Schönen Gruß von der liberalen Elite
Andreas Voßkuhle und Peter Michael Huber haben in dieser Woche viel medialen Aufwand getrieben, um das ihrer Ansicht nach schiefe Bild, das die Öffentlichkeit sich von ihrem Ultra-Vires-Stunt seit letzter Woche gemacht hat, gerade zu rücken. Das ist, fürchte ich, nicht so gut gelungen.
In drei großen Zeitungsinterviews haben der scheidende Präsident und sein Berichterstatter versucht, ihr Urteil zu erklären und zu rechtfertigen, Voßkuhle in der ZEIT, Huber in der SZ und in der FAZ. Die Kommunikationsstrategie, die dabei erkennbar wird, würde ich so zusammenfassen: Was haben die nur alle? Wir sagen doch seit Jahrzehnten, dass der Anwendungsvorrang des Europarechts seine Grenze u.a. in den Kompetenzen hat, die die Mitgliedstaaten der EU übertragen haben. Wir erledigen doch nur unseren Job, wenn wir auf diese Ultra-Vires-Grenze aufpassen. Wenn wir eine Grenzverletzung entdecken, was sollen wir denn machen? Den Mund halten, nur damit der EuGH nicht böse wird? Wir sind doch alte Verfassungsgerichtsverbunds-Kumpels, der EuGH und wir. Da haut halt der eine dem anderen gelegentlich eine rein, ganz dialektisch, damit der wieder merkt, dass man auch noch da ist. Und was die Polen und Ungarn betrifft, also bitte: Wir danken Gott, dass wir nicht sind wie jene! Wir sind ja die Guten. Und wenn künftig irgendwelche osteuropäischen Verfassungsgerichts-Attrappen auf uns zeigen und uns im Konflikt mit dem EuGH als Rollenmodell missbrauchen, dann können wir da doch nichts dafür. Wir sind halt ein Gericht, sonst nichts. Fern sei uns alle Politik! Für uns gibt es nur Recht und Gesetz, und was ein echter deutscher Staatsexamensjurist ist, weiß: Da steht das alles haarklein so drin, zwingend! Im Übrigen können wir die Kritik nur zurückgeben: So ein eifernder Ton immer! Was ist das für eine Diskussionskultur?
Interessant daran scheint mir, dass in den meisten kritischen Stellungnahmen, soweit ich sehe, von der Ultra-Vires-Kontrolle als solcher gar keine Rede ist. Wozu auch. Es geht ja gar nicht darum, dass Karlsruhe auf die Kompetenzgrenzen aufpasst. Es geht darum, wie es das tut, und wann – hier, in diesem konkreten Fall, in dieser konkreten Situation, mit dieser konkreten Begründung. Die überzeugt nämlich nicht. Dass das Versäumnis der EZB, die Verhältnismäßigkeit ihrer Niedrigzinspolitik gemäß den Vorstellungen des BVerfG zu prüfen und zu begründen, so in your face gewesen sei, dass es – wie war das? – “willkürlich” und “schlechthin nicht mehr nachvollziehbar” vom EuGH gewesen sein soll, das nicht zu monieren: das, pardon, leuchtet so manchem halt nicht recht ein. “Wenn wir freundlicher argumentiert hätten, hätten die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Ultra-Vires-Akt nicht vorgelegen”, sagt Richter Huber im SZ-Interview. Wo er Recht hat, hat er Recht.
Mir ist natürlich auch klar, dass es in Luxemburg und Brüssel und anderenorts genügend Leute gibt, die am liebsten die EU hermetisch gegen jede verfassungsgerichtliche Intervention abriegeln würden. Nur ist es mitnichten so, dass sich die Kritik an dem Urteil generell aus solchen Motiven speist. Aber es ist natürlich sehr bequem, erst einmal auf allerhand europhile Pappkameraden einzufechten. Diejenigen, die sich über die schwache Argumentationsbasis für eine solch folgenreiche und riskante Tat aufregen, werden unterdessen paternalistisch an ihre Manieren erinnert: na na, vergessen Sie mal nicht, mit wem Sie hier reden. Ja, in der Tat, möchte man mit Andreas Voßkuhle fragen: Was ist das für eine Diskussionskultur?
Normale v. Abnormale
Voßkuhles Zeit in Karlsruhe ist zu Ende. Er ist ab jetzt wieder der mächtige und einflussreiche Staatsrechtslehrer, der er vorher war, und ich bin sicher, er wird den Ruf des Gerichts nicht in der Weise beschädigen, wie es sein Vorgänger als Präsident nach seinem Ausscheiden getan hat. Im Bundesrat wurden heute seine Nachfolger_innen gewählt, zum Präsidenten der Vorsitzende des Ersten Senats Stephan Harbarth, zum Mitglied des Zweiten Senats die Frankfurter Professorin Astrid Wallrabenstein, beides keine Überraschungen. Wallrabenstein ist als Expertin für Sozialrecht bekannt und respektiert. Die Grünen konnten sich wohl nicht dazu entschließen, eine durchsetzungsstarke Europarechtler_in zu präsentieren, die im Zweiten Senat einen nachhaltigen Kulturwandel bewirken könnte. Das ist schade.
