23 April 2024
Im Zweifel gegen die Freiverantwortlichkeit
Das Landgericht Berlin I hat einen pensionierten Arzt wegen Suizidhilfe zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hier zeigt sich einmal mehr, dass die Maßstäbe, die der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren zur Suizidassistenz bei psychisch erkrankten Menschen formuliert haben, weder für die Praxis noch für die Tatgerichte verlässliche Leitlinien bieten. Damit dürfte sich die Chance psychisch Erkrankter, Hilfe bei der Umsetzung ihres Sterbewunsches zu erhalten, bis zu einer Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs bzw. einer gesetzlichen Regelung verringern. Continue reading >>
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06 April 2024
Gewalt durch Sitzblockaden
Sitzblockaden der „Letzten Generation“ bewerten deutsche Gerichte als Nötigung durch Gewalt. Ich halte dies für vereinbar mit dem Begriff „Gewalt“, den § 240 Strafgesetzbuch enthält. Gewalt bedeutet nicht zwingend Aktivität – maßgeblich ist, ob körperlich wirkende Macht über eine andere Person ausgeübt wird. Damit wende ich mich gegen den kürzlich erschienenen Beitrag von Siegmar Lengauer, der aus österreichischer Perspektive ungläubig auf die deutsche Rechtsprechung zum Gewaltbegriff blickt und diese ablehnt. Continue reading >>02 April 2024
Sitzen ist keine Gewalt
Wer sich passiv verhält, übt keine Gewalt. In Österreich handelt es sich dabei um einen Leitsatz zur Nötigung, der sich in fast allen Kommentierungen und Lehrbüchern zu § 105 österreichisches Strafgesetzbuch (öStGB) findet. Der Autor wundert sich, dass deutsche Gerichte dies anders sehen und Aktivist*innen der Klimabewegung, die an Sitzblockaden teilnehmen, immer wieder wegen Nötigung bestrafen. Schon das allgemeine Sprachverständnis lege doch nahe: Wer bloß sitzt, der ist nicht gewaltätig. Continue reading >>31 March 2024
Die Ampel auf Grün
Das Cannabisgesetz (CanG) tritt mit einigen Vorbehalten planmäßig zum 1. April 2024 in Kraft. Die (teilweise) Entkriminalisierung von Cannabis stellt einen wichtigen Schritt zu einer nachhaltigeren und vorurteilsfreieren Drogenpolitik dar. Gleichzeitig fördert das Gesetz aber auch zukünftig soziale Diskriminierung. Zum einen aufgrund der Versorgungsproblematik nach dem 1. April. Zum anderen, weil Cannabis-Clubs als verlässliche Alternative zum privaten Eigenanbau eher exklusiv bleiben dürften. Continue reading >>26 March 2024
Zwischen Fluss, Meer und Strafbefehl
Macht sich strafbar, wer den Satz „from the river to the sea, Palestine will be free“ verwendet? In aller Regel nicht. Der Slogan ist vieldeutig und Gerichte müssen bei mehreren Deutungsmöglichkeiten wegen der Meinungsfreiheit genau begründen, warum allein die strafbare Interpretation plausibel sein soll. Er kennzeichnet auch nicht die Hamas, denn verschiedene Akteure verwenden ihn seit Jahrzenten bis heute. Continue reading >>09 February 2024
Geschwiegen und doppelt bestraft
Drei Sozialarbeiter:innen eines Fanprojekts des Karlsruher SC weigern sich, im Strafverfahren über Vorgänge auszusagen, die ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit bekannt geworden sind. Sie müssen Ordnungsgelder zahlen. Darüber hinaus ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Strafvereitelung durch Unterlassen gegen sie. Diese Praxis verletzt jedoch das Menschenrecht, für ein und dieselbe Tat nicht mehrfach verfolgt zu werden. Continue reading >>31 January 2024
Keine Blockade, sondern eine Frage der Kompetenz
Ein „Offener Brief“ an den Bundesjustizminister vom 29. Januar, den „über 100 namhafte Frauen aus Politik, Kultur und Wirtschaft“ unterzeichnet haben, fordert diesen auf, seine „Blockade-Haltung“ gegenüber einem Vorhaben der Europäischen Kommission aufzugeben. Die Kommission setzt sich für eine Richtlinie ein, die der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt dienen soll. Unter anderem ist eine Vereinheitlichung im Sexualstrafrecht vorgesehen, nämlich beim Tatbestand der Vergewaltigung (Art. 5). Die zentrale Frage ist, inwieweit die Gestaltung von Strafrecht in die Kompetenz der EU fällt. Die Verfasserinnen des „Offenen Briefs“ scheinen davon auszugehen, dass die EU alles könne und dürfe und nur der widerborstige Bundesjustizminister ein Hindernis sei. Die Rechtslage sieht anders aus. Continue reading >>02 November 2023
Ist das Rechtsgüterschutz oder kann das weg?
Die (straf-)rechtliche Regulierung der Prostitution/Sexarbeit ist seit Jahren nicht nur in feministischen Kreisen hoch umstritten. Insbesondere die Diskussion um die Einführung eines Sexkauf-Verbots nach schwedischem Vorbild kommt nicht zum Erliegen. Weniger heiß diskutiert werden die bestehenden strafrechtlichen Vorschriften, die die Prostitution betreffen. Dabei lohnt sich der Blick in den 13. und 18. Abschnitt des StGB, denn hier wird der ambivalente Blick des Gesetzgebers auf das Phänomen Prostitution/Sexarbeit einmal mehr deutlich. Continue reading >>
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09 September 2023
Berichterstattung im Visier des Strafrechts
Die Strafnorm des § 353d StGB steht seit vielen Jahren in der Kritik. Im Kern kommt es zu einer „Kriminalisierung korrekter Berichterstattung“. Dies droht auch Arne Semsrott, seinerseits Journalist und Projektleiter der Plattform „FragDenStaat“. Er hat drei Beschlüsse des Amtsgerichts München aus laufenden Strafverfahren in anonymisierter Form veröffentlicht, um auf streitbare und mitunter unverhältnismäßige Ermittlungsmaßnahmen gegen Mitglieder der sog. „Letzten Generation“ hinzuweisen. Zeit, die Norm aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Continue reading >>11 August 2023