26 November 2020
“Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt…”
Empirische SozialforscherInnen brauchen Vertrauen – sowohl von den Institutionen, die ihre Tätigkeit finanziell unterstützen, als auch von den ProbandInnen, die ihnen Zugang zu persönlichen Informationen gewähren. Verfassungsrechtlich sind die Bedingungen, die akademisch eingebundene SozialwissenschaftlerInnen für ihre Arbeit benötigen, durch die Wissenschaftsfreiheit in Art 5 Abs. 3 GG abgesichert. Dennoch kann die notwendige Vertrauensbasis gefährdet werden, wenn sie sich beruflich mit Fragen beschäftigen, die für Strafverfolgungsbehörden von Interesse sein können, wie etwa Vorgänge im Justizvollzug oder Dispositionen ihrer Probanden zu terroristischen Straftaten. Solche Insider-Informationen können von großer Bedeutung für die Strafverfolgung sein. Ob entsprechende Unterlagen bei den ForscherInnen für Zwecke eines Strafverfahrens beschlagnahmt werden dürfen, ist zum Gegenstand heftiger Kontroversen geworden. Continue reading >>
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25 November 2020
Regierungs-Twittern zum Schutz der freien Presse
Das case law zu den gubernativen Äußerungsbefugnissen ist mit der gestrigen Entscheidung des niedersächsischen Staatsgerichtshofs im Fall Weil um einen interessanten Aspekt reicher geworden: Wenn es um den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und ihrer Institutionen geht, muss sich ein Regierungsmitglied nicht neutral verhalten. Continue reading >>
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Die Meinungsfreiheit ist kein Freifahrtschein
In einem so bemerkenswerten wie eigentlich selbstverständlichen Beschluss vom 2. November 2020 stellt das BVerfG klar, dass die Meinungsfreiheit nicht vor allen drastischen Konsequenzen bewahrt. Ein Arbeitnehmer hatte seinen Kollegen rassistisch beleidigt und sich in der darauffolgenden Verhandlung auf Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zurückgezogen. Die Kammer räumt hier mit einem Irrtum auf, der auch in anderen Kontexten zu beobachten ist: Die Meinungsfreiheit ist kein Freifahrtschein, mit dem nach Belieben rassistische Stereotype verbreitet werden können. Continue reading >>Another Urgenda in the making
Last week in Commune de Grande Synthe I, the Conseil d’Etat delivered a powerful ruling on France’s obligation to reduce greenhouse gas emissions. It sets a precedent for climate litigation in France and could inspire other courts across Europe, including the European Court of Justice (ECJ), to pursue the way opened by Urgenda and accept more climate-related challenges. Continue reading >>Parlamentarismus in der Pandemie
Pandemien sind Zeiten für Disruptionen und Innovationen. Aber es drohen auch falsche Weichenstellungen, die zu neuen Pfadabhängigkeiten führen. Das gilt auch für die zukünftige Rolle des Parlamentarismus – insbesondere auf Landesebene. Continue reading >>
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Wissenschaftsfreiheit und Zeugnisverweigerungsrecht
Die Ausgestaltung der Zeugnisverweigerungsrechte in der StPO erweckt schon bei oberflächlicher Betrachtung einen inkohärenten Eindruck. Sie ist ein unsystematisches Sammelsurium von Partikularrationalitäten und steckt voller Unwuchten. Die Wissenschaftsfreiheit erfährt darin erstaunlicherweise keinen besonderen Schutz. Und noch erstaunlicher mag es scheinen, dass sich darüber bis dato weder größeres Unbehagen in der Wissenschaft geregt hat noch die verfassungsrechtlichen Leitkommentare den unzureichenden Schutz im Strafverfahren weiter problematisieren. Continue reading >>
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24 November 2020
EU-Finanzsanktionen für Rechtsstaatsverstöße
Seit Jahren fordern Politiker und Wissenschaftler einen Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit bei der Verwendung von EU-Mitteln. Ein Handeln der EU ist dringend, da sich die Lage der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere in Polen und Ungarn weiter verschlechtert und die laufenden Verfahren nach Art. 7 EUV keine Wirkung zeigen. In Deutschland wird ein solcher Sanktionsmechanismus nicht zur Anwendung kommen. Continue reading >>
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Seismograph der Staatsverfassung
Strafprozessrecht wird gerne als «Seismograph der Staatsverfassung» bezeichnet. Ein Beben lösten jüngst zwei Beschlüsse das OLG München aus (Beschl. v. 31.01.2020, OGs 19/20 und v. 28.07.2020, 8 St ObWs 5/20). Sie erklärten die Beschlagnahme von Videointerviews für rechtmäßig, in denen sich Häftlinge mit islamistischem Hintergrund zu ihrer eigenen Geschichte äußerten. Die Interviews waren von Sozialforschern im Rahmen eines von der DFG geförderten und von der Bayerischen Staatsregierung unterstützten Forschungsprojekts zur «Islamistischen Radikalisierung im Justizvollzug» geführt worden. Continue reading >>