Ein “Gericht der Bürger” will das Bundesverfassungsgericht sein, und unter Voßkuhles Ägide hat dieser Anspruch eine ganz spezielle Färbung angenommen: Karlsruhe als Zufluchtsort der “normalen Leute”, die im Parlament für ihre Sorgen kein Forum mehr finden, wo Konflikte befriedet werden, die der Politikbetrieb übersieht und denen er aus dem Weg geht aus welchen Gründen auch immer. In seinem Interview in der ZEIT knüpft Voßkuhle an diesen Topos an: von der “großen Mitte” der “normalen Menschen” ist da die Rede, “all jene, die nicht offensichtlich benachteiligt sind, sondern die eher unter dem Radar ein normales Leben leben.” Im Gegensatz wozu? Zu den “liberalen Eliten”, die sich “häufig eher für Menschen (interessieren), die offensichtlich diskriminiert werden”. Die seien maßgeblich mit schuld daran, dass die liberale Demokratie gegenüber dem Populismus so stark an Terrain verliert.
Da könnte man so viel dazu sagen. Als ob nicht die Unterscheidung zwischen Normal und Abnormal die Mutter aller Diskriminierungen wäre. Als ob die “liberalen Eliten”, wer immer das sein soll, beiden Seiten dieser Unterscheidung im Sinne von Verteilungsgerechtigkeit gleich viel Interesse und Zuwendung schuldig wären. Als ob diese “Eliten” und ihre diskriminierten Schützlinge sich sozusagen nicht zu wundern bräuchten, wenn die “Normalen” jetzt allmählich mal richtig sauer auf sie werden.
Ich denke, ich tue Voßkuhle nicht Unrecht, wenn ich vermute, dass diese “liberalen Eliten”, die er meint, sich mit jenen, die jetzt sein Urteil kritisieren, weitgehend decken. In der Tat: “Liberal” sind diese Eliten insoweit, als sie auf Rechtfertigung bestehen. Das sind Leute, die darauf bestehen, dass niemand kraft seines Amts, seines Rangs oder seiner “Normalität” ent- und unterscheidet, einfach weil er es kann.
So viel also zum Versuch, das öffentliche Bild des BVerfG und seines Ultra-Vires-Urteils gerade zu rücken. Die Älteren unter Ihnen werden sich vielleicht an den Komiker Loriot erinnern, eine der wunderbarsten Hervorbringungen der alten westdeutsch-bundesrepublikanischen Fernsehkultur. Hier einer seiner klassischen Sketche, der mir nicht mehr aus dem Kopf geht in diesen Tagen:
Die Woche auf dem Verfassungsblog fasst LENNART KOKOTT zusammen:
Das Ultra-vires-Urteil des Bundesverfassungsgerichts sorgt weiterhin für kritische Reaktionen, die das Gericht in dieser Woche gar zu einer PR-Offensive veranlassten. KAREN ALTER empfiehlt dem Gericht, sich in währungspolitischen Fragen zurückzuhalten, statt aus dem europäischen Rechtsprechungsverbund auszuscheren. Mit der aufsehenerregendsten Formulierung des Urteil befasst sich TONI MARZAL, der sie umdreht und fragt, ob die Entscheidung des BVerfG aufgrund der schrägen Abwägung, die das Gericht vornehme, nicht selbst „schlechthin nicht mehr nachvollziehbar“ sei. Aber nicht nur Wissenschaft und Öffentlichkeit haben kritisch reagiert, auch die Europäische Kommission tat dies und hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik in den Raum gestellt. Ein solches sollte die Kommission dringend eröffnen, argumentiert FEDERICO FABBRINI, der rechtlich wie politisch gute Gründe für ein Gelingen sieht. In Corona Constitutional #23 spricht ALEXANDER MELZER mit OLIVER LEMBCKE über die politische Soziologie des Urteils, ANUSCHEH FARAHAT beleuchtet im Gespräch mit MAXIMILAN STEINBEIS in Corona Constitutional #24 die tieferliegenden Probleme europäischer Politik, die im Urteil deutlich werden. MARCO DANI, JOANA MENDES, AGUSTÍN JOSÉ MENENDEZ, MICHAEL WILKINSON, HARM SCHEPEL und EDOARDO CHITI sehen die politische Ökonomie als geeigneten Analyserahmen für das Urteil und argumentieren, es könnte eine Debatte über die institutionellen Erfordernisse der europäischen Währungsunion einleiten.
Auf ein anderes Verfahren vor einem nationalen Verfassungs-Watchdog mit Implikationen für die europäische Finanz- und Währungspolitik weist PÄIVI LEINO-SANDBERG hin und stellt die verfassungsrechtlichen Probleme der finnischen Beteiligung an fiskalischen Maßnahmen der EU zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise sowie ihren politischen Kontext vor.
