Sancta Corona, ora pro nobis
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Noch ist die Corona-Krise gar nicht so richtig da, in Deutschland zumindest. Wir sitzen ausgangsbeschränkt und netflixbetäubt in unseren Wohnungen, draußen glänzt der Frühling wie lackiert, die Mutter eines Freundes der Schwägerin soll angeblich Symptome haben. Alles ist wie immer und alles ist anders. Noch keine Triage in Deutschland, anders als im Elsass. Noch dürfen wir joggen gehen. Noch reicht das Klopapier. Noch sind wir selbst nicht krank.
Voll ausgebrochen, das wird man wohl sagen können, ist dagegen die Krise des Rechts- und Verfassungsstaates. Dass es für die Ausgangssperre im Moment ihres Erlasses in Deutschland keine vernünftige Rechtsgrundlage gab, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Dass der Versuch am Mittwoch im Bundestag, das zu ändern und das Infektionsschutzgesetz der Notlage anzupassen, verfassungsrechtlich ein totaler Wahnsinn ist, ebenfalls. Die Krise hat sämtliche Ebenen des Rechts- und Verfassungsstaates befallen, vom einfachen Gesetzesvorbehalt bis zur Geltung der Verfassung in der “Stunde der Not” generell. Und wenn bereits diese Feststellung von manchen als pedantischer Juristenkram, als unsolidarisch oder gar als verantwortungslos skandalisiert wird, dann scheint mir dies nur ein um so deutlicheres Symptom dafür zu sein, wie schwindelerregend hoch die Körpertemperatur bereits gestiegen ist.
Aber der Reihe nach.
Nicht mehr rausgehen dürfen
Wir gehen nicht mehr raus, wenn wir nicht müssen. Wir tun dies (hoffentlich) aus Vernunft und Solidarität, aber längst nicht mehr nur deshalb. Staatlicher Zwang ist es, unter dem wir stehen: Wir bleiben drin, weil wir müssen. Das gebietet uns seit dem letzten Wochenende ein flächendeckender Patchwork-Quilt (um abgedroschenere Metaphern zu vermeiden) aus Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen, die das von der Vernunft Gebotene mit Polizeigewalt hinterlegen: Wir bleiben drin, es sei denn, wir dürfen rausgehen.
Darin steckt zum einen ein kollektiver Grundrechtseingriff von beispiellosen Dimensionen, und niemand braucht sich zu wundern, wenn unsereins da sehr schnell anfängt, sich über Dinge wie Verhältnismäßigkeit und Wesensgehaltsgarantie Gedanken zu machen. THORSTEN KINGREEN tat dies zu Beginn der Woche auf besonders eindringliche Weise. STEFAN HUSTER stellt angesichts der Option, die Grundrechtseingriffe auf Risikogruppen zu fokussieren, deren Erforderlichkeit in Frage, mit entsprechenden Folgen für die “Grenzen der Solidarität”. JAN-ERIK SCHIRMER warnt davor, sich von der scheinbaren Eindeutigkeitslogik der “Flatten-the-Curve“-Grafik aufs Glatteis führen zu lassen. LUTZ FRIEDRICH erinnert den Staat daran, dass er uns unsere Grundrechte nicht “gönnerhaft” gewährt, sondern zu gewährleisten hat. Und HANNAH RUSCHEMEIER und SASCHA DAVID PETERS zeigen, dass ein bloßes Kontaktverbot aus grundrechtlicher Perspektive sehr viel besser Bestandschancen hätte als ein regelrechtes Verbot, die Wohnung zu verlassen.