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23 November 2020
Auf Antisemitismus (oder das, was manche dafür halten) kommt es bei der Meinungsfreiheit nicht an
Dürfen Kommunen die Überlassung ihrer Räume für Veranstaltungen verweigern, auf denen die Forderungen der Palästinensischen BDS-Bewegung („Boycott, Divestment and Sanctions“) diskutiert werden sollen, weil sie diese Bewegung für antisemitisch halten? Der Bayerische VGH hat diese seit Jahren umstrittene Frage am 17.11.2020 verneint. Es hat dabei festgestellt, dass es für die Grundrechtsprüfung unerheblich ist, ob die BDS-Bewegung als antisemitisch zu qualifizieren ist oder nicht. Continue reading >>
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Die Rückkehr der Jedi-Ritter?
Könnte man die finanziellen Covid-Hilfsmaßnahmen außerhalb des rechtlich-institutionellen Rahmens der EU vereinbaren – ohne Polen und Ungarn? Die Geschichte der europäischen Integration ist immer wieder von intergouvernementaler Zusammenarbeit jenseits des bestehenden Primärrechts vorangetrieben worden. Für die vorliegende Problemlage erscheint eine intergouvernementale Lösung zwar rechtlich möglich, sie erweist sich indessen aus nicht-rechtlichen Gründen als unbefriedigend. Continue reading >>
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Von der Ausnahme zum Alltäglichen
Das Sicherheitsrecht gilt als ebenso dynamisches wie instabiles Rechtsgebiet. Ein Grund hierfür ist, dass Sicherheitsgesetzgebung häufig anlassbezogen ist und auf Einzelereignisse reagiert. Die Spuren des Terroranschlags in Wien am 2.11.2020 waren kaum beseitigt, da legten sowohl die Österreichische Bundesregierung als auch die Europäische Kommission Entwürfe für neue Anti-Terror-Pakete vor. Beide Pakete sind weitere Bausteine einer Gesetzgebung, die auf konkrete Anlässe mit allgemeinen Gesetzen reagiert und auf diese Weise das Außergewöhnliche verallgemeinert, während das Normale denormalisiert wird. Continue reading >>
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Kriminologen als unfreiwillige Strafverfolger?
Ein Beschluss des Oberlandesgerichts München versetzt die empirische Kriminalitätsforschung derzeit in helle Aufregung. Worum geht es? Das OLG wies in dieser Entscheidung die Beschwerde eines Erlanger Professors für Psychologische Diagnostik zurück, mit der dieser sich gegen die Durchsuchung seiner Diensträume an der Universität und die Beschlagnahme des Transkripts eines Interviews gewandt hatte, das eine Mitarbeiterin seines Lehrstuhls im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Radikalisierung im Justizvollzug mit einem Häftling geführt hatte. Continue reading >>Es braucht ein Zeugnisverweigerungsrecht für Wissenschaftler_Innen
Beamte des Bayerischen Landeskriminalamts durchsuchten am 31.1.2020 das Büro des Hochschullehrers Mark Stemmler, der im Rahmen eines Forschungsprojekts vertrauliche Gespräche mit inhaftierten Jihadis geführt hatte. Interviewaufzeichnungen und weitere identifizierende Informationen wurden trotz seines Protests beschlagnahmt. Der Fall illustriert beispielhaft, dass Forschende derzeit über keine rechtlichen Möglichkeiten verfügen, wissenschaftliche Daten wirksam vor behördlichen Zugriffen zu schützen. Die Interviewpartner*innen selbst, das ethische Selbstverständnis der Wissenschaftler*innen und die Datenschutzregeln von Forschungsförderungsinstitutionen (er)fordern aber systematische und verbindliche Schutzzusagen, um gesellschaftlich wichtiges Wissen gewinnen zu können. Interdisziplinäre Beiträge aus den Rechts- und Sozialwissenschaften debattieren Gründe und Hürden für ein Zeugnisverweigerungsrecht für Wissenschaftler*innen und formulieren juristische Lösungsansätze. Continue reading >>
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22 November 2020
Vermeidbar und vorhersagbar
Die juristische Abwicklung des Ausstiegs aus der Kernenergie ist kein Ruhmesblatt deutscher Gesetzgebungsgeschichte. Schon die mit der 13. Novelle zum Atomgesetz verbundene Beschleunigung des Ausstiegs nach der Katastrophe von Fukushima litt unter erheblichen grundrechtlichen Mängeln. Deren vermeintliche Beseitigung in der 16. AtG-Novelle stieß schon bei der Anhörung im Bundestagsausschuss auf massive Kritik. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht nunmehr bereits das Inkrafttreten des Gesetzes verneint und die angestrebte Regelung für verfassungswidrig erklärt – eine ebenso vermeidbare wie vorhersagbare Niederlage. Continue reading >>