Als ein Kernproblem des juristischen Pandemie-Diskurses in Deutschland hat sich die Frage nach der Abwägbarkeit des Lebens als Rechtsgut etabliert. STEPHAN WAGNER stellt fest, dass die allgemeine Unsicherheit im Umgang mit dem Coronavirus auch die normative Sphäre erfasst habe – das sei aber gar nicht notwendig, denn das Verfassungsrecht halte die für eine Abwägung nötigen Kriterien schon bereit. Eine Abwägung unter Einbeziehung des Rechtsguts Leben sei deshalb möglich. Rechtliche Fragen rund um die Covid-19-Pandemie betreffen derweil zunehmend auch die pandemische und nicht-pandemische Zukunft. FABIAN MICHL fragt sich, ob mit einem Immunitätsausweis, der die Befreiung vermeintlich immuner Personen von Eindämmungsmaßnahmen zum Ziel hätte, eine Einteilung der Bürger*innen nach ihrem Status droht und fühlt sich an ständische Rechtsordnungen erinnert. Auf die Selbständigen blickt GREGOR ALBERS: Sie erbrächten gewissermaßen ein Sonderopfer, für das sie der Staat nach der Pandemie entschädigen müsse, wenn er die Entscheidung für einen Lebensentwurf als Ausdruck von Freiheit ernst nehmen wolle. Auf ein anderes Phänomen der Pandemie weist CHARLOTTE HEPPNER hin. Sie beschäftigt sich mit temporären Radwegen, die in Berlin den Platz auf der Straße zwischen Fahrrädern und Autos neu aufteilen und kommt zu dem Schluss, dass es keines Virus‘ bedarf, um solche mobilitätspolitischen Maßnahmen zu treffen.
Jedenfalls zu Beginn der Pandemie fehlte in rechtlichen Einordnungen der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung selten der Bezug auf Carl Schmitt als berüchtigten Theoretiker des Ausnahmezustands. REINHARD MEHRING zeigt in einem zweiteiligen Beitrag über den Staatsrechtler, dass Schmitt – ein Zeitgenosse der Spanischen Grippe – Pandemien in seinem Werk nicht erwähnt (Teil I). Seine Kategorien könnten aber in der rechtlichen Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Maßnahmen gleichwohl wertvoll sein, ersetzten aber nicht die differenzierte dogmatische Beschreibung (Teil II).
Mit der Verarbeitung des Notstands durch das öffentliche Recht beschäftigen sich auch GIUSEPPE MARTINICO und MARTA SIMONCINI. Sie kommen dabei ohne Schmitt aus und plädieren für eine methodische Reflektion im Fach, die die Fähigkeit zur gründlichen und differenzierten Risikoanalyse in den Mittelpunkt stellen sollte. FRANCESCO PALERMO verweist auf den Föderalismus, der zwar auch im Verfassungsrecht als großer Bremser effektiven Regierungshandelns viel gescholten sei, dessen Stärke sich aber gerade in der Krisenbewältigung erweisen könne.
Kritik an den Notstandsmaßnahmen in Ungarn hatte die Justizministerin des Landes als „Ausdruck einer liberalen Meinungsdiktatur in Europa“ bezeichnet. IMRE VÖRÖS weist das zurück, erneuert die Kritik vielmehr anhand einer Analyse der Verfassungsmäßigkeit der Maßnahmen und fordert die EU zum Handeln auf. Dass die ungarische Regierung unter dem Deckmantel der Pandemie vielmehr die politische Opposition bestraft und schwächt, zeigt DÁNIEL KARSAI am Beispiel der Gemeinde Göd und warnt davor, dies könnte erst der Anfang einer allgemeineren Praxis sein.
Dass die Gewaltungteilung in der Pandemie viele Gesichter haben kann, zeigen zwei Länderberichte. RUIPING YE beleuchtet die politische Rolle von Gerichten im nationalen Notstand anhand der rigiden Durchsetzung von Eindämmungsmaßnahmen durch chinesische Gerichte gegenüber Bürger*innen, der eine mangelnde juristische Verfolgung der politisch Verantwortlichen gegenüberstehe. In Serbien hätten sich alle Gewalten, nicht zuletzt die Judikative, in der Krise als unzulänglich erwiesen, schreibt IVAN CAVDAREVIC und führt Beispiele auf inhaltlicher wie auf prozeduraler Ebene an. In dieser Zuspitzung problematischen Staatshandelns liege aber auch eine Chance für politische Erneuerung.
In den Vereinigten Staaten stehen Präsidentschaftswahlen an. Die Pandemie dürfte nun eine Briefwahl erfordern, schreibt DANIEL E. WALTERS, und warnt davor, dass es von der für politische Einflussnahme anfälligen Ausgestaltung der organisatorischen Details abhänge, ob ihre Einführung sich positiv auf die Wahlbeteiligung auswirke. Auf lange Sicht könne sich die Einführung eines umfassenden Briefwahlsystems jedenfalls als vorteilhaft erweisen.