Zum anderen steckt darin aber auch eine Polizei- und Verwaltungspraxis, die wie alles staatliche Handeln eine solide Rechtsgrundlage braucht. Das es mit der nicht weit her ist, daran gab es schon letzte Woche massive Zweifel, wenngleich JOHANNES BETHGE zeigt, dass man das auch anders sehen kann. ROMAN LEHNER hat sich die aktuellen Verfügungen und Verordnungen in den Bundesländern genau angeschaut und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus: In Berlin glauben nach den Äußerungen ihres Regierenden Bürgermeisters die meisten immer noch, es mit einem bloßen Kontaktverbot zu tun zu haben – dabei regelt die geltende Rechtsverordnung in Wahrheit ein waschechtes Ausgangsverbot. Zu zweit joggen gehen ist dennoch erlaubt. Aber mutterseelenallein im Park auf einem Handtuch in der Sonne zu liegen, nicht. In Niedersachsen leidet der Verordnungsgeber “an einer Art gespaltener Rechtspersönlichkeit”: die Allgemeinverfügung liest sich hier wie ein Kontaktverbot, dort wie eine Ausgangssperre. Das sind noch längst nicht alle Kuriositäten, die Lehner ausfindig gemacht hat. Die Verwaltungsgerichte werden da noch viel Freude dran haben und haben sie teilweise ja bereits jetzt schon.
Infektionsschutz
Am Mittwoch hat nun der Bundestag eine umfassende Reform des Infektionsschutzgesetzes beschlossen, auf dem all diese Maßnahmen beruhen. Darunter eine angebliche “Klarstellung”: § 28 Absatz 1 Satz 1 bekommt einen zweiten Halbsatz, in dem von Verboten die Rede ist, Orte zu verlassen bzw. zu betreten. ANIKA KLAFKI stellt klar, dass dies kaum bestimmt genug sein dürfte, um den darauf gestützten Grundrechtseingriff zu tragen.
Außerdem ist diese Befugnisnorm nicht an den Seuchennotstand (“epidemische Lage von nationaler Tragweite”) geknüpft, den der Bundestag ab jetzt ausdrücklich feststellen kann und, sobald seine Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind, wieder aufheben muss. Sie besteht dauerhaft.
Das alles sind keine verfassungsjuristischen Pingeligkeiten, wie CHRISTOPH MÖLLERS in aller gebotenen Schärfe notiert:
Dass der massivste kollektive Grundrechtseingriff in der Geschichte der Bundesrepublik ohne angemessene gesetzliche Grundlage erfolgen kann, weil er in der Sache richtig ist, diese Einsicht könnte das Legalitätsverständnis in einer Weise erschüttern wie kaum ein Ereignis seit dem Preußischen Verfassungskonflikt, als sich die monarchische Exekutive das Budgetrecht nahm und damit das Rechtsverständnis noch der Weimarer Republik nachhaltig prägte. Dies gilt umso mehr, wenn vom Parlament – anders als damals – kein ernsthafter Versuch unternommen wird, diesen Zustand zu korrigieren.
Das gilt ebenso sehr für die “epidemische Lage von nationaler Tragweite”, die im neuen § 5 IfSG geregelt ist. Bundesgesundheitsminister Spahn schneidert sich hier Kompetenzen auf den Leib, die dem Verfassungsjuristen die Augen aus den Höhlen treten lassen: nicht nur eine Art “Bundesgesundheitspolizei” (§ 5 Abs. 2 IfSG), sondern das Recht, “durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Ausnahmen von den Vorschriften dieses Gesetzes” zu erlassen. Jetzt lassen wir also Herr Spahn nach eigenem Gutdünken bestimmen, ob das, was der Gesetzgeber geregelt hat, noch gilt oder nicht?
Das scheint natürlich erst mal gut zu dem Mythos der “Stunde der Exekutive” zu passen, die angeblich im Notstand geschlagen habe: genug gequatscht, jetzt wird mit mannhaft gerunzelter Entscheiderstirn gehandelt! Aber das ist kryptomilitaristischer Humbug. Wenn irgendetwas klar geworden ist in den letzten Tagen, dann, dass in der Stunde der Not – wo das passiert, womit der Gesetzgeber nicht gerechnet hat und nicht rechnen konnte – der Gesetzgeber gefordert ist, um die Rechtsgrundlagen des Handelns der Exekutive der Notsituation anzupassen. Anfang der Woche gab es wegen der Infektionsgefahr, die von einer Großveranstaltung wie dem Bundestagsplenum ausgeht, Überlegungen, per Verfassungsänderung ein “Notparlament” einzuführen – ein Plan, dem der besagte CHRISTOPH MÖLLERS gleichfalls energisch den Unterschied zwischen einem militärischen Notstand und einer Naturkatastrophe entgegen hält: Der technischen Herausforderung, den Bundestag auch ohne hunderte in der Enge des Plenarsaals durcheinanderwuselnde Abgeordnete arbeitsfähig zu halten, sei auf der Ebene der Geschäftsordnung zu begegnen, nicht auf der des Grundgesetzes. “In Zeiten starker Exekutiven haben die Parlamente in Bund und Ländern die Pflicht, ihre Handlungsfähigkeit sicherzustellen, ohne sich dabei selbst in Frage zu stellen.”
