokratie setzt die erforderliche Gefährlichkeit jedenfalls nicht immer ein rechtswidriges oder gar strafbares Verhalten voraus.

Soweit Möllers annimmt, das Gefährdungserfordernis klinge nach einem Erfordernis von Straftaten, lässt dies die offenkundigen Parallelen zum Parteiverbot unberücksichtigt. Die Gefährlichkeit im Sinne des Art. 18 GG wird zu Recht analog zur Potentialität bei Art. 21 II und III GG gedeutet:27) Es muss ausreichen, wenn es zumindest möglich erscheint, dass gegen die Grundordnung kämpfende Verfassungsfeinde ihre Zielsetzungen auch in die Tat umsetzen können.

Schon im grundlegenden NPD-Urteil von 2017 hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht betont, dass eine Partei auch dann verfassungswidrig sein kann, wenn sie ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausschließlich mit legalen Mitteln und unter Ausschluss jeglicher Gewaltanwendung verfolgt (BVerfGE 144, 20 [Rn. 578]).28) Auch eine mit ausschließlich legalen Mitteln vorgehende Partei kann danach verfassungswidrig sein. Denn, so das Gericht, das Parteiverbot stellt gerade auch eine Reaktion auf die von den Nationalsozialisten verfolgte Taktik der legalen Revolution dar, die die Machterlangung mit erlaubten Mitteln auf legalem Weg anstrebte (578).

Das gerade ergangene Urteil zur NPD/Heimat-Finanzierung bekräftigt dies zu Recht (Rn. 281), wie auch ganz generell die schon 2017 entwickelten Maßstäbe. Nicht erst das neue Urteil ist deshalb eine Blaupause für den Umgang mit der AfD. Die Blaupause ist schon das NPD-Urteil von 2017 – und zwar für einen Antrag auf ein Verbot, nicht auf einen bloßen Finanzierungsausschluss (der aufgrund der bis auf die Potentialität identischen Voraussetzungen alle Nachteile des Verbotsverfahrens, ohne seine Vorteile hätte).

Für die Verwirkung mag man für die Begründung der erforderlichen Gefährlichkeit verbietbare oder sogar strafbare Äußerungen verlangen, soweit es um Personen geht, die über keinerlei sonstige organisatorische Machtbasis verfügen, um die Balance zur Meinungsfreiheit nicht zu gefährden.

Jedenfalls wenn aber Personen im Rahmen von Vereinigungen oder Parteien organisiert und dort in herausgehobenen Führungspositionen tätig sind, so dass sich ihre individuelle Gefährlichkeit gerade auch aus der Verbindung ihres individuellen Verhaltens mit diesen verbandsmäßigen Wirkungsmöglichkeiten ergibt, muss auch hier eine Strategie der Machterlangung mit legalen Mitteln miterfasst sein. Das wird man ohne weiteres jedenfalls bei Vorsitzenden von Fraktionen in den Volksvertretungen der Länder bejahen müssen, die dort über ein Zehntel oder mehr der Mandate verfügen.

Meinungsfreiheit für die Feinde der Freiheit – aber nur in den Grenzen der militant democracy (Löwenstein)

15. Der Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung kann also gerade auch mit dem demokratischsten und legalsten aller Mittel geführt werden: der Teilhabe an der freien öffentlichen Meinungsbildung. Das Grundgesetz gewährt die Meinungsfreiheit zwar grundsätzlich auch den Feinden der Freiheit (vgl. BVerfGE 124, 300 [330]). Es balanciert diese grundsätzliche Freiheitsgewähr aber aus durch die Möglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts, mit Grundrechtsverwirkung und Parteiverbot gegen diese Feinde einzuschreiten (vgl. nochmals BVerfGE 124, 300 [330]) .

Als Geistesfreiheit wird Meinungsfreiheit unabhängig von der Gesinnung, also auch für Verfassungsfeinde, geschützt: Auch ihre Meinungen dürfen niemals schon als solche unterdrückt werden. Auch Rassismus, Sexismus und ja, sogar Antisemitismus werden geschützt und dürfen nicht allein schon deshalb als Gesinnung mit den Mitteln des Rechtszwangs unterdrückt werden, weil sie von der Mehrheit, zum Glück, noch abgelehnt werden, wie es die Demonstrationen der letzten Wochenenden so eindrucksvoll gezeigt haben.

Das Grundgesetz vertraut zwar im Kampf gegen solche Meinungen grundsätzlich auf die Kraft des freien Diskurses (vgl. BVerfGE 124, 300 [320]). Es rechnet aber, aus der bitteren Erfahrung des Nationalsozialismus heraus, zugleich auch damit, dass die Demokratie unter ungünstigen Bedingungen auch zum Selbstmord in der Lage sein kann. Es lässt deshalb die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten politischen Meinungsäußerungen nur soweit zu, als diese Grundordnung dabei nicht selbst gefährdet wird (BVerfGE 10, 118 [123]).29)

Wird diese Gefährdungsschwelle aber erreicht, dann konkretisiert gerade auch Art. 18 GG das Grundanliegen einer Verfassung, die sich nicht durch den Missbrauch der von ihr gewährleisteten Freiheitsrechte zur Disposition stellen lassen will und mit gleicher Entschiedenheit der Verächtlichmachung und Herabwürdigung von Menschen oder Gruppen von Menschen entgegentritt (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) (vgl. BVerfGE 107, 339 [388]).30)

Wenn die Bedingungen der freien Debatte selbst dadurch untergraben werden, dass sich ihnen widersprechende Positionen durchzusetzen drohen, dann kann dieser Gefahr für die Demokratie auch durch Einschränkungen des freien Diskurses selbst entgegentreten werden.

