04 June 2024

Zur Gestalt Europas

Die Debatte über die Finalität der Europäischen Union ist in eine Sackgasse geraten. Die letzte Vertragsrevision liegt bald 15 Jahre zurück, ernsthafte politische Initiativen sind nicht erkennbar oder nicht Erfolg versprechend. Die Konferenz zur Zukunft Europas präsentierte Mitte 2022 ihre Ergebnisse, vermutlich dürften aber auch diese alsbald verpuffen. Wir tippeln auf der Stelle, seit dem Vertrag von Lissabon, eigentlich aber schon seit dem Scheitern des Verfassungsvertrages scheint die Debatte festgefahren. Anstatt über die weitere Entwicklung der Integration zu sprechen, scheint es eher darum zu gehen, das Bestehende zu bewahren und zu verhindern, dass es zu signifikanten Integrationsrückständen kommt. Continue reading >>

Eine Strategie tut not, nicht Schnellschüsse

Der Freistaat Sachsen hat einen Gesetzentwurf vorgestellt, der die Vorschriften gegen Nötigung von Angehörigen von Verfassungsorganen auf Kommunal- und Europapolitiker erstreckt. Er sieht auch eine Art Stalking-Tatbestand vor, der Übergriffe in den Bereich der persönlichen Lebensgestaltung von Amts- und MandatsträgerInnen kriminalisiert. Fast zeitgleich hat der Freistaat Bayern einen Gesetzentwurf präsentiert, der sich gegen die Verbreitung von Deep Fakes richtet. Die Vorschläge reagieren auf einzelne, als bedrohlich erachtete Phänomene mit symbolischen Strafschärfungen bzw. kleinräumigen, einzelfallbezogenen Gesetzesänderungen zur Schließung von Gesetzeslücken. Was den Vorhaben fehlt ist eine Gesamtstrategie auf Grundlage einer umfassenden Gefahrenanalyse. Continue reading >>
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03 June 2024
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Soft law, hardcore?

Soft law offers the possibility of agile and flexible regulation that can adapt to dynamic digital developments. However, due to its non-binding nature, soft law is not considered to be very effective. With the Digital Services Act (DSA), however, the EU is taking an - at least from a legal dogmatic perspective - unconventional approach by combining hard and soft law in a unique way. The DSA itself is a legally binding EU regulation, but it provides for soft law instruments and even contains provisions for their legal enforcement. Although such regulatory techniques are well known in EU law, they at least call into question the public perception of the DSA as the ‘constitution of the internet’. How far-reaching can such a constitution be that outsources essential issues to (executive-initiated, privately set) soft law? Continue reading >>
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Soft law, hardcore?

Soft Law bietet die Möglichkeit der agilen und flexiblen Regulierung, die sich gerade an die dynamische digitale Entwicklung anpassen kann. Allerdings gilt Soft Law durch seine unverbindliche Natur als wenig effektiv. Mit dem Digital Services Act (DSA) beschreitet die EU jedoch einen unkonventionellen Weg, indem sie Hard Law und Soft Law in – zumindest aus dogmatischer Perspektive – eigentümlicher Weise miteinander verbindet. Der DSA ist selbst eine rechtsverbindliche EU-Verordnung, welche jedoch Soft Law Instrumente vorsieht und sogar Vorschriften zu ihrer rechtlichen Durchsetzung enthält. Derlei Regelungstechniken sind im Unionsrecht zwar durchaus bekannt, doch stellen sie zumindest der öffentlichen Wahrnehmung des DSA als ‚Verfassung des Internets‘ in Frage. Wie weitreichend kann eine solche Verfassung sein, die wesentliche Fragen an (exekutiv initiiertes, privat gesetztes) Soft Law auslagert? Continue reading >>

Deepfakes, the Weaponisation of AI Against Women and Possible Solutions

In January 2024, social media platforms were flooded with intimate images of pop icon Taylor Swift, quickly reaching millions of users. However, the abusive content was not real; they were deepfakes – synthetic media generated by artificial intelligence (AI) to depict a person’s likeness. But the threat goes beyond celebrities. Virtually anyone (with women being disproportionately targeted) can be a victim of non-consensual intimate deepfakes (NCID). Albeit most agree that companies must be held accountable for disseminating potentially extremely harmful content like NCIDs, effective legal responsibility mechanisms remain elusive. This article proposes concrete changes to content moderation rules as well as enhanced liability for AI providers that enable such abusive content in the first place. Continue reading >>
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Besetzte Hochschulautonomie