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21 November 2020
Time for Reform in Bosnia and Herzegovina
On November 21, 2020, the General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina, also known as the Dayton Peace Agreement (DPA), turns 25. Just a few days before, on November 15, Bosnian citizens were called to renew the municipal councils across the country. The poor management of the pandemic exacerbated the already high level of corruption and the recurring stalemate in political institutions, and Bosnian voters in major cities used the local elections to express all their discontent with the political conduct of the ruling parties. It is clear today that the system put in place by the DPA 25 years ago is not a sustainable solution. Continue reading >>20 November 2020
Am Schutz orientiert
Gestern hat der EuGH über den Fall eines Syrers entschieden, der sich dem Wehrdienst durch Flucht entzogen hat. Der Gerichtshof argumentiert völker- und europarechtlich überzeugend und vor allem schutzorientiert – etwas, das der Rechtsprechung der meisten deutschen Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oft fehlt. Continue reading >>Keine Verstärkte Zusammenarbeit zu Lasten aller
Das Aufbauinstrument „Next Generation Europe“ (NGEU) soll die EU-Mitgliedstaaten finanziell dabei unterstützen, die Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen. Zur Umsetzung ist ein Eigenmittelbeschluss erforderlich, über den der Rat einstimmig entscheiden muss und den die Mitgliedstaaten ratifizieren müssen (Art. 311 Abs. 3 AEUV). Ungarn und Polen haben allerdings zu erkennen gegeben, dass sie dieser Entscheidung (gegenwärtig) nicht zustimmen wollen. Dies hat zu politischen Forderungen im Europäischen Parlament geführt, NGEU im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit umzusetzen. Die EU könne „das Veto von Ungarn und Polen umgehen“, heißt es etwa in der FAZ. Bei genauem Hinsehen erweist sich das als Trugschluss. Continue reading >>
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The Commission’s Al Capone Tricks
In its judgement dealing with the Central European University, the CJEU had to employ a trick to address the rule of law issue at stake: It found that Hungary had violated the General Agreement on Trade in Services. The legal trick was succesful but in reality, the ruling came too late. The Central European University has moved to Vienna and will not return to Hungary. Continue reading >>
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So It Goes – Part II
This week, the Hungarian and Polish governments vetoed the critical elements of the European Multi-Annual Financial Framework and Recovery Fund that required the unanimous consent of European Union Member States. Prime Minister Orbán had been threatening this veto ever since the European Commission proposed to link the distribution of these funds to comply with the rule of law. The Brussels veto this week coincided with a domestic legal blitz in Budapest as a major constitutional amendment, and a flurry of new laws and decrees appeared all at once. The two legal events are related. Continue reading >>
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Das Maßnahmegesetz
Zu den vielen unerfreulichen Veränderungen der politischen Kultur durch den Rechtspopulismus und die Verkünder alternativer Wahrheiten gehört es, dass sich die Grenzen zwischen legitimer Kritik an einzelnen Sachfragen und der radikalen Infragestellung des politischen Systems schleichend verwischen. Wer in diesem Sinne den neuen § 28a Infektionsschutzgesetz kommentieren und möglicherweise auch kritisieren will, wird dies deshalb nicht mehr tun können, ohne sich gleichzeitig von dem ebenso maß- wie haltlosen Vorwurf des „Ermächtigungsgesetzes“ zu distanzieren, der aus dieser Ecke erhoben worden ist. Versuchen wir deshalb erst einmal eine nüchterne Bestandsaufnahme, die auch das Positive nicht ausspart. Continue reading >>Kein Handschlag – keine Einbürgerung
Bei der Aushändigung seiner Einbürgerungsurkunde verweigerte ein Mann der zuständigen Sachbearbeiterin zur Begrüßung den Handschlag, weshalb seine Einbürgerung kurzerhand abgelehnt wurde. Ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg bestätigte, dass der Handschlag ein Indiz für die Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse ist. Dabei sind rituelle Handlungen ungeeignet um auf dahinterstehende Wertvorstellungen zu schließen. Continue reading >>19 November 2020
Verfolgung Strafunmündiger als Erziehungskonzept?