Das ist die Idee der militant democracy, wie Karl Löwenstein sie 1937 im Exil entwickelte, einer streitbaren oder wehrhaften Demokratie (vgl. BVerfGE 144, 20 [Rn. 418]), oder, wie Steinke übersetzt: der kampfbereiten Demokratie. Die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine solche streitbare Demokratie darf zwar nicht schon als gegen Meinungen als solche gerichtet,31) und auch nicht als eine unspezifische, pauschale Eingriffsermächtigung missverstanden werden (vgl. BVerfGE 134, 141 [Rn. 114]). Sie muss jedoch die Auslegung der sie abschließend konkretisierenden Verfassungsbestimmungen prägen, insbesondere der Normentrias aus Vereinsverbot, Verwirkung und Parteiverbot als Kernbestandteilen des präventiven Verfassungsschutzes (BVerfGE 144, 20 [Rn. 425]).

Wehret den Anfängen: präventiver Verfassungsschutz durch Parteiverbot und Verwirkung

16. Das Bundesverfassungsgericht hat im NPD-Urteil dementsprechend zahlreiche Äußerungen aus der NPD herangezogen, und zwar ausdrücklich auch unabhängig von ihrer individuellen Rechtswidrigkeit oder Strafbarkeit.32)

Das Parteiverbot zielt danach darauf, nach der Maxime Wehret den Anfängen frühzeitig die Möglichkeit des Vorgehens gegen verfassungsfeindliche Parteien zu eröffnen (vgl. BVerfGE 144, 20 [Rn. 484). Für die Verwirkung kann nichts anderes gelten, zählt das Urteil sie doch, wie gesagt, ausdrücklich ebenso zu den Kernbestandteilen präventiven Verfassungsschutzes (425).

Die hohen Anforderungen, die für die Beurteilung einer individuellen Äußerung als menschenwürdewidrig zu Recht dann gelten, wenn dies ihre individuelle Untersagung oder Sanktionierung rechtfertigen soll,33) sind danach nicht in Anschlag zu bringen, wenn die Unvereinbarkeit mit der gleichen Würde aller als Indiz für das Überschreiten der Gefährdungsschwelle bei der Verwirkung oder der Potentialitätsschwelle beim Parteiverbot herangezogen werden soll.

17. So können diskriminierende Äußerungen, die mit der Menschenwürde inhaltlich unvereinbar sind, insbesondere auch gegen alle Angehörigen von unüberschaubar großen Gruppen gerichtet sein. Obwohl eine Strafsanktion nach der Soldaten-Rechtsprechung für solche einzelnen Äußerungen dann unverhältnismäßig wäre (BVerfGE 93, 266 [301 f.]), kann das Bundesverfassungsgericht und nur das Bundesverfassungsgericht darauf eine Grundrechtsverwirkung stützen, wenn sie zusammengenommen eine individuelle Gefährlichkeit begründen, oder ein Parteiverbot, wenn die Partei die Potentialitätsschwelle erreicht, also eine künftige Machtbeteiligung zumindest möglich erscheint.

18. Solche Äußerungen dagegen nicht auch schon individuell für bestrafbar oder verbietbar zu halten, bedeutet keinen Widerspruch, wie Nettesheim meint, sondern lediglich eine stärkere Deutung der Meinungsfreiheit.

Widersprüchlich ist es vielmehr umgekehrt (entgegen seiner kaum überzeugenden funktionalen Abgrenzungsversuche), rechtsextreme Meinungen (zu Unrecht) schon als solche für individuell bestrafbar oder verbietbar zu halten, aber nicht (erst Recht) auch für Parteiverbote und Grundrechtsverwirkung einzutreten. Das müssten konsequenterweise auch diejenigen tun, die Versammlungen von Rechtsextremen (wiederum: zu Unrecht)34) sogar schon wegen ihres Inhalts als unvereinbar mit der öffentlichen Ordnung ansehen.

Menschenwürdewidrigkeit auf rassistische (und vergleichbare) Diskriminierung zielender Konzepte

19. Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist in Art. 18 GG derselbe wie in Art. 21 II GG. Für letzteren hat das Bundesverfassungsgericht ihn im NPD-Urteil von 2017 gegenüber früheren Definitionen eingeengt. Die weitergehenden Formulierungen aus dem KPD-Urteil werden im NPD-Urteil zwar dargestellt, aber anschließend gerade durch eine Neubestimmung ersetzt. Der Begriff ist danach zu beschränken auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind (535).

Was ist schlechthin unentbehrlich in diesem Sinne? Genau drei Dinge: Menschenwürde, Demokratie und wesentliche Elemente des Rechtsstaatsprinzips. Zur Grundordnung gehören danach von vornherein nur noch diese drei Verfassungsgrundsätze und vom Rechtsstaatsgrundsatz auch nur zentrale Elemente, nämlich wiederum genau drei: Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt, Kontrolle durch unabhängige Gerichte und staatliches Gewaltmonopol (547).

Menschenwürde ist egalitär, wie das Urteil betont, gilt also unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht (541). Mit ihr sind daher ein rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlungen nicht vereinbar, und zwar insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen, die sich jedenfalls als Konkretisierung der Menschenwürde darstellen (541).

20. „Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind damit nicht vereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. (541). Das NPD/Heimat-Urteil hat dies ausdrücklich bekräftigt (253). Es hat zudem zu einer rassistischen Grundhaltung, die zu einer gegen die Menschenwürde verstoßenden Missachtung von Ausländern, Migranten und Minderheiten führen kann, insbesondere auch antimuslimische, antisemitische und antiziganistische Haltungen gezählt, sowie die ablehnende Haltung gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten wie transsexuellen Personen berücksichtigt (350).35)

Der Thüringer Spitzenkandidat erfüllt die Verwirkungsvoraussetzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit – wie das Verdachtsfall-Urteil des VG Köln von 2022 zeigt

21. Missbraucht Björn Höcke in diesem Sinne seine Meinungsfreiheit zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung?

