Nochmals: Die Politik offener Grenzen ist nicht rechtskonform
Die Diskussion über die Frage, ob die Politik offener Grenzen mit dem geltenden Recht in Einklang steht, gewinnt an Dynamik und Tiefenschärfe. Wir freuen uns, dass mit Roman Lehner erstmals ein Fachkollege auf unsere andernorts vertretene Auslegung der Dublin III-VO und des Schengener Grenzkodex erwidert und uns dabei attestiert hat, mit Art. 20 IV Dublin III „einen sehr klugen Gedanken in die Debatte gebracht“ zu haben. Im Ergebnis widerspricht uns Lehner gleichwohl. Seine Gegenthese lautet im Kern: Schutzanträge an der deutsch-österreichischen oder einer anderen Binnengrenze unterfallen Art. 3 Abs. 1 und nicht Art. 20 Abs. 4 Dublin-III-VO, weshalb die Zuständigkeits- und letztlich die Antragsprüfung in Deutschland und nicht in Österreich stattzufinden haben. Dieser Einwand beruht freilich auf einem grundlegenden Missverständnis der Konzeption des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und speziell des Art. 3 Abs. 1 S. 1 Dublin III.
Die Entstehungsgeschichte der Dublin II-Verordnung
Lehner argumentiert zunächst mit der Entstehungsgeschichte der Dublin II-Verordnung. Er zitiert dankenswerterweise die Erläuterung des Kommissionsvorschlags zu Dublin II, auf die wir uns maßgeblich stützen und die ausdrücklich besagt, dass Antragstellungen „bei einer Behörde eines anderen Mitgliedstaats, beispielsweise … an der Grenze“ unter den späteren Art. 4 Abs. 4 Dublin II und seine Nachfolgeregelung in Art. 20 Abs. 4 Dublin III fallen. Lehner verweist nun nicht etwa auf ein Dokument eines Gesetzgebungsorgans der EU, aus dem sich ergibt, dass diese Regelungsabsicht zu irgend einem Zeitpunkt aufgegeben worden wäre und die Vorschriften wie von ihm behauptet nur noch Anträge in Botschaften, konsularischen Vertretungen oder per Fernschreiben erfassen. Der praktisch auf Null reduzierte Anwendungsbereich der Art. 4 Abs. 4 Dublin II/20 Abs. 4 Dublin III soll sich vielmehr aus einer Änderung des Wortlauts von Art. 3 Abs. 1 Dublin II ergeben, nämlich aus einer Hinzufügung der Wendung „an der Grenze“ im Zuge von Erörterungen im Rat. Mit anderen Worten soll der Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 Dublin II/III zu Lasten des Art. 4 Abs. 4 Dublin II/20 Abs. 4 Dublin III erweitert worden sein. Hierfür muss Lehner konsequenterweise unterstellen, dass die Kommission in ihrem von uns angeführten, ursprünglichen Vorschlag für Dublin II Schutzanträge an der Grenze noch nicht unter deren Art. 3 Abs. 1 subsumierte.
So aber ist es nicht. Lehner selbst verweist darauf, dass sich die Mitgliedstaaten bereits nach Art. 3 Abs. 1 des Dubliner Übereinkommens (DÜ) 1990 dazu verpflichtet hatten, „jeden Asylantrag zu prüfen, den ein Ausländer an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt.“ Auch der heutige Art. 20 Abs. 4 Dublin III war bereits Bestandteil des DÜ 1990 (Art. 12 DÜ).
An diesen Regelungen des Dubliner Übereinkommens hielt die Kommission in ihrem Verordnungsvorschlag für Dublin II fest. Insbesondere sollte Art. 3 Abs. 1 S. 1 („Ein Asylantrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft.“) auch Anträge an der Grenze umfassen. Dies ergibt sich aus der Definition des Asylantrags in Art. 2 lit. c S. 1 Dublin II-Entwurf. Dieser lautete:
Asylantrag: Antrag, mit dem ein Drittstaatsangehöriger einen Mitgliedstaat um Schutz nach dem Genfer Abkommen unter Berufung auf den Flüchtlingsstatus im Sinne von Artikel 1 Abschnitt A ersucht.
Die dazugehörige Erläuterung besagt:
Asylantrag: Der Begriff wird in Anlehnung an die Definition des Flüchtlingsbegriffs gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention verwendet. Alle Anträge auf Schutz, die Drittstaatsangehörige an der Grenze zu einem Mitgliedstaat oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellen, werden nach der Genfer Flüchtlingskonvention behandelt. (Hervorhebung von uns).