Mit dem Ergebnis einer Wahl beschäftigt sich TAMAR HOSTOVSKY BRANDES, die die Entscheidung des israelischen Supreme Court vorstellt, Petitionen gegen eine erneute Amtszeit des der Korruption angeklagten Benjamin Netanyahu abzuweisen. Korruption sei ein soziales Phänomen und es stehe nicht in der Macht eines Gerichts, die öffentliche und politische Kultur eines Landes zu ignorieren oder gar eigenhändig zu verändern.
In unserem Symposium Covid-19 and States of Emergency zeigen ANTOINE BUYSE und ROEL DE LANGE, dass die effiziente, auf Empfehlungen von Experten beruhende Antwort der Niederlanden auf die Pandemie zulasten einer Debatte um die zugrundeliegenden rechtlichen und politischen Entscheidungen gehen könnte. In Thailand sei die rechtliche Form der Eindämmung des Virus‘ mit übermäßigen Maßnahmen und Machtmissbrauch einhergegangen, schreiben KHEMTHONG TONSAKULRUNGRUANG und RAWIN LEELAPATANA. ANDRÉS CERVANTES ordnet die Pandemie in die bewegte Verfassungsgeschichte Ecuadors ein und zeigt, was für die gegenwärtige Verfassung auf dem Spiel steht. Kroatien, so NIKA BAČIC SELANEC in ihrem Beitrag, stehe trotz harscher Maßnahmen noch nicht an der Schwelle zur Autokratie, die konstitutionellen checks and balances funktionierten – die Antwort auf die Pandemie fordere das Verfassungssystems des Landes gleichwohl heraus. In Viet Nam mache die Krise deutlich, dass es einer Trennung von kompetenzrechtlichem Normal- und Ausnahmezustand bedürfe, stellt TRUNG NGUYEN fest. Vor einer Epidemie, die Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte in Georgien erfasse, warnt GIORGI CHITIDZE. Auch in Spanien sei es nicht nur zu einer Einschränkung von Grundrechten, sondern vielmehr zu ihrer Suspendierung gekommen, berichtet MIGUEL ÁNGEL PRESNO LINERA, der die Reichweite des verfassungsrechtlich normierten Alarmzustands damit überschritten sieht. Als Kontrast erscheint da der auf sozialen Druck setzende japanische Ansatz, den AKIKO EJIMA vorstellt. Die Herausforderungen, die die kenianische Reaktion, die ohne Lockdown auskommt, bereithält, stellen ALLAN MALECHE, NERIMA WERE und TARA IMALINGAT vor. Anhaltende Sensibilität für die grund- und menschenrechtlichen Implikationen der Maßnahmen in Litauen mahnen EGLÈ DAGILYTĖ, AUŠRA PADSKOČIMAITĖ und AUŠRA VAINORIENĖ an. ALICE DONALD and PHILIP LEACH argumentieren, dass die Pandemie nicht notwendigerweise erfordere, Menschenrechte zu suspendieren – vielmehr könnten Maßnahmen, die individuelle Rechte anerkennen und betonen, langfristig effizienter sein.
So viel für diese Woche. Habe ich schon erwähnt, dass wir immer noch total am Anschlag sind? Wir müssen Geld ausgeben, damit wir das alles schaffen, also müssen wir auch Geld einnehmen. Deshalb meine große Bitte: Beteiligen Sie sich an den Kosten dieses Unternehmens, mit einer fortlaufenden Unterstützung über Steady oder einer Überweisung an paypal@verfassungsblog.de oder IBAN DE41 1001 0010 0923 7441 03, BIC PBNKDEFF. Vielen Dank!
Ihnen alles Gute,
Ihr
Max Steinbeis
Sehr geehrter Herr Steinbeis,
ich sehe das PSPP-Urteil des BVerfG auch kritisch und finde, der Verfassungsblog leistet eigentlich gute Arbeit bei der Aufarbeitung. Das ändert aber nichts daran, dass wir die Diskussion darüber auf eine sachlich-rechtliche Ebene zurückbringen sollten. Dies lässt leider auch dieser Text stellenweise vermissen.
(I.) “Interessant daran scheint mir, dass in den meisten kritischen Stellungnahmen, soweit ich sehe, von der Ultra-Vires-Kontrolle als solcher gar keine Rede ist. Wozu auch. Es geht ja gar nicht darum, dass Karlsruhe auf die Kompetenzgrenzen aufpasst.[…]”
Doch, auch darum geht es. Dass es überhaupt eine ultra vires-Kontrolle gibt bzw. geben darf, das hat namentlich Prof. Franz C. Mayer in seinem Beitrag “Auf dem Weg zum Richterfaustrecht” auf diesem Blog mit Nachdruck in Frage gestellt:
“In dieser Konfiguration konnte man der Ultra vires-Kontrolle sogar stabilisierende Züge für das Gesamtgefüge zuschreiben, eine Art Vorwirkung auf die europäische Kompetenzhandhabung. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass das Damoklesschwert nie gelöst wird. Ich habe das in meinem Staatsrechtslehrervortrag vor einigen Jahren auch in diesem Sinne diskutiert, bleibe aber dabei, dass wenn überhaupt ein Platz für mitgliedstaatliche Kontrollelemente aus Sicht des Europarechts besteht, dies allenfalls die Identitätskontrolle betreffen kann.”