Am Mittwoch war viel Feierliches zu hören darüber, wie der Bundestag sich bewährt habe in der Stunde der Not, und ich will das auch gar nicht in Abrede stellen. Aber noch feierlicher wäre mir zumute, wenn er nicht so einen Unfug beschlossen hätte. Um so mehr wird es jetzt auf die Justiz ankommen, die ja gleichfalls unter einem immensen Druck steht, der Bewältigung der Krise keine unnötigen Hindernisse in den Weg zu legen. Das gilt auch für das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das über kurz oder lang darüber zu befinden haben wird, ob die jüngsten Ermächtigungen im Infektionsschutzgesetz Bestand haben oder nicht. CARSTEN BÄCKER wagt eine Prognose: Das Gericht wird die Regelungen und Anordnungen für verfassungswidrig erklären, aber so lange in Kraft lassen, bis der Gesetzgeber sie anpassen kann. Das wäre im Prinzip ja auch nicht weiter ungewöhnlich (§ 95 Abs. 3 BVerfGG).
Apropos Beschlussfähigkeit des Parlaments: Während der Bundestag einfach seine Geschäftsordnung anpassen konnte, hat es der bayerische Landtag nicht so leicht, denn in Bayern ist die Beschlussfähigkeit direkt in der Verfassung geregelt. Die hemdsärmelige Art, in der das Landesparlament das Anwesenheitsquorum geändert hat, könnte ein echtes Problem werden, meint WALTHER MICHL: “Damit erzeugt es ein erhebliches Risiko, dass alle Gesetze, die in während dieser Phase erlassen werden, unter dem Damoklesschwert der formellen Verfassungswidrigkeit stehen.”
An Beispielen für rechtlich zweifelhafte Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Ausbreitung fehlt es auch sonst nicht: ALEXANDER THIELE nimmt den Crackdown gegen Zweitwohnungsbesitzer aufs Korn, der an der ostfriesischen Nordseeküste seinen Anfang nahm und mittlerweile ganz Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern erfasst hat.
Besonders heikel sind die Forderungen, zur Identifizierung von Kontaktpersonen und Kontrolle der Bewegungsströme Überwachungsmaßnahmen zu ermöglichen, die bisher datenschutzrechtlich nicht gehen. OSKAR J. GSTREIN und ANDREJ ZWITTER erläutern das Problem, und DIETER KUGELMANN warnt davor, im Datenschutz dem Grundsatz “Not kennt kein Gebot” zu folgen. Anders SEBASTIAN BRETTHAUER: Eine Verarbeitung von Standortgesundheitsdaten sei nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich möglich.
Was funktioniert und was nicht
Und wie läuft es anderswo? In Österreich gibt es ebenfalls eine Ausgangssperre, was PETRA SUSSNER seinerseits grundrechtlich problematisch findet und obendrein ein Schutzpflichtproblem offenlegt: Eingesperrt in der eigenen Wohnung sind v.a. Frauen ihren gewalttätigen Männern ausgeliefert.
Wie tief die Ausnahmezustands-Logik im französischen Recht verwurzelt ist, beleuchtet der ausführliche Bericht von AURORE GAILLET und MAXIMILIAN GERHOLD. Und apropos Schutzpflichten: Grundrechte tauchen in der französischen Debatte nicht zuletzt als Ansprüche exponierter Menschen auf, ihr Recht auf Leben und Gesundheit aus Art. 2 EMRK durch noch schärfere Maßnahmen als ohnehin schon geschützt zu sehen.