Maßgeblich dafür muss sein, ob er erstens inhaltlich verfassungsfeindliche Positionen vertritt und damit zweitens so viel Einfluss zu erlangen droht, dass er dadurch eine potentialitätsbegründende Gefährdung36) für die Demokratie begründet.

Die Gefahr, dass er seine Positionen in Politik umsetzen kann, sollte dabei schon angesichts der bisherigen Wahlerfolge der AfD in Thüringen keiner näheren Begründung bedürfen, von den jetzigen Umfrageergebnissen von weit über 30% ganz zu schweigen. Nach ihnen könnte die AfD in Thüringen womöglich gar eine absolute Mehrheit der Parlamentssitze erringen, ihr Spitzenkandidat Höcke also sogar Ministerpräsident werden.

Seine manifeste Gefährlichkeit für die Demokratie wird sich aber selbst dann nicht so rasch wieder verflüchtigen, wenn die Umfrageergebnisse für die hochwahrscheinlich verfassungswidrigen Landesverbände der AfD sich bis zur Europawahl im Juni oder danach wieder legen sollten – was man dem Grundgesetz im Jahr seines 75. Geburtstags nur wünschen kann.

22. Sind seine Positionen auch inhaltlich verfassungsfeindlich? Wer es für die AfD in Thüringen und ihren Fraktionsvorsitzenden noch für eine offene Frage hält, ob sie der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechende Konzepte verfolgen, hat vermutlich noch nicht das grundlegende Urteil des VG Köln vom 8. März 2022 (13 K 326/21) zur Einstufung der Gesamtpartei als bundesweiter Verdachtsfall gelesen.

Und umgekehrt: Wer dieses umfassende Urteil gelesen hat, wird zu einer ähnlichen Einschätzung gelangen müssen, wie etwa Klaus Gärditz oder Michaela Hailbronner. Für Hailbronner spricht mit Blick auf das Urteil vieles dafür, dass die Parteiverbotsvoraussetzungen in bestimmten Ländern erfüllt sind.

Noch deutlicher, und völlig zu Recht, hat Gärditz betont, es gebe Landesverbände, die faktisch die ideologische Nachfolge der NPD angetreten haben und bei denen eine aggressive Verfassungsfeindlichkeit gut dokumentiert sei. Gerade Sachsen und Thüringen, so Gärditz, fallen hier auf. Schon im September betonte Gärditz, wenn er sich in Thüringen die Rhetorik maßgeblicher AfD-Funktionäre anhöre, habe er keine Zweifel, dass sie die Schwelle zu einer aktiv-kämpferischen Haltung überschreiten.

23. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stufte die Gesamtpartei, einschließlich aller Landesverbände, im Frühjahr 2021 als Verdachtsfall ein. Das Verwaltungsgericht Köln hat diese Einstufung in seinem Urteil vom 8. März 2022 als rechtmäßig beurteilt. Die Berufungsverhandlung vor dem OVG Nordrhein-Westfalen soll im März stattfinden. Unabhängig vom Ausgang dieses, die Gesamtpartei betreffenden Verfahrens, lassen die vom VG Köln gesammelten Äußerungen nicht nur für bestimmte Landesverbände mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verfassungsfeindlichkeit vermuten, sondern gerade auch für den Thüringer Spitzenkandidaten.

Neben allgemein bekannte Aussagen wie der Forderung nach einer erinnerungspolitische[n] Wende um 180 Grad oder der Bezeichnung des Holocaust-Denkmals in Berlin als Denkmal der Schande (602) führt das VG Köln zahlreiche Aussagen des Mitbegründers des Flügels auf, in denen er etwa von der Auflösung Deutschlands, dem Volkstod und dem Verschwinden und Austausch des deutschen Volkes durch Einwanderung spricht (VG Köln, 559, 560-577).

Die Altparteienvertreter wollten, so Höcke, dass die Deutschen verschwinden, sie und ihre Kultur (562). [D]ie jubeln regelrecht über unseren bevorstehenden Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch. Die Flüchtlinge sind ihnen nur Mittel zum Zweck, damit das verhasste eigene Volk endlich von der Weltbühne verschwindet. (564). Auf dem Kyffhäusertreffen 2018 verwies er auf eine geplante Auflösung der Parallelgesellschaften und Re-Migrationsprogramme: Langfristig, liebe Freunde, stehen die Auflösung der Parallelgesellschaften sowie die Re-Migrationsprogramme, die natürlich De-Islamisierungsprogramme inkludieren, auf der Tagesordnung. (700).

Das Urteil verweist (602) auch auf die folgenden Äußerungen Höckes, auf die bereits das VG Meiningen die Einschätzung gestützt hatte, es beruhe auf einer überprübaren Tatsachengrundlage und sei deshalb von der Meinungsfreiheit gedeckt, ihn als „Faschist“ zu bezeichnen:37)Gegenüber Andersdenkenden gelte: Brandige Glieder können nicht mit Lavendelwasser kuriert werden, wusste schon Hegel‘. Bezogen auf die von ihm angestrebte Umwälzung stelle er fest, dass ‚wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind‘ mitzumachen. Er denke an einen ‚Aderlass‘. Diejenigen Deutschen, die seinen politischen Zielen nicht zustimmten, würden aus seinem Deutschland ausgeschlossen werden.“

In seinem Gesprächsband Nie zweimal in denselben Fluß von 2018 bezeichnete er danach Verbindungen zwischen Weißen und Schwarzen in den Vereinigten Staaten von Amerika als einen Abstieg: Die Weißen und die Schwarzen setzten sich vor ihrer Amerikanisierung aus mehreren hochdifferenzierten Völkern mit eigenen Identitäten zusammen. Jetzt sind sie in einer Masse aufgegangen. Diesen Abstieg sollten wir vermeiden und die Völker bewahren. (607).