Zwar ist das hier im Text Ausgeführte auf die “meisten” kritischen Stellungnahmen beschränkt. Die Auslassung einer gerade auf diesem Blog besonders laut kundgetanen Gegenauffassung sollte man sich dann aber sparen, wenn man nicht zur Verzerrung der Debatte beitragen will. Das gilt ganz besonders, wenn es um eine für das Verhältnis des nationalen Rechts zum EU-Recht so entscheidende Frage wie diejenige geht, ob nur nach Identitätsgesichtspunkten oder ultra vires kontrolliert wird. Dabei handelt es sich nämlich um zwei ganz verschiedene Dinge.
(II.) Anknüpfend an das vorherige Zitat: “[…] Es geht ja gar nicht darum, dass Karlsruhe auf die Kompetenzgrenzen aufpasst. Es geht darum, wie es das tut, und wann – hier, in diesem konkreten Fall, in dieser konkreten Situation, mit dieser konkreten Begründung.”
Es geht also darum, “wann” Karlsruhe auf die Kompetenzgrenzen aufpasst? Zusammen mit der vorher geäußerten, zynischen Bemerkung (“Für uns gibt es nur Recht und Gesetz, und was ein echter deutscher Staatsexamensjurist ist, weiß: Da steht das alles haarklein so drin, zwingend!”) kommen wir da in ein Fahrwasser, das wirklich gefährlich ist. Es wird suggeriert, dass man in an vielen Stellen offen formulierte Verfassungstexte (i.w.S.), hier die europäischen Verträge, dort das GG, reinlesen oder auch nicht reinlesen darf, was man grade will, wann immer es einem gerade opportun scheint. Dass man kontrollieren soll, wenn es einem gerade reinpasst, und wenn nicht, dann schaut man halt weg. Denn das Verfassungsrecht ist ja weich formuliert, mit dem kann man es ja machen.
Das ist sehr schwierig. Und vor allem fliegt es einem leicht um die Ohren, wenn man sich andernorts, z.B. bei Grundrechtsfragen, dann doch wieder auf den Verfassungstext oder anerkannte Grundsätze berufen will. Ja, das BVerfG ist auch ein politischer Akteur und ja, es steht nicht immer alles wortwörtlich drin in den Verfassungstexten dieser Welt. Aber wenn wir uns gänzlich von der Idee zwingender Vorgaben lösen, dann können wir uns das mit dem GG auch sparen. Dann macht die Politik halt einfach, was sie will. Ich glaube nicht, dass wir das wollen.
Mit freundlichen Grüßen
Niko Schumann
Lieber Herr Schumann, vielen Dank für die kritischen Anmerkungen.
Zu I: Es mag richtig sein, dass die den nationalen Verfassungsgerichten von manchen rundwegs und als solche streitig gemacht wird, das steht da ja auch explizit. Mein Punkt ist nur, dass man so weit gar nicht zu gehen braucht, um das Urteil zu kritisieren, und dass es daher ein Pappkameraden-Argument ist, sich nur an diesem leichten Gegner abzuarbeiten und die substanzielle Kritik an der Art und Weise der der Ausübung dieser Kompetenz zu übergehen. Das finde ich ja gerade das Bittere an dem Urteil: dass es dazu nötigt, sich in dem Gockelkampf zwischen EuGH und BVerfG auf eine Seite zu schlagen. Der Schwebezustand war doch wahnsinnig produktiv, in beide Richtungen. Wenn ich Franz Mayer richtig lese, ist das genau sein Punkt. Der Zweite Senat sagt jetzt, Schluss mit Schwebezustand, jetzt wird entschieden, weil der EuGH das ja auch macht, und das macht er dann in diesem Fall, auf der Lübbe-Wolffschen Wüstenwanderung, die zu keiner Quelle führt.
Zu II: Das Gericht interpretiert das Recht und ist dabei, wie jeder Interpret, Kritik ausgesetzt. “Zwingend” ist das alles jedenfalls schon mal sowieso nicht. Aber das BVerfG ist doch keine Strafkammer am Landgericht, das halt abarbeiten muss, was die Staatsanwaltschaft anklagt. Beim “Willkür”-Maßstab bei der Richtervorlage, bei der Nichtannahme, bei der Frage, ob Kammer oder Senat, bei der Zulässigkeit (Art. 38 GG!), bei der Frage, was man schnell entscheidet und was liegen bleibt – dauernd wird nach Kriterien, die nur teilweise rechtlich gefasst sind und jede Menge Raum für Opportunitätserwägungen lassen, gesteuert und differenziert. Aus der Binnensicht des Gerichts kriegt man das schwer in den Blick, aber das ist kein Grund, dafür aus der Außensicht des Kommentators die Augen zu verschließen. Natürlich ist das prekär, und es empfiehlt sich für ein Gericht, das seine Autorität nicht aufs Spiel setzen will, damit vorsichtig und sparsam umzugehen. Exactly my point.