Was die Behörden im Kampf gegen die Pandemie tun dürfen und welche Entschädigungsansprüche diejenigen haben, deren Freiheit und Vermögen dadurch beeinträchtigt wird, beleuchtet ein rechts- und praxisvergleichendes Online-Symposium unter dem Titel “Fighting COVID 19”, das wir in dieser Woche durchgeführt haben mit Beiträgen von ANIKA KLAFKI und ANDREA KIESSLING (Deutschland), PAUL F. SCOTT (UK), WEN-CHEN CHANG (Taiwan), LEILA BARRAZA und SARAH A. WETTER (USA), YUXUE FANG (China), FELIX UHLMANN (Schweiz), DILETTA TEGA und MICHELE MASSA (Italien), TOON MOONEN und JONAS RIEMSLAGH (Belgien), SEOKMIN LEE (Südkorea) und ggf. noch einige mehr in den nächsten Tagen.
Wie es nicht laufen sollte in der Situation der Pandemiekrise, kann man zurzeit vor allem in den USA studieren. Was das mit Fehlkommunikation im Bundesstaat und dem ,Stafford Act’ genannten nationalen Notstandsgesetz zu tun hat, erläutert MAX STROBEL.
Zweierlei Autoritarismus
Das Lager der autoritären Populisten scheint sich zurzeit in zwei Hälften zu teilen: der eine Teil versucht sich aus der Bredouille zu lügen und hofft damit durchzukommen, dass man einfach so tut, als sei das alles halb so schlimm. Der andere Teil nutzt dagegen nach guter autoritärer Tradition die Stunde der Not dazu, die eigene Macht zu arrondieren und Institutionen, die ihr Schwierigkeiten machen können, zu schwächen. Ins erste Lager gehört US-Präsident Trump. (Boris Johnson, der anfangs auch in diese Richtung neigte, ist inzwischen selber positiv getestet.)
Ins zweite Lager gehört Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Seine zeitlich unbefristeten Notstandsbefugnisse vergleicht RÉNATA UITZ mit dem deutschen Ermächtigungsgesetz von 1933 und warnt davor, dass Orbán eine “Verfassungs-Pandemie” loszutreten droht. (Mehr dazu, was Orbán vorhat, hier. Vorsicht, starke Nerven erforderlich.)
In dieses Lager gehört ferner Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, zu dessen Schutz vor der Strafjustiz der mit ihm verbündete bisherige Parlamentssprecher unter dem Vorwand der Corona-Krise den Knesset lahmlegte und ein Gerichtsurteil ignorierte, wie MICHAL KRAMER berichtet.
In dieses Lager gehört möglicherweise auch der frisch gebackene Ministerpräsident von Slowenien Janez Janša, der noch keine drei Wochen regiert und nach dem Bericht von JAKA KUKAVICA schon die Krise genutzt hat, um außerlegale Strukturen zu errichten.
Dass die Krise unmittelbar auf die Demokratie durchschlagen kann, zeigt sich in Polen, in Frankreich und im Freistaat Bayern, wo Wahlen bzw. Stichwahlen unmittelbar bevorstehen. Soll man die Leute an die Wahlurne lassen, als sei nichts? In Polen (erstes Lager, wenngleich nur insoweit) ist das im Interesse der PiS-Regierung, deshalb wird das so passieren. Amtsinhaber Andrzej Duda, der seit Ausbruch der Pandemie ohne Konkurrenz wahlkämpft, wird die Wahl bei minimaler Wahlbeteiligung gewinnen. Ist das rechtswidrig? Vermutlich ja, sagt MICHAŁ ZIOLKOWSKI, aber das hilft nichts, denn nach den “Justizreformen” landet diese Frage vor einer der von PiS gekaperten neuen Kammern des Obersten Gerichtshofs.
