05 June 2023
Die “Letzte Generation” in staatlichen Schulen?
Die Aufregung in Medien und Politik war ebenso groß wie schnell verflogen. Vertreter*innen der "Letzten Generation vor den Kipppunkten", so wurde berichtet, wollten an Schulen aktiv werden und Schüler*innen für Aktionen mobilisieren. Zum Glück trafen sie damit aber auf den „klaren Widerstand“ der Kultusminister*innen, die sich mutig der „Rekrutierung“ entgegenstellen. In Hamburg forderte die CDU in der Bürgerschaft, dass den Schulen verboten wird, in irgendeiner Weise mit Aktivist*innen der Letzten Generation zusammenzuarbeiten. Sich pauschal gegen die Einladung von Vertreter*innen der „Letzten Generation“ auszusprechen verkennt gleichermaßen die Aufgaben von Schulen wie auch die rechtlichen Bedingungen für die Beteiligungsmöglichkeiten externer gesellschaftlicher Kräfte in der Schule. Continue reading >>
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02 June 2023
Gesetz ist Gesetz?
Seit den Hausdurchsuchungen in 15 Wohnungen von Mitgliedern der „Letzten Generation“ hat sich die öffentliche Diskussion um die Aktionen der Gruppe noch einmal intensiviert. Im Zentrum steht dabei der Begriff des „Zivilen Ungehorsams“. Obwohl das dahinterstehende Konzept auf viel, auch auf viel berechtigte, Kritik stößt, möchte ich zeigen, dass „ungehorsames“ Protestverhalten die Funktion erfüllt, Ungleichgewichte in den Möglichkeiten politischer Einflussnahme auszugleichen. Ziviler Ungehorsam kann dabei eine integrative Funktion erfüllen; er kann aber auch die diskursiven Verhältnisse aufbrechen und zu gesellschaftlichen und politischen Veränderungen anstoßen. Zudem zeichnet er sich dadurch aus, dass er Visionen einer normativen Zukunft entwickelt und insofern einen Beitrag zur Entwicklung der politischen Gemeinschaft und ihrer Verfassung leistet. Die weltweit zunehmende Kriminalisierung von Protestaktionen missachtet diese demokratische und rechtsstaatliche Bedeutung zivilen Ungehorsams. Continue reading >>30 May 2023
Aus der Mottenkiste politischer Theorie
Die aus der Mottenkiste der politischen Theorie entliehene Figur des „zivilen Ungehorsams“ in ihrer schillernden Unbestimmtheit ist kein grundrechtsdogmatisch plausibles Argument. Es gibt keine habermaskonforme Auslegung des Grundgesetzes. Ein dysfunktionales Einsickern in das Vokabular der Verhältnismäßigkeit wäre folgenreich und hat das Potential, die Mechaniken angemessenen Interessenausgleichs auszuhebeln, auf den wir alle gerade dann angewiesen sind, wenn wir erfolgreich die Wende in die Klimaneutralität organisieren wollen. In Zeiten, in denen sich die Institutionen des liberal-demokratischen Rechtsstaats immer aggressiveren Anfechtungen ausgesetzt sehen und sich robust behaupten müssen, wird die durchsetzbare Verpflichtung aller Akteure auf die demokratische Legalität zu einem kostbaren Gut. Man sollte es keinem autoritären Illegalismus opfern. Continue reading >>25 May 2023
„Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat“
… so lautet der Titel eines Aufsatzes von Habermas, erschienen 1983. Genau diesen Testfall erleben wir derzeit. Es scheint, als ob „der Rechtsstaat“ – nach Wochen des intensiven Protests durch die „Letzte Generation“ in Berlin – nun „andere Saiten aufziehen“ möchte, und erneut nach dem Strafrecht greift, genauer gesprochen nach einem Tatbestand des ohnehin nicht unproblematischen Präventivstrafrechts. Meine These ist jedoch, dass der Versuch, die Klimaproteste „wegzustrafen“, den Rechtsstaat zwangsläufig schwächt, anstatt ihn zu stärken. Da politischer Protest im Ausgangspunkt als wesentliches Element einer demokratischen Kultur ausgehalten werden muss, ist auch der Umgang mit unter Umständen strafbaren Aktionen im Zuge des politischen Protests - freilich im Rahmen des Legalitätsprinzips - mit Augenmaß zu wählen, um diesen Grundsatz nicht zu konterkarieren. Continue reading >>06 January 2023
Die strafrechtliche Undeterminiertheit von Aktionen des ‚Aufstands der Letzten Generation‘ und wie damit umzugehen ist
Ob der zivile Ungehorsam der Personen des ‚Aufstand der Letzten Generation‘ strafbar ist, wird weithin als Frage der Subsumtion von Sachverhalten unter Strafrechtsnormen behandelt. Meist resultiert dann eine Verurteilung, manchmal auch ein Freispruch. Mein Eindruck ist dagegen, dass das einschlägige Recht in vielen Fällen keine eindeutige Antwort enthält und dass deshalb außerrechtliche Umstände auf die Entscheidung einwirken. Dies ist zunächst eine rechtssoziologische Frage, deren Beantwortung aber für die Rechtsanwendung fruchtbar gemacht werden kann. Continue reading >>
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17 November 2022
„Klima-RAF“ herbeireden
Derzeit erleben wir nahezu täglich und in ganz Europa, dass junge Menschen in unterschiedlichen Formen Protest erheben, um auf den voranschreitenden Klimawandel hinzuweisen. Alexander Dobrindt forderte härtere Strafen für „Klima-Chaoten“, um eine Radikalisierung zu vermeiden. Sollte der Protest besonders streng geahndet werden? Meine These lautet, dass selbst im Falle einer Strafbarkeit ein Labeling als Öko-Terrorismus beziehungsweise Schwerkriminalität nicht nur falsch, sondern sogar schädlich ist. Continue reading >>14 November 2022
Klimaschutz als rechtfertigender Notstand
Mit dem Freispruch eines Klimaaktivisten vor dem Amtsgericht Flensburg hat die Diskussion um die Strafbarkeit bestimmter Formen des Klimaaktivismus einen neuen Höhepunkt erreicht. Erstmals wurde angenommen, dass ein sog. rechtfertigender Notstand vorliegt und der Hausfriedensbruch eines Baumbesetzers damit gerechtfertigt war. Die Bejahung des § 34 StGB, der bislang zur Rechtfertigung zivilen Ungehorsams teils vehement abgelehnt wurde, eröffnet eine neue strafrechtliche Perspektive auf den Klimaaktivismus – und erfordert dabei, auch neue, ungewohnte Blickwinkel zuzulassen. Continue reading >>10 November 2022