Die Fundamentalkritik an Autoren wie Fabbrini oder Mayer ist dann kein „Pappkameraden-Argument“, wenn deren Haltung symptomatisch für einen Großteil der Diskussion über das BVerfG-Urteil ist. Und genau das ist m. E. der Fall. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft in Diskussionsbeiträgen schon auf dem Primat des EU-Rechts beharrt wurde, als wäre damit alles Nötige gesagt.
Ich halte im Gegenteil die verbissene formaljuristische Kritik am BVerfG-Urteil für ein Ablenkungsmanöver. Gibt es denn ernsthaften sachlogischen Zweifel daran, dass die EZB mindestens seit 2012 auch fiskalpolitische Ziele verfolgt? Draghis „Whatever it takes“ zielte nicht zuletzt auf die Abwendung eines Staatsbankrotts in Italien, ebenso wie die massiven Anleihekäufe in letzter Zeit.
Und was wäre vor diesem Hintergrund aus Sicht des BVerfG die Alternative des zu seinem verdrucksten Hantieren mit der Verhältnismäßigkeit gewesen? Sicher nicht, das EuGH-Urteil durchzuwinken, sondern vielmehr, der Bundesbank solange die weitere Teilnahme an den Anleihekäufen rundheraus zu verbieten, bis es eine echte Legitimationsgrundlage für die EZB gibt.
Dieser Gedankengang wird aber von einem Großteil der Diskussionsteilnehmer sorgfältig vermieden. In der Psychologie nennt man das „Abwehr von kognitiver Dissonanz“. Nur so kann ich mir das „Entsetzen“ erklären, das den Bundesgerichtshof-Präsidenten Peter Meier-Beck nach eigenen Worten befallen hat, als er vom BVerfG-Urteil gehört hat. Geht es vielleicht auch eine Nummer kleiner? Immerhin hat das BVerfG der EU mit dem Urteil eine goldene Brücke gebaut, die es ihr ermöglicht, ihre demokratisch nicht legitimierte Politik bruchlos fortzusetzen.
Für mich persönlich wäre es ein guter Deal, die Integration der EU an einigen Stellen etwas zurückzufahren, sofern im Austausch dafür die demokratische Legitimation der EU auf ein solideres Fundament gestellt würde. Alleine der Gedanke daran scheint aber für viele EU-Offizielle und deren Unterstützer eine unerträgliche Zumutung zu sein. Diese Bunker-Mentalität ist es jedoch, von der langfristig die größte Gefahr für die Integrität der EU ausgeht.
Lieber Herr Steinbeis,
eher eine Nachricht an Sie als ein Kommentar:
Ich finde Ihren Blog wahnsinnig gut & liebe Ihre Kommentare.
Aber wieso haben Sie sich so einseitig eingeschossen zu diesem Urteil?
Diese Pappkameraden – Argument ist ja offensichtlich nicht SO SCHRÄG, wie sie es darstellen. Es stimmt doch einfach nicht, dass die öffentliche Darstellung die ultra- vires – Kompetenz des BVerfG nicht angezweifelt hätte; zB. nur auf Ihrem Blog spricht Fabbrini von “ever closer union” und dem Verfassungsgericht als “obstacle” und Franz C. Mayer scheint auch in eine sehr gestrenge EU-rechtliche Perspektive zu schlüpfen, die von nationalem Verfassungsrecht letztlich nicht viel übrig lässt. Von weniger sachverständigen Journalisten gibt es reihenweise Stellungnahmen, die davon sprechen, dass Karlsruhe sich “gegen das Recht” u.ä. wendet, nicht selten recht schräge Darstellungen; selbst “Lage der Nation” mit einem normalerweise versierten Kommentator war insofern juristisch ziemlich schräg (oder eine totale Mindermeinung – man muss ja nur ein beliebiges Europarechtslehrbuch aufschlagen) und brauchte erst Frau Mangold um eine etwas präzisere Einschätzung hinzubekommen, erstaunlich genug. Insofern stimmt’s schon, was die Richter in den Interviews anmerken. Und dass der Tonfall der Kritik “eifernd” ist, wie die Richter anmerken: ja natürlich war er das und man mag ja auch mal emotional werden. Aber es führt in der Sache schon auch wenig weiter.