Apropos Justiz: Vor dem Kontext der fortdauernden Attacken auf die Unabhängigkeit derselben in Polen ist das jüngste Urteil des EuGH eine ziemliche Enttäuschung. Wie LUKE DIMITIOS SPIEKER bemerkt, bestätigt der Gerichtshof zwar das EU-rechtliche Gebot, die richterliche Unabhängigkeit zu wahren, beschränkt aber den prozessualen Zugang dazu im Vorlageverfahren und nimmt so mit der einen Hand wieder weg, was er mit der anderen gibt.
In der Ukraine hat unterdessen das Verfassungsgericht große Teile der Justizreform von Präsident Volodymyr Zelensky kassiert und damit die Unabhängigkeit der Justiz gestärkt, wie ANDRII NIKOLIAK berichtet.
Zurück zum Thema Wahlen in der Corona-Krise: In Frankreich ist, anders als in Polen, der zweite Wahlgang der Kommunalwahl erst einmal verschoben worden. In Bayern wiederum wird gewählt, und zwar durch verbindliche Briefwahl. Geht das überhaupt? Was wird da aus dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl? Problematisch war der anfängliche Ansatz der bayerischen Staatsregierung, die Briefwahl einfach per Verwaltungsakt anzuordnen. Jetzt gibt es dazu eine Gesetzesänderung, und das hält JOSEF FRANZ LINDNER unterm Strich für vertretbar.
Grenzen
Die Wirtschaft kracht zusammen, dort, wo die Pandemie zuerst zuschlug, am ehesten; die anderen im gemeinsamen Währungsboot sehen sich mit Solidaritätsforderungen konfrontiert, wo sie doch fürchten, schon bald selbst mit in den Strudel zu geraten. Mit anderen Worten: die Staatsschuldenkrise im Euroraum ist zurück (sofern sie je wirklich weg war). JULIAN PRÖBSTL hält es rechtlich für weniger problematisch, den EMS zu aktivieren, als “Corona-Bonds” auszugeben. ANA BOBIĆ und MARK DAWSON untersuchen das Anleihenkaufprogramm, das die EZB aus Anlass der Pandemie (zusätzlich zu dem, über das das BVerfG binnen weniger Wochen urteilen wird, bibber…) aufgelegt hat, und weisen darauf hin, dass sich daran sowohl die zunehmende Nutzlosigkeit des Rechtsrahmens der EZB zeigen lässt als auch die Möglichkeit, denselben zu erneuern. MATTHIAS GOLDMANN findet das Anleihenkaufprogramm rechtlich nicht so problematisch, fragt aber nach dem Sinn einer erneut auf Geldpolitik fokussierten Strategie.
Zuallererst ist die Corona-Krise eine gesundheitspolitische Krise, und eine weltweite. “Imagine the World Health Organization (WHO) had declared the outbreak of the mysterious lung ailment in the Chinese city of Wuhan a potential public health emergency of international concern already in late December 2019″, fordert uns CHRISTIAN KREUDER-SONNEN auf. Doch die Kosten, diesen Traum zumindest für die nächste Pandemie wirklich werden zu lassen, wären hoch, und dass er diesmal Illusion blieb, dürfte womöglich mit der wachsenden Abhängigkeit der WHO von China zusammenhängen.
Warum geht in der Corona-Krise, was in der Klima-Krise nicht geht? Dies fragt THOMAS SCHOMERUS und hofft auf eine “Vorbildwirkung” des Kampfs gegen den Virus für den gegen die Erderwärmung.
Von grausamer Ironie ist es, dass an diesem Donnerstag der Wegfall der Binnengrenzkontrollen in der EU seinen 25. Jahrestag gefeiert hat – just an dem Tag, da 16 Mitgliedstaaten des Schengen-Raums dieselben wieder eingeführt haben zur Eindämmung des Coronavirus. Auf der Strecke bleibt dabei das Asylrecht – ein “Kollateralschaden” der Krise, wie CONSTANTIN HRUSCHKA notiert. In der Tat hatten jene, die sich vor vier Jahren mit ihrer Forderung nach Grenzschließung und Zurückweisung von Geflüchteten nicht durchsetzen konnten, nichts Eiligeres zu tun als die jetzt sich bietende Gelegenheit dazu zu nutzen. “Es scheint so zu sein, dass die für Asyl zuständigen Ministerien und die Regierungen der Mitgliedstaaten des Schengen-Raums nun die Corona-Krise nutzen, um Hand an das Recht, einen Asylantrag zu stellen, zu legen.”
Unterdessen sitzen an der griechisch-türkischen Grenze, ebenso wie auf den griechischen Inseln, immer noch Geflüchtete in großer Zahl fest. ANNE PERTSCH und JONAS PÜSCHMANN fordern die EU auf, auf Griechenland Druck auszuüben, die eklatant rechtswidrige Suspension des Asylrechts aufzugeben, anstatt sich mit dem Frontex-Einsatz dabei noch zum Komplizen zu machen.
Womit ich, man glaubt es kaum, für diese exzeptionelle Woche durch wäre.
Mal sehen, wie die nächste wird.
Ihnen alles Gute, und bleiben Sie daheim und gesund!
Ihr
Max Steinbeis
Ich will mir an dieser Stelle nicht anmaßen, die verfassungsrechtliche oder medizinische Notwendigkeit der getroffenen staatlichen Maßnahmen ad hoc zu beurteilen. Dazu braucht es mehr als eine Person und die Momentaufnahme eines Kurzkommentars (sondern mit Sicherheit werden hierüber in sämtlichen Fachdisziplinen in den nächsten Jahren zigtausende von Dissertationen geschrieben werden),
Was mich dennoch bestürzt und teilweise ratlos macht, ist dass breiten Teilen der Bevölkerung scheinbar völlig (!) das Bewusstsein fehlt, dass hier Kerngrundrechte eingeschränkt werden. Vielerorts nur blinde Zustimmung. Man fügt sich bzw. Viele denken noch nichtmals darüber nach. Man beginnt zu ahnen, wie die Katastrophen der deutschen Geschichte sich womöglich vollziehen konnten.
Aus jetziger Sicht (das ist eine Momentaufnahme) halte ich ein “bleibt zu Hause” durchaus für sinnvoll. Aber statt die Socken farblich zu sortieren, sollte man vielleicht doch einige Gedanken daran verschwenden, was hier an Grundrechtseinschränkung derzeit passiert – sei es nun gerechtfertigt oder nicht.
Gut, dass zumindest viele Juristen hier, auf LTO, in der Beck Community, auf Twitter oder anderswo sich Gedanken machen!
“Bleibt zu Hause und denkt nach!”, wäre mein Appell.
Vielen Dank für die m.E.sehr nötigen kritischen Ansichten. Mich beunruhigen die Maßnahmen sehr & v.a. dass es kaum Möglichkeiten zu geben scheint, geschlossen Kritik zu äußern, auf die Rechtswidrigkeit und Unverhältnismäßigkeit aufmerksam zu machen oder diese überhaupt gut sichtbar in die Öffentlichkeit zu bringen.
Online Demonstrationen unterfallen Art 8 GG meines Wissens nicht, damit kein verfassungsrechtlicher Schutz, also was tun??
Auf den Kommentar von Björn Engelmann – aber auch auf den Tenor des Editorials – möchte ich rasch reagieren: Mit Zustimmung! Als Nicht-Jurist freut es mich, daß hier das Meiste allgemeinverständlich geschrieben ist. Tatsächlich befinden wir uns in einer umfassenden Krise, in der die Gefahr besteht, daß ihrer “Bewältigung” u. a. auch bürgerliche Freiheiten geopfert werden. Dagegen hat sich nun immerhin eine Initiative gebildet, die “Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand”. Die heutige Aktion in Berlin besteht in einer “Hygienedemo” (zwei Meter Abstand, Mundschutz oder Schal), bei der das Grundgesetz verteilt wird. (https://www.nichtohneuns.de/) Einer der Initiatoren, der Journalist Anselm Lenz, erzählt in einem Interview, daß er bei der Anmeldung der Veranstaltung bei den Behörden, auch bei der Polizei, auf Sympathie gestoßen sei. – Dennoch vermute ich, daß diese Initiative kompetente juristische Hilfe gebrauchen könnte.