21 February 2011

Guttenberg und das anti-elitäre Ticket

Des Feldherrn zu Guttenbergs geklaute Diss regt die meisten Leute überhaupt nicht auf. Was die Leute aufregt, ist, wie jetzt auf dem armen Mann herumgehackt wird.

Das ist mir übers Wochenende, nach einigen Gesprächen im Bekanntenkreis und Lektüre der Bildzeitung und drei Dutzend Kommentaren dieser Stoßrichtung hier im Blog, doch ziemlich klar geworden.

Es ist schon was dran: Der Plagiats-Vorwurf gegen Guttenberg ist zutiefst elitär, ein Debattierthema von Akademikern für Akademiker. Für eine Frisöse, für einen Altenpfleger, für einen Investmentbanker ist nicht mehr als eine Petitesse von ungefähr der gleichen Tragweite, als hätte Guttenberg beim Abitur gespickt.

Das muss man sich klar machen.

Heißt das, dass ich mich jetzt schäme und sage, ich seh’s ein, alles halb so schlimm?

Im Gegenteil. Jetzt wird mir erst richtig gruselig.

Veränderte Machtbasis

Zu dem Vorgang selbst ist schon alles gesagt: Guttenberg hat sich einen Summa-Doktor umhängen lassen (von Häberle, no less, da komm ich echt schwer drüber weg) dafür, dass er 400 Seiten Textbausteine zusammengeleimt hat. Er hat allem Anschein nach gelogen und betrogen und seine Privilegien als Abgeordneter missbraucht und das ehrwürdige Verfahren, in dem die Wissenschaft ihren Forschernachwuchs heranzieht, der Lächerlichkeit preisgegeben.

Dass das Ganze den Anschein erweckte, den Erkenntnisstand zum Thema “Verfassung und Verfassungsvertrag” voranzutreiben – das erbittert den Verfassungsblogger noch einmal extra.

Aber jetzt zu den Folgen: Ich glaube nicht, dass Guttenberg jetzt schwächer ist als vorher, eher das Gegenteil. Ich glaube aber, dass seine Machtbasis sich verändert hat, und zwar auf eine Weise, die nichts Gutes verheißt.

Die Empörung all der vielen Leute, die in den Attacken auf den Plagiator Guttenberg nur den elitären Versuch sehen, “unseren besten Mann kaputt zu machen”, ist für Guttenberg ein ungeheuer wertvolles politisches Kapital.

Das Modell Sarah Palin

Sarah Palin in den USA macht es vor, welche unglaublichen Erfolge man mit diesem anti-elitären Ticket einfahren kann: Jeder Professor, der ihr Irrtümer und Fehlschlüsse nachweist, jeder Journalist, der sie als ahnungslos und bescheuert und totalen Blindgänger entlarvt, macht sie nur stärker. Je massiver und anspruchsvoller die Kritik, desto klarer liegt für ihre Anhänger auf der Hand: Die da oben wollen sie nur fertig machen. Also halten wir da unten um so mehr zu ihr.

Dieses anti-elitäre Ticket ist jetzt für Guttenberg reserviert.

Vielleicht will er es gar nicht? Vielleicht missfällt ihm der Palin-Stil? Egal. Guttenberg ist ein Geschöpf der CSU. Die steht mit dem Rücken zur Wand, ihr Vorsitzender Seehofer ist schwach und unbeliebt, die Partei voller Selbstzweifel. Guttenberg war und ist der Einzige, der ihr Hoffnung gibt.

Wenn die akademische Elite ihm künftig tendenziell mit zugehaltener Nase begegnet, dann hat das nur zur Folge, dass die akademische Elite für die CSU an Bedeutung verliert. Dann muss sie das an anderer Stelle kompensieren.

Und was liegt für eine Partei, die dem Rechtspopulismus auch so schon nicht allzu fern steht, näher, sich dafür des anti-elitären Tickets zu bedienen?

Elite: aber sicher

Ist Guttenberg denn nicht selber Elite? Klar, und wie: Dirigentensohn, Staatsministerenkel, Schlossbewohner, Bismarcknachkommin-Heirater, Rhönklinikum-Erbe, Ignaz-Günther-Gymnasiums-Abiturient – recht viel elitärer geht’s gar nicht mehr.

Aber für eine erfolgreiche Anti-Eliten-Politik war eine elitäre Herkunft noch nie ein Hindernis. Dafür gibt’s von Julius Cäsar bis George W. Bush genügend Beispiele.

Aber sich gegen die elitäre Minderheit zu positionieren – ist das nicht irgendwie auch demokratisch?

Nein, im Gegenteil.

Ich bin ein glühender Demokrat. Aber ich glaube kein bisschen daran, dass “das Volk” immer auch das Recht auf seiner Seite hat. Demokratie heißt nicht, dass 50 Millionen besser wissen, was gut und richtig ist, als 50.000. Demokratie ist nicht die Herrschaft der Vielen über die Wenigen.

Demokratie ist ein Mittel zum Zweck, die Freiheit zu gewährleisten. Sie gewährleistet, dass die Inhaber von Macht nur begrenzt ihre Macht dazu einsetzen können, an der Macht zu bleiben. Das ist es, wofür mein Demokratenherz pocht (ebenso wie das der Demonstranten vom Tahrir-Platz übrigens).

Gerade deshalb gibt es wenig Undemokratischeres als ein Mächtiger, der sich unmittelbar auf den Willen des Volkes stützt statt auf das Recht.