Man mag dran zweifeln, ob es der richtige Fall für Ultra vires war, absolut! Aber bei der Fehlersuche sollte man vielleicht nicht nur nach Karlsruhe zeigen als vielmehr im Kern auf die Unionsverträge. Der politische Wille hat halt mal (leider!) nicht gereicht für eine sinnvolle Wirtschafts- und Währungsunion. Karlsruhe hat die Verträge ja auch nicht geschrieben, sondern muss mit ihnen hantieren; sie haben einfach einen Konstruktionsfehler und das ist ja nicht neu. Letztlich wäre es auch eine rechtstheoretische Frage, wie viel originalism sich ein Gericht erlauben darf im Angesicht der makroökonomischen Erfordernisse. Damit ist nicht gesagt, dass die Anwendung von ultra vires unbedingt die optimale Entscheidung war. Aber: Die schnell rausgeschossenen Kommentare hier auf dem Blog dürften wohl kaum den Konsens im Fach abbilden. Eine genaue Einschätzung ist natürlich schwierig, aber es scheint v.a. die Berliner Blase plus eine bestimmte Schiene der Europarechtler zu sein; die meisten der Großen im Fach halten sich zurück bzw. stimmen dem BVerfG verhalten zu (ich meine nicht Leute wie Schorkopf mit souveränistischem Geschmäckle).
Was Sie konstant völlig weglassen (und es gehört einfach ins Bild): Karlsruhe hat den Dialog versucht (weshalb denn sonst die Vorlage?), und Luxemburg hats ignoriert, sehenden Auges. Dabei hätte der EuGH selbst unter Beibehaltung der rein europarechtlichen Brille auf die Sachargumente eingehen können. Haben sie nicht gemacht – wieso eigentlich? Der Verweis auf den französischen Stil des EuGH, hört man immer wieder. Aber erklärt man damit den Stil des Gerichts nicht für sakrosankt? Ist der Stil ein Selbstzweck? In der Sache ist das Argument wenig überzeugend. Ob man darauf jetzt in Karlsruhe mit einer ultra-vires-Erklärung hätte antworten müssen: hm, vielleicht wäre es noch feiner gegangen (zB erneute Vorlage). Aber hätte man gemusst? In der Sache blockiert der EuGH mit seiner ever closer union – Sicht (die demokratisch nicht legitimiert ist) eine Zusammenarbeit der Gerichte ganz genauso, weil er sich auf den Gerichtsverbund nicht einlässt.
Wer das nicht erwähnt, ist völlig einseitig und nimmt das BVerfG (und auch Art. 23 GG) letztlich nicht ernst.
Das ist auch keine Frage von rechts und links – der Verfasser dieser Nachricht hält sich selbst für klar links. Und es ist natürlich kein überzeugendes Argument, dem BVerfG die ungewollten Bettgenossen vorzuwerfen. Gerade deshalb sollte man vielleicht nicht ganz so herablassend schreiben.
Also hören Sie doch bitte auf, Gegenfiguren wie Andreas Voßkuhle und Peter M. Huber aufzubauen. Um die kann es doch eigentlich nicht gehen. Die Entscheidung haben auch nicht nur die beiden getroffen, sondern sie ist 7:1 ergangen, ohne ausformuliertes Sondervotum.
Der auch bei Ihnen nur noch spöttische Tonfall wirkt seltsam deplatziert, einfach nicht angemessen für die Schwierigkeit der Sachlage. Sie tun so, als seien das unüberlegte eitle Richter, die ihr Hirn ausschalten bei einer völlig eindeutigen Frage, so offensichtlich wie Würstchengrillen.
Emotionalisieren ist wichtig in der politischen (!) Debatte, fair enough, und stilistisch natürlich unterhaltsamer. Aber manchem komplexen Problem wird’s vielleicht nicht gerecht, bzw. es führt dazu, dass das eigentliche Problem nicht angegangen wird.
Was wir bräuchten, ist eine ernsthafte politische Auseinandersetzung über Europas Zukunft und eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik. Ihr Bashing des BVerfG bringt Ihnen vielleicht Klickzahlen, aber für die Debatte ist es nicht hilfreich, die Richter so anzugehen.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Vinzenz Murr
Lieber Herr Murr, vielen Dank, ich liebe Ihre Leberkässemmeln.
Um mich nicht zu wiederholen, nur zu Ihrem Tone Argument: Es ist nicht mein Ziel und nicht meine Aufgabe, einen “Konsens im Fach” abzubilden. Der Verfassungsblog ist ein Forum für jede_n, die mit verfassungsrechtlicher Expertise und argumentativer Substanz zum aktuellen Geschehen etwas zu sagen hat, vorbehaltlich einer redaktionellen Auswahl unsererseits. Wir kriegen und veröffentlichen skeptische und verständnisvolle Analysen nach dem Kriterium, was wir für subtantiiert, neu, weiterführend und interessant halten. Wir sind keine Verfassungsrechtsschule, die den Leser_innen vordoziert, welche Doktrin sie für die richtige zu halten haben, sondern ein Diskursforum, in dem um die Überzeugungskraft von Argumenten gestritten wird. Den Ton zu bemängeln, in dem die Argumente vorgebracht werden, ist jedenfalls von vornherein keine gute Überzeugungsmethode, darauf müssten wir uns verständigen können. Ansonsten s.o.
Ich fände es schön, wenn unterschiedliche Gegenstände und Ebenen aktueller Kritik auseinandergehalten würden.
1. Kritik am EZB-Urteil:
“Interessant daran scheint mir, dass in den meisten kritischen Stellungnahmen, soweit ich sehe, von der Ultra-Vires-Kontrolle als solcher gar keine Rede ist. Wozu auch.”
