21 June 2023
Blockierende Beamte?
„Als Polizistin bei der Letzten Generation“ – so betitelte ZEIT Online gestern einen Bericht über eine Hauptkommissarin, die in ihrer Freizeit die Letzte Generation unterstützt. Der Fall sorgt für Aufsehen – und rückt eine Frage in den Mittelpunkt, die in der bisherigen Diskussion über die Letzte Generation bislang keine Beachtung gefunden hat: Dürfen sich Beamt:innen für diese Bewegung engagieren? Continue reading >>
3
16 June 2023
Klebstoff als Lösungsmittel
Die Beratung und Abstimmung gerichtlicher Entscheidungen unterliegt in Deutschland nach § 43 DRiG der Geheimhaltung; dafür gibt es einige Gründe ebenso wie solche dagegen. Liest man manche Beschlüsse und Urteile, wünscht man sich jedenfalls bisweilen, man hätte (heimlich) zuhören können, um zu erfahren, ob die bei der Lektüre aufkommende Vermutung, die Entscheidung sei nicht einstimmig ergangen, tatsächlich berechtigt ist. So liegt der Fall mit Blick auf den Beschluss der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 31. Mai 2023 (Az.: 502 Qs 138/22), um eine juristische Floskel zu gebrauchen. Continue reading >>15 June 2023
Zum Gewalt-Begriff von § 113 StGB
Im Berliner Tagesspiegel wurde am Montag, den 12.6.2023 bekannt, dass das Landgericht Berlins in einem Verfahren gegen einen Aktivisten der „Letzten Generation“ zum ersten Mal gegen eine strafbare Nötigung entschieden hat. Der Beschluss, der ein differenziertes Vorgehen beim Nötigungstatbestand anmahnt, verdeutlicht vor allem eines: Der Instanzenzug beginnt. Interessant ist nicht nur die Argumentation des Gerichts in Bezug auf § 240 StGB, sondern auch, dass es stattdessen eine Verfolgung desselben Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB für angezeigt hält. Continue reading >>08 June 2023
Die „Letzte Generation”, die EMRK und das Strafrecht
Die Aktionen der „Letzten Generation“ haben den gesellschaftlichen und juristischen Diskurs der letzten Monate geprägt. So engagiert die juristische Diskussion jedoch geführt wird, so sehr verharrt sie ganz überwiegend noch im nationalen Recht. Die zuständigen deutschen Strafrichter:innen werden sich jedoch auch dem Blick nach Straßburg nicht entziehen können – die Blockadeaktionen der „Letzten Generation“ stehen unter dem Schutz der in Artikel 11 Abs. 1 EMRK kodifizierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Dieser Schutz steht einer strafrechtlichen Sanktionierung der Aktionen nicht grundsätzlich im Weg; eine Rückbesinnung auf die menschenrechtliche Dimension der Proteste kann und sollte aber ein Korrektiv für allzu ausgeartete Kriminalisierungs- bzw. Selbstjustizfantasien darstellen. Continue reading >>05 June 2023
Die “Letzte Generation” in staatlichen Schulen?
Die Aufregung in Medien und Politik war ebenso groß wie schnell verflogen. Vertreter*innen der "Letzten Generation vor den Kipppunkten", so wurde berichtet, wollten an Schulen aktiv werden und Schüler*innen für Aktionen mobilisieren. Zum Glück trafen sie damit aber auf den „klaren Widerstand“ der Kultusminister*innen, die sich mutig der „Rekrutierung“ entgegenstellen. In Hamburg forderte die CDU in der Bürgerschaft, dass den Schulen verboten wird, in irgendeiner Weise mit Aktivist*innen der Letzten Generation zusammenzuarbeiten. Sich pauschal gegen die Einladung von Vertreter*innen der „Letzten Generation“ auszusprechen verkennt gleichermaßen die Aufgaben von Schulen wie auch die rechtlichen Bedingungen für die Beteiligungsmöglichkeiten externer gesellschaftlicher Kräfte in der Schule. Continue reading >>04 June 2023
Ist der Umgang mit Klimaprotesten in Deutschland menschenrechtswidrig?
