Prostitution verkauft sich (auch mit Verbot)
Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, eine allgemeine Freierstrafbarkeit einzuführen, ist heute Gegenstand einer öffentlichen Sachverständigenanhörung im Familienausschuss des Bundestages. Im Hinblick auf das Ziel, Menschenhandel und Zwangsprostitution einzudämmen, erscheint der Vorschlag nachvollziehbar. In der rechtlichen Umsetzung bedeutet er aber auch eine deutliche Zusatzbelastung für die Justiz - und nicht unbedingt eine Verbesserung der Bedingungen für die in der Prostitution tätigen Personen. Für eine Änderung der Lage sollte vielmehr in den Ausbau von Beratungsangeboten und die Durchsetzung bestehender Straftatbestände investiert werden.
Continue reading >>ByteDance v. Commission
The Digital Markets Act (DMA) is a revolutionary tool to regulate EU digital markets, it complements competition law by imposing ex ante obligations on the largest digital undertakings. The General Court judgement in the ByteDance case was the first test of the limits of this expediated enforcement and resulted in a remarkable win for the Commission. The Court dismissed ByteDance’s appeal against the European Commission’s decision to designate ByteDance with its social network TikTok as gatekeeper under the DMA.
Continue reading >>„Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft“ meets Grundrechte
Wo wirtschaftliche Macht im Wettbewerb missbraucht wird, greift das Kartellrecht ein. Dass der Missbrauch wirtschaftlicher Macht neben Einschränkungen des Wettbewerbs auch zu Grundrechtsverletzungen führen kann, hat im deutschen Kartellrecht bisher selten eine Rolle gespielt. Dennoch hat das Landgericht Düsseldorf in einer aktuellen Entscheidung Grundrechte in die Wertung des Kartellrechts einbezogen – wenig überraschend ging es um Content Moderation. Das ist bemerkenswert und zeigt, dass das Kartellrecht im Rahmen seines Anwendungsbereichs sehr wohl Grundrechten zur Durchsetzung verhelfen kann.
Continue reading >>Wie obstruktiv kann die Minderheit sein?
Parlamentarische Obstruktion ist in den letzten Jahren in der deutschen Rechtswissenschaft ein wenig zum Modebegriff geworden. Dieser Trend mag in gewisser Weise schlicht dem Erstaunen und der Erschütterung darüber geschuldet sein, wie sich in vergleichsweise kurzer Zeit der Ton in deutschen Parlamenten verändert hat. Um das, was in der aktuellen Debatte gerne mit Obstruktion beschrieben wird, besser begreifen zu können, schlage ich daher eine analytische Trennung in drei Phänomene vor.
Continue reading >>Orwell’sche Gleichgültigkeit und Europäische Demokratie
Stolz wurde am 9. Dezember 2023 verkündet, dass „der KI-Deal steht“ – so ließe sich die damalige Pressemeldung des Rates paraphrasieren. Mittlerweile ist allerdings Besorgnis im Hinblick auf die weitere Ausformung des erzielten Kompromisses angebracht. Nachdem die Institutionen bei einem langwierigen letzten Treffen innerhalb der Trilog-Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission zu einem „provisional agreement“ fanden, das den langen wie gewundenen Weg der (angeblich) „weltweit ersten“ KI-Regulierung zu einem Ende bringen könnte, scheint sich der für Ende Januar erwartete konkrete Textentwurf des AI Acts in mehrerlei Hinsicht von den dortigen Festlegungen zu entfernen. In der Sache lassen sich gewichtige rechtliche Einwände gegen den konkreten Regulierungsansatz vorbringen; noch schwerwiegender lastet allerdings das bedeutsame wie kritische Defizit der demokratischen Legitimierung dieser wichtigen regulatorischen Entscheidung auf den aktuellen Entwicklungen des AI Acts.
Continue reading >>The Economic Distortions of the Federal Constitutional Court’s Debt Brake Decision
Germany is not facing a debt crisis, but rather a serious budget crisis triggered by the ‘debt brake’ ruling of the Federal Constitutional Court (FCC). This crisis is deeper than the 60 billion in unused "Corona debts" being shifted to a climate fund, as reported in the media. More fundamentally, the court has mandated that the federal budget strictly adhere to the "principle of annuality" (Jährlichkeit). This is the most significant impact of the court's ruling, and from an economic perspective, it is quite perplexing.
Continue reading >>Halbwegs raus aus dem Hinterzimmer
Wenn der Deutsche Bundestag heute in erster Lesung über den Entwurf für ein Stiftungsfinanzierungsgesetz (BT-Drs. 20/8726) berät, setzt der Gesetzgeber zum Schlussspurt in einem eigenverschuldeten Wettlauf gegen die Zeit an. Hinter der Ziellinie wartet gewiss (mindestens) eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, dessen verfassungsrechtliche Kontrolle der Gesetzestext nicht bestehen dürfte. Umso mehr überrascht die Planlosigkeit, mit der die politischen Akteure die vergangenen Monate haben verstreichen lassen.