Am 23. Mai, dem Tag des Grundgesetzes, wurde das am Vortag von Studierenden besetzte Institut für Sozialwissenschaften der Berliner Humboldt-Universität (HU), polizeilich geräumt. Die Präsidentin der HU, die zuvor den Dialog mit den Besetzer:innen gesucht hatte, sprach hinterher davon, dass sie von der Wissenschaftssenatorin und dem Regierenden Bürgermeister angewiesen worden sei, die Besetzung zu beenden. Die Hochschulautonomie verschafft der Präsidentin einen weiten Ermessensspielraum, auf derartige Situation zu reagieren. Eine Weisung wäre – auf Grundlage der bislang bekannten Tatsachen – in der vorliegenden Situation rechtswidrig gewesen. Continue reading >>
31 May 2024

Unionsfeindlichkeit und Obstruktion

Am 9. Juni ist Europawahl. Mit dem zu erwartenden, starken Ergebnis der potenziell unionsfeindlichen Parteien bei der Europawahl wächst vor allem auch das Risiko für Angriffe aus dem Inneren des Europäischen Parlaments selbst. Ein Blick in die aktuelle Geschäftsordnung des EU-Parlaments (GOEP) zeigt bereits heute ein EU-Parlament, das sich im Bewusstsein dieser Obstruktionsgefahren selbst organisiert hat. Continue reading >>
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Und (fast) täglich grüßt das Murmeltier

Anfang Mai 2024 deckte eine Investigativrecherche des Bayerischen Rundfunks auf, dass das Bundeskriminalamt offenbar schon im Jahr 2019 heimlich rund fünf Millionen Gesichtsbilder aus dem zentralen polizeilichen Informationssystem INPOL-Z extrahiert und dem Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung zur Verfügung gestellt hat. Immer wieder verkennen die Sicherheitsbehörden die Reichweite der Datenschutz(grund-)rechte oder ignorieren geflissentlich Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Continue reading >>

Kommunikatives Tabu ohne Zukunft?

„Der Angeklagte (…) hat (…) eine Rede gehalten und diese mit dem Ausruf "Alles für Deutschland" beendet, wobei es sich, wie allgemein bekannt ist, um die Losung der SA, handelt.“ Mit dieser Feststellung bestätigte das OLG Hamm 2006 eine Haftstrafe wegen des „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“. Für das Höcke-Urteil des LG Halle ist damit ein wichtiger Referenzpunkt gesetzt. Gleichzeitig wird es zunehmend schwieriger, das „kommunikative Tabu“ aufrechtzuerhalten, das § 86a StGB etablieren sollte. Continue reading >>

Namhafter Fortschritt?

„Das neue Namensrecht ist auch ein Antidiskriminierungsrecht“, erklärte Kassem Taher Saleh im April bei der Aussprache im Bundestag. Kurz darauf beschlossen die Abgeordneten in dieser Sitzung das „Gesetz zur Änderung des Ehenamens- und Geburtsnamensrechts“. Am 17. Mai billigte nun auch der Bundesrat den Gesetzesentwurf. Doch tatsächlich ist das neue Namensrecht nicht so antidiskriminierend, wie es politisch dargestellt wird. Continue reading >>
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30 May 2024

Follow Me to Unregulated Waters!

In this article, I will demonstrate how some major platforms are failing to ​properly ​implement the Digital Service Act's (DSA) rules on notice and action mechanisms. In my view, many platforms are ​unduly ​nudging potential notice-senders to submit weak, largely unregulated Community Standards flags. At the same time, platforms are actively deterring users from submitting (strong) notices regulated under the DSA. Continue reading >>
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Verfassungsfeindlicher Protest und Versammlungsrecht

Politische Äußerungen in Versammlungen sind gegenwärtig Gegenstand intensiver öffentlicher Diskussionen. Insbesondere Positionen und Parolen, die auf eine Verneinung des Existenzrechts des Staates Israel gerichtet sind, werden zum Anlass für administrative Interventionen durch „Auflagen“ (sc. Beschränkungen) in Bezug auf Inhalt und Äußerungen im Rahmen von Versammlungen oder gar deren Auflösung genommen. Auch wenn viele Äußerungen, die gegenwärtig auf Versammlungen fallen, politisch ohne Zweifel zu missbilligen sind, gerät der Grundsatz, dass der Inhalt einer Versammlung und im Rahmen einer Versammlung erfolgte Meinungsbekundungen grundsätzlich „staatsfrei“ zu bleiben haben und nur bei Überschreitung äußerster Grenzen reglementiert werden können, zusehends in Gefahr. Continue reading >>
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A Comparative Analysis between the Corporate Sustainability Due Diligence Directive and the French and German Legislation