Wir halten fest: Die Änderung des Wortlauts von Art. 3 Abs. 1 Dublin II erfolgte zur Klarstellung unter Rückkehr zur Formulierung des Art. 3 Abs. 1 DÜ 1990. Die unausgesprochene, aber in ihrer Reichweite grundlegende Verschiebung, die Lehner behauptet, hat es nie gegeben. Das Grundkonzept des Dublin-Systems ist vielmehr seit seinen Anfängen unverändert geblieben.
Die Unterscheidung von Außen- und Innenverhältnis
Dieses Konzept enthält, anders als Lehner und seine Mitstreiter meinen, auch keine „halben“ (?) oder ganzen Paradoxien, die durch einen generellen Vorrang des Art. 3 Abs. 1 Dublin II/III für an der Grenze gestellte Anträge zu beheben wären. Um das zu verstehen, muss man nur zwischen Schutzanträgen an einer Außen- und solchen an einer Binnengrenze, zwischen dem Außen- und dem Innenverhältnis des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts unterscheiden:
Art. 3 Abs. 1 S. 1 Dublin III („Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt.“) ist ein kollektives Schutzversprechen der am GEAS beteiligten Mitgliedstaaten im Außenverhältnis. Das kommt in Art. 78 Abs. 1 S. 1 AEUV sowie im folgenden Erwägungsgrund zum Ausdruck, der sich gleichlautend in der Qualifikations- (2011/95), der Asylverfahrens- (2013/32) und der Aufnahmerichtlinie (2013/33) findet, jeweils als tragender Erwägungsgrund Nr. 2:
Eine gemeinsame Asylpolitik einschließlich eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist wesentlicher Bestandteil des Ziels der Europäischen Union, schrittweise einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufzubauen, der allen offen steht, die wegen besonderer Umstände rechtmäßig in der Union um Schutz nachsuchen.
Es ist also die Union, die allen rechtmäßig Schutzsuchenden offensteht. Der Passus „einschließlich an der Grenze“ in Art. 3 Abs. 1 S. 1 Dublin III signalisiert in diesem Zusammenhang, dass den Verpflichtungen aus dem Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK vollumfänglich entsprochen wird, d.h. eine Zurückweisung in einen Staat, in dem Verfolgung herrscht oder kein hinreichender Schutz besteht (was überhaupt nur an der Außengrenze in Betracht kommt), ausgeschlossen sein soll. Art. 3 Abs. 1 S. 1 Dublin III besagt damit letztlich nur – aber immerhin (!) –, dass jedem Flüchtling die Gewähr geboten wird, dass sein Antrag von einem der Mitgliedstaaten geprüft wird (siehe bereits Präambel DÜ 1990, ferner Denkschrift der Bundesregierung zum Dublin-Übereinkommen, BT-Drucks. 12/6485, S. 13 unter A.I.). An einer Außengrenze der Union oder in einem internationalen Transitbereich eines Flughafens (Art. 15 Dublin III) darf ein Antragsteller daher nicht darauf verwiesen werden, in demjenigen Drittstaat Schutz zu suchen, aus dem er eingereist ist – es sei denn, die Zurückweisung erfolgt in einen sicheren Drittstaat (Art. 3 Abs. 3 Dublin III).
Die grundsätzliche Offenheit der GEAS-Mitglieder bzw. der Union nach außen beantwortet aber noch nicht die hiervon ohne Weiteres zu unterscheidende weitere Frage, welcher Mitgliedstaat im Innenverhältnis für all diejenigen zuständig ist, „die wegen besonderer Umstände rechtmäßig in der Union um Schutz nachsuchen“. Dass diese interne Zuständigkeitsverteilung von Art. 3 Abs. 1 Dublin III nicht geregelt wird, macht bereits dessen Satz 2 mehr als deutlich. Demnach wird ein Schutzantrag „von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird“ (siehe dazu auch Denkschrift der Bundesregierung zum DÜ 1990, BT-Drucks. 12/6485, S. 13 zu Art. 3). Das vorgelagerte „Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats“ (Art. 20 Abs. 1 Dublin III) ist seit der Dublin III-Verordnung systematisch gesondert im Kapitel VI über Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren geregelt. Die dort normierte Spezialregelung des Art. 20 Abs. 4 Dublin III für Anträge an Binnengrenzen verhindert auch eine Auffangzuständigkeit Deutschlands als desjenigen Mitgliedstaats, „in dem der Antrag auf internationalen Schutz“ zuerst gestellt wurde (Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III), da in dieser Konstellation eben der aktuelle EU-Aufenthaltsstaat als Erstantragsstaat gilt.