24. Natürlich wird ein Verwirkungsantrag gegen diese und ähnlich exponierte Führungspersonen radikaler Landesverbände der AfD einer sorgfältigen Sichtung des Ausgangsmaterials und einer sorgfältigen Begründung bedürfen. Dass diese Begründung mit sehr hoher Erfolgsaussicht gelingen kann, scheint mir aber kaum bestreitbar zu sein.

25. So viel zunächst dazu, warum aus meiner Sicht ein Wählbarkeitsausschluss sowie ein darauf gerichteter Verwirkungsantrag gerade auch gegen herausgehobene Parteifunktionäre radikaler Landesverbände der AfD möglich ist und seine Voraussetzungen etwa für den Thüringer Spitzenkandidaten der AfD vorliegen. In den kommenden Teilen II und III dieses Beitrags werde ich erläutern, warum parallel dazu auch ein Verbotsantrag vorbereitet, veröffentlicht und eingereicht werden sollte – und warum die Verfassungstreue in der streitbaren Demokratie des Grundgesetzes auch dazu verpflichtet, diese Anträge zu stellen.

Die Beitragsreihe beruht auf einem am 23. Januar 2024 an der Uni Mainz gehaltenen Vortrag (Verfassungsfeindliche Landesverbände der AfD als Herausforderung für streitbare Demokratie und Verfassungstreuepflicht) im Rahmen der Mainzer Vorträge zum Sicherheits- und Informationsrecht von Prof. Dr. Matthias Bäcker und Prof. Dr. Dieter Kugelmann, denen ich für die Einladung danke.

Transparenzhinweis: Im Beitrag wurden (unter 4. und 5.) am 21.10. und am 6.11. Änderungen vorgenommen, weil das OLG Hamburg mit Beschl. v. 23.7.2024 entschieden hat, dass die Aussage prozessual unwahr sei, dass auf dem Potsdamer Treffen auch eine Ausweisung von Staatsbürgern diskutiert worden sei (vgl. dazu den Bericht hier).38)