Das kann ich nicht nachvollziehen. Die vehementeste und wahrscheinlich auch am breitesten rezipierte Kritik hier auf dem Blog von Franz Mayer beruhte darauf, dass dem Kritiker erkennbar der ganze Ansatz nicht passt. Kann man so sehen. Aber dann wird man nicht zum Pappkameraden gemacht, wenn man eben auch als Fundamentalkritiker verstanden und behandelt wird.
Daneben kann man auch den Grundgedanken der ultra-vires-Kontrolle akzeptieren und die EZB-Rechtsprechung trotzdem schon im Ansatz für falsch halten (woher kommt eigentlich das subjektive Recht? wie überzeugend sind Grundrecht auf Demokratie und ultra-vires-Kontrolle miteinander verkoppelt worden? was kann ein sinnvoller Maßstab für die Kontrolle einer bewusst unabhängig gestellten Institution sein?). Das wäre meine persönliche Haltung. In der fühle ich mich von den Interviews nur begrenzt getroffen.
Selbst auf der Grundlage dieser Haltung kann man weiter fragen, ob der EuGH die Vorlage möglicherweise etwas anders hätte behandeln sollen, da sie nun einmal kam. Davon wurde nach meinem Eindruck beispielsweise hier auf dem Blog nur wenig gehandelt. Das hat schon ein wenig Schlagseite.
2. Personalisierung von Kollegialentscheidungen
Der Senat besteht nicht nur aus Voßkuhle und Huber. Die anderen haben mitgemacht. Ich weiß auch nicht, in welche Richtung der Dissent ging. Ich kenne aber zu ein paar anderen Entscheidungen die Genese und weiß zumindest bei denen, dass die gängigen Personalisierungen überwiegend falsch waren. Wenn jetzt Interviews gegeben werden, finde ich das justizethisch fragwürdig und taktisch ungeschickt, aber ich würde das Urteil unabhängig davon lesen.
3. Die “liberalen Eliten” und die “normalen Menschen”
Ich würde das ungerne mit 1. und 2. verkoppeln. Ich hoffe sehr und glaube auch, dass viele Leute, die das EZB-Urteil weniger fundamental kritisch sehen als einige der Kommentatoren hier auf dem Blog, jedenfalls bei dieser Interviewpassage Bauchschmerzen bekommen.
4. Der scheidende Präsident
Verkompliziert wird aus meiner Sicht die ganze Debatte dadurch, dass das hochkontroverse Urteil zugleich Voßkuhles letztes ist. Sowohl in den Interviews als auch teils in den kritischen Stellungnahmen fallen dann die Würdigung der einzelnen Entscheidung und die der Person bzw. der Amtszeit zusammen.
Das ist bedauerlich, weil dadurch natürlich ein sehr unterkomplexes Bild gezeichnet wird. Ich persönlich zum Beispiel bin eigentlich mit fast keiner der großen Entscheidungen des Zweiten Senats aus den letzten zwölf Jahren sonderlich zufrieden, auch außerhalb des Europakomplexes, und frage mich, ob und was das vielleicht mit dem Präsidenten zu tun hat. Dieser Gesamteindruck geht unter, wenn nur auf das letzte EZB-Urteil geschaut wird.
Lieber Herr Gosman, vielen Dank, sehr erwägenswerte Punkte.
Zu 1: wie gesagt, aus meiner Sicht gehört zu den beklagenswertesten Folgen dieses Urteils, dass es den Rückfall in das längst überwundene Entweder-Oder zwischen Staats- und Europarecht befördert. Ich will mich nicht im Konflikt zwischen EuGH und BVerfG auf eine Seite schlagen müssen. Ich bin kein Apologet des EuGH und seines unbeschränkten letzten Wortes in Fragen der Kompetenzabgrenzung, nur weil ich in der EZB-Sache die ganze Wüstenwanderung für ein verheerendes Unternehmen halte. Und Schlagseite: Wir haben ein anti-souveränistisches Profil, das kann man sicher sagen, aber sind wir deshalb unkritische starry-eyed EuGH-Bejubler? Glaub ich eigentlich nicht. Bei dem EuGH-Gutachten zur EMKR beispielsweise haben wir hier jede Menge kritischer Kommentare veröffentlicht. Oder hier, aus meiner eigenen Feder: https://verfassungsblog.de/schlussantraege-zu-omt-vorlage-lob-der-zweideutigkeit/
zu 2: Das Editorial handelt von der PR-Kampagne, und die Interviews haben Voßkuhle und Huber gegeben.
zu 3: ich auch, aber wenn ich die Rolle, die sich der Senat in der ganzen Eurorettungsdebatte seit 2013 auf den Leib geschneidert hatte, dazu nehme, dann scheint mir das halt nicht ganz fern zu liegen, dass es so eine Verbindung gibt.
zu 4: Da gebe ich Ihnen Recht. Ich bin auch gespannt, wie diese Amtszeit später mal aus der Distanz beurteilt werden wird.