Die Prinzipien der internen Zuständigkeitsverteilung
Anders als Lehner meint, entledigt sich ein Mitgliedstaat, der sich hierauf beruft, auch nicht verbotenerweise seiner Dublin-Verantwortlichkeiten. Im Gegenteil. Die Anwendung dieser internen Zuständigkeitsregel bringt die beiden Prinzipien zur Geltung, auf denen das Dublin-System seit jeher beruht, und die Lehner – im Gegensatz zur von ihm zitierten Agnès Hurwitz, Int’l J. Refugee L. 11 (1999), 646, 648 mit Fußnoten 8 und 9, die aber wiederum Art. 12 DÜ 1990 übergeht – bezeichnenderweise mit keinem Wort würdigt:
Erstens soll für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz „in erster Linie der Mitgliedstaat zuständig [sein], der bei der Einreise des Asylbewerbers und dessen Aufenthalt in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten maßgeblich beteiligt war“ (Entwurf Dublin III, KOM/2008/820 endg., S. 3). Das sind eben auch Mitgliedstaaten, die die Ein- und Weiterreise von Drittstaatsangehörigen dulden oder sogar fördern, bis diese die Grenze ihres gewünschten Zielstaates erreicht haben. Dass das Unionsrecht dabei hinsichtlich des Ortes der Antragstellung als auch hinsichtlich des Grenzübertritts mit Fiktionen arbeitet, ist für Rechtsordnungen ja nicht ungewöhnlich. Verhindert wird damit, dass Ersteinreise- und Transitstaaten sich der eigenen Verantwortung entziehen und Fakten schaffen, die schließlich – ohne die Regelung des Art. 20 Abs. 4 Dublin III – auch noch zu Lasten Dritter zuständigkeitsbegründend wirken können, insbesondere aufgrund längeren faktischen Aufenthalts im Zielstaat. Das Schutzversprechen der Union nach außen kann auf Dauer nur eingehalten werden, wenn sämtliche Mitgliedstaaten ihr Handeln am „Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten, einschließlich in finanzieller Hinsicht“, ausrichten (vgl. Art. 80 S. 1 AEUV und Erwägungsgründe 2 S. 2 Asylverfahrens- (2013/32) und Aufnahmerichtlinie (2013/33)). Jeder Alleingang droht die auf geregelte Kooperation angewiesene Lastenverteilung zu zerstören, auch eine unbegrenzte, pauschale Einladung von Drittstaatsangehörigen.
Zweitens läuft die von Lehner et al. vertretene Auffassung darauf hinaus, dass sich die Prüfungszuständigkeit zumindest dann nach dem Ort der Antragstellung richtet, wenn die schiere Zahl der Schutzanträge so hoch ist, dass die von der Dublin-Verordnung vorgesehenen Überstellungsverfahren faktisch nicht mehr durchgeführt werden können. Damit würde endlich legalisiert, was seit vielen Jahren vom UNHCR und anderen Flüchtlingsorganisationen gefordert wird: die freie Wahl des Aufenthalts- und Asylstaates. Doch hat sich diese Position weder im Zuge der Entstehung der Dublin II- noch der Dublin III-Verordnung durchsetzen können. Geltendes Recht ist unverändert, was der Europäische Rat zuletzt in seinen Schlussfolgerungen vom 19.2.2016 (ST 1 2016 INIT, S. 4 unten) kurz und bündig so formulierte:
Asylsuchende haben kein Recht darauf, den Mitgliedstaat, in dem sie Asyl beantragen wollen, frei zu wählen.
Auf diesem, für viele Beobachter offenbar schwer akzeptablen, aber demokratisch legitimierten und auch keineswegs menschenunwürdigen Grundsatz beruht das durchgängige Ziel des EU-Asylrechts, „Sekundärmigration“ bzw. „irreguläre Weiterreisen“ von Antragstellern von einem Mitgliedstaat zum nächsten einzudämmen (vgl. Erwägungsgründe 13 Asylverfahrensrichtlinie 2013/32, 12 Aufnahmerichtlinie 2013/33 und mit noch größerem Nachdruck Erwägungsgründe 32-34 Umsiedlungsbeschluss des Rates 2015/1523 und 38-40 Umsiedlungsbeschluss des Rates 2015/1601). Auch die unionsrechtlichen Vorgaben zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität lassen sich mit dem Asylrecht letztlich nur in Einklang bringen, wenn man davon ausgeht, dass die Drittstaatsangehörigen ihren Aufenthaltsort nicht frei wählen dürfen (siehe dazu das Gutachten Di Fabio, S. 97-100 m.w.N.). Dabei ist strafbar übrigens auch das Einschleusen von Ausländern, die aus einem Mitgliedstaat wie Griechenland einreisen, in den wegen systemischer Mängel des dortigen Asylsystems keine Rücküberstellungen erfolgen (siehe BGH v. 26.2.2015, 4 StR 233/14, NJW 2015, 2274). Dass aus letztgenanntem Umstand keine automatische deutsche Zuständigkeit folgt, ergibt sich aus Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin III.