References

References
1 Für wertvolle Anregungen und Kritik danke ich Gertrude Lübbe-Wolff, Matthias Bäcker, Evin Dalkilic und Friedrich Zillessen.
2 Ein Bezug des Antragsgegners gerade zum jeweiligen Bundesland ist dabei richtigerweise nicht erforderlich, siehe E. Klein, in: Klein/Klein, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2020, S. 549, Rn. 1249 (mwN).
3 § 36 BVerfGG.
4 § 43 I 1 BVerfGG. Landesregierungen können „den Antrag nur gegen eine Partei stellen, deren Organisation sich auf das Gebiet ihres Landes beschränkt (§ 43 II BVerfGG), also nicht im Falle einer bundesweit agierenden Partei wie der AfD.
5 Vgl. VG Köln, Urt. v. 8.3.2022, 13 K 326/21, Rn. 330 f., 347 f., 699-701.
6 So zutr. etwa Gärditz, in: Stern/Sodan/Möstl, Staatsrecht, Band III, 2022, § 92 Rn. 8. Anderer Auffassung Pagenkopf, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 18 Rn. 13 („Verbot der Grundrechtsausübung“); Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band I, 7. Aufl. 2018, Art. 18 Rn. 23.
7 So etwa auch E. Klein, in: Klein/Klein, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2020, S. 552 f., Rn. 1239; anderer Ansicht etwa Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band I, 7. Aufl. 2018, Art. 18 Rn. 71.
8 Siehe i.Erg. auch E. Klein, in: Klein/Klein, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2020, S. 552 f., Rn. 1239; mit guten Gründen kritisch für die wesentlich problematischere Behördenermächtigung durch § 39 I 4 BVerfGG (ohne Stellungnahme zu § 39 I 3 BVerfGG): Gärditz, in: Stern/Sodan/Möstl, Staatsrecht, Band III, 2022, § 92 Rn. 21.
9 Vgl. von Coelln, Verfassungsblog v. 24.1.2024, Text bei Fn. 16; Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band I, 7. Aufl. 2018, Art. 18 Rn. 69.
10 Vgl. den Verweis auf Art. 94 II 1 GG (für § 39 I 3, 4 BVerfGG) bei Barczak, in: Dreier/Brosius-Gersdorf, GG, Band I, 4. Aufl. 2023, Art. 18 Rn. 59; mit Blick auf § 39 I 4 BVerfGG insoweit kritisch Gärditz, in: Stern/Sodan/Möstl, Staatsrecht, Band III, 2022, § 92 Rn. 21.
11 Zur Gegenauffassung vgl. etwa Butzer, in: Hillgruber/Epping, BeckOK GG, Art. 18 (Stand 15.8.2023) Rn. 14.1, mwN.
12 Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band I, 7. Aufl. 2018, Art. 18 Rn. 45-48 („Ausstrahlung“; wobei diese Ausstrahlung auf notwendig mitbetroffene, aber nicht in Art. 18 GG genannte Grundrechte nicht zu verwechseln ist mit der teils ebenfalls mit diesem Begriff bezeichneten, der Identitätstheorie entgegengesetzten These, dass auch nicht zum Kampfe gegen die Grundordnung missbrauchte Grundrechte, die aber in Art. 18 GG genannt sind, für verwirkt erklärt werden können).
13 Siehe zur Unverwirkbarkeit der grundrechtlichen Menschenwürdegehalte: Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band I, 7. Aufl. 2018, Art. 18 Rn. 54, 57; Hong, Der Menschenwürdegehalt der Grundrechte, 2019, S. 609 f.
14 Vgl. auch Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 39 Rn. 4 („unauflösbarer sachlicher Zusammenhang“ zwischen Meinungsfreiheit und „etwa der Übernahme öffentlicher Ämter“).
15 Siehe auch die Einschätzung von Lübbe-Wolff (Verfassungsblog v. 13.10.2023): Dass der EGMR „sich quergestellt und ausgerechnet dem deutschen Bundesverfassungsgericht einen Menschenrechtsverstoß bescheinigt hätte, wenn es die NPD für verfassungswidrig erklärt und damit verboten hätte, halte ich für vollkommen ausgeschlossen“.
16 Für die Gegenauffassung, nach der die Landesgrundrechte bereits durch die Verwirkungsentscheidung verdrängt werden s. nur Kliegel, in: Barczak, BVerfGG, 2017, § 39 Rn. 8 (mit Fn. 38, der aber zu Recht festhält, dass der Streit „eher theoretisch bleibt“, wenn man, wie hier, mit von Coelln einen Vorrang der Beschränkungsanordnung über Art. 31 GG annimmt).
17 Wie hier s. etwa Vöneky, in: Kahl/Waldhoff, Bonner Kommentar zum GG, Art. 18 (Bearb. 2016) Rn. 112; wohl auch Gärditz, in: Stern/Sodan/Möstl, Staatsrecht, Band III, 2022, § 92 Rn. 26 (wenn dort mit der „individuellen politischen Agitation“ auch solche zur Unterstützung der Partei gemeint ist).
18 Etwa BVerfGE 12, 396 (305 ff.); 17, 155 (166 f.); 47, 130 (139 ff.); 63, 266 (286, 293 ff.).
19 So aber offenbar etwa Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band I, 7. Aufl. 2018, Art. 18 Rn. 74 f.; Krebs/Kotzur, in: von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 18 Rn. 28; Dürig/Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 18 (Bearb. 2017) Rn. 120, die jeweils auf diese, insoweit gerade unergiebige, Rspr. verweisen.
20 Es wird hier also der, von Wortlaut und Systematik nahegelegten, „Identitätslehre“ gefolgt, nach der nur das jeweils missbrauchte Grundrecht verwirkt wird, zur Gegenauffassung, nach der der Missbrauch eines Grundrechts auch zur Verwirkung anderer (in Art. 18 GG genannter) Grundrechte führen kann, s. nur E. Klein, in: Klein/Klein, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2020, S. 551, Rn. 1237; Kliegel, in: Barczak, BVerfGG, 2017, § 39 Rn. 4; jeweils mwN.
21 Vgl. zur Debatte auch Pagenkopf, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 18 Rn. 11 (zwar eigenständiges Merkmal, aber enger Zusammenhang zum verfassungsfeindlichen Kampf).
22 Vgl. auch Vöneky, in: Kahl/Waldhoff, Bonner Kommentar zum GG, Art. 18 (Bearb. 2016) Rn. 50 (die weniger als eine konkrete Gefahr im polizeirechtlichen Sinne, also eine hinreichende Schadenswahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit) verlangt; Barczak, in: Dreier/Brosius-Gersdorf, GG, Band I, 4. Aufl. 2023, Art. 18 Rn. 47 (es bedarf keiner „konkretisierten Gefährdung“), 48 („analog“ zum Parteiverbot reiche die „grundsätzliche Möglichkeit“ der Zielerreichung im Sinne eines „Potentialitätserfordernis[ses]“); Gärditz, in: Stern/Sodan/Möstl, Staatsrecht, Band III, 2022, § 92 Rn. 12 (Potentialitätserfordernis, bei dem ein Erfolg „jedenfalls möglich erscheinen“ müsse; „analoges […] wie im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG”“. Auch Lübbe-Wolff (Verfassungsblog v. 13.10.2023) geht von einem „Potentialitätskriterium“ parallel zum Parteiverbot aus, das „ungeachtet des hier wohl untechnisch verwendeten Terminus der ‚Gefahr‘ nicht so verstanden werden“ könne, „dass es inhaltlich anspruchsvoller ist“.