Natürlich weiß ich nicht gewiss, ob Guttenberg sich tatsächlich in diese Richtung aufmachen wird. Aber wenn er es tut, dann liegt er jedenfalls im Trend:

Mir fallen von Sarkozy über Berlusconi bis Orbán ohne Ende konservative Politiker mit starker viriler Ausstrahlung ein, deren Erfolgsrezept darin besteht, dass sie es verstehen, mit einer Mehrheit der “einfachen Leute” ein kumpelhaftes Einverständnis darüber herzustellen, dass diesen kleinkrämerischen und verschlagenen Elite-Juristenköpfen da oben nicht zu trauen ist.

In Deutschland fehlte dieser Typus bisher. Vielleicht schon bald nicht mehr.


SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: Guttenberg und das anti-elitäre Ticket, VerfBlog, 2011/2/21, https://verfassungsblog.de/wenn-guttenberg-zurcktritt/, DOI: 10.17176/20181008-122914-0.

134 Comments

  1. Muriel Mon 21 Feb 2011 at 17:01 - Reply

    Kann ich aus eigener Erfahrung tendenziell untermauern. Gerade letzte Woche ein Gespräch zwischen zwei durchaus nicht dumme Leuten mitgehört, die sich einig waren, zu Guttenberg solle jetzt niedergemacht werden, weil er einer sei, der wirklich was verändere, und so.
    Tja.

  2. pirat Mon 21 Feb 2011 at 17:11 - Reply

    “Wenn das der Führer wüsste”. Dieser Trick hat in Deutschland leider noch immer funktioniert.

  3. Oliver Mon 21 Feb 2011 at 17:30 - Reply

    Eine sehr gelungene Analyse.
    Ich glaube allerdings, dass Guttenberg für die Menschen nicht die Anti-Elite repräsentiert, sondern ein Modell von Elite, nach dem man sich nach den Enttäuschungen durch die herrschende politische und wirtschaftliche Elite sehnt. Diesen Schein zu wahren, das versteht er sehr genau. Mit der gleichen Vehemenz probieren aber auch die Menschen die Risse zu kitten, die sich in der Fassade des Herrn Guttenberg bilden. Spannend wird nun zu sehen sein, ob die Fassade einstürzt oder nicht.

  4. klaus baum Mon 21 Feb 2011 at 17:42 - Reply

    hallo max,

    stefan sasse verweist auf deine seite und deine überlegungen. was du im hinblick auf berlusconi sagst, kann ich durch ein gespräch mit dem italienischen inhaber einer eisdiele bestätigen.

    was guttenberg betrifft, so sehe ich das ein wenig anders: es geht um betrug, um polierte fassade à la potemkin – und an dieser guttenberg-geschichte wird deutlich, dass diese politikerschicht in nahezu allen belangen lügen, dass sich die balken biegen.

  5. Sassan Gholiagha Mon 21 Feb 2011 at 17:51 - Reply

    Wirklich sehr gute Analyse, interessanter Beitrag und spannend geschrieben!
    In dem Kontext vielleicht auch von Interesse (in eigener Sache quasi):
    http://www.theorieblog.de/index.php/2011/02/plagiarimus-und-der-fall-guttenberg-%E2%80%93-weit-mehr-als-ein-kavaliersdelikt/

  6. Totekadan Mon 21 Feb 2011 at 17:51 - Reply

    mit das beste, was ich über die ganze sache bisher gelesen habe. ich weise auch gerne darauf hin, wie stark die guttenberg-unterstützer.page auf facebook inzwischen ist: http://www.facebook.com/ProGuttenberg

  7. Ariane Mon 21 Feb 2011 at 17:58 - Reply

    Sehr interessante Analyse.

    Trotzdem bin ich nicht überzeugt, dass es wirklich so kommt, bzw Guttenberg das überhaupt könnte.
    Denn er kommt ja nicht nur aus der Elite, sondern hat bisher das ganze elitäre Tralala von Anstand, Gewissen, Verantwortung etc.pp. wie eine Monstranz vor sich hergetragen und es wurde ihm von den Medien auch ebendieser Stempel aufgedrückt.
    Ich weiß nicht, ob so eine 180grad-Wende von ihm selbst und den unterstützenden Medien möglich ist, allein seine Rhetorik müsste sich ja komplett ändern und als so der kumpelhafte Typ für Kleinbürger kann ich ihn mir schwer vorstellen. Wenn er das jetzt wirklich meint, aussitzen zu wollen/können/müssen, bin ich sehr auf seine nächsten Reden gespannt.

  8. f.luebberding Mon 21 Feb 2011 at 18:03 - Reply

    Man sollte sich nicht in die Ecke des “Elitären”, in diesem Fall Denkfähigen, stellen lassen. Das ist die Masche dieser PR Maschine auf Facebook. Guttenberg hat kein einziges Argument auf seiner Seite – und wird nur noch aus politischem Kalkül im Amt gehalten.

  9. Jan Mon 21 Feb 2011 at 18:06 - Reply

    Der Palin-Vergleich ist eine interessante Perspektive, trägt aber nur begrenzt. Denn dazu müsste Guttenberg ja auch von Nationalismus über Anti-Islamismus, Anti-EU bis hin zur Klimafrage entsprechende Stammtisch-Haltungen repräsentieren. Tut er aber gar nicht. Im Gegenteil, seine Bundeswehrreform scheint mir ziemlich modern und rational. Er hat also bislang diese populistische Schiene noch gar nicht gefahren. Aber es stimmt, dass