Was zählt, ist das Ergebnis?
Lehner hingegen lässt nicht nur diese Hintergründe des Dublin-Systems außer Acht, sondern bleibt auch eine Rechtfertigung dafür schuldig, weshalb in diplomatischen und konsularischen Vertretungen oder per Brief gestellte Anträge gem. Art. 20 Abs. 4 Dublin III sehr wohl an den Aufenthalts-Mitgliedstaat verwiesen werden dürfen, Anträge an einer Binnengrenze aber allenfalls, wenn die Grenzkontrolle auf dem Territorium des Aufenthaltsstaats (z.B. Österreich) erfolgt (dazu sogleich). Um das individuelle Schicksal des betreffenden Antragstellers kann es Lehner jedenfalls nicht gehen.
Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass nicht sein kann und darf, was nicht sein soll, nämlich systematische Einreiseverweigerungen mit einem Dominoeffekt bis zur griechischen Grenze. Ein solches Szenario führt, wenn es von allen Mitgliedstaaten einschließlich Deutschland getragen würde, keineswegs zwingend in eine humanitäre Katastrophe. Selbst wenn der Massenzustrom nach Griechenland oder andere Peripherieländer andauern sollte, wäre hierauf mit den ja durchaus existierenden, von Lehner aber ebenfalls nicht berücksichtigten und nach seiner Lesart letztlich überflüssigen Notfallmechanismen des Unionsrechts zu reagieren. Hierzu zählen insbesondere die Richtlinie 2001/55 „über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten“; der Krisenbewältigungsmechanismus gem. Art. 33 Dublin III-VO; sowie vorläufige Notfallbeschlüsse des Rates gem. Art. 78 Abs. 3 AEUV. Flankierende humanitäre Maßnahmen Deutschlands sollten hinzutreten. Zu denken wäre hier an weitere Unterstützungsleistungen für die Anrainerstaaten Syriens sowie an eine freiwillige Übernahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge, die zum Zeitpunkt der Grenzschließung bereits in Griechenland oder anderen Mitgliedstaaten auf der Balkanroute registriert sind.
Dass Lehner vor allen Dingen ergebnisorientiert argumentiert, erweist sich nicht zuletzt an seinen Ausführungen zur Relevanz des genauen Ortes der Grenzkontrolle und Antragstellung. Zunächst einmal werden diese offenbar nur hilfsweise vorgebracht. Denn auf diesen Gesichtspunkt kommt es ja nur an, wenn Art. 20 Abs. 4 Dublin III auf Anträge „an der Grenze“ überhaupt anwendbar ist – was Lehner ja eigentlich prinzipiell bestreitet. Auch sonst verstrickt Lehner sich in Widersprüche. Um die Politik offener Grenzen als legal präsentieren zu können, vertritt er eine extrem territorialstaatliche Lesart des europäischen Asyl- und Grenzregimes: Wem es gelingt, einen Fuß auf deutschen Boden zu setzen, dem muss die Einreise gestattet werden; wem nicht, der muss eben draußen bleiben. Wie wir in unserem Beitrag im Einzelnen erläutert haben, vermeidet der Schengener Grenzkodex derartig willkürliche Unterscheidungen und Streitigkeiten über den millimetergenauen Verlauf der Grenze dadurch, dass eine Einreise im Rechtssinne erst erfolgt ist, wenn die Grenzübergangsstellen passiert wurden, und zwar unabhängig davon, ob diese sich nun aus deutscher Sicht vorgelagert vor der Grenze, auf der Grenzlinie oder zurückgezogen im Inland befinden (siehe Art. 28 i.V.m. Art. 13 Abs. 4 und Art. 2 Nr. 8-10 und 13 Grenzkodex).
Überhaupt verfehlt Lehner das Zusammenspiel von Schengener Grenzkodex und Dublin III-Verordnung, das sich wie folgt darstellt: Solange sich irreguläre Sekundärmigration in einem Rahmen hält, die auf dem Wege von Rücküberstellungen bewältigt werden kann, bleiben die Binnengrenzen offen. Die Regelungswirkung des Art. 20 Abs. 4 Dublin III kann dann praktisch nicht realisiert werden, weil Anträge nicht bei der Grenzbehörde an der Grenze, sondern von vornherein im Inland gestellt werden. Nun hat die Bundesregierung aber „auf Grund des bis dahin ungesteuerten und unkontrollierten immensen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in das Bundesgebiet am 13. September 2015 Grenzkontrollen an den deutschen Binnengrenzen mit dem Schwerpunkt an der deutsch-österreichischen Landgrenze vorübergehend wieder eingeführt“ (