23 E. Klein, in: Klein/Klein, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2020, S. 547, Rn. 1226; s. aber auch Vöneky, Art. 18 (Bearb. 2016) Rn. 145 (mit Fn. 261).
24 BVerfGE 11, 282 (283) Zweiter SRP-Vorsitzender (1960) (der Antragsgegner habe sich, nachdem eine Verurteilung zu 5 Monaten Freiheitsstrafe für verfassungsfeindliche Reden „zum größten Teil verbüßt“ wurde, laut Bundesdisziplinarhof „aus dem politischen Leben völlig zurückgezogen“; die Bundesregierung habe auch „auf Anfragen des Gerichts“ hin keine neuen Tatsachen vorgetragen); zu Remers gleichwohl offenbar durchaus fortbestehender Gefährlichkeit s. Gärditz, in: Stern/Sodan/Möstl, Staatsrecht, Band III, 2022, § 92 Rn. 4 Fn. 24 (wonach Remer bis zu seinem Tod 1997 „noch mehrmals wegen verschiedenen Äußerungsdelikten verurteilt“ wurde und 1994 vor einer drohenden längeren Freiheitsstrafe nach Spanien flüchtete).
25 BVerfGE 38, 23 (24 f.) Verwirkungsverfahren Frey (1974) (Gefährlichkeit „nicht dargetan; offensichtlich ist sie hier nicht“; es habe sich „immer deutlicher abgezeichnet“, dass die Deutsche National-Zeitung keine „in Betracht kommende, politisch bedeutsame Resonanz mehr“ finde; die Bundesregierung habe darauf verzichtet, neue Tatsachen vorzutragen) (s. auch BVerfGE 38, 347).
26 BVerfG, Beschl. v. 18.7.1996, 2 BvA 1/92 und 2 BvA 2/92 (juris). Dieser Beschluss erging zwar ohne Begründung (§ 24 S. 2 BVerfGG). Er wurde aber bemerkenswerterweise offenbar von einer Pressemitteilung begleitet, die erläuterte, dass eine fortbestehende Gefährlichkeit der Antragsgegner nicht hinreichend begründet worden war, da Strafgerichte die Freiheitsstrafen gegen die Antragsgegner „jeweils zur Bewährung“ ausgesetzt und dabei „nach eingehender Würdigung die Erwartung für berechtigt gehalten“ hatten, „daß die Antragsgegner ihre rechtsextremistische Gesinnung in Zukunft nicht mehr kämpferisch vertreten“ werden.
27 Siehe die Nachweise oben in Fn. 22.
28 Bekräftigend: BVerfG, Urt. v. 23.1.2024, 2 BvB 1/19 (NPD/Heimat), Rn. 281. Zur Verwirkung siehe insbesondere auch das (zustimmende) Sondervotum Simon zu BVerfGE 63, 266 (juris Rn. 72 [89]), das ausdrücklich davon ausgeht, dass der „Tatbestand“ des Art. 18 GG (auch) die „straflose Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ erfasst.
29 Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band I, 7. Aufl. 2018, Art. 18 Rn. 9.
30 So die nicht tragende Meinung der vier Richter Sommer, Jentsch, Di Fabio und Mellinghoff, in der Entscheidung zur Verfahrenseinstellung des ersten NPD-Verbotsverfahrens (die aufgrund des Erfordernisses einer Zweidrittelmehrheit für die nachteilige Entscheidung einer Ablehnung der Einstellung nach § 15 IV BVerfGG von den Richtern Hassemer und Broß und der Richterin Osterloh getragen wurde).
31 Löwenstein (= Loewenstein), Militant Democracy and Fundamental Rights, The American Political Science Review 31 (1937), 417-432 und 638-658 (s. bes. 423 f., 431 f.; er betonte, dass Parteiverbotsregelungen in der Regel kein Sonderrecht waren, 646, und verwies z.B. auf Uniform- und Milizverbote, 652-654: „Perhaps the thorniest problem […] is that of curbing the freedom of public opinion, speech, and press […]“; the „armory of fascist technique includes the more subtle weapons of vilifying, defaming, slandering, and last but not least, ridiculing“; „the border-line between unlawful slander and justified criticism“ is „exceedingly dim“).
32 BVerfGE 144, 20 (Rn. 635 ff., 698 ff.; s. bes. Rn. 635 und 757, ferner die gruppenbezogenen Äußerungen in Rn. 701, 747, 753); näher: Hong, Der Menschenwürdegehalt der Grundrechte, 2019, S. 452 f.
33 Vgl. BVerfGE 93, 266 (293); 107, 275 (284); 124, 300 (344); näher zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Menschenwürde vor Meinungsäußerungen: Hong, Der Menschenwürdegehalt der Grundrechte, S. 547ff., 572ff.
34 Vgl. BVerfGE 111, 147 (154 f.); s. auch (zur parallel gebotenen einengenden Auslegung des Merkmals des öffentlichen Friedens) BVerfGE 124, 300 (334 f.).
35 BVerfG, Urt. v. 23.1.2024, 2 BvB 1/19 (NPD/Heimat), Rn. 350 („dass die Vorstellung der ethnisch definierten Volksgemeinschaft zu einer gegen die Menschenwürde verstoßenden Missachtung von Ausländern, Migranten und Minderheiten führt“; „Nunmehr vorgelegte Belege lassen erkennen, dass die rassistische (aa), insbesondere antimuslimische (bb), antisemitische (cc) und antiziganistische (dd) Grundhaltung der Antragsgegnerin sowie ihre ablehnende Haltung gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten wie transsexuellen Personen (ee) fortbestehen […].“).
36 Zum Verständnis der Gefährlichkeit nach Art. 18 GG analog der Potentialität bei Art. 21 II (und III) GG siehe die Nachweise oben Fn. 22.
37 VG Meiningen, Beschl. v. 26.9.2019, 2 E 1194/19, Rn. 22.
38 Im Haupttext wurden am 21.10.2024 folgende Änderungen vorgenommen: Unter 4. wurden in dem Satz: „Die Enthüllungen von ‚Correctiv‘ am 10. Januar über Planungen für menschenwürdeverletzende Massendeportationen auch von Deutschen mit Migrationshintergrund bei einem geheimen Treffen von Rechtsextremen veranschaulichen diese Bedrohungslage.“, vor dem Wort „Planungen“ die Worte „dort vorgestellte“ hinzugefügt sowie das Wort „Massendeportationen“ durch das Wort „Massenvertreibungen“ ersetzt. Unter 5. wurde in der Aussage: „Der Rechtsextreme Martin Sellner […] soll bei diesem Treffen einen so genannten ‚Masterplan“ für eine massenhafte Abschiebung von Ausländern, aber auch von Deutschen mit Migrationshintergrund, vorgestellt haben.“, der Begriff „Abschiebung“ durch „Vertreibung“ ersetzt, und in dem Satz „Gemeint sind damit Massendeportationen […]“, vor „Massendeportationen“ das Wort „häufig“ eingefügt.