Continue reading >>Entscheidungen in eigener Sache – eine analytische Skizze
Entscheidungen in eigener Sache sind Akte der Selbstbestimmung. Zum Problem werden sie erst dann, wenn sie auch andere betreffen, wenn sie zugleich auch Entscheidungen über andere darstellen. Dies ist regelmäßig der Fall bei Entscheidungen der organisierten Staatlichkeit. Diese beanspruchen Verbindlichkeit gegenüber ihren Adressaten, sie stellen einen Gehorsamsanspruch an diese. Solche verbindlichen Entscheidungen begründen ein Legitimationsproblem.
Continue reading >>Parlamentarische “Entscheidungen in eigener Sache”
Demokratische parlamentarische Entscheidungen beruhen in einer idealtypischen Perspektive darauf, dass das Gemeinwohl durch den deliberativen politischen Prozess herausgearbeitet und verwirklicht wird. Anders als im Bereich der Administrative und Judikative soll die Gemeinwohlorientierung hier also gerade nicht durch eine Entpolitisierung, sondern umgekehrt durch eine umfassende Politisierung erreicht werden. Aufgrund der Pluralität des Gremiums sollen sich dabei die gegenläufigen politischen Interessen ausgleichen und insgesamt zu einem gemeinwohlförderlichen Ergebnis führen. Dieses Modell der Gemeinwohlfindung im politischen Prozess kommt jedoch an seine Grenzen, wenn nicht über allgemeine gesellschaftliche Fragen, sondern spezifisch über die Bedingungen des politischen Systems selbst verhandelt wird.
Continue reading >>Geldsäcke im Parlament?
Die BGH-Entscheidung zu den „Maskendeals“ hat – wieder einmal – gezeigt, dass der Straftatbestand der Mandatsträgerkorruption (§ 108e StGB) dringend reformbedürftig ist. Die politischen Zeichen hierfür stehen günstig, schließlich wollen die Regierungsfraktionen ausweislich ihres Koalitionsvertrags „den Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung und -bestechlichkeit wirksamer ausgestalten.“ Wir plädieren dafür, einerseits § 108e StGB partiell zu entschärfen (speziell im Hinblick auf Kommunalpolitiker), andererseits aber ergänzende Strafvorschriften einzuführen, die sich an die etablierten Strukturen des allgemeinen Korruptionsstrafrechts und die bereits geltenden Zuwendungsverbote des § 44a AbgG anlehnen.
Continue reading >>Nun sag’, wie hast du’s mit Kaiserreich und Kolonialismus?
Einmal mehr stehen die sogenannten Benin-Bronzen im Mittelpunkt kulturpolitischer Streitgespräche. Die Feuilletons der beiden größten deutschen Tageszeitungen schlugen unabhängig voneinander einen Bogen von Benin City nach Berlin, indem sie die Frage der Rückgabe der Benin-Bronzen mit den Forderungen nach Ausgleichsleistungen der vormals das Königreich Preußen regierenden Familie in Verbindung brachten. Diese Verknüpfung der beiden womöglich am kontroversesten diskutierten Restitutionsfälle der jüngeren deutschen Geschichte wirft eine handvoll Fragen auf.
Continue reading >>Restitution, light?
Wieder einmal wird über die sogenannten Benin-Bronzen debattiert. Die problematische Herkunft der in einem kolonialen Raubzug erbeuteten Kunstartefakte und die Frage ihrer Restitution sorgten bereits in der Vergangenheit für Diskussionen. Als die Bundesregierung letztes Jahr schließlich die ersten Bronzen an den nigerianischen Staat übergab, schien die Auseinandersetzung beendet. Happy End für alle: Die Deutschen wagen einen Schritt Richtung kolonialer Wiedergutmachung und die Nigerianer erhalten wertvolles Kulturerbe zurück. Nun aber bekommt das Bild der Win-Win-Situation Risse.
Continue reading >>Google zähmen
Das Bundeskartellamt versucht sich an der Zähmung des Datenkraken Google und zeigt, dass es trotz europäischer Regulierung weiterhin eine Vorreiterrolle im Kampf gegen die großen Digitalunternehmen einnehmen wird. Auf Grundlage des bisher kaum erprobten § 19a Abs. 2 GWB sollen Alphabet und Google Verbraucher*innen mehr Wahlmöglichkeiten bei der Einwilligung in das „Superprofiling“ geben. Damit zielt das Bundeskartellamt in das Herz des Geschäftsmodells der digitalen Giganten. Ob das gelingt, hängt maßgeblich davon ab, ob der für diesen Zweck geschaffene § 19a GWB in der Anwendung schlagkräftiger ist als das „alte“ Kartellrecht.
Continue reading >>Merkwürdiges und Bedenkenswertes bei der Wahlprüfung in Berlin
Die Wahlen zum Deutschen Bundestag im September 2021 wurden in Berlin zusammen mit Wahlen zum dortigen Abgeordnetenhaus und den Bezirksvertreterversammlungen durchgeführt, obendrein noch mit einem Volksentscheid gekoppelt. Das Wahlgeschehen war bekanntlich von erheblichen Pannen begleitet, das Wort „Chaos“ wird regelmäßig zur Beschreibung der damaligen Zustände in den Wahllokalen benutzt. Aber auch das ergangene Urteil und seine Begründung werfen etliche Fragen auf.
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