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28 June 2023

Ziviler Ungehorsam als Demokratie

Spätestens seit dem Frühjahr 2022 ist ziviler Ungehorsam in Deutschland wieder in aller Munde. Die Justiz, Wissenschaft und die politische Öffentlichkeit sind durch die Protestaktionen insbesondere der „Letzten Generation“ mit dynamischen Entwicklungen konfrontiert. Immer im Raum, aber selten ausgesprochen, steht dabei die Kernfrage: Wann ist es gerechtfertigt, Gesetze zu brechen, um für ein höheres Ideal einzustehen? Ein Blick in die Geschichte sozialer Bewegungen zeigt: Dann, wenn es um existenzielle Krisen geht. Continue reading >>
28 June 2023

„Erfunden“ und „gefunden“

Der Klimaschutzbeschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2021 ist eine historische Entscheidung. Sie kommt an Bedeutung den großen Leitentscheidungen des Gerichts gleich, etwa dem Lüth-Urteil, dem Elfes-Urteil oder dem Brokdorf-Beschluss. Sie entwickelt den Grundwert der gleichen Freiheit weiter und erkennt, auf den Klimaschutz begrenzt, ein Grundrecht auf Nachhaltigkeit an: Freiheit schließt künftige Freiheit ein. Als intertemporale Freiheit kann sie eine verhältnismäßige Verteilung von Freiheitschancen über die Zeit verlangen. Die Entscheidung zeigt einmal mehr, dass Grundrechtsgerichte Rechte zugleich „erfinden“ und „finden“ können: Sie hat die intertemporale Freiheit – im Entdeckungskontext – schöpferisch-innovativ erfunden, sie aber zugleich – im Rechtfertigungskontext – als überzeugende Verfassungsauslegung im positiv geltenden Verfassungsrecht gefunden. Continue reading >>
20 June 2023

Von der Nachhaltigkeit zur Resilienz und einem planetaren Grundgesetz

In Deutschland ist in den letzten Jahren eine lebhafte juristische Diskussion zur Begrünung des Grundgesetzes entbrannt. Die Einführung des Konzepts der planetaren Grenzen in das Grundgesetz findet sich jedoch bisher, soweit ersichtlich, nicht unter den Reformvorschlägen. Die explizite Einführung einer planetaren Dimension ins Grundgesetz hätte aber mehrere Vorteile. Continue reading >>
17 June 2023

Freiheit und Nachhaltigkeit im Verfassungswandel

Mit dem Klima wandelt sich auch notwendig die offene Gesellschaft. Und mit ihr wandelt sich wiederum auch die Verfassung(-sinterpretation). Periodisch wiederkehrende Gesundheits- und Sicherheitskrisen fordern eine dynamische Reaktion des Grundgesetzes auf mit ihnen einhergehende Probleme. In andauernden Krisen wie der Umweltkrise muss die Verfassung gleichzeitig in vielerlei Hinsicht nachhaltig sein. Dabei muss das, was wir unter Freiheit, Klima‑, Umwelt- oder Tierschutz verstehen, immer im Wandel bleiben. Continue reading >>
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16 June 2023
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Rechtsfortbildung in Zeiten planetarer Krisen

Nicht nur der Klimawandel, auch der immense Verlust der Artenvielfalt und die globale Umweltverschmutzung haben sich aus ihren fachspezifischen Nischen in das Zentrum der medialen und gesellschaftlichen Aufmerksamkeit bewegt. Kaum ein Tag vergeht, an dem uns aktuelle Nachrichten nicht an die großen planetaren Krisen - oder noch treffender, wie viele meinen: Katastrophen – erinnern. Es verwundert daher nicht, dass diese globalen Herausforderungen auch im Fokus des Forums Junges Nachhaltigkeitsrechts stehen, welches vom 16. bis 17. Juni an der Martin-Luther-Universität in Halle (Saale) seine zweite Jahrestagung abhält. Welche potentiellen Lösungen das Nachhaltigkeitsrecht in Theorie und Praxis bereithält, werden wir in den folgenden Tagen nicht nur in Halle (Saale), sondern auch im Rahmen dieser Verfassungsblog-Debatte zur Diskussion stellen. Continue reading >>
08 June 2023
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Die „Letzte Generation”, die EMRK und das Strafrecht

Die Aktionen der „Letzten Generation“ haben den gesellschaftlichen und juristischen Diskurs der letzten Monate geprägt. So engagiert die juristische Diskussion jedoch geführt wird, so sehr verharrt sie ganz überwiegend noch im nationalen Recht. Die zuständigen deutschen Strafrichter:innen werden sich jedoch auch dem Blick nach Straßburg nicht entziehen können – die Blockadeaktionen der „Letzten Generation“ stehen unter dem Schutz der in Artikel 11 Abs. 1 EMRK kodifizierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Dieser Schutz steht einer strafrechtlichen Sanktionierung der Aktionen nicht grundsätzlich im Weg; eine Rückbesinnung auf die menschenrechtliche Dimension der Proteste kann und sollte aber ein Korrektiv für allzu ausgeartete Kriminalisierungs- bzw. Selbstjustizfantasien darstellen. Continue reading >>
05 June 2023

Die “Letzte Generation” in staatlichen Schulen?

Die Aufregung in Medien und Politik war ebenso groß wie schnell verflogen. Vertreter*innen der "Letzten Generation vor den Kipppunkten", so wurde berichtet, wollten an Schulen aktiv werden und Schüler*innen für Aktionen mobilisieren. Zum Glück trafen sie damit aber auf den „klaren Widerstand“ der Kultusminister*innen, die sich mutig der „Rekrutierung“ entgegenstellen. In Hamburg forderte die CDU in der Bürgerschaft, dass den Schulen verboten wird, in irgendeiner Weise mit Aktivist*innen der Letzten Generation zusammenzuarbeiten. Sich pauschal gegen die Einladung von Vertreter*innen der „Letzten Generation“ auszusprechen verkennt gleichermaßen die Aufgaben von Schulen wie auch die rechtlichen Bedingungen für die Beteiligungsmöglichkeiten externer gesellschaftlicher Kräfte in der Schule. Continue reading >>
02 June 2023

Gesetz ist Gesetz?

Seit den Hausdurchsuchungen in 15 Wohnungen von Mitgliedern der „Letzten Generation“ hat sich die öffentliche Diskussion um die Aktionen der Gruppe noch einmal intensiviert. Im Zentrum steht dabei der Begriff des „Zivilen Ungehorsams“. Obwohl das dahinterstehende Konzept auf viel, auch auf viel berechtigte, Kritik stößt, möchte ich zeigen, dass „ungehorsames“ Protestverhalten die Funktion erfüllt, Ungleichgewichte in den Möglichkeiten politischer Einflussnahme auszugleichen. Ziviler Ungehorsam kann dabei eine integrative Funktion erfüllen; er kann aber auch die diskursiven Verhältnisse aufbrechen und zu gesellschaftlichen und politischen Veränderungen anstoßen. Zudem zeichnet er sich dadurch aus, dass er Visionen einer normativen Zukunft entwickelt und insofern einen Beitrag zur Entwicklung der politischen Gemeinschaft und ihrer Verfassung leistet. Die weltweit zunehmende Kriminalisierung von Protestaktionen missachtet diese demokratische und rechtsstaatliche Bedeutung zivilen Ungehorsams. Continue reading >>
30 May 2023

Aus der Mottenkiste politischer Theorie

Die aus der Mottenkiste der politischen Theorie entliehene Figur des „zivilen Ungehorsams“ in ihrer schillernden Unbestimmtheit ist kein grundrechtsdogmatisch plausibles Argument. Es gibt keine habermaskonforme Auslegung des Grundgesetzes. Ein dysfunktionales Einsickern in das Vokabular der Verhältnismäßigkeit wäre folgenreich und hat das Potential, die Mechaniken angemessenen Interessenausgleichs auszuhebeln, auf den wir alle gerade dann angewiesen sind, wenn wir erfolgreich die Wende in die Klimaneutralität organisieren wollen. In Zeiten, in denen sich die Institutionen des liberal-demokratischen Rechtsstaats immer aggressiveren Anfechtungen ausgesetzt sehen und sich robust behaupten müssen, wird die durchsetzbare Verpflichtung aller Akteure auf die demokratische Legalität zu einem kostbaren Gut. Man sollte es keinem autoritären Illegalismus opfern. Continue reading >>
25 May 2023

Organisierte „Klimakleber“ als kriminelle Vereinigung?

Die freie öffentliche Auseinandersetzung über Ziele der Politik ist nur möglich, wenn sich diese auf kommunikative Mittel beschränkt und nicht Rechte anderer verletzt. Freiheit ist in einer Rechtsgemeinschaft immer konditioniert, auch die politische. Illegale Druckmittel und Emphasizer symbolisch einzusetzen, um dem eigenen Anliegen ersehnte schnelle Sichtbarkeit zu verschaffen, ist gerade ein Angriff auf die Kommunikationsstruktur des demokratischen Prozesses, der erst die politische Gestaltung des Miteinanders auf der Grundlage der gleichen Freiheit aller sichert. Die Selbstprivilegierung, sich kraft erfühlter höherer Einsicht oder aus narzisstischem Sendungsbewusstsein über die gleiche Freiheit der anderen zu stellen, die für ihre – zunächst einmal ebenfalls legitimen – Anliegen um Mehrheiten werben müssen, ist anti-demokratisch, anti-egalitär und letztlich autoritär. Weder Gesetzgeber noch Strafverfolgungsbehörden und Gerichte sind verfassungsrechtlich in der Pflicht, dies im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu honorieren. Continue reading >>
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