Am 6.11.2024 wurde der Haupttext nochmals wie folgt geändert:

Unter 4. wurde der Satz: „Die Enthüllungen von Correctiv am 10. Januar über dort vorgestellte Planungen für menschenwürdeverletzende Massenvertreibungen auch von Deutschen mit Migrationshintergrund bei einem geheimen Treffen von Rechtsextremen veranschaulichen diese Bedrohungslage.“, durch den folgenden Satz ersetzt: „Die Enthüllungen von Correctiv am 10. Januar über dort vorgestellte Planungen zur Herbeiführung einer so genannten Remigration‘.“ veranschaulichen diese Bedrohungslage, wobei der Link auf den Correctiv-Text entfernt wurde.

Unter 5. wurden die Sätze: „Der Rechtsextreme Martin Sellner […] soll bei diesem Treffen einen Plan so genannten Masterplan für eine massenhafte Vertreibung von Ausländern, aber auch von Deutschen mit Migrationshintergrund, vorgestellt haben. Sellner sprach danach von Remigration, einem beschönigenden rechtsextremen Schlagwort. Gemeint sind damit häufig Massendeportationen als Gegenmaßnahme zu einem so genannten Großen Austausch der Bevölkerung, den nach dieser Verschwörungserzählung die politischen Eliten durch Einwanderung gezielt herbeiführen wollen.“, durch die folgenden Sätze ersetzt: „Der Rechtsextreme Martin Sellner […] soll bei diesem Treffen Pläne zur Herbeiführung einer massenhaften Remigration vorgestellt haben. In rechtsextremistischen Kreisen sind mit diesem beschönigenden Schlagwort häufig Gegenmaßnahmen zu einem so genannten Großen Austausch der Bevölkerung gemeint, den nach dieser Verschwörungserzählung die politischen Eliten durch Einwanderung gezielt herbeiführen wollen.“ Zur Debatte über den Correctiv-Bericht siehe auch hier und (kostenpflichtig) hier.


SUGGESTED CITATION  Hong, Mathias: Grundrechtsverwirkung und Parteiverbote gegen radikale AfD-Landesverbände (Teil I), VerfBlog, 2024/2/06, https://verfassungsblog.de/grundrechtsverwirkung-und-parteiverbote-gegen-radikale-afd-landesverbande-i/, DOI: 10.59704/ba29fe8fde631262.

8 Comments

  1. Michael Schneider Tue 6 Feb 2024 at 20:42 - Reply

    Mich erstaunt immer wieder, wie man im NPD-Urteil von 2017 eine Einengung des Begriffs der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGO) erblicken kann. Tatsächlich dürfte wohl eher das Gegenteil der Fall sein: Während die frühere Rechtsprechung einen zumindest halbwegs konkreten Katalog der Inhalte der fdGO aufgestellt hatte, wird nunmehr auf drei Grundprinzipien rekurriert, die trotz ihrer zentralen Stellung in der Verfassungsordnung hinsichtlich ihres genauen Bedeutungsgehalts im Detail mitunter sehr umstritten sind. Insbesondere der wenig präzise Begriff der Menschenwürde führt zu Unschärfen und lädt zu einer (im Kontext der wehrhaften Demokratie illiberalen) exzessiven Auslegung ein.

    Das zeigen auch die hier angeführten Beispiele: Wenn schon eine “ablehnende Haltung” (wohlgemerkt: “Haltung”, also noch nicht einmal eine konkrete Benachteiligung) gegenüber Transsexuellen eine Verletzung der Menschenwürde sein soll, ist dies eine massive Ausweitung des Begriffs der fdGO. Es erscheint kaum vorstellbar, dass das BVerfG in früheren Jahrzehnten ebenso entschieden hätte (vgl. nur als extremes Gegenbeispiel BVerfGE 6, 389). Auch die Rückführung (in der aktuellen Terminologie: Remigration) eines erheblichen Teils der Gastarbeiter in ihre Heimatländer war bis in die Achtzigerjahre politisch gewünscht (vgl. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/kohl-wollte-jeden-zweiten-tuerken-in-deutschland-loswerden-a-914318.html) und wäre wohl kaum als verfassungsfeindlich angesehen worden. Gleiches gilt für das Vorhaben des damaligen CSU-Innenministers Friedrich Zimmermann, die “Homogenität der Gesellschaft” vor einer “Überschwemmung” zu schützen (https://www.spiegel.de/politik/bis-an-die-grenzen-innenminister-zimmermann-plant-a-fe51c264-0002-0001-0000-000013531904). Über derartige Vorhaben wurde früher kontrovers diskutiert, was natürlich auch scharfe Kritik in der Sache mit einschloss. Heute rufen interessierte Kreise lieber nach Parteiverboten und Grundrechtsverwirkungen.

    Das alles zeigt, wie sich die Maßstäbe verschoben haben. Verantwortlich hierfür ist zunächst das BVerfG mit seiner Verunklarung des Begriffs der fdGO. Verantwortlich sind aber auch eifrige Professoren, Verfassungsschutzmitarbeiter und VG-Richter, die durch eine kreative und immer weitergehende Auslegung des Begriffs der Menschenwürde die Grenzen des Sagbaren immer weiter einengen. Für Freiheit und Demokratie bedeutet dies nichts Gutes.

    • Johannes Baum Wed 7 Feb 2024 at 14:08 - Reply

      Sehr geehrter Herr Schneider,

      erlauben Sie mir nur eine Anmerkung in tatsächlicher Hinsicht (nebenbei: was nicht heißt, dass ich Ihnen im Übrigen zustimme; insbesondere halte ich mit Prof. Hong die jüngere Rspr. zum Begriff der fdGO sehr wohl für eine – überzeugende – Einengung):

      Bis in die Achzigerjahre war ein erheblicher Teil der “Gastarbeiter” nicht im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Zumindest mir als Nachgeborenem ist nicht bekannt, dass es damals Forderungen aus den Reihen der CDU/CSU gegeben hätte, die auf die Deportation deutscher Staatsangehöriger nach außerhalb des Bundesgebiets abzielten.