This blog post offers an initial comparative glimpse of the most important changes that the Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) will bring for the respective mandatory human rights and environmental (HREDD) legislation in Germany and France. While both the French Duty of Vigilance Law and the German Supply Chain Act already require effective HREDD, the CSDDD goes a long way in strengthening the requirements and bringing them more in line with international standards. Continue reading >>
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29 May 2024

The Electoral Reform in New Caledonia as a Blessing in Disguise

The constitutional amendment recently examined by the French Parliament would allow French citizens, residing in New Caledonia for at least ten years, to take part in local elections. Prompted by President Macron, this electoral reform has led to massive riots in recent weeks involving supporters and opponents of independence for this territory of the French Republic. Local representatives fear that this reform will place the Kanak – the archipelago’s autochthonous people – in an even more inferior position vis-à-vis loyalist militants. Nevertheless, this reform should guarantee better representation of the population of New Caledonia and thereby guarantee the right to vote more widely, in line with the democratic principles of the French Republic. Continue reading >>

Administrative Enforcement of Corporate Human Rights Due Diligence Legislation

Mandatory human rights and environmental due diligence legislation such as the new EU’s Directive on Corporate Sustainability Due Diligence (CSDDD) have received praise and critique in practice and scholarship. This contribution assesses the regime of administrative enforcement contained in the CSDDD and asks if it meets the standards of effective remedy. Continue reading >>
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Polizei und Taser

Immer mehr Landesgesetzgeber führen den Taser als weiteres polizeiliches Einsatzmittel neben Pfefferspray, Schlagstock und Schusswaffe ein. Dabei ist die fortschreitende Ausrüstung aus einer Reihe von Gründen, die im Diskurs oft zu kurz kommen, abzulehnen. So birgt der Beschuss einer Person mit einem Elektroimpulsgerät praktisch nur schwer zu kontrollierende gesundheitliche Risiken und endet in der Praxis immer wieder tödlich. Außerdem ist zu befürchten, dass Beamte die Geräte künftig extensiv nutzen und sich damit eine Form erheblicher polizeilicher Gewaltanwendung schleichend normalisiert – nicht zuletzt deshalb, weil deren Einsatz in den meisten Ländern bislang nicht eigens geregelt ist. Continue reading >>

On Kanaks and Caldoches

Over the past week, the French electoral reform in New Caledonia precipitated into violent unrest. Although the French government lifted the state of emergency on Tuesday morning, in an attempt to initiate a process of de-escalation and to renew the dialogue with the independence movement, the reform will eventually move forward. Henceforth, France will further entrench its influence in the South Pacific and effectively deny the Kanak people to achieve their desired self-determination. Continue reading >>
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Untying the Gordian Knot

Much like Alexander the Great’s “untying” of the mythical Gordian Knot in ancient Persia, tracking defamation litigation in this year’s US Presidential election season would appear to not only require formal legal training, but resort to some fairly unconventional tactics. But rather than slicing the metaphorical knot with brute force (as legend has it), this article shines a modest but revealing light on the history and principles of US defamation law to assist foreign jurists with its many technicalities and often perplexing uses. Continue reading >>
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28 May 2024

The Unbearable Lightness of Interfering with the Right to Privacy

The European Court of Justice has once again ruled on national data retention laws. In La Quadrature du Net II, the full court allowed the indiscriminate retention of IP addresses for the purpose of fighting copyright infringement. It seems that the Court is slowly but surely abandoning its role as guardian of the right to privacy, as it now allows member states to collect vast amounts of data on their citizens in order to solve even the most minor of crimes. Continue reading >>
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Parteiverbotsverfahren zum Schutz vor Rassismus

Die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 13. Mai sind ein Meilenstein in der aktuellen Debatte über den Umgang mit der AfD und wurden häufig als Vorbedingung für ein Parteiverbotsverfahren gesehen. Über die antirassistische Seite der Debatte liest man allerdings wenig. Zum Schutz von Personen, die von Rassismus betroffen sind, scheint ein Verbotsverfahren bei entsprechender Beweislage damit mehr als geboten. Continue reading >>
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27 May 2024

Von frommen Wünschen und dicken Knüppeln

Die Politik einer autoritären Landesregierung wird nicht an den Grenzen des von ihr regierten Bundeslandes haltmachen. Dafür ist das föderale Gefüge der Bundesrepublik viel zu sehr auf Kooperation und Koordination ausgelegt. Wie für einzelne Bürger*innen stellt sich auch für die Bundesländer die Frage, wie sie auf autoritäre Regierungen jenseits der eigenen Landesgrenzen reagieren können. Continue reading >>
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25 May 2024

Consensus, at what Cost?

After four applications for provisional measures, three sets of formal orders and two rounds of oral hearings, on Friday night, the International Court of Justice in South Africa v. Israel delivered a long-awaited Order. It is, to be frank, most unsatisfactory. While the Court is known for its “Solomonic” decisions, which try to give each party a little of what they asked for at times to no one’s satisfaction, this is not a maritime boundary delimitation where equidistance can be imposed in pursuit of impartiality. Continue reading >>
24 May 2024

Schutz vor einer Politik durch Köpfe

Das BVerfG bleibt seiner restriktiven Rechtsprechung zum politischen Beamten treu. Die Kritik an dem Beschluss schießt aus allen Rohren – aber mit Platzpatronen. Die Entscheidung geht den überfälligen Schritt, einer Politik durch Köpfe im gesetzesvollziehenden Teil der Exekutive die Grenzen aufzuzeigen. Amtscourage, nicht politische Konformität, ist das Leitbild des Personals der Republik. Continue reading >>
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Die Beamtenschaft zwischen Courage und Pflicht

In den nächsten Wochen stehen in diversen Bundesländern Kommunalwahlen an, im September in Brandenburg, Sachsen und Thüringen Landtagswahlen. Welche Reaktionsmöglichkeiten oder gar -pflichten bestehen für die Beamtenschaft, falls Funktionäre einer autoritär-populistischen Partei in höchste Verwaltungspositionen gelangen und in der Folgezeit im Dienst juristisch bedenkliche Anordnungen erteilen sollten? Wie die Beamtengesetze zeigen, können Beamt:innen in solchen Konstellationen in rechtliche und emotionale Unsicherheits- und Konfliktsituationen geraten, die nicht unterschätzt werden sollten. Continue reading >>

A Collision Foretold

On 16 May, four Dutch parties presented a new governing agreement (Agreement). The four parties PVV, VVD, NSC, and BBB will form one of the most right-wing governments in Dutch history. They vow to impose the strictest migration policy to date. The proposed migration measures under the Agreement endanger the fundamental rights of migrants and people applying for international protection. The plan also put the Netherlands on a collision course with the EU as many of the measures are contrary to the provisions in the EU Migration Pact, which was adopted last week. Continue reading >>
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After Switzerland Comes Austria

The KlimaSeniorinnen judgment of the European Court of Human Rights (ECtHR) has been the subject of intense debate for several weeks. One focus was on the question of standing, i.e., who can bring a lawsuit connected to climate change and human rights before the ECtHR. However, less attention has been paid to the question of the impact of the judgment on currently pending climate change cases before the ECtHR. This blog post sheds light on “climate change case number four”, a case against Austria primarily challenging the shortcomings of the Austrian Climate Protection Act.

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23 May 2024

On Rebuilding and … Keeping the Rule of Law

When I think about the challenge of rebuilding the rule of law in Poland after years filled with unimaginably lawless legal and factual acts and hateful words tearing the Polish Constitution to shreds and offering adequate recipes, the starting point is framing the discussion. A correct description of the starting point determines the route and provides the background against which one can evaluate more detailed legislative choices made along the way. The route must be determined by “fidelity to the Constitution”. Finally, our avowed destination must be framed in clear terms as restoring the meaning and respect to the basic elements of the Polish legal order. I argue that the latter must become the new narrative of lawyers, politicians and citizens alike if we are to succeed. Continue reading >>
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Nigeria as a Safe Country of Origin?

On May 7th 2024 Italy updated its list of safe countries of origin (SCO) for the second time after the introduction of the notion in the national legal system in 2019. Notably, the latest update retained the most contentious addition to the list from last year, Nigeria. Until then, only Cyprus considered Nigeria as generally safe. The legal issues underlying this designation illustrate how country of origin information (COI), largely provided to Member States by the European Union Agency for Asylum (EUAA), is (mis)used to produce policy-based evidence rather than evidence-based policies. Continue reading >>
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