Philipp Sauter
Seitdem die Schuldenbremse durch das Bundesverfassungsgericht in seinem wegweisenden Urteil vom 15. November 2023 scharfgestellt worden ist, steht die Ampel vor der Herausforderung, einen Haushalt aufzustellen, der den Anforderungen des Klimaschutzes gerecht wird. Sowohl das Urteil als auch erste Reformüberlegungen wurden auf diesem Blog bereits kritisch erörtert (etwa hier und hier). Dieser Beitrag beleuchtet dagegen, inwieweit die Auslegung der Schuldenbremse durch das Bundesverfassungsrecht in einem Spannungsverhältnis mit Deutschlands Verpflichtungen aus dem internationalen Klimaschutzrecht steht. Dabei zeigen sich drei Konfliktlinien, die sich ohne eine Reform der Schuldenbremse noch vertiefen und zuspitzen werden.
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Luca Steinbeck
Bereits jetzt ist absehbar, dass die Hochwasserschäden in mehreren Bundesländern, insbesondere in Niedersachsen, hohe Wiederaufbaukosten nach sich ziehen werden. Auf die Frage, ob die aktuelle Situation ein abermaliges Aussetzen der Schuldenbremse rechtfertige (im Hinblick auf die Ahrtal-Flutkatastrophe 2021 unlängst auch von Robert Pracht diskutiert), stellte Regierungssprecher Steffen Hebestreit klar, dass sich der Bund – zu gegebener Zeit – „vor seiner Verantwortung nicht drücken“ werde, „wenn ein Schadensereignis von nationalem Ausmaß mit hohen Schadenssummen zu bewältigen wäre.“ Der vorausgehenden Frage, ob überhaupt eine Kompetenz des Bundes zur Finanzierung flutbedingter Wiederaufbauhilfe besteht, wurde in der aktuellen Debatte bislang nicht nachgegangen. Nach hier vertretener Ansicht muss dies auf Grundlage der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung in den meisten Fällen verneint werden.
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Simon Diethelm Meyer
Das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 hat die Bundesrepublik Deutschland über Wochen in Atem gehalten und die Ampel-Koalition in eine Krise gestürzt. Bei der bisherigen Diskussion wenig beleuchtet wurde die Frage, ob Bürger Verstöße gegen die Schuldenbremse im Wege einer Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG rügen können. Wendet man die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten Institute des Anspruchs auf Demokratie (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) und des intertemporalen Freiheitsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG) konsequent an, hat jeder Bürger einen grundrechtlichen Anspruch auf Einhaltung der Schuldenbremse. Diesen Anspruch kann jeder einzelne Bürger im Wege der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht durchsetzen. Eine solche „Schulden-Verfassungsbeschwerde“ könnte schon bald zu einem Haushaltsurteil 2.0 führen.
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Christine Landfried
Mit etwas zeitlichem Abstand werden die weitreichenden Folgen des Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichtes sichtbar. Das Urteil zeigt die Gefahren der Verfassungsgerichtsbarkeit für die Demokratie, die wir trotz der positiven Wirkung dieser Institution für die Herrschaft des Rechts im Blick behalten sollten. Die Gestaltungsfreiheit und Innovationskraft des demokratisch legitimierten Gesetzgebers können nämlich durch verfassungsgerichtliche Vorgaben zu sehr eingeengt werden. Die Politik verstärkt die Macht des Verfassungsgerichtes, wenn führungsschwache Regierungen auf Entscheidungshilfe aus Karlsruhe warten oder die Opposition unmittelbar nach einer Abstimmungsniederlage im Parlament ihre Politik mit verfassungsgerichtlichen Mitteln fortsetzt. Die Bundesverfassungsrichter wiederum tragen ihrerseits zu einer übermäßigen Verrechtlichung der Politik bei, wenn sie ihre Kompetenzen überschreiten.
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Jens Südekum
Germany is not facing a debt crisis, but rather a serious budget crisis triggered by the ‘debt brake’ ruling of the Federal Constitutional Court (FCC). This crisis is deeper than the 60 billion in unused "Corona debts" being shifted to a climate fund, as reported in the media. More fundamentally, the court has mandated that the federal budget strictly adhere to the "principle of annuality" (Jährlichkeit). This is the most significant impact of the court's ruling, and from an economic perspective, it is quite perplexing.
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Robert Pracht
Ausweislich der Statements in der Pressekonferenz vom 13.12.2023 will die Bundesregierung – vorbehaltlich eines gegenteiligen Prüfungsergebnisses – für das Haushaltsjahr 2024 eine Naturkatastrophe beziehungsweise außergewöhnliche Notsituation im Hinblick auf die Ahrtal-Flut 2021 in Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ausrufen. Die verfassungsrechtliche Analyse im Spiegel der Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil vom 15.11.2023 ergibt, dass eine solche Vorgehensweise nicht von Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG gedeckt ist.
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Ulrich K. Preuß
Ein Staat, dessen Regierung am Ende des Jahres nicht ein und aus weiß, wie sie einen verfassungsgemäßen Haushalt für das unmittelbar bevorstehende Folgejahr aufstellen kann, befindet sich in einer veritablen Staatskrise. Nein, was wir erleben, ist nicht lediglich die Krise einer Regierung und der sie tragenden Koalition – es handelt sich tatsächlich um eine Staatskrise. Bis nach Dubai in die Weltklimakonferenz der UN strahlte sie in den letzten Tagen aus, wo Zweifel an der deutschen Fähigkeit geäußert wurden, eingegangene oder angekündigte Verpflichtungen gegenüber der Weltgemeinschaft erfüllen zu können.
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Günter Frankenberg
Wer – als Gericht – strenge Maßstäbe an Gesetzesbegründungen anlegt, Darlegungspflichten verschärft und einer Regierung auf dem, weiß Gott, steinigen Weg zur Transformation der Wirtschaft in die Parade fährt, muss sich an diesen – seinen eigenen – Maßstäben messen lassen und eine von Kriterien geleitete, geordnete Präzisierung des Außergewöhnlichen einer Notlage vorlegen. Daran scheitert der Zweite Senat. Das wäre unter Umständen nicht weiter aufgefallen, hätte sich der Zweite Senat darauf verstehen können, wenigstens die Nichtigkeit des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes zurückzustellen und den Darlegungsangeboten der Regierung(smehrheit) zu Krisenkonnexität und Krisenbewältigung näher zu treten.
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Jakob Hohnerlein
Das Urteil des BVerfG vom 15.11.2023 zum Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 stellt die Ampelkoalition vor enorme Herausforderungen. Wichtige Förderprogramme zum Übergang in eine möglichst emissionsfreie Wirtschaftsweise sind akut gefährdet. Da ist es wenig verwunderlich, dass das Urteil auch kritische Reaktionen ausgelöst hat. Ich halte es im Ergebnis ebenfalls für bedenklich, dass schuldenfinanzierte Investitionen in den klimaverträglichen Umbau der Wirtschaft kategorisch ausgeschlossen werden. Ich sehe aber nicht, dass dieses Ergebnis auf der Ebene der Verfassungsinterpretation zu vermeiden gewesen wäre. Vielmehr wird deutlich, dass die Regelung des Art. 115 Abs. 2 GG dringend auf den Prüfstand gehört. Die Verfassung sollte die politischen Akteure nicht auf eine einseitige Sicht der Wirtschaftspolitik und ein verkürztes Verständnis von Generationengerechtigkeit festlegen.
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Lennart Laude, Nicolas Harding
Die neuen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse dürften viele Landeshaushalte in Schwierigkeiten bringen. Eine Analyse verschiedener Landeshaushalte zeigt darüber hinaus, wie beliebig die demokratischen Parteien je nach Regierungs- oder Oppositionsrolle mit der Schuldenbremse umgehen. Besteht die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Fassung fort, führt das für die Länder zu Jahren verfassungsgerichtlicher Streitigkeiten und unsicherer Haushalte.
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Lukas Märtin, Carl Mühlbach
Am 15. November 2023 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zum ersten Mal über die Vorschriften der Schuldenbremse im Grundgesetz entschieden. Das nun ergangene Urteil verdeutlicht erneut, dass die aktuelle Ausgestaltung des Staatsschuldenrechts in eine finanzrechtliche, vor allem aber finanzpolitische Sackgasse führt. So setzt sich im Urteil durch die restriktive Auslegung der Schuldenbremse die Entpolitisierung des parlamentarischen Haushalts- und Budgetrechts, die „Königsdisziplin des Parlaments“, fort. Daneben beschränkt das Urteil auf erhebliche Art und Weise die Handlungsfähigkeit des Staates und versetzt auch der Wehrhaftigkeit der Demokratie einen Dämpfer. Letztlich ist die Schuldenbremse, wie sie sich nun durch das Urteil darstellt, ein Todesstoß für politisches Denken in langfristigen Zusammenhängen – obgleich dieser Gedanke vom BVerfG erst vor zwei Jahren im sogenannten Klima-Beschluss prominent angebracht wurde.
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Lennart Starke
Das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts erweist der politischen Handlungsfähigkeit und der Generationengerechtigkeit einen Bärendienst. In enger Auslegung der Haushaltsverfassung schränkt es die Möglichkeitsräume langfristig ausgerichteter Politik ein, ohne einen Kompromissweg vorzuzeichnen. Die Richterinnen und Richter haben die Chance verpasst, die haushaltsverfassungsrechtliche Dogmatik in Anknüpfung an den Klimabeschluss – wohlgemerkt des Ersten Senats – fortzuentwickeln und Leitplanken für das Verhältnis von Klimaschutz und Haushaltsverfassung zu formulieren. Das Urteil lässt sowohl Fingerspitzengefühl als auch Weitsicht vermissen, die ein so sensibles Thema wie die Generationengerechtigkeit im Gesamtgefüge verfassungsrechtlicher Normen insbesondere in von Umbrüchen geprägten Krisenzeiten erfordert.
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David Schwarz
Das Verfahren um den zweiten Nachtragshaushalt 2021 gab dem Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit, grundlegende Fragen des Finanzverfassungsrechts rund um die Schuldenbremse zu klären. Die Entscheidung, das Gesetz zu kassieren, war die juristisch einzig richtige ‒ und beraubt die deutsche Politik einer schützenden Selbsttäuschung.
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Till Valentin Meickmann
Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig. Das hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts heute in einem wegweisenden Urteil festgestellt. Das Gericht hat das Nachtragshaushaltsgesetz 2021 überzeugend aus drei Gründen für nichtig erklärt. Erstens ist der Veranlassungszusammenhang zwischen der Neuverschuldung und daraus zu finanzierenden Maßnahmen nicht hinreichend dargelegt und begründet worden, zweitens stehen die Haushaltsgrundsätze der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit der faktisch unbeschränkten Übertragung von Kreditermächtigungen auf kommende Haushaltsjahre entgegen und drittens können Nachtragshaushalte nicht rückwirkend erlassen werden.
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