Ein Sechsjähriger wird vom Polizeipräsidenten Berlins "vorgeladen" in einer "Ermittlungssache" – weil er einer Erzieherin auf die Hand geschlagen haben soll. Die Kanonen des Strafrechts auf ein strafunmündiges Kind zu richten, ist nicht nur erziehungspolitisch höchst fragwürdig, sondern sieht auch stark nach einer Straftat im Amt aus: Auf Verfolgung Unschuldiger steht mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe. Continue reading >>Geschlechtliche Selbstbestimmung im Recht umsetzen
Die Frage, wie sich geschlechtliche Selbstbestimmung rechtlich umsetzen lässt, beschäftigt seit einigen Jahren die Gerichte, Politik und Wissenschaft. Bislang blieb die Rechtslage hinter den Forderungen nach Anerkennung und Gleichstellung von geschlechtlich vielfältigen Lebensweisen zurück. Nun wurden zwei Gesetzesentwürfe in den Bundestag eingebracht – einer von der FDP-Fraktion und einer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – die auf eine Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung durch Reformierung des personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrages abzielen. Die beiden Vorschläge wurden am 2. November in einer Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat zur Diskussion gestellt. Dabei haben die schwachen Argumente der Antagonist:innen, die auf eine Sicherung des status quo abzielen lediglich gezeigt, dass eine Reform unumgänglich geworden ist. Continue reading >>So It Goes – Part I
The Hungarian government is now so routinely using unconstitutional emergency powers to circumvent constitutional constraints that one must conclude that the government’s main aim is to govern outside the very constitution that it wrote for itself a mere decade ago. At this point, it seems irrelevant whether this limitless power is achieved with or without the declaration of a constitutionally authorized state of emergency. Government unconstrained by the constitution in Hungary has become the norm and not the exception. Continue reading >>
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18 November 2020
A New Chapter in the Hungarian Government’s Crusade Against LGBTQI People
On 10 November 2020 - the same day the Hungarian National Assembly authorized the Government to rule by decree for 90 days in the state of danger - the Minister of Justice submitted a whole package of legislative reforms. Among them, the Ninth Amendment to the Fundamental Law of Hungary. Two proposed amendments would directly detrimentally affect the rights of the LGBTQI community, which, we argue, would make it extremely difficult to deconstruct the institutionalized trans- and homophobia which the government has been further entrenching for years. Continue reading >>“Is the Turkish Central Bank Independent?” as an Uninteresting Question
Yes, the Turkish Central Bank’s independence has been eroded in recent years. Yes, from 2016 until now, the Bank has had four different presidents (or governors, as they are called), which is unusual by all accounts. No, the Bank is therefore probably not independent — or as independent — as its Western counterparts. I do not find these somewhat trite but true statements about the Bank’s independence (or the lack thereof) terribly interesting. Not that they are unimportant, but because I think the erosion of the Bank’s independence is illustrative of deeper and far more curious attributes of competitive authoritarian regimes and how they sustain themselves (or fail at doing that). Continue reading >>
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Versammlungen im Herzen der Demokratie
Für den heutigen Mittwoch ist in Berlin eine weitere Demonstration gegen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie angekündigt. Das BMI hat im Einvernehmen mit dem Bundestag eine Genehmigung der geplanten Versammlungen abgelehnt. Rechtsgrundlage dafür ist das Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes, das ein Sonderversammlungsrecht für bestimmte Versammlungsorte im Umkreis der Verfassungsorgane des Bundes enthält. Bei näherer Betrachtung wirft es eine Reihe interessanter verfassungsrechtlicher Fragen auf, die ein Schlaglicht auf die verfassungsrechtliche Konzeption des Bundestages im deutschen Verfassungsrecht werfen. Continue reading >>Kompromiss auf Zeit