      Und nur auf die Staatsangehörigkeit kommt es an, wie das BVerfG in seinen Ausführungen zur Verfassungsfeindlichkeit eines ethnischen Volksbegriffs im 2. NPD-Urteil überzeugend dargelegt hat.

      Mit freundlichen Grüßen

  2. Edward Wed 7 Feb 2024 at 09:56 - Reply

    Sehr geehrter Herr Prof. Hong,

    vielen Dank für Ihren Beitrag!

    Sie schreiben: ” und drittens engt die Verfassungstreuepflicht nicht nur das politische Antragsermessen für solche Anträge um so stärker ein, je klarer ihre Voraussetzungen erfüllt sind”.

    Meine Frage ist, ob das allgemein gilt (also auch für (klar) verfassungswidrige Gesetze) oder nur in diesem, politisch opportunen Fall?

    Vielen Dank und beste Grüße

    • schorsch Wed 7 Feb 2024 at 17:06 - Reply

      ihr Kommentar disqualifiziert sich selbst, weil sie augenscheinlich weder den unterschied zwischen freiheitlich demokratischer grundordnung und grundgesetz noch den unterschied zwischen verfassungsFEINDLICHKEIT und verfassungWIDRIGKEIT verstanden haben.
      verfassungswidrige gesetze verstoßen gegen die geltende verfassung, wollen sie aber nicht beseitigen. sie sind per definition rechtswidrig.
      verfassungsfeinde richten sich gegen die geltung der zentralen grundprinzipien der verfassung (freiheitlich-demokratische grundordnung) und wollen diese beseitigen. selbst wenn sie dieses ziel auf rechtmäßige weise verfolgen, bleiben sie verfassungsfeinde.

      der punkt ist: das sind zwei vollkommen verschiedene paar schuhe. die beamtenrechtliche verfassungstreuepflicht verlangt, dass beamten für die freiheitlich-demokratische grundordnung eintreten, also gegen verfassungsfeinde. mit verfassungswidrigen gesetzen hat das schlichtweg nichts zu tun.

      (that being said: ich halte das mit der ermessensreduzierung & verfassungstreue für ziemlichen unsinn. ich hatte vor einigen wochen mal – als witz – einen entsprechenden kommentar unter den text von fischer-lescano geschrieben, um dessen argumentation ad absurdum zu führen, und musste entsprechend schmunzeln, als ich das hier im blogpost in ernstgemeinter form wiederfand.)

      • Edward Thu 8 Feb 2024 at 07:24 - Reply

        vielen Dank für ihre Erläuterungen. Ich verstehe, dass ein verfassingswidriges Gesetz nicht verfassungsfeindlich sein kann, weil es verschiedene Kategorien sind. Wenn also ein einfaches Gesetzt (vin mir auch eine GG Änderung) zB darauf gerichtet ist das Demokratieprinzip oder den Föderalismus zu beseitigen ist es lediglich verfassungswidrig und nicht verfassungsfeindlich, da zwei verschiedene Kategorien.

        Noch kurz zur Treuepflicht: Herr Prof. Hong sprach in seinem Beitrag von Bundestag und Bundesrat als Antragsteller (deren Mitglieder ein eingeschränktes Ermessen haben sollen). Handelt es sich dabei um Beamte?

        Vielen Dank und beste Grüße
        Edward

  3. Remy Gantenhausen Wed 7 Feb 2024 at 10:15 - Reply

    Das sind ja tollste totalitäre Phantasien, die hier unter dem Deckmantel einer rechtswissenschaftlichen Abhandlung ausgebreitet werden. Nun, jeder so, wie er möchte. Mit Wissenschaft hat das kaum noch etwas zu tun.

    • Postkartenverehrer Wed 7 Feb 2024 at 17:40 - Reply

      Ich bin ganz der Meinung von Remy Gantenhausen vom Wed 7 Feb 2024 at 10:15.

      Oppositionelle mit einer Grundrechtsverwirkung auszuschalten und das ernsthaft als rechtswissenschaftlicher Demokrat im Range eines Prof. Dr. zu vertreten, ist für mich in keinster Weise nachvollziehbar.

      Dass Personen wie Höcke solche Aufmerksamkeit genießen ist das Ergebnis des absoluten Politikverdrusses der Bevölkerung. Dieses Problem muss politisch gelöst werden und nicht mit Schützenhilfe über die Justiz.

  4. Thomas Faelligen Wed 7 Feb 2024 at 14:08 - Reply

    Sehr geehrter Herr Hong,
    ich würde bereits mit Ihrer zweiten These nicht mitgehen.
    Keine Verfassung der Welt kann faktisch verhindern, dass verfassungsvergessene Mehrheiten sie abschaffen.

    Ich bin daher nicht sehr zugänglich für das Bild der “streitbaren Demokratie”, das im wesentlichen bedeutet, dass man den Feinden der Verfassung den Schutz entzieht, den ihnen ebendiese Verfassung gewährt.

    Ich halte das Missbrauchspotential dieser Streitbarkeit – der politische Gegner wird mal eben zum Verfassungsfeind erklärt – und den Reputationsschaden, den die Verfassung durch einen solchen Missbrauch erleiden kann, für sehr hoch. Im Gegenzug glaube ich nicht daran, dass man eine verfassungsvergessene Mehrheit, ja nicht einmal eine bedeutende Minderheit mit Mitteln der streitbaren Demokratie wirksam bekämpfen könnte.

    Ich denke aber auch nicht, dass sich derzeit wirklich ein so großer Teil der Bevölkerung von der Verfassung abgewandt hat.

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