Grundrechtsverwirkung und Parteiverbote gegen radikale AfD-Landesverbände (Teil I)
Das demokratische Haus in Deutschland brennt. Es ist höchste Zeit, die Instrumente der streitbaren Demokratie gegen Landesverbände der AfD einzusetzen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig sind, wie die in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Warum die Voraussetzungen für Grundrechtsverwirkung und Parteiverbot dort vorliegen, und die Verfassungstreue es auch verlangt, diese Anträge zu stellen, werde ich in diesem dreiteiligen Beitrag1) begründen (von dem Teil II und Teil III in den nächsten Tagen erscheinen werden).
Drei Thesen zu Grundrechtsverwirkung, Parteiverbot und Verfassungstreue
1. Der Beitrag stellt drei Thesen zu Grundrechtsverwirkung, Parteiverbot und Verfassungstreuepflicht auf:
Erstens sollte so schnell wie möglich beim Bundesverfassungsgericht ein Antrag auf Grundrechtsverwirkung mit Ausschluss von Wählbarkeit und Ämtern für einige herausgehobene Führungspersonen solcher Landesverbände gestellt werden. Einen solchen Antrag kann, neben Bundestag und Bundesregierung, jede2) Landesregierung stellen.3)
Zweitens sollten Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung4) parallel dazu ein Parteiverbotsverfahren für diese Landesverbände vorbereiten und den ausgearbeiteten Antrag, nach Veröffentlichung, beim Bundesverfassungsgericht stellen.
Und drittens engt die Verfassungstreuepflicht nicht nur das politische Antragsermessen für solche Anträge um so stärker ein, je klarer ihre Voraussetzungen erfüllt sind, sondern verlangt auch von allen Amtsträger:innen, nicht zuletzt auch von der Staatsrechtslehre, sich stärker gegen diese Bedrohung der freiheitlichen Demokratie zu wenden, als das bislang vielfach geschieht. Die Verfassungstreue reduziert das Antragsermessen auf Null, wenn, wie hier, die Voraussetzungen hinreichend klar vorliegen und die zu erwartenden Nachteile die Vorteile eines Antrags jedenfalls nicht klar und eindeutig überwiegen.
In diesem Teil werde ich zunächst darlegen, warum eine Verwirkung mit Wählbarkeitsausschluss möglich ist und deren Voraussetzungen voraussichtlich auch erfüllt sind. Im zweiten Teil werde ich begründen, warum dies auch für ein Parteiverbot gilt, und dabei auch auf die Rolle der deutschen Staatsrechtslehre in der Debatte um einen „ethnischen“ Volksbegriff eingehen. Der dritte Teil wird die Reduzierung des Antragsermessens und die weiteren Folgerungen aus der Verfassungstreuepflicht begründen.
2. Das Grundgesetz versteht Demokratie nicht als reine Mehrheitsherrschaft, sondern versucht einer Selbstabschaffung der Demokratie durch verfassungsvergessene Mehrheiten entgegenzuwirken. Es stellt dafür Instrumente der streitbaren Demokratie bereit und verpflichtet alle Amtsträger:innen dazu, die freiheitliche demokratische Grundordnung aktiv gegen populistische Bedrohungen zu verteidigen.
3. Im September könnte die AfD bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg jeweils stärkste Kraft werden. In Umfragen steht sie dort derzeit bei etwa 30%. Das „wäre eine Erschütterung, wie sie die Bundesrepublik noch nie erlebt hat“, so zu Recht Nicolas Richter in der Süddeutschen Zeitung. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung betont Justus Bender, ebenso richtig: „Was im deutschen Osten passiert, ist genau das, was 1949 verhindert werden sollte, als das Grundgesetz geschrieben wurde. […] Das ist der Ernstfall, keine Übung.“
Auch wenn sich diese Umfrageergebnisse nicht realisieren sollten, bedrohen rechtsradikale Landesverbände der AfD Menschenwürde und Demokratie auch dann massiv, wenn sie „nur“ über 10% der Stimmen erzielen, von den schon jetzt etwa in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt erreichten etwa 20% bis 27% ganz zu schweigen.
4. Die Enthüllungen von „Correctiv“ am 10. Januar über dort vorgestellte Planungen zur Herbeiführung einer so genannten „Remigration“ veranschaulichen diese Bedrohungslage.
Die spontanen Massendemonstrationen gegen den Rechtsextremismus, die dieser Bericht ausgelöst hat, machen Hoffnung. Es ist aber zu befürchten, dass sie, trotz ihrer offenbar über 1,6 Millionen Teilnehmenden allein bis Ende Januar, jene um die 30% kaum oder gar nicht beeindrucken werden, die nach Umfragen weiterhin im Herbst für deutlich rechtsradikal ausgerichtete AfD-Landesverbände stimmen wollen.
Ethnischer Volksbegriff und Potsdamer Treffen zur „Remigration“
5. Eine wesentliche Grundlage für den Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit rechtsradikaler Landesverbände der AfD ist, dass sie ein mit Menschenwürde und Demokratieprinzip unvereinbares ethnisches Volksverständnis vertreten, das nach Abstammung zwischen Deutschen erster und zweiter Klasse, nämlich mit und ohne Migrationshintergrund, unterscheidet.
Nach dem „Correctiv“-Bericht vom 10. Januar sollen bei dem geheimen Treffen von Rechtsextremen am Lehnitzsee in Potsdam im November auch hochrangige AfD-Politiker anwesend gewesen sein, nämlich der AfD-Co-Fraktionsvorsitzende von Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, und der damalige persönliche Referent von Alice Weidel (der Bundessprecherin der AfD und Co-Vorsitzenden der Bundestagsfraktion), dessen Vertragsverhältnis allerdings wenige Tage nach dem Bericht aufgelöst wurde, angeblich aus davon unabhängigen Gründen. Auch ein weiterer Teilnehmer, der Sohn des Veranstalters Mörig, soll für den Bundesvorstand der AfD (für die Strategie in den sozialen Medien) gearbeitet haben und aus dem Budget der Bundessprecherin bezahlt worden sein (bevor auch dieses Beschäftigungsverhältnis im Anschluss an die Berichte beendet wurde).
Der Rechtsextreme Martin Sellner, Mitgründer und langjähriger Sprecher der „Identitären Bewegung Österreich“ soll bei diesem Treffen Pläne zur Herbeiführung einer massenhaften „Remigration“ vorgestellt haben. In rechtsextremistischen Kreisen sind mit diesem beschönigenden Schlagwort häufig Gegenmaßnahmen zu einem so genannten „Großen Austausch“ der Bevölkerung gemeint, den nach dieser Verschwörungserzählung die politischen Eliten durch Einwanderung gezielt herbeiführen wollen.
6. Verfassungsrechtlich bedeutsamer als dieses einzelne Treffen, das für den Befund der Verfassungsfeindlichkeit freilich ein wichtiges Puzzlestück sein kann, ist womöglich die Reaktion der AfD-Fraktionsvorsitzenden der fünf ostdeutschen Bundesländer darauf.
In einer gemeinsamen Erklärung vom 15. Januar unter dem Titel „Stellungnahme der Fraktionsvorsitzenden Ost zur Remigration“ heißt es unter anderem: „Remigration ist das Gebot der Stunde.“, und: „Deutschland muss wieder deutscher werden.“
Zwar wird dort eine „großangelegte Rückführungsinitiative“ nur für „illegale Einwanderer“ versprochen, aber es ist zugleich auch von „Anreize[n]“ die Rede, „nichtintegrierten Migranten“ die „Heimkehr zu ermöglichen“.
Im Kontext des Correctiv-Berichts ist die Strategie deutlich. Das unter Rechtsextremen geläufige Schlagwort der „Remigration“, das für einen ethnischen Volksbegriff gerade offen ist,5) wird von diesen Fraktionsvorsitzenden affirmiert, und soll, gerade ungeachtet seiner Mehrdeutigkeit, offenbar offensiv im Wahlkampf eingesetzt werden.
Auch ein Positionspapier des Bundesvorstands der AfD vom 31. Januar bekräftigt den Begriff, unter Bezugnahme auf seine Verwendung schon im Bundestagswahlprogramm 2021 und auch im Europawahlprogramm von 2024, und „definiert“ ihn als auf eine gesetzeskonforme „Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer“ bezogen. Er wiederholt zwar die (auch schon 2021 offiziell bekundete) Beteuerung, dass „die AfD“ keineswegs zwischen deutschen Staatsangehörigen mit und ohne Migrationshintergrund unterscheide. Auch dort werden freilich (nur) die „vielen gut integrierten Bürger mit Migrationshintergrund“ als „uns willkommen“ bezeichnet, was offenlässt, was das Papier von den aus seiner Sicht nicht gut integrierten Deutschen hält.
Massenaufruf „Höcke stoppen!“
7. Zunächst zur ersten These: Beim Bundesverfassungsgericht sollte so rasch wie möglich eine Grundrechtsverwirkung mit Ausschluss von Wählbarkeit und Amtsfähigkeit für verfassungsfeindliche Führungspersonen der AfD beantragt werden.
Für Björn Höcke, den Fraktionsvorsitzenden der AfD in Thüringen verlangen das offenbar auch mehr als 1,6 Millionen Menschen, die laut Campact den Aufruf „Höcke stoppen!“ unterstützten.
In diesem Teil des Beitrags werde ich zunächst untersuchen, ob ein solcher Ausschluss von Wahlen und Ämtern tatsächlich möglich ist und ob die Voraussetzungen für eine Verwirkung auch vorliegen.
Wer bestimmte Grundrechte, wie die Meinungsfreiheit, „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht“, „verwirkt“ sie, sagt Art. 18 Satz 1 GG. „Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.“, sagt Satz 2. Das Gericht kann die Verwirkung „auf einen bestimmten Zeitraum, mindestens auf ein Jahr, befristen“, wie § 39 I 2 BVerfGG bestimmt. Nach zwei Jahren kann es sie auf Antrag wieder aufheben oder abkürzen (§ 40 S. 1 BVerfGG).
8. Die Verwirkung selbst bedeutet noch kein6) Verbot der Grundrechtsausübung. Aber § 39 I 3 BVerfGG ermächtigt das Gericht außerdem dazu, „nach Art und Dauer genau bezeichnete Beschränkungen auf[zu]erlegen, soweit sie nicht andere als die verwirkten Grundrechte beeinträchtigen“.
Das Gericht könnte also etwa für einige Jahre die Ausübung der Meinungsfreiheit zur Teilhabe an der öffentlichen Willensbildung, insbesondere zur Unterstützung politischer Parteien, untersagen. Den Anforderungen des für solche Beschränkungen weiterhin geltenden7) Parlamentsvorbehalts genügt dies – jedenfalls für gerichtliche Beschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit nach § 39 I 3 BVerfGG – noch, wenn man die besondere prozedurale und demokratische Legitimation des Bundesverfassungsgerichts in Rechnung stellt.8)
Verfassungsmäßigkeit der Aberkennung der Wählbarkeit und des Amtsausschlusses
9. Die Befugnis, „auf die Dauer der Verwirkung“ auch „die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleid