Dann kommt die Polizei
In einem Bericht der israelischen Zeitung Haaretz über die aufgelöste Nakba-Demonstration auf dem Berliner Oranienplatz am letzten Wochenende wird ein Sprecher der Berliner Polizei mit folgender Äußerung zitiert:
Explaining their entry into the crowd, Halweg said that “during the permitted demonstration, the phrase ‘From the river to the sea, Palestine will be free’ – which is banned in Germany – was shouted. The person shouting was arrested by the police. Preliminary proceedings were initiated against the man on suspicion of using signs and symbols of unconstitutional and terrorist organizations.”
Banned in Germany? Das war mir neu. Ich habe gestern nachmittag der Pressestelle des Berliner Polizeipräsidiums eine Mail geschickt mit der Frage, ob das Zitat korrekt ist, und wenn ja, auf welche Rechtsgrundlage dieser Satz verboten sein soll und von welcher verfassungswidrigen und terroristischen Organisation da die Rede ist. Heute früh um 7 Uhr hat Herr Halweg mich angerufen und mir ausdrücklich bestätigt: Ja, das Zitat sei absolut korrekt und die Rechtsgrundlage sei § 86a StGB. Ah, habe ich schlaftrunken gesagt. So ist das. Verstehe. Danke sehr!
§ 86a StGB ist der Paragraph, der den Hitlergruß und das Hakenkreuz und die SS-Runen verbietet. Das Verbreiten der Kennzeichen von NS-Organisationen und rechtskräftig verbotenen Parteien und Vereinen stellt er unter Strafe, womit auch “Parolen” gemeint sein können, etwa die Wahlsprüche von HJ, SA und SS, nicht aber beispielsweise “Ruhm und Ehre der Waffen-SS”: Das, so der Bundesgerichtshof mit Zustimmung des Bundesverfassungsgerichts, sei ein Fantasiespruch heutiger Nazis und mit den Kennzeichen der tatsächlichen HJ bzw. SS weder identisch noch verwechselbar und deswegen nicht illegal.
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POLITICS AND INSTITUTIONS BETWEEN TRANSFORMATIONS AND REFORMS
Milan, Bocconi University, October 13-14, 2023
Public institutions are living bodies and undergo constant change. How is the political and institutional system changing in constitutional democracies? Where are public institutions heading to in contemporary democracies?
These questions will be at the center of the fourth annual conference of the Italian Chapter of the International Society of Public Law (ICON·S Italy), which will take place in Milan at Bocconi University on 13 and 14 October 2023.
Submit your paper or panel proposals addressing the transformations of public law by 15 July 2023!
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Wie ist das mit dem River-to-the-Sea-Spruch? Er ist zweifellos extrem problematisch. Man kann ihn so verstehen und er wird sicherlich oft so verwendet, dass er zur Vernichtung Israels aufruft. Man kann ihn als einen Code für übelsten Antisemitismus lesen, gerade auch in Teilen der deutschen Linken, die sich der Versuchung, die deutsche Schuld am Holocaust durch primitivste Täter-Opfer-Umkehr flugs das Problem von anderen Leuten werden zu lassen, viel zu oft, viel zu lange und bisweilen mit mörderischer Konsequenz hingegeben hat. Terrororganisationen wie Hamas oder PFLP verwenden ihn; im Verfassungsschutzbericht 2022 wird er im Zusammenhang mit Hamas und Hezbollah erwähnt (S. 77). Das sind zwar Terrororganisationen, aber – anders als etwa der “Islamische Staat” – keine in Deutschland verbotenen Vereine. Ein Betätigungsverbot im rechtlichen Sinne gibt es nicht. Dass § 86a StGB überhaupt hier ins Spiel kommt, liegt an einer Gesetzesänderung, die noch keine zwei Jahre alt ist und noch unter der GroKo kurz vor Ende der Legislaturperiode als eine Art Annex zu einem ohnehin schon laufenden und viel öffentlichkeitswirksameren StGB-Änderungsverfahren und so gut wie ohne jede öffentliche Aufmerksamkeit und parlamentarische Debatte ins Bundesgesetzblatt gehoben wurde. Seither sind Organisationen, deren Kennzeichen man in Deutschland nicht legal in der Öffentlichkeit verwenden darf, auch solche, die nicht verboten sind, aber auf der EU-Terrorliste stehen.
Ich habe noch mal angerufen bei der Berliner Polizei. Welche Terrororganisation ist es denn genau, die dieser Satz ihrer Ansicht nach kennzeichne? Stellt sich raus: keine Ahnung. Und es scheint sie auch nicht weiter zu interessieren. “Wer diesen Ausruf mal verwendet hat, entzieht sich meiner Kenntnis”, sagt mir der Sprecher. Der Satz “steht für die Negierung des Existenzrechts Israels. Und die ist in Deutschland verboten.”
Aha. Das ist doch interessant. Der Satz ist also verboten, ohne verboten zu sein.
Angenommen, man würde man ein Gesetz machen, das es tatsächlich verbietet und unter Strafe stellt, die Meinung zu äußern, Palästina solle vom Jordan-Fluss bis zum Mittelmeer frei sein: das hinzukriegen, ohne mit den für die demokratische Verfassungsordnung schlechthin konstituierenden politischen Freiheitsrechten ins Gehege zu kommen, stelle ich mir nicht trivial vor. Jedenfalls und zumindest müsste er, wenn er ein Verbot zum Schutz bestimmter konkret benannter Verfassungsgüter für erforderlich, geeignet und verhältnismäßig hält, diese Verhältnismäßigkeit vertreten und belegen und für sie als Rechtsstaat Verantwortung übernehmen.
So aber muss er gar nichts. Er verbietet ja gar keine Meinungsäußerung per se, sondern nur das Verbreiten von Kennzeichen von Terrororganisationen. So wie damals beim Thema Flaggenverbrennung wird ein Bypass gebaut, so dass die strafbare Tathandlung nicht die Äußerung einer bestimmten Meinung ist, sondern etwas anderes, was im Ergebnis aber darauf hinausläuft und hinauslaufen soll, dass die Meinung verboten ist, ohne verboten zu sein. Man muss dem Polizeisprecher wohl regelrecht dankbar sein, dass er das wenigstens mal klar ausgesprochen hat.
Solche Verantwortungs-Bypässe gibt es in der deutschen Anti-Antisemitismuspolitik allerorten, wie schon die kaum noch zu überschauende Zahl von Antisemitismusbeauftragten in EU, Bund und Ländern belegt, die in kaum bestimmtem Auftrag aller möglichen Regierungen diskurspflegend auf die öffentliche Meinungsbildung und die Bereitstellung von Veranstaltungsräumen und Fördermitteln einwirken, ohne dabei direkte exekutive Machtbefugnisse auszuüben, für die sie im Rechtsstaat geradezustehen hätten. Der Anti-BDS-Beschluss des Bundestages ist ja auch nur ein Beschluss, überhaupt nicht bindend, denn wäre er es, dann wäre er verfassungswidrig. Alles nur Diskurs, hebt der Staat die blütenweißen Hände. Er meint ja nur.
Aber dann kommt die Polizei.
Und marschiert in schwerer Kampfmontur mitten hinein in die friedliche jüdisch-palästinensische Demo auf dem Oranienplatz, und jüdische Demonstrant*innen, die sich darüber empören, werden von deutschen Polizist*innen, zu ihrem eigenen Schutz vor Antisemitismus vermutlich, mit physischer Gewalt zu Boden gerungen und verhaftet. Andere Demonstrationen aus Anlass des 75. Jahrestags der Vertreibung von 700.000 Palästinenser*innen aus dem heutigen Israel, arabisch al-Nakba = Katastrophe, hatte die Berliner Polizei zuvor mit der Begründung präventiv verboten, dass “jüngeren Personen der arabischen Diaspora” wegen ihrer “Emotionalität” das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit leider nicht anvertraut werden könne:
“Die Versammlungsteilnehmenden werden sich also zum Großteil aus jüngeren Personen der arabischen Diaspora, insbesondere mit palästinensischem Hintergrund, zusammensetzen. Zusätzlich werden sich weitere muslimisch geprägte Personenkreise, vorzugsweise voraussichtlich auch aus der libanesischen, türkischen sowie syrischen Diaspora, an dem Aufzug beteiligen. Hauptsächlich wird es sich dabei um Jugendliche und junge Erwachsene handeln. Im Hinblick auf die Teilnehmendenzahl und die wiederum zu erwartende große Zahl an jüngeren Teilnehmenden ist ein Skandieren strafbarer Parolen und zeigen verbotener Symbole zu besorgen. Diese Verstöße dürften mit steigender Emotionalität durch spontane Ereignisse im Israel/Palästina-Konflikt noch zunehmen. Zudem belegen die Erfahrungen, dass zurzeit bei dieser Klientel eine deutlich aggressive Grundhaltung vorherrscht und man gewalttätigem Handeln nicht abgeneigt ist. Bei notwendigen polizeilichen Maßnahmen ist mithin mit Unmutsbekundungen und in der Folge tätlichen Angriffen zum Nachteil der eingesetzten Polizeikräfte, auch in Form von Pyro-, Flaschen- und Steinwürfen zu rechnen.”
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Beyond Liberalism: Commons, Constitutionalism, and the Common Good (Berlin, 31 May & 1 June). In Cooperation with the University of Würzburg, THE NEW INSTITUTE, and the Catholic Academy in Berlin, the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law invites to two Public Evening Debates, with David Bollier, Edmund Waldstein OCist, Teresa Forcades i Vila OSB, Adrian Vermeule, Corine Pelluchon, Joseph Weiler, Isabel Feichtner and Alexandra Kemmerer.
More information here.
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Über die Zumutung der Demokratie, den Anderen aushalten zu müssen, hat Sophie Schönberger kürzlich ein sehr kluges Buch geschrieben. Dass das Aushaltenmüssen von “muslimisch geprägten Personenkreisen” mitsamt ihrer angeblichen “aggressiven Grundhaltung” und ihren “Unmutsbekundungen” so schwer fällt, kann viele Gründe haben, und nicht alle verdienen den gleichen Respekt. Die Sorge um die körperliche Unversehrtheit von Jüd*innen überall und zu jeder Zeit verdient natürlich jeden Respekt. Rassismus, Islamophobie und der Drang vieler deutscher Nazi-Nachfahr*innen links wie rechts, sich in ihrem israelbezogenen Philosemitismus nicht länger von den lästigen Schwierigkeiten irgendwelcher Araber stören lassen zu wollen – nicht so.
Die Zumutung des Anderen auszuhalten gelingt nicht durch Beschwichtigung, nicht durch Stuhlkreis und nicht durch rationalen Diskurs, sondern – so Schönberger – durch Begegnung. Durch die körperliche, emotionale Erfahrung, dass da auch noch ganz Andere sind als man selber, und dass sich ihre Gegenwart aushalten lässt. Das setzt öffentliche Räume voraus, in denen diese Begegnung stattfinden kann. Und öffentliche Sicherheit, damit ich mich da hintrauen, da hinaustrauen kann in den öffentlichen Raum ohne Angst um meine körperliche Unversehrtheit, und der Andere auch. Und damit eine Polizei, die diese öffentliche Sicherheit herstellt. Eine Polizei, die Begegnungen ermöglicht, nicht sie verhindert. Eine Polizei, die den öffentlichen Raum sichert, nicht ihn schließt.
Das, so scheint es, wird es aber in Berlin so bald nicht geben.
Die letzten beiden Woche auf dem Verfassungsblog
… zusammengefasst von PAULA SCHMIETA:
Nach der Razzia dieser Woche steht die Frage im Raum, ob die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung nach §129 Strafgesetzbuch ist. KLAUS FERDINAND GÄRDITZ warnt davor politische Motive zu privilegieren, FYNN WENGLARCZYK überlegt, welche Auswirkung die Razzia auf die öffentliche Meinungsbildung hat. KATRIN HÖFFLER ist der Auffassung, dass der Versuch, die Klimaproteste „wegzustrafen“, den Rechtsstaat zwangsläufig schwächt. MICHAEL KUBICIEL sieht die Aktion als rechtlichen Grenzfall, und THORSTEN KOCH ist der Ansicht, dass §129 StGB ist in seiner derzeitigen Form verfassungswidrig ist.
Am 9. Mai 2023 wurde der Referentenentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz (SBBG) veröffentlicht. Angesichts paternalistischer Züge und diffusen Missbrauchsbefürchtungen sieht RONJA HEß Nachbesserungsbedarf. LUCY CHEBOUT spricht von einem trojanischen Pferd, da die im SBBG enthaltene Teilreform des Abstammungsrechts die Eltern-Kind-Zuordnung für queere Personen zukünftig nicht leichter, sondern schwerer machen würde.
Im vergangenen Jahr wurden erste Benin-Bronzen durch die Bundesregierung an den nigerianischen Staat übergeben. Nun hat der nigerianische Präsident sie an den Oba von Benin übertragen – die Bronzen sind damit Privateigentum. CAROLIN DEHM meint dies ändere nichts an der Richtigkeit der Restitution vielmehr zeuge die aktuelle Debatte von postkolonialer Arroganz. FREDERIK ORLOWSKI untersucht zudem die Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit der „Hohenzollern-Debatte“.
Bahar Aslan war Lehrbeauftragte für Interkulturelle Kompetenz an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Polizei NRW – nach einem Tweet über „braunen Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden“ ist sie es nun nicht mehr. THOMAS FELTES ordnet das Geschehen juristisch ein.
Nach §362 StPO kann unter bestimmten Umständen ein mit einem rechtskräftigen Urteil abgeschlossenes Strafverfahren wieder aufgenommen werden. Doch wie verhält sich zu Art. 103 III GG, dem Verbot der Doppelbestrafung? Darüber hat das Bundesverfassungsgericht diese Woche verhandelt. ALEXANDER BRADE berichtet und kommentiert.
Nachdem das BVerfG es bereits im Januar ablehnte, die vollständige Wiederholung der Berliner Abgeordnetenhauswahl zu prüfen, wurden nun die Gründe für diese Entscheidung bekannt gegeben. HEIKO SAUER erläutert und kommentiert die – ihm zufolge im Kern überzeugende – Argumentation des BVerfG.
TARIK TABBARA nimmt den kürzlich veröffentlichten Entwurf des Gesetzes zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts unter die Lupe. Sein Fazit: Vieles wird besser, manches wird schlechter, und von einem Staatsangehörigkeitsrecht, das den Realitäten der Postmigrantionsgesellschaft gerecht wird, kann immer noch keine Rede sein.
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Zu Kants 300. Geburtstag.
Aufklärung, Freiheit und Nicht-Beherrschung
Call for Papers
2024 ist Kants 300. Geburtstag. Sein Werk ist bis heute zentraler Bestandteil der Philosophie, v.a. der politischen Philosophie, der Rechtsphilosophie und der Sozialphilosophie. Die Zeitschrift für Praktische Philosophie nimmt Kants Jubiläumsjahr zum Anlass, um Schlaglichter auf Kants kritisch konstruktive Philosophie zu werfen. Interessierte Autorinnen und Autoren sind gebeten, Abstracts bis zum 31. Juli 2023 an die Herausgeberin des Schwerpunkts, Sarah Bianchi, zu schicken (S.Bianchi@em.uni-frankfurt.de).
Weiterführende Informationen finden Sie hier.
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Die Ampelkoalition hat eine restriktive Verhandlungsposition zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) eingenommen. MAXIMILIAN PICHL sieht in der Haltung der Bundesregierung ein Abräumen menschenrechtlicher Grundsatzpositionen und erklärt, welche Folgen dies haben könnte. DANIEL THYM hingegen plädiert für eine pragmatische Lösungssuche und meint, es drohe kein Ausverkauf der Menschenrechte.
Vergangenen Sommer forderte das EU-Parlament eine Änderung der EU-Verträge, nur ist bisher wenig passiert. MARK DAWSON, ein Befürworter der Reform, stellt vier Argumente vor, warum die Mitgliedstaaten (in ihrem eigenen Interesse) der Änderung zustimmen sollten.
Der Vorschlag für eine EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) steht kurz vor der Verabschiedung. LEÓN CASTELLANOS-JANKIEWICZ & MELANIE SCHNEIDER argumentieren, dass die Richtlinie die Struktur der Rüstungsindustrie in Europa drastisch verändern und dadurch verhindern könnte, dass europäische Waffen in Konfliktgebieten landen.
Die EU-Kommission spielte eine führende Rolle bei der Entwicklung des Gesetzes über digitale Dienstleistungen (DSA). Nun nimmt sie jedoch eine neue Rolle ein – die Rolle der Durchsetzerin des DSA. SUZANNE VERGNOLLE untersucht die Herausforderungen, die dieser Wandel mit sich bringt, und analysiert den Trend, dass Behörden (anstelle von Gerichten) gerichtliche Durchsetzungsbefugnisse erhalten.
Anfang letzter Woche hat der EGMR die Rechtssache Sanchez gegen Frankreich zum Thema “Hate Speech” entschieden. JANNIKA JAHN analysiert, dass dies zwar individuelle Rechte stärken, aber die freie politische Debatte schwächen könnte.
Die EU plant ein neues Medienfreiheitsgesetz (EMFA) – dabei