Wegen der in vielen Staaten der Welt zunehmenden Repressionen gegenüber friedfertigen Protestbewegungen, die vor allem auf Sitzblockaden zurückgreifen, hatten der UN-Menschenrechtsausschuss und auch der UN-Sonderberichterstatter sich in den letzten beiden Jahren wiederholt zu den menschenrechtlichen Standards im Umgang mit störenden Protestformen geäußert. Die dort identifizierten Gefahren für das Menschenrecht auf Versammlungsfreiheit sind auch für die deutsche Situation aufschlussreich. Continue reading >>02 June 2023
Gesetz ist Gesetz?
Seit den Hausdurchsuchungen in 15 Wohnungen von Mitgliedern der „Letzten Generation“ hat sich die öffentliche Diskussion um die Aktionen der Gruppe noch einmal intensiviert. Im Zentrum steht dabei der Begriff des „Zivilen Ungehorsams“. Obwohl das dahinterstehende Konzept auf viel, auch auf viel berechtigte, Kritik stößt, möchte ich zeigen, dass „ungehorsames“ Protestverhalten die Funktion erfüllt, Ungleichgewichte in den Möglichkeiten politischer Einflussnahme auszugleichen. Ziviler Ungehorsam kann dabei eine integrative Funktion erfüllen; er kann aber auch die diskursiven Verhältnisse aufbrechen und zu gesellschaftlichen und politischen Veränderungen anstoßen. Zudem zeichnet er sich dadurch aus, dass er Visionen einer normativen Zukunft entwickelt und insofern einen Beitrag zur Entwicklung der politischen Gemeinschaft und ihrer Verfassung leistet. Die weltweit zunehmende Kriminalisierung von Protestaktionen missachtet diese demokratische und rechtsstaatliche Bedeutung zivilen Ungehorsams. Continue reading >>30 May 2023
Aus der Mottenkiste politischer Theorie
Die aus der Mottenkiste der politischen Theorie entliehene Figur des „zivilen Ungehorsams“ in ihrer schillernden Unbestimmtheit ist kein grundrechtsdogmatisch plausibles Argument. Es gibt keine habermaskonforme Auslegung des Grundgesetzes. Ein dysfunktionales Einsickern in das Vokabular der Verhältnismäßigkeit wäre folgenreich und hat das Potential, die Mechaniken angemessenen Interessenausgleichs auszuhebeln, auf den wir alle gerade dann angewiesen sind, wenn wir erfolgreich die Wende in die Klimaneutralität organisieren wollen. In Zeiten, in denen sich die Institutionen des liberal-demokratischen Rechtsstaats immer aggressiveren Anfechtungen ausgesetzt sehen und sich robust behaupten müssen, wird die durchsetzbare Verpflichtung aller Akteure auf die demokratische Legalität zu einem kostbaren Gut. Man sollte es keinem autoritären Illegalismus opfern. Continue reading >>26 May 2023
Manövrieren an den Grenzen des § 129 StGB
Die Ermittlungen wegen § 129 StGB gegen die Letzte Generation haben zu einem sehr frühen Zeitpunkt begonnen und stehen auf einer rechtlich alles andere als sicheren Grundlage. Die Strafverfolgungsbehörden manövrieren an der Grenze des Tatbestandes. Dies heißt aber auch, dass alle, die die Letzte Generation als Mitglied unterstützen, sich der Gefahr von Ermittlungsmaßnahmen aussetzen, also an der Grenze dessen agieren, was man sich selbst guten Gewissens zumuten möchte und kann. Schon die Ermittlungen wegen § 129 StGB haben damit eine prohibitive Wirkung. Continue reading >>26 May 2023