Die Abtreibungs-Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts hat heftige Proteste in Polen ausgelöst. Aufgrund der Ernennung Amy Coney Barretts zur Richterin am Supreme Court der USA fürchten dort viele um das Recht auf Abtreibung. Auch in Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht das Abtreibungsrecht maßgeblich geprägt, seine Liberalisierung gebremst und das Thema so weitestgehend dem parlamentarischen Diskurs entzogen. Insbesondere vor dem Hintergrund neuerer Verfassungsrechtsprechung reicht dies aber nicht mehr aus, um echten politischen Diskurs über Sinn und Unsinn des Abtreibungsstrafrechts zu verweigern. Continue reading >>In zwei Stunden von Luxemburg nach Brüssel spazieren
Vor anderthalb Jahren gingen knapp 200.000 Menschen gegen die EU-Urheberrechtsreform auf die Straße. Stein des Anstoßes war Artikel 17 der Urheberrechtsrichtlinie, der bestimmte Online-Plattformen für die Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer:innen in Haftung nimmt. Um dem zu entgehen, müssen Plattformen auf Wunsch von Rechteinhaber:innen den Zugang zu deren Werken sperren. Die Befürchtung, dass auch legale Nutzungen den Uploadfiltern zum Opfer fallen werden, trieb die Menschen auf die Straße. Zwar sind die Proteste nach der Verabschiedung der Richtlinie zunächst verebbt, während die Mitgliedstaaten mit der komplizierten Aufgabe betraut sind, Artikel 17 in ihr nationales Urheberrecht zu überführen. Es wäre jedoch ein Fehler, die relative Ruhe als Zeichen für die Lösung der grundlegenden Probleme rund um Artikel 17 zu interpretieren. Der Konflikt wurde stattdessen nur von den Straßen in den Gerichtssaal getragen. Continue reading >>17 November 2020
Eine Zensur findet nicht statt – auch nicht bei Extremisten
„Eine Zensur findet nicht statt“. So steht es im Grundgesetz. Selbst bei Neonazis und notorischen Holocaustleugnern wie Horst Mahler darf es keine Ausnahme davon geben. Der soll künftig aber, wenn es nach der Staatsanwaltschaft geht, dem LKA Brandenburg seine Veröffentlichungen spätestens eine Woche vor Erscheinen anzeigen. Allerdings genießen selbst Verfassungsgegner das Recht auf freie Meinungsäußerung – zumindest solange nicht das Bundesverfassungsgericht die Verwirkung des Grundrechts ausspricht. Continue reading >>16 November 2020
Walking from Luxembourg to Brussels in two hours
A little over a year ago, close to 200,000 people took to the streets to protest the European copyright reform. At the core of the controversy about the Copyright Directive lies Article 17, which makes certain online platforms directly liable for copyright infringements of their users. Protests have died down after the adoption of the directive, as Member States are engaged in the difficult task of transposing Article 17 into national law. It would be a mistake, however, to take this relative calm for an indication that the conflict has been resolved. While the implementation deadline for the Member States is coming closer, the conflicts have been taken to court. Continue reading >>Würdeverletzungen haben ihren Preis
Es passiert nicht alle Tage, dass Deutschland in Straßburg verurteilt wird, schon gar nicht für die Verletzung des Folterverbots. Mit der Entscheidung Roth gegen Deutschland hat der Gerichtshof Ende Oktober genau das getan: Die pauschale Anordnung, dass Häftlinge sich entkleiden und einschließlich der normalerweise verdeckten Körperöffnungen durchsuchen lassen müssen (sog. strip searches), ist rechtswidrig und muss finanziell entschädigt werden. Im Zentrum steht dabei die Frage nach der Entschädigung bzw. dem Ersatz von immateriellen Schäden infolge einer erniedrigenden Behandlung. Hier zeigt die Argumentation des Europäischen Gerichtshofs wieder einmal: Der deutsche Amtshaftungsanspruch kann den von der Konvention geforderten wirksamen Rechtsschutz nicht ausreichend gewährleisten. Continue reading >>
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Greening Banks in the Face of Uncertainty
To this day, banks continue to plough money into carbon-intensive sectors of the economy while making inadequate provisions for potential losses. The European Central Bank’s 2020 draft Guide on climate-related and environmental risks is a major step in supervisory efforts to address this problem, which so far has escaped critical scrutiny. It sets out how the ECB will use its supervisory powers to get banks to properly monitor, disclose and price risk. As we argue, its current approach is unlikely to work because it asks banks to quantify risks that often resist simple quantification. Instead, the ECB should provide banks with more targeted guidance. That will make banking supervision more political than it is today. Continue reading >>
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13 November 2020
Verquere Schuldzuweisungen
Die Geschehnisse um die „Querdenker*innen“-Demonstration in Leipzig am vergangenen Wochenende gaben reichlich Anlass zu – teilweise berechtigter – Kritik. Die Diskussion war dabei geprägt von gegenseitigen Schuldzuweisungen der staatlichen Gewalten. Diese sind in weiten Teilen wohlfeil und juristisch unhaltbar. Continue reading >>The BBC and Henry VIII’s Heirs
Once again, the BBC is under pressure. Once again, the British Government is briefing hostile newspapers about how both it, and its sister public service broadcaster, Channel 4, are in the firing line. Once again, dark clouds gather over its future, which has been called into question. The licence fee, the hypothecated tax that provides the corporation with its revenue, has been under threat in the past, but this time, it’s proved the lightning rod for more dissent, with a citizen’s campaign to defund the BBC. How did we get here? Where should we go? Where will we go? Continue reading >>12 November 2020
Ein Schnellschuss ins rechte Seitenaus
Wenige Tage nach dem Anschlag von Wien am 2. November hat die österreichische Bundesregierung die Leitlinien eines Anti-Terror-Pakets präsentiert. Zwar hätte der Anschlag auch schon mit den derzeitigen juristischen Möglichkeiten zur Überwachung von Gefährder*innen verhindert werden können. Aber ungeachtet dessen sollen im Eilzugstempo (geplant noch im Dezember 2020) rechtliche Verschärfungen beschlossen werden, die massiv in Grund- und Freiheitsrechte eingreifen. Mit einer vernunftgeleiteten Kriminalpolitik, die auch in solchen Zeiten mit Bedacht reagiert und sich nicht vom Boulevard treiben lässt, haben diese Pläne nichts zu tun. Continue reading >>
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An Irish Tale of Judicial Misconduct
On the evening of Monday, November 9th, Mr. Frank Clarke, Chief Justice of the Irish Supreme Court, published three letters, recounting correspondence between himself and Mr. Seamus Woulfe, another Supreme Court judge – of recent appointment – and former Attorney General of Ireland. That the Chief Justice should have seen fit to publish any correspondence between himself and another judge is singular. The content of the letters, however, is altogether peculiar. Continue reading >>
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Power Grab in Times of Emergency
In the late hours on 10 November, the National Assembly adopted an Enabling Act authorizing the Orbán cabinet to govern by decree for 90 days, even though the executive already had very broad legislative power due to the introduction of the medical state of emergency. The ink was barely dry on the approval of the delegation of extraordinary legislative power to the government, when the Minister of Justice introduced several bills on important legislative reforms, such as the Ninth Amendment to the Fundamental Law and changes to the electoral system. Continue reading >>
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A Tragic Constitutional Court Judgment on Abortion
Ewa Łętowska examines the Polish Constitutional Court's judgement on abortion and finds that it shows how far the country has moved towards religious and moral fundamentalism. The ruling creates a wobbly, unclear and hypocritical legal state. Continue reading >>11 November 2020
How to Self-Castrate
Donald Trump’s defeat at the US presidential election has wrong-footed some of his staunchest loyalists in Central and Eastern Europe. In Estonia, the former master pupil in the CEE ‘class of democracy’, the Trumpist part of the government has suffered a kind of public nervous breakdown with a set of unrestrained remarks aired on a radio talk show on 8 November about the allegedly ‘rigged elections’ in the US and the ‘corrupt character’ of the US President-Elect Joe Biden. This crassly undiplomatic spell of verbal incontinence by the prominent representatives of the Conservative People’s Party of Estonia (EKRE), including two members of the government, culminated in the resignation of the Minister of the Interior Mart Helme. Continue reading >>Justiz-Bankrott?
Die Entscheidung des 6. Senats des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 7. November 2020, die sogenannte „Querdenken“-Demo auf dem Augustusplatz in Leipzig am selben Tag unter Auflagen stattfinden zu lassen, mag auf juristische Zweifel stoßen. Solche Bedenken können allein aus einer Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen abgeleitet werden, die am Abend des 10. November vom Gericht eilig veröffentlicht wurden. Continue reading >>
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10 November 2020
A game hacked by the dealer
There are many ways a government can undermine judicial independence, even without explicit legislative action. One of the most effective ways is to makes sure that the ‘right judges’ will get the important cases. At the Hungarian Kúria, the case allocation system clearly violate international standards. Continue reading >>
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Protest and Pandemic
As of 4 November, twenty countries across Europe have now re-introduced either lockdowns or restrictive pandemic measures. The reality that while the pandemic is temporary, it will nevertheless be lengthy, has begun to set in. In response to new restrictions, widespread protests has been reported across Europe, sometimes resulting in violent clashes with police forces. Where it is both highly likely that current restrictions will not be be the last – particularly following mass-migration during the Christmas period – and protests are likely to increase, what then? Continue reading >>
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09 November 2020
Pars pro Toto
Dieser Beitrag wurde am 09. November verfasst, am „Schicksalstag“ der deutschen Geschichte. Auch wenn die Ereignisse in Leipzig zwei Tage zuvor sicherlich (oder hoffentlich) kein Schicksalstag waren, so machen sie an diesem Tag besonders betroffen. Sie erinnern nämlich daran, dass Deutschland derzeit möglicherweise dabei ist, sein Gleichgewicht zu verlieren, und zwar nicht nur das politische Gleichgewicht, sondern auch das genauso wichtige Gleichgewicht zwischen Legislative, Exekutive und Judikatur. Continue reading >>Divine Decision-Making
The most recent abortion decision of 22 October 2020 of Poland’s Constitutional Court (“the Court”) did not come as a surprise. It is not, as some commentators would like to see, an aberration, a departure from previous liberal and human rights-based standards by a group of judges linked to the Law and Justice party. Rather, it is a consequence of the right-wing constitutionalism that has dominated the Court for years. This discourse that introduced religious dogma as the basis for legal reasoning is undemocratic and exclusionary. It presents religious worldviews as textual consequences of the constitution without taking into account the voice of citizens. The persistence of this type of constitutionalism can be demonstrated on example of a number of cases important for the public sphere in Poland. Continue reading >>
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What Happens Next?
Despite the length of time it took to determine the result, this is not a close election. Everyone who has felt that the last four years brought American democracy perilously close to collapse should now feel relieved. Biden’s margin of victory in the decisive states is too large to be overturned by typical recounts or by the usual toolbox of legal challenges. As I will explain in this post, however, we’re not completely out of danger yet. Continue reading >>08 November 2020
Control through Intervention
In October 2020, the director of the Musée d’Histoire de Nantes announced the postponement of an upcoming exhibition on Mongol history and culture. The exhibition was supposed to be the result of a collaboration between the Nantes museum and the Inner Mongolia Museum in Hohhot, China. The decision of postponement came amidst an accusation of interference from the Chinese Bureau of Cultural Heritage. According to the director, The Chinese Bureau requested unprecedented control over the exhibition’s organization, including eliminating references to the Mongol Empire and Genghis Khan. The director of the Nantes Museum stated that the breakdown in the collaboration was caused by the Chinese Bureau’s attempt to ‘rewrite history and erase Mongol culture’; an effort the museum could not abide by. Continue reading >>
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Of Asymmetries, Aspirations and…Values, too
How are the transnational legal order (“TLO”) and transnational governance affected by the democratic backsliding, authoritarianism and populism? As painfully evidenced by the Polish and Hungarian cases, the system of governance and constitutional design of the European TLO have been in error of “normative asymmetry”: transnational authority to ensure that the states remain liberal democracies has not been effectively translated into the transnational law and remedies. In order to make the TLO more responsive to the democratic threats, however, it is crucial to take on the challenges that go beyond institutional and procedural tinkering. Continue reading >>
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Quantifizierung und Querfront
Wer in Zeiten erneut exponentiell wachsender Infektionszahlen (quasi-)sakralisierte Phänomene in der säkularen Corona-Gesellschaft unter die Lupe nimmt, bemerkt bestimmte Unterschiede zur ersten Covid-19-Welle. Angesichts einer gewissen „Pandemiemüdigkeit“ erscheint das Virus für viele nicht mehr wie ein dämonisierter politischer Akteur, eine höhere Gewalt oder ein sakralisiertes außerreligiöses Wesen, das keine anderen Probleme oder Themen neben sich duldet. Continue reading